Des Giftmischers Herz

 

 

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Kapitel 13: Albus Dumbledore

 



Die ersten Wochen des Schuljahres vergingen ereignislos für Severus, wenn man dem äußeren Anschein glauben durfte. So gut wie niemand in der Schule wußte, daß etwas anders war als noch vor den Ferien und die, die es wußten, schwiegen sich darüber aus, weil Sirius es so wollte.

Lediglich einigen Lehrer fiel sehr früh ein Wandel an Lily Evans auf. Sie war nicht mehr so lebhaft und nahm in keiner Weise mehr annähernd wie sonst am Unterricht teil.

Albus Dumbledore, der Schulleiter von Hogwarts, wanderte in diesen Tagen mit einer für ihn ungewöhnlichen Sorgenfalte durch die Gänge der Schule. Er wußte nicht so recht, wie er die Sorgen und Befürchtungen seiner Kollegen und Kolleginnen in Bezug auf Lily Evans handhaben sollte. Erst als er auf dem Flur in Richtung seines Büros fast mit Severus zusammenstieß, hellte sich seine Miene etwas auf.

"Bitte verzeihen Sie, Sir", entschuldigte Severus sich schnell für den Beinahzusammenstoß und wollte schon weitergehen, als die stets leicht amüsiert klingende Stimme von Dumbledore ihn zurückhielt. "Severus, ich würde gerne einen Moment mit dir reden."

Severus, dessen Gesicht von Dumbledore abgewandt war, hob überrascht die Augenbrauen. Er hatte nicht einmal gewußt, daß der Schulleiter seinen Namen kannte... andererseits, Dumbledore war bekannt dafür, jeden seiner Schüler genau zu kennen.

Blieb immer noch die Frage, warum er ausgerechnet mit ihm sprechen wollte. Er drehte sich zu ihm um und Dumbledore wies einladend in die entgegengesetzte Richtung. Severus wußte, daß dort irgendwo sein Büro lag, aber es war, wie sämtliche Lehrerquartiere, für die Schüler eigentlich nicht zugänglich.

Severus setzte sich wieder in Bewegung und folgte Dumbledore den Gang entlang bis zu einem Wasserspeier, vor dem Dumbledore stehen blieb. Er murmelte etwas, was wohl das Paßwort war und der Wasserspeier schwang zur Seite und gab eine Treppe frei, die sich wie ein Fahrstuhl in Bewegung setzte und nach oben wand. Dumbledore betrat die Treppe und Severus tat es ihm gleich...

Es mußte etwas sehr wichtiges sein, wenn er ihn sogar in sein Büro brachte...

Als sie das runde Büro betraten, wies Dumbledore auf einen großen bequemen Stuhl, der vor seinem Schreibtisch stand.

"Setz dich, Severus. Kann ich dir vielleicht etwas anbieten?" Severus schüttelte den Kopf und sah den Direktor mit seinen ernsten Augen an. "Nein, Sir."

Dumbledore lächelte, doch als er immer noch nicht zu sprechen begann, setzte Severus nach. "Sir, warum wollten Sie mich sprechen? Ist etwas vorgefallen?"

Dumbledores Augen blitzten auf und Severus konnte einen Hauch von Schalk in ihnen erkennen. So typisch für den weisen, alten Zauberer.

"Kannst du es dir nicht denken, Junge? Gut, dann will ich dir ein wenig auf die Sprünge helfen. Mir sind verschiedene Gerüchte in er letzten Zeit zu Ohren gekommen und einige besorgte Lehrer haben mich in den letzten Tagen auch des öfteren konsultiert." Severus hob überrascht eine Augenbraue bis fast an seinen schwarzen Haaransatz.

"Es ging dabei um deine Freundin Lily." Sofort verfinsterte sich Severus' Blick und Dumbledore ahnte, daß er genau den richtigen erwischt hatte, die Sache zu besprechen.

"Ich hatte die Hoffnung, daß du mir vielleicht erklären könntest, warum Lily Evans so... sagen wir merkwürdig ist, seit sie nach Hogwarts zurückgekehrt ist." Severus' Augen blitzten wütend auf und er wandte den Blick ab. Dumbledore war überrascht, so viel Haß und Kälte in dem Blick des Jungen zu sehen.

"Was haben Sie gehört, Direktor?" fragte er zurück. Er wußte, daß es unhöflich war, Dumbledores Aufforderung mit einer Frage zu beantworten, aber er mußte erst wissen, was der alte Zauberer bereits wußte.

"Nun, es ist eine sehr wilde Geschichte, die mir da zu Ohren gekommen ist. Von einem Zauberer namens Barabas Snape, einer sehr mutigen Lily, einem sowohl psychischen als auch physischen Kampf im Tropfenden Kessel und ein paar unschönen Verletzungen, die du wohl dabei erlitten haben sollst, Severus."

Severus ließ den Kopf sinken. "Also haben sie im Prinzip schon alles gehört."

Dumbledore schüttelte den Kopf und sah den Jungen vor ihm eindringlich an. "Bei weitem nicht alles. Ich kenne nur die groben Einzelheiten. Von dir, Severus, möchte ich jetzt den Rest erfahren und zwar alles ganz genau."

Severus seufzte und rutschte unbehaglich auf seinem Stuhl hin und her. "Einverstanden, ich werde Ihnen alles erzählen." Und er erzählte die ganze Geschichte in allen Einzelheiten, soweit er es mitbekommen hatte. In Dumbledores Gesicht änderten sich fast minütlich die Emotionen, die er empfand und als Severus zum Ende kam, erkannte er deutlich Dumbledores grenzenlose Wut über das Geschehene.

"Das ist alles, was ich Ihnen erzählen kann. Ich habe das meiste zwischen Lily und meinem Vater aber nicht mitbekommen, da ich mehrere Minuten bewußtlos war. Und Lily..." Er schlug die Augen nieder und Dumbledore fühlte die kalte Bitterkeit in seiner Stimme. "Lily weicht mir aus, wenn ich mit ihr darüber sprechen möchte, sie redet nicht darüber, nicht ein Wort mehr seit der Nacht auf der Krankenstation. - Und ich kann es ihr nicht verübeln, auch wenn ich wissen will, was genau geschehen ist."

"Miss Evans scheint noch immer unter einen schweren Schock zu stehen, doch sie verdrängt ihr Trauma. Es ist nicht gut für sie und wird ihr in keinem Fall helfen, wenn du versuchst sie zu etwas zu drängen, Severus." Severus wollte widersprechen. Er drängte Lily zu gar nichts, er wollte ihr doch nur helfen, doch er schnitt sich selbst das Wort ab. - Natürlich drängte er sie. Seine fragenden Blicke, sein Schweigen, weil er kein anderes Thema anzufangen wußte, um von der Sache abzulenken, das alles war ein stummes Drängen...

Er ballte die Hände, die auf den Stuhllehnen auflagen, zu festen Fäusten.

Dumbledore entging diese Bewegung nicht und er schenkte Severus eines seiner gütigen Lächeln. "Es ist schon in Ordnung, mein Junge. Das ist doch genau die Reaktion, die man von dir erwarten muß. Du willst für sie das Beste, darum willst du darüber reden. - An sich ist dieser Ansatz ja auch richtig, aber sie muß wahrscheinlich erst mal mit jemand anderem darüber sprechen, der sie darauf vorbereitet, die ganze Sache dann mit dir aufzuarbeiten. - Das ist alles nicht so leicht, wie es scheint oder wie sie dir vormacht."

Severus' kalkweiße Wangen röteten sich leicht und als er seinen Blick wieder auf den Direktor richtete, brannte in seinen Augen ein solches Feuer, daß sogar Dumbledore im ersten Moment milde überrascht schien. "Ich hasse ihn!" zischte Severus, seine wütende Stimme kaum mehr als ein Flüstern und obwohl er es sich nicht anmerken ließ, stellten sich in Dumbledores Nacken ein paar Härchen auf.

"Wieso tut er das immer? Wieso will er mir immer alles zerstören, was mir lieb und teuer ist! Er ist ein verdammter Bastard!!!" Alles hatte Dumbledore von diesem Jungen erwartet, aber sicherlich keinen plötzlichen Wutausbruch, ausgerechnet vor ihm. Vor seinen Mitschülern... ja vielleicht, aber doch nicht vor seinem Direktor... Dumbledore hätte nie gedacht, daß er ihm so viel Emotion freiwillig offenbaren würde.

"Ich habe deinen Vater gekannt, Severus. Ich war schon Lehrer in Hogwarts, als er hier zur Schule ging. Damals noch für Verwandlungen. Dein Vater war ein auf seine Weise einmaliger Schüler, ohne Frage. Wenn wohl auch jeder Lehrer von damals noch heute zugeben wird, daß er nicht traurig war, als Barabas nach sieben Jahren endlich seinen Abschluß machte." Er versuchte ein Lächeln, doch Severus, der noch nicht so genau wußte, worauf der alte Zauberer vor ihm eigentlich hinaus wollte, sah ihn noch immer mit dem selben brennenden Blick an. Die Wut kochte ungezügelt in ihm. Es war so viel stärker als die Wut, die in ihm aufkeimte, wenn er Lucius sah, sogar noch stärker als damals, als er ... er schüttelte den Kopf. Er durfte nicht immerzu daran denken, das schürte seine gewaltsamen Gedanken nur noch mehr.

"Was ich sagen will...", setzte Dumbledore wieder an, der jede Einzelheit seines inneren Kampfes beobachtete, "ist, daß dein Vater zu einer seltenen Rasse gehört. Er ist von Natur aus böse. Er war es schon immer. Er war schon extrem boshaft, als er mit elf Jahren zum ersten Mal die Pforte dieses Schlosses durchschritt.

Du fragst, warum er dir das immer wieder antut... nun, weil es in seiner Natur liegt. Er kann gar nicht anders, für ihn ist es richtig. Er hat dir deinen Weg vorbestimmt, wie sein Vater ihm den seinen. Und genau, wie er seinem Vater gehorcht hat, erwartet er diesen Gehorsam auch von dir. - Der Unterschied ist aber, daß du nichts weiter warst als ein schüchterner, nach Liebe hungernder Junge, als ich dich vor zwei Jahren das erste Mal gesehen habe." Severus senkte beschämt den Blick. Er wußte nicht einmal, wofür er sich schämte, aber er tat es. Dumbledore sah in seine Seele wie durch ein Fenster.

"Du bist so gar nicht wie dein Vater, hättest es aber leicht werden können, wenn unsere liebe Lily nicht gewesen wäre. - In diesem Punkt hat dein Vater wohl recht, so verdreht sein sonstiges Denken ist. Schuld an deiner wunderbaren Entwicklung ist allein Lily Evans." Severus blickte Dumbledore in die Augen und der alte Zauberer lächelte wieder sein warmes Lächeln angesichts der verzweifelten Frage in den Augen des Jungen.

"Ich weiß, daß du deinen Weg finden und das richtige tun wirst, Severus. Ich hab es nicht immer geglaubt, denn du warst lange Zeit beeinflußbar, aber wenn ich dich jetzt so sehe, dann weiß ich es genau."

Ein leichtes Lächeln legte sich auf Severus' Lippen und er nickte. "Sie ist mein Engel", antwortete er schlicht.

Dumbledore neigte ein wenig den Kopf. "Ich habe noch nie zwei so junge Menschen erlebt, die so etwas empfunden haben, das gebe ich zu."

"Ich kann es auch kaum erklären. Ich fühle mich erst lebendig, seit ich sie kenne, darum bin ich mir so sicher, daß sie für mich so immens wichtig ist."

Dumbledore nickte "Das ist sie wohl... Man kann wohl heute noch nicht sagen, was die Zukunft so bringen wird, aber ich glaube, ihr beide werdet noch viel gemeinsames Glück erleben und irgendwann sind diese harten Tage dann auch vergessen." Er räusperte sich, als er merkte, wie sentimental er gerade klang und versuchte, seiner Stimme wieder eine ernste Note zu geben.

"Das war es auch eigentlich schon, Severus. Ich danke dir für deine Offenheit. Du hast Lily damit sicherlich geholfen." Severus stand mit einem dankbaren Blick auf Dumbledore auf und ging dann durch die Tür seines Büros. Dumbledore hörte, wie der Wasserspeier am Ende der zur Seite schwang und sich der Eingang Sekunden später wieder schloß.

Nachdenklich stützte er die Stirn auf seine gefalteten Hände. Die Zukunft. Auch er konnte sie nicht sehen, aber er konnte fühlen, daß noch viel Unheil aufkommen würde. Ob es Severus und Lily oder die Zauberwelt allgemein betraf, vermochte er nicht zu sagen, aber die dunklen Wolken kamen und Albus Dumbledore, einer der weisesten und mächtigsten Zauberer seiner Zeit, harrte ihrer in sorgenvoller Hilflosigkeit.

***



"Miss Evans, kann ich Ihnen vielleicht behilflich sein?" Lily schreckte aus ihrer Trance auf und blickte in das Gesicht ihrer noch sehr jungen Lehrerin für Wahrsagen. Professor Trelawny lächelte sie durch ihre riesigen Brillengläser an.

"Verzeihung?" fragte sie verwirrt und Professor Trelawny schnalzte mißbilligend mit der Zunge.

"Miss Evans, Sie müssen meinem Unterricht schon ein wenig Aufmerksamkeit schenken, sonst hat das hier natürlich keinen weiteren Sinn. Ich weiß, nicht jeder ist dazu bestimmt, wirklich ein Seher zu werden, aber man darf nicht gleich von Anfang an so an die Sache herangehen." Lily nickte stumm. Sie hatte wirklich andere Sorgen als jetzt über Handlesen oder das Deuten von Teeblättern nachzudenken. Sie hatte Wahrsagen mehr aus einem Spaß heraus gewählt und sie wurde nicht enttäuscht. Wenn man in der richtigen Stimmung war, konnte das Fach sicherlich sehr interessant sein.

Nur war sie nicht in der Stimmung.

Professor Trelawny griff nach ihrer Hand und als ihre Finger Lilys berührten, zuckte diese heftig zusammen. Auch Professor Trelawny schreckte vor dieser heftigen Reaktion zurück und sie blickte ihre junge Schülerin mehr als verwirrt an. Lilys Brustkorb hob und senkte sich heftig. Sie bemerkte das, und versuchte bewußt, ihre Atmung zu kontrollieren und zu beruhigen.

Zögerlich streckte sie ihrer Lehrerin ihre Hand hin.

"Verzeihen Sie bitte", murmelte sie kaum hörbar und Professor Trelawny ergriff zaghaft die ihr angebotene Hand. Sie warf einen Blick drauf, blieb aber zunächst stumm. Sie neigte Lilys Hand ein paar Mal sanft in die eine und dann wieder andere Richtung und eine Sorgenfalte bildete sich auf ihrer sonst so jugendlich glatten Stirn.

"Meine Liebe, was ich hier sehe, ist... ich muß es Ihnen leider sagen... nicht besonders erfreulich. Ich sehe sehr viel Leid und Schmerz, sowohl solches, das Sie selbst erfahren als auch solches, das Sie zufügen." Lily blickte ihrer Lehrerin überrascht ins Gesicht. Bisher hatte sie es als Humbug abgetan, aber konnte sie da wirklich etwas sehen? Besorgt hob Professor Trelawny hinter ihrer riesigen Brille eine Augenbraue und Lily entging diese Bewegung nicht.

"Keine sehr lange Lebenslinie, schrecklich...", murmelte die merkwürdige Frau vor sich hin. "Und viele Täuschungen, sehr viele Täuschungen, Lügen." Sie sah von Lilys Hand auf. Lily zog ihre Hand wieder heftig zurück und starrte ihre Lehrerin fassungslos an.

"Das ist doch alles Blödsinn!" fauchte sie schließlich, doch ihre äußerlich wütende Fassade bröckelte unter der Oberfläche gewaltig. Es durfte nur um Gottes Willen keiner bemerken. Bloß nicht zeigen, daß sie innerlich in Panik geriet.

Professor Trelawny schüttelte energisch den Kopf.

"Gegen seine Zukunft kann man sich nur im begrenzten Maße wehren, Miss Evans, das müssen auch Sie einsehen, wie viele Menschen vor Ihnen, ob Ihnen das nun gefällt oder nicht. Es tut mir sehr leid, daß meine Voraussage so wenig schön ausgefallen ist, aber sollte ich Sie vielleicht belügen? Das könnte ich mir nie verzeihen." Lily schluckte jede weitere Bemerkung hinunter. In ihr breitete sich eine Übelkeit aus, die sie zu übermannen drohte.

Wie konnte diese Lehrerin ihr nur so eiskalt solche Dinge ins Gesicht sagen? Was hatte die Frau mit ihrem Feingefühl gemacht? Es meistbietend versteigert?

Die Frau und das aufgebrachte Mädchen starrten sich noch einen Moment lang an, dann wandte Professor Trelawny sich mit einem traurigen Kopfschütteln von ihr ab. Daß die Leute immer so undankbar waren, wenn man ihnen die Wahrheit sagte.

Lily starrte auf ihre Hand. Wo wollte sie das gesehen haben? Sie sah ihr nur ein paar Furchen, Linien, was eine Handfläche eben so darbot, nichts besonderes.

Sie sah hier keinen Schmerz, keine Lügen, keinen Tod! Das war doch alles Quatsch!

***



Lily rührte gedankenverloren in ihrem Essen herum, um dann doch nach etwa einer halben Stunde wieder aufzustehen, ohne einen einzigen Bissen davon gegessen zu haben. So wie die letzten Tage. Ein trauriges Spiel, das sich ständig wiederholte, von Tag zu Tag.

Persephone landete neben ihr und mit einem liebevollen Klappern ihres Schnabels legte sie einen Brief neben Lilys Teller ab. Lily nahm ihn und brach das Siegel auf dem Umschlag.


Mrs. Evans,

bitten finden Sie sich heute Nachmittag nach dem Unterricht vor dem Wasserspeier im zweiten Stock ein. Ich möchte mit Ihnen über eine wichtige Angelegenheit unter vier Augen sprechen. Erzählen Sie bitte niemandem vom Inhalt dieses Briefes.

Albus Dumbledore



Die große Überraschung über diesen Brief spiegelte sich deutlich auf ihrem Gesicht wider, doch Lily fing sich rasch wieder und faltete ihn zusammen, um ihn in ihrem Umhang verschwinden zu lassen. Was konnte Dumbledore so dringendes mit ihr zu bereden haben?

***



Lily ging von ihrer letzten Unterrichtsstunde am Nachmittag ohne Umweg sofort zu dem besagten Wasserspeier, wo auch schon Direktor Dumbledore mit seinem typischen warmen Lächeln auf dem Gesicht auf sie wartete. Noch bevor sie ihn ganz erreicht hatte, murmelte er etwas in Richtung des Wasserspeiers und dieser schwang zur Seite. Lily hob die Augenbraue, zeigte aber sonst keinerlei Regung auf ihrem Gesicht.

Sie folgte Dumbledores Handbewegung und trat durch den geheimen Eingang. Die Treppe, die sich automatisch nach oben wand, erinnerte Lily an die Rolltreppen in ihrer alten Welt und sie mußte lächeln. Ob diese Rolltreppen sich wohl auch bald um Säulen winden konnten, wie diese Treppe hier?

In seinem Büro angekommen setzte Lily sich auf den ihr angebotenen Stuhl und blickte Dumbledore gespannt an. Auch der Direktor musterte sie einen Augenblick stumm und schien nach den passenden Worten zu suchen. Schließlich räusperte er sich ein wenig und blickte sie über seine halbmondförmigen Brillengläser hinweg an.

"Lily, kannst du dir vorstelle, warum ich dich hergebeten habe?" Lily schüttelte den Kopf, verwirrt darüber, daß Dumbledore sie so privat adressierte. Das tat sonst keiner der Lehrer, aber es war nicht unangenehm. Von diesem Mann ging stets so etwas Väterliches, Warmes, Vertrauenerweckendes aus. "Nein Sir", antwortete sie schlicht, um ihr Kopfschütteln noch ein wenig zu bekräftigen.

Dumbledore verschränkte seine Hände vor sich auf dem Tisch und nickte leicht. "Einigen der Lehrer ist aufgefallen, daß du dich in der letzten Zeit etwas merkwürdig verhältst. Seit du nach Hogwarts zurück gekehrt bist, bist zu sehr still und zurückhaltend geworden, was vor allem auffiel, weil du dich vorher sehr stark am Unterricht beteiligt und in das Geschehen eingebunden hast." Lily senkte den Blick. Früher oder später hatte das ja passieren müssen. Die ewige Grübelei, die sie ja gar nicht wollte, in die sie aber immer wieder verfiel... es war von Anfang an nur ein Frage der Zeit gewesen, bis es jemandem ernsthaft auffallen würde.

"Ich weiß von einigen unschönen Vorfällen...", bei diesen Worten schnellte Lilys Kopf nach oben und ihr schockierter Blick traf die warmen Augen Dumbledores, "...vor einigen Wochen in der Winkelgasse", beendete er seinen Satz und hielt ihren Blick fest, bittend und eindringlich.

"Was haben Sie darüber gehört?"

Dumbledore verstand, daß sie erst abtasten wollte, was er schon wußte, doch er würde sie nicht aus dieser Falle entkommen lassen. Er wußte, daß sie darüber reden mußte. Zwar hatte er zu Severus gesagt, daß man sie nicht drängen durfte, aber im Prinzip war das genau der Weg, den er anzuwenden versuchte. Er trieb sie in eine Ecke und hoffte, daß sie sich nicht daraus befreien konnte, bevor sie nicht ihr Herz endlich von dieser Last befreit hatte, die auf ihm lag und drohte, es langsam zu erdrücken. Nur war Severus dafür nicht der Richtige gewesen. Solche Sachen gehörten in die Hände scheinbar Unbeteiligter, so wie seine.

"Ich glaube, so ziemlich alles. Was mir noch fehlt, sind ein paar einzelne Puzzlestücke des Ganzen, die Mr. Snape mir leider nicht mitteilen konnte, da er zeitweise selbst außer Gefecht war."

Lily schluckte und würgte somit die Übelkeit, die sie wieder überkam, hinunter. "Severus..."

Dumbledore nickte. "Er war gestern hier. Genau wie du auf mein Geheiß. Da ich schon etwas von dem Vorfall wußte, hat er es mir erzählt und von dir möchte ich nun den Rest erfahren. Ich weiß, es wird dir sicherlich sehr schwer fallen, darüber zu reden, aber wir haben alle Zeit der Welt, du kannst es also ruhig angehen lassen." Lily zog ihre Beine an ihren Körper und umschlang die Knie mit ihren Armen.

"Wozu soll das gut sein?" fragte sie und die Abwehr in ihrer Stimme war nicht zu überhören. "Was könnten Sie mir sagen, was mir nicht schon meine Eltern oder Severus gesagt haben? Ich muß alleine damit fertig werden." In Dumbledores Augen leuchtete etwas auf, das Lily nicht so recht deuten konnte und er schüttelte energisch den Kopf.

"Das ist Unsinn, Lily, und das weißt du auch! Dieser Vorfall hat tiefe Wunden auf deiner Seele hinterlassen und das ist vollkommen normal. - Das ist nichts, für das man sich schämen müßte Lily, es hat nichts mit Schwäche zu tun. Und es ist mehr als stark, wenn man sich nach solchen Erlebnissen einer anderen Person öffnet und sich von ihr helfen läßt."

Lily senkte ihren Blick und ihre leeren, stumpfen Augen füllten sich mit Tränen. "Ich möchte aber endlich vergessen!" brachte sie mit kläglicher Stimme hervor.

"Ich weiß", antwortete Dumbledore sanft. "Aber du wirst es nicht vergessen, wenn du versuchst, es einfach in deinem Gedächtnis zu verschütten. Für eine Weile wird es vielleicht weg sein, aber eines Tages bricht es wieder über dich herein und das dann mit einer Gewalt, die du nicht mehr auffangen kannst." Mit jedem Wort, das er sprach, wurde seine Stimme eindringlicher.

"Was wollen Sie wissen?" fragte sie mit kaum hörbarer Stimme und Dumbledore lächelte wieder, das war ein kleiner Erfolg.

"Alles, Lily. Laß bitte nichts aus. - Was hast du gefühlt, als du gesehen hast, was Barabas Snape mit Severus macht?" Lily erschauderte heftig, als sie ihre Erinnerungen wieder auf den Tag in der Winkelgasse richtete. Sie dachte ständig daran, tagaus tagein, aber niemals fixierte sie ihre Gedanken darauf, so wie jetzt. Und am liebsten hätte sie sofort wieder damit aufgehört.

"Ich dachte, er würde ihn töten. - Er... er war so kalt und brutal. Und keiner in diesem ganzen verdammten Schuppen steht auf und tut etwas dagegen!! Alle sitzen oder stehen einfach nur rum und glotzen dumm aus der Wäsche!!" Die letzten beiden Sätze kamen mit einer fast hysterischen Heftigkeit und Dumbledore wußte, daß in ihr nun der heilende Erdrutsch losbrach, der sie bald schon von diesen Erinnerungen befreien würde.

"So ist es gut, Lily, laß es raus", sagte er sanft und Lily erzählte weiter. Sie merkte, daß es leichter wurde, je mehr sie von diesem Tag sprach und während sie das tat, schrie und weinte sie und Dumbledore ließ sie gewähren und sie wußte, daß sie es hier tun konnte.

"Ich glaube, daß er nicht wußte, was er noch tun soll, als er gemerkt hat, daß ich keine Angst vor ihm hatte, ihm sogar Widerworte gegeben habe. Ich weiß selbst nicht mehr, wo ich in diesem Moment den Mut dafür hergenommen habe, aber er war da und ich hatte die Kraft, all das zu sagen und zu tun. - Aber seit er den Tropfenden Kessel verlassen hat, ist diese Kraft weg. Ich fühle mich leer, kraftlos und ausgebrannt. Ich habe das Gefühl, daß mir alles entgleitet und ich nichts tun kann, um das zu verhindern."

Dumbledore hatte geschwiegen und während ihrer ganzen Erzählung angespannt, mit den gefalteten Händen vor dem Mund, gelauscht. Er hob sichtlich beeindruckt seine buschigen, weißen Augenbrauen. "So viel Mut hätte ich von einer Dreizehnjährigen mit Sicherheit nicht erwartet. Kein Wunder, daß Snape so überrascht war." Lily umschlang ihre Beine noch fester, zog sie näher an ihren Körper, als wollte sie sich so klein wie möglich machen.

"Aber das wird nicht ewig so bleiben. Er wird sich von seiner Überraschung erholen und dann, wenn ich wieder mit ihm zusammentreffe, werde ich nicht mehr stark genug sein, ihm stand zu halten. Ich weiß es, ich fühle es ganz deutlich. Ich werde Severus verlieren, er wird ihn mir wegnehmen."

"Du solltest auf Severus vertrauen. Ich glaube nicht, daß er das so einfach zulassen würde. Sein Vater hat euch im Tropfenden Kessel überrannt und das war auch schon der ganze Zauber."

Lily konnte nicht abstreiten, daß sie sich besser fühlte. Irgendwie war es ein leichtes Gefühl, darüber gesprochen zu haben und auch, wenn die Worte Dumbledores sie noch nicht wirklich überzeugten, sie waren wie Balsam, der sich auf ihre Seele legte. Sie wollte es so gerne glauben, diese Illusion aufrecht erhalten, bis sie sich vielleicht eines Tages als wahr erwies... Wenn sie das nur eines Tages tun würde.

"Bitte versprich mir, daß du nicht mehr mit deinem Kummer alleine bleibst, Lily. Das ist Gift für deine Seele und es gibt so viele Menschen, die nur zu gerne bereit sind, dir zuzuhören und dir Beistand zu leisten. Allen voran Severus, der sich wirklich jeden Tag große Sorgen um dich macht, den er dich so sieht."

Lily lächelte und nickte. "Ich verspreche es..."

"Dann kannst du gehen, wenn du möchtest." Sie wollte schon aufstehen, als ihr noch etwas einfiel. Sie blieb sitzen und sah Professor Dumbledore ein wenig unsicher an.

"Professor, eine Frage habe ich noch."

"Hm?" nickte er und Lily schluckte den Kloß in ihrem Hals hinunter.

"Professor, wie sicher sind die Voraussagen von Professor Trelawny?" Die Lippen des Direktors verzogen sich zu einem breiten Lächeln.

"Nun, sie ist noch nicht lange bei uns, aber trotzdem kann ich dir eines sagen. Das Geschäft mit der Zukunft ist ein vernebeltes Gewerbe. Niemand kann so wirklich hundertprozentig voraussagen, was morgen geschehen wird. Darum ist es trügerisch, sich auf solche Voraussagen zu verlassen."

"Ja, aber sind solche Voraussagen schon einmal eingetreten?" hakte Lily nach, mit der Antwort des weisen alten Zauberers noch nicht zufrieden.

"Manchmal, aber selten im vollen, prophezeiten Ausmaß. Du mußt wissen, Lily, es gibt auf der ganzen Welt nur eine Handvoll wirkliche Seher und diese zeichnen sich dadurch aus, daß sie nicht sehen, wenn sie sehen wollen, sondern wenn etwas gesehen werden will. - Mehr kann ich dir dazu nicht sagen, denn ich will mir kein Urteil über Professor Trelawny erlauben, die zweifellos gute Arbeit leistet." Lily nickte und stand auf. Sie wollte das Büro gerade verlassen, als Dumbledore sie noch einmal zurück hielt.

"Ich habe eine wundervolle Idee, wie ihr beide euch von dieser unschönen Sache ablenken könnt!" lächelte er ihr zu und Lily blinzelte ihn verwundert an.

"Dieses Wochenende ist das erste Hogsmaede Wochenende in diesem Schuljahr und vielleicht wird es dich freuen zu hören, daß sowohl deine als auch Severus' Eltern die Erlaubnis zu diesen Ausflügen unterschrieben haben." Ein leichtes Lächeln zog über Lilys Gesicht, ein kurzes Aufflackern ihrer alten Fröhlichkeit und Begeisterung. Sie verließ sein Büro und ließ einen nachdenklichen Dumbledore zurück.

Auf ihrem Weg zurück zum Aufenthaltsraum der Gryffindors fühlte sie, welches Gewicht ihr von den Schultern genommen war. Ohne das Problem wirklich gelöst zu haben, war es um ein Vielfaches zusammengeschrumpft, nur durch einfaches Reden.

Lily fühlte die bleierne Müdigkeit in ihren Gliedern und freute sich auf ihr Bett und vielleicht noch ein paar Seiten eines guten Buches.


 

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