Des Giftmischers Herz

 

 

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Kapitel 15: Entscheidung aus Liebe

 


Der Hogwarts-Express stand schnaubend im Bahnhof von Hogwarts und auf dem Bahnsteig herrschte reges Treiben. Mitten in dem Gedrängel aus Schülern und Massen von Gepäck standen Severus und Lily wie ein Fels in einem tosenden Meer.
"Irgendwie habe ich das Gefühl, daß ich dieses Jahr noch einsamer sein werde als sonst", sagte Lily leise und blickte Severus in die Augen. Er lächelte und zog sie in seine Arme.
"Nur zwei Wochen, mehr nicht", versuchte er sie zu beruhigen, doch scheinbar schlug dieser Versuch fehl. Die Uhr auf dem Bahnsteig zeigte drei Minuten vor elf und für Severus wurde es langsam Zeit, einzusteigen und sich einen Platz zu suchen, doch er wollte sie nicht loslassen.
Er hatte kein gutes Gefühl, sie alleine in Hogwarts zurück zu lassen, doch er konnte sich der Anweisung seines Vaters, auch dieses Jahr in den Ferien nach Hause zu kommen, noch weniger widersetzen als in den Jahren zuvor. Er mußte gehen.
"Du mußt einsteigen", murmelte Lily in den dunklen Stoff seiner Kleidung hinein, ohne auch nur auf die Uhr gesehen zu haben. Sie spürte, daß Severus nickte, doch noch immer sah sie nicht auf.
Severus atmete tief ein, legte seine Hände auf ihre Schultern und drückte sie langsam ein Stück von sich fort. Sie sahen sich in die Augen und er lächelte.
"Wir sehen uns bald wieder." Ungehemmt flossen die Tränen über Lilys gerötetes, aber zweifellos schönes Gesicht.
"Shh, keine Tränen mehr. Tränen sind für die Toten gedacht, nicht für die Reisenden." Er beugte sich zu ihr hinunter und küßte sie. Für einen Moment verschwanden alle Geräusche um sie herum und Lily konnte nur noch ihrer beider Herzschlag hören, nur noch die Wärme seines Körpers fühlen und sie fühlte sich geborgen. Seit langem wieder das erste Mal rundum glücklich.
Und dann war der Moment vorbei.
Severus blickte ihr noch einmal in die Augen und stieg dann in den Zug ein, der nur Sekunden später aus dem Bahnhof rollte.
Lily blickte ihm nach, ihren dicken Umhang fest um ihren Körper geschlungen und zum ersten Mal wurde ihr bewußt, auch wenn vieles noch so war wie immer, einiges hatte sich geändert und würde nie wieder so sein wie früher.

***



Auch in diesem Jahr waren James, Sirius und Remus in Hogwarts geblieben. Einzig Peter war nach Hause gefahren und zumindest für Sirius war das die beste Nachricht des Jahres gewesen. Sicher hätte er die zwei Wochen mit Peter genauso ertragen wie den Rest des Schuljahres, aber Urlaub für seine Nerven war durchaus willkommen, ohne Frage.
Seit seinem letzten schweren Fehler bei seinen Bemühungen, ein Animagus zu werden, hatte er sich ohne Zweifel zusammen gerissen, aber Sirius wurde das Gefühl einfach nicht los, daß Peter sich in der letzten Zeit sehr zu seinem Nachteil veränderte. Vielleicht bildete er sich es auch nur ein, weil Peter ihm in der letzten Zeit verstärkt die Nerven raubte, aber an sich, war er sich fast sicher.
Er hätte gerne mit James oder Remus darüber gesprochen, doch irgendwie hatte er das Gefühl, daß die Freunde ihn nicht verstehen würden. Vermutlich würden sie glauben, er hätte etwas gegen Peter, weil dieser ein unfähiger Trottel war. Einen solchen Stempel wollte er sich nun wirklich nicht aufdrücken lassen, auch wenn da natürlich auch ein klitzekleines bisschen Wahrheit dran war.
Er sah wie Lily vom Bahnhof ins Schloß zurück kam. Durchgefroren und mit deutlich sorgenvoller Miene.
"Einen Penny für deine Gedanken", sagte er, als sie betrübt durch das Portraitloch stieg. Sie lächelte ihn an, als sie ihren Umhang ablegte und sich zum ihm ans warme Kaminfeuer setzte, um sich aufzuwärmen.
"Ich bin traurig, weil die Ferien angefangen haben, mehr ist nicht."
"Zwischen euch ist alles okay?" Lily blickte überrascht auf. War die Sorge in seiner Stimme echt?
"Ich denke schon. Zwischen uns hat es ja keine Probleme gegeben, die Probleme kamen stets von außen."
Sirius nickte. "Lily, du darfst nicht glauben, daß du mit mir nicht über die ganze Sache reden kannst, nur weil es um Severus geht." Lily blickte überrascht auf.
"Das habe ich nie geglaubt. Es gibt nur einfach nichts zu bereden." Sirius lächelte und sah sie mit einem vielsagenden Blick an.
"Ich höre dich oft genug, wenn du nachts runter in den Gemeinschaftsraum gehst, weil du nicht mehr schlafen kannst und nicht nur Linda hat berichtet, wie oft sie hört, wenn du im Schlaf aufschreist. Du brauchst mir also wirklich nichts vorzumachen. Es ist ganz klar, daß du nach der ganzen Sache Angst hast. Das ist eine natürliche Reaktion." Eine leichte Spur von Wut lag in ihrem Blick, der Sirius doch sehr überraschte.
"Wieso glauben alle, daß es mir um mich geht? Warum glaubt ihr eigentlich, habe ich diese Alpträume? Weil ich Angst habe, daß Barabas Snape zurück kommt und mich wieder schlägt, mir wieder Wunden zufügt?! Von mir aus soll er mich umbringen, wenn er will! Ich würde alles tun, um Severus vor ihm zu schützen!" Sirius' Stirn legte sich in tiefe Falten.
"Das ist nicht deine Aufgabe."
"Du irrst dich. Ich liebe Severus, absolut und bedingungslos. Und Liebe bedeutet, bereit zu sein, im äußersten Fall alles für den anderen zu geben. Liebe bedeutet, daß man sich selbst auch mal in den Hintergrund stellen kann, wenn der Partner einen braucht. Liebe ist ein Geben und Nehmen und ich will Severus den gleichen Schutz geben, den er auch mir gibt. Ich will für ihn da sein, wie er für mich da ist und wenn es bedeutet, mich selbst für ihn aufzugeben, dann werde ich das tun?"
"Aber was hätte Severus davon?" fragte Sirius ernst. Lily stutzte einen Moment.
"Absolut gar nichts, und das weißt du auch, Lily. - Deine Bereitschaft, das Äußerste zu tun, wenn ihr wieder mit seinem Vater zusammen treffen solltet, scheint ja im ersten Moment großmütig und heldenhaft, vielleicht ist es auch Märtyrertum im Namen der Liebe, wer weiß. - Aber Severus hat davon gar nichts außer ein Leben ohne Sinn." Lily stand auf und starrte einen Moment in die Flammen.
"Und darum rede ich nicht mit dir, Sirius! Weil du von Dingen sprichst, von denen du keine Ahnung hast. Weil du ständig versuchst, mir und meinen Gefühlen den Boden unter den Füßen weg zu ziehen. Du bist James' Freund und als solcher wirst du immer unbewußt für ihn und gegen Severus arbeiten. - Unser Gespräch ist beendet." Obwohl ihre Worte ihn verletzten, entgegnete Sirius nichts mehr. Lily war noch immer aufgebracht, noch immer verwirrt und die Zeit würde kommen, da sie einsehen würde, daß er recht hatte und es nur gut meinte, ohne dabei an James' Vorteil zu denken. Freund hin oder her.

***



Die erste Woche der Ferien und damit auch Weihnachten vergingen ereignislos. Lily bekam keinen Brief von Severus, doch sie hatte es auch nicht erwartet. Sie ihrerseits schickte ihre Persephone genauso wenig los, um einen Brief zu überbringen.
So schmerzhaft diese totale Trennung war, es war das klügste, was sie beide tun konnten und sie hatten ausgiebig darüber gesprochen.
Sirius und den anderen Jungs ging Lily wieder aus dem Weg wie in der Zeit, in der sie Streit mit James gehabt hatte. Sie wollte sich nicht noch mehr Dinge von Sirius anhören, die ihr weh taten und alles in Frage stellten, an das sie im Moment ihre ganze Hoffnung hing.
Es war der zweite Tag nach den Weihnachtsfeiertagen, als Lily das Schloß verließ, um ein wenig über die Ländereien zu wandern und ihren Kopf frei zu kriegen von ihrer Grübelei und den vielen Sorgen, die sie einfach nicht wieder los wurde, obwohl sie drohten, sie unter sich zu begraben und zu ersticken. Sie war bereits ein ganzes Stück gegangen, als sie bemerkte, daß sie die Grenze des Verbotenes Waldes erreicht hatte. Doch als sie umdrehen und zum Schloß zurückkehren wollte, blieb sie abrupt stehen, ihr Atem setzte für eine Sekunde aus und bleierne Angst legte sich über sie, um sie nicht wieder los zu lassen.
"So sieht man sich wieder, kleines Schlammblut." Die Stimme von Snape war eisig und schneidend, passend zu dem grausamen Lächeln auf seinen porzellanweißen Zügen. Er kam auf sie zu und Lily wollte einfach losrennen. Hinüber zu Hagrids Hütte und dort Schutz suchen vor diesem Monster, doch ihre Beine gehorchten ihrem Willen nicht.
Snape baute sich in seiner vollen Größe vor ihr auf und blickte verächtlich auf sie hinunter.
"Wie dumm von dir, ganz alleine so weit weg vom Schloß, am Rande des gefährlichen Waldes. Eines der gefährlichen Kreaturen könnte Appetit bekommen und dich einfach anfallen." Mit einer zarten Berührung, die Lily bis ins Mark erschaudern ließ vor Ekel und Abscheu, streichelte er über ihre Wange.
"Das einzige Tier, das mir hier gefährlich werden kann, sind Sie!" fauchte sie ihn an und wußte im selben Moment schon, wie dumm sie war, sich so kampflustig zu zeigen. In Snapes Augen blitzte es kurz auf, als er ihr mit einer raschen Bewegung in die Haare griff und heftig daran zerrte.
"Vorsicht, Mädchen, reize mich nicht schon wieder!" Obwohl er ihren Kopf an ihren Haaren nach hinten zerrte, war kein Zeichen des Schmerzes in ihrem Gesicht zu erkennen, was Barabas sehr enttäuschte. Doch Lily empfand in diesem Moment keinen Schmerz. Der Adrenalinschock, den ihr Körper gerade erhalten hatte, überdeckte ihn vollkommen.
"Sonst passiert was?!" Ihre Stimme war herausfordernd, drohend und gefiel Barabas so überhaupt nicht. Seine Hand näherte sich ihrem Hals und griff nach dem gelb-roten Schal, den sie darum gewickelt hatte. Mit zwei Handbewegungen von ihm fiel der Schal zu Boden und seine eiskalten Finger berührten die weiche, warme Haut ihres Halses. Langsam schlossen sie sich darum und Snape drückte zu.
Lily bekam keine Luft mehr und wußte, wenn er nicht bald aufhörte, ihr den Hals zuzudrücken, würde sie hier und jetzt sterben, aber sie gab nicht nach. Sie würde diesem Monster von Zauberer niemals ihre Angst zeigen, niemals ein Zeichen, daß er stärker als sie war, daß er gewann. Sie starrte ihn mit ebenso unnachgiebigen Augen an, wie vor wenigen Monaten im Tropfenden Kessel. Wut blitzte in seinen Augen auf und er drückte noch ein wenig fester zu.
Doch plötzlich lockerte sich der Griff um ihren Hals ein wenig. Mit einer genauso schnellen Bewegung wie zuvor sein Griff in ihr Haar, drehte er ihr den Arm auf den Rücken. Fast hätte sie aufgeschrieen, als sie endlich den Schmerz spürte, doch sie konnte sich gerade noch davon abhalten
"Ich hatte ganz vergessen, daß das bei dir keinen Sinn hat", flüsterte er. Sein Mund war ihrem Ohr so nahe, daß sie seinen heißen Atem im Genick fühlen konnte und es trieb ihr fast ihr Frühstück wieder aus dem Magen heraus.
"Aber das ändert nichts daran, daß ich nicht zulassen kann, daß Dreck wie du mir meinen Sohn verdirbt." Er drehte ihren Arm noch ein Stückchen weiter.
"Darum hab ich mir überlegt, was eine Närrin wie dich wohl zur Vernunft bringen könnte. Und siehe da, mir fiel doch tatsächlich eine Lösung ein, gerade so, als hätte ein Vögelchen sie mir gezwitschert." Lilys Augen verengten sich und sie spuckte das erste Wort, das ihr in den Sinn kam, fast aus.
"Malfoy!" Ein Lächeln umspielte seine Züge, das sie selbstverständlich aus ihrer Position heraus nicht sehen konnte, doch sie fühlte es.
"In der Tat, ein äußerst schlaues Schlammblut haben wir hier. Ja, der häßliche Vogel, der mir diese wunderbare Eingebung verschaffte, hatte tatsächlich eine verblüffende Ähnlichkeit mit unserem Mr. Malfoy." Er legte seinen freien Arm um ihren Hals und streichelte fast zärtlich mit dem Finger über ihre schmerzende Schulter. Lily kämpfte gegen seinen Griff an bis er seinen Arm gegen ihren Hals drückte.
"Ich wäre dir sehr verbunden, wenn du mit dem Gezappel aufhören würdest! Sei wenigstens so höflich, mir zuzuhören, wenn ich mit dir rede!" fauchte er.
"Höflich, welches Fremdwort für Sie!" Sie trat ihm heftig auf den Fuß, was ihr noch weniger Luft einbrachte.
"Wirst du wohl...!" Im nächsten Moment hatte er Lily die Schulter ausgekugelt und es kostete sie ein übermenschliches Maß an Selbstbeherrschung, nicht mehr als einen leisen Schmerzenslaut von sich zu geben.
"Nun, dieser Vogel, von dem wir sprachen, ich möchte dir erzählen, auf welche Idee er mich brachte." Lilys Sinne waren vom Schmerz benebelt, doch seine Worte drangen noch immer durch diesen Nebel hindurch.
"Entweder, du läßt ab sofort die Finger von meinem Sohn und hörst auf damit, ihm seine Zukunft für immer zu ruinieren oder dein schlimmster Alptraum wird in Erfüllung gehen."
"Und... was stellen... Sie sich unter... meinen... schlimmsten Alptraum...so vor?" brachte sie mühsam um Luft ringend hervor.
"Wenn ich noch ein einziges Mal hören muß, daß mein Sohn mit dir seine Zeit verschwendet, werden die Menschen, die du liebst, dafür bezahlen müssen. Einer nach dem anderen. Deine Mutter, dein Vater, deine Schwester - wenn es sein muß, beseitige ich sogar meinen Sohn selbst. - Lieber gar keinen Sohn als einen, der unwiderrufliche Schande über meinen guten Namen bringt!" Wie ein Schlag mit einer schweren Keule in den Magen trafen seine Worte Lily, die in seinem Griff für einen kurzen Moment zusammensackte. Ein zufriedenes Lächeln zog über Barabas' Gesicht bei dieser Reaktion.
"Es scheint, als hättest du mich endlich verstanden." Sie spürte, wie er seinen Arm von ihrem Hals nahm und sich ihre Lunge wieder mit Sauerstoff füllte. Trotzdem fühlte sie sich in diesem Moment wie tot.
Er drehte sie um und zwang sie, ihm ins Gesicht zu sehen.
"Du darfst mich nicht falsch verstehen, kleines Schlammblut. Es ist ja nicht so, daß ich nicht nachvollziehen könnte, warum mein Sohn etwas für dich empfindet, aber Mädchen wie du sind einfach nicht gesellschaftsfähig. Es geht einfach nicht, daß unsere Nachkommen den Abschaum aus der Gosse als Partner auswählen. Als netten Zeitvertreib für Zwischendurch vielleicht, ja." Bei diesen Worten veränderte sich sein Blick auf merkwürdige Weise und er strich wieder fast zärtlich über ihren Hals. Panik überkam Lily.
"Nimm die Finger von mir!" schrie sie ihn an und versuchte, ihn von sich zu stoßen. Er zog sie nur noch fester an sich und lächelte grausam vergnügt.
"Manchmal seid ihr ja sogar ein sehr amüsanter Zeitvertreib. Aber Schlammblüter wie du sollten sich immer im Klaren darüber sein, daß ihr nichts weiter seid als bestenfalls das." Wieder spürte Lily seinen Atem, diesmal auf ihrem Gesicht und sie widerstand nur mit Mühe dem Drang, ihm einfach ins Gesicht zu spucken.
"Was soll ich tun?" fragte sie schließlich nach einer halben Ewigkeit, wie es schien und fühlte sich dabei so elend wie noch nie.
"Sorge dafür, daß er dich haßt und nie wieder etwas mit dir oder deinesgleichen zu tun haben will. Und vergiß niemals, ich habe ein Auge auf dich, ich erfahre alles, was hier in Hogwarts geschieht." Lily kämpfte gegen die Tränen an. Der Gedanke, Severus nie wieder nah sein zu können, seine liebevolle Umarmung nicht mehr zu spüren, nicht mehr mit ihm über einfache, belanglose Dinge reden zu können, war einfach unerträglich für sie. Es zeriß sie von innen und doch, sie konnte all das nicht mehr haben, ohne alles zu riskieren, was ihr lieb und teuer war. Barabas Snape machte keine leeren Drohungen, das wußte sie auch ohne Beweis seinerseits.
"Also gut."
Ein triumphierendes Grinsen zog über Snapes Gesicht. "Wie kann man sein eigenes Kind nur so hassen, daß man es lieber zerstören, als glücklich sein lassen will?" fragte sie mit gebrochener Stimme.
"Ich hasse diese wertlose Kreatur von einem Sohn genauso wenig, wie ich ihn liebe. Ich empfinde gar nichts für ihn. Aber er schuldet mir ganz einfach, den Weg zu nehmen, den ich ihm vorausbestimmt habe. Und wenn er sich mir in dem Punkt widersetzen will, dann muß ich etwas dagegen tun. So einfach ist das, kleines Schlammblut." Abgrundtiefer, so von ihr nie gefühlter Haß, glitzerte in Lilys Augen und schlug Barabas entgegen.
"Eine so armselige Kreatur wie Sie ist mir noch nie unter die Augen gekommen", entgegnete sie kalt, doch Snape schenkte ihr nur noch ein weiteres seiner spöttischen, widerlichen Lächeln.
"Du bist noch so jung, dir werden noch schlimmere begegnen." Lily spürte den pochenden Schmerz in der Schulter und den rasenden, wirbelnden Haß, doch sie war gleichzeitig so müde, so niedergeschlagen, so am Ende. Sie konnte nicht mehr weiter und sie wollte auch nicht mehr. Barabas Snape hatte es geschafft. Er hatte sie in die Enge getrieben. Es gab keinen Ausweg mehr. Lily konnte förmlich fühlen, wie sie innerlich zerbrach.
"Es gibt keine Steigerung mehr, das ist absolut unmöglich. Und wenn Sie jetzt keine weitere Grausamkeit mehr haben, die sie mir auf irgendeine Weise unterbreiten wollen, dann werde ich mich jetzt für immer von Ihnen verabschieden, bis zu dem Tag, an dem ich an ihrem Grab stehen und über Sie lachen werde, weil Severus auch ohne mich den richtigen Weg eingeschlagen und Sie damit vor aller Welt mitten ins Gesicht geschlagen hat." Sie wandte sich von Barabas ab und machte sich auf den Weg zurück zum Schloß. Barabas sah ihr nach und einen Moment lang, nur einen winzigen Augenblick lang, hatte sie ihn berührt. Nur wenige Zauberer von wirklichem Wert schafften es, gleichzeitig gebrochen und stolz zu sein, so wie sie. Zu schade, daß sie nichts weiter war als ein Schlammblut.
Lily fühlte seinen kalten Blick im Rücken und wußte, daß er sie beobachten würde, bis sie außer Sichtweite war. Ihr Stolz, alles, was ihr noch geblieben war, war das einzige, was sie im Moment noch vorwärts gehen ließ, der Rest in ihr schrie danach, sich von der nächsten Klippe zu stürzen.

Madam Pomfrey stellte wie immer keine Fragen, sondern verarztete einfach ihre Wunden. Ganz im Gegensatz zu Sirius, als Lily zurück in den Gemeinschaftsraum kam.
"Sirius! Ich will verdammt noch mal nicht mit dir darüber reden!!" fuhr sie ihn an, nachdem er sie minutenlang mit Fragen darüber gelöchert hatte, warum sie so schlecht aussah und ob es etwas damit zu tun hatte, daß Remus einen fremden Zauberer hatte über das Gelände schleichen sehen.
"Halt einmal deine Nase aus den Angelegenheiten anderer heraus!" Sie stürmte die Treppe hinauf in den Mädchenschlafsaal, doch wenn sie gedacht hatte, daß sie ihn damit losgeworden war, hatte sie sich getäuscht.
Obwohl es den Jungen nicht erlaubt war, die Schlafsäle der Mädchen zu betreten - was umgedreht genauso der Fall war - hatte sie sich kaum auf ihr Bett geworfen, als sie die Tür hörte. Außer ihr war keines der Gryffindor-Mädchen im Schloß geblieben. Es bestand also kein Zweifel daran, wer es war.
"Verschwinde!" schrie sie, ohne aufzusehen, doch als sie das Klicken des Türschlosses hörte, schoß ihr Blick wie ein Pfeil in Richtung Sirius, der seinen Zauberstab zurück in den Ärmel seines Umhanges steckte.
"Nein!" antwortete er schlicht und in einem sehr autoritären Ton.
"Und was willst du jetzt tun? Du kannst mich nicht zwingen, dir irgendwas zu erzählen." Sirius Augenbraue schnellte hinauf bis zu seinem Haaransatz.
"Ich will dich zu nichts zwingen, bei Merlin!"
"Warum läßt du mich dann nicht einfach in Ruhe?!" Ihre Stimme klang verzerrt und erstickt von den Tränen, die sich endlich ihren Weg ins Freie bahnten. Sirius setzte sich neben sie und legte ihr sanft die Hand auf den Rücken, als sie das Gesicht im Kissen vergrub.
"Weil du mich jetzt brauchst", antwortete er sanft und streichelte ihr beruhigend über den Rücken.

***



Es war schon spät in der Nacht, als Sirius den Mädchenschlafsaal verließ. Nachdem Lily ihm endlich alles erzählt hatte, war er an ihrem Bett sitzen geblieben, bis sie schließlich unter Tränen eingeschlafen war.
Eine wirklich lange Geschichte und Sirius kochte vor Wut. Die ganze Sache war so abenteuerlich, daß Sirius die Geschichte wohl nicht vollständig geglaubt hätte, wäre es nicht Lily gewesen, die sie ihm erzählt hatte.
Doch das schlimmste war, daß er nicht helfen konnte.

 

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