Des Giftmischers Herz

 

 

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Kapitel 16: Des Giftmischers Herz

 


Severus war aufgeregt, als er eine Woche später im Hogwarts-Express saß und zurück in die Schule fuhr. Obwohl natürlich nicht gerade herzlich, waren seine Ferien doch weitaus friedlicher verlaufen, als er es sich vorgestellt hatte und wenn er heute Abend Lily wieder in den Armen halten würde, konnte er sich getrost als den glücklichsten Jungen der Welt bezeichnen.
Die Landschaft, die sich von Minute zu Minute änderte, war längst in tiefe Dunkelheit getaucht und es würde nur noch Minuten dauern, bis der Zug im Bahnhof von Hogwarts ankam.
Knappe fünfundvierzig Minuten später strömten Hunderte Schüler aus dem scharlachroten Zug auf den Bahnsteig von Hogwarts. Severus war einer von ihnen, jedoch der einzige, der sich suchend umsah. Als er Hagrid entdeckte, lächelte er und lief auf den hünenhaften Mann zu. Lily war sicherlich in seiner Nähe.
Hagrid sah Severus schon von weitem kommen und mit jedem Schritt, den der Junge machte, wurde ihm mulmiger zumute. Er hatte keine Ahnung, warum Lily partout nicht hatte mitkommen wollen, wo sie Severus doch auch sonst immer abgeholt hatte, und als er nun die freudige Erwartung auf seinem Gesicht sah, brach es ihm fast das Herz.
Lily war so merkwürdig gewesen, so verändert.... ja, so kalt und distanziert. Eben gar nicht Lily.
Obwohl er Hagrid fast erreicht hatte, war noch immer nirgendwo eine Spur von Lily. Trotz der Dunkelheit konnte er erkennen, daß der Wildhüter von Hogwarts einen sehr merkwürdigen Ausdruck auf dem Gesicht hatte und seinem Blick auszuweichen schien. Severus spürte die Kälte der Angst und der dunklen Vorahnung, die sich um sein Herz legte und rannte die letzten Meter zu Hagrid.
"Wo ist sie?!" rief er, noch bevor er vor dem Riesen zum Stehen kam. Hagrid machte den Eindruck, als würde er einen Moment überlegen, wie er am schnellsten von dem Jungen wegkam.
"Sie ist im Schloß... wollte nich mitkommen, weißt du?" Severus wußte, daß er Hagrid mit offenem Mund anstarrte, war aber dennoch für einige Momente nicht in der Lage, daran etwas zu ändern. Wie ein Schlag hatte ihn diese Information getroffen, aber nur quälend langsam drang ihre Bedeutung in sein Hirn ein.
"Was willst du damit sagen?" fragte er langsam. Hagrid hob die gewaltigen Schultern.
"Na ja, ich wollt sie abholen, aber sie ist nich mitgekommen. Sie hat gesagt, sie hat keine Lust." Mehr als fassungslos wandte Severus den Blick von Hagrid ab. Ohne ein weiteres Wort ging er hinüber zu den Schlitten, stieg in einen ein und war wenige Augenblicke später auf dem Weg ins Schloß.
Lucius hatte das ganze aus einiger Entfernung beobachtet und stieg nun seinerseits in einen der Schlitten, mit einem höchst zufriedenen Grinsen auf dem Gesicht. Wenn ihn nicht alles täuschte, war Barabas Snape diesmal erfolgreicher gewesen.


Severus lag in dieser Nacht wach, ohne ein einziges Mal die Augen zu schließen. Noch immer versuchte er, die Geschehnisse des Abends zu verarbeiten.
Bis zu dem Moment, in dem er aus dem Zug gestiegen war, war die Welt für ihn in Ordnung gewesen, aber dann war plötzlich alles aus den Fugen geraten.
Lily hatte ihn nicht abgeholt, hatte nicht einmal einen weiteren Grund genannt, außer daß sie keine Lust hatte. Und dann hatte sie sich auch noch geweigert, mit ihm zu sprechen. Er war sogar hinauf in den siebten Stock gegangen, von dem er wußte, daß dort irgendwo der Gemeinschaftsraum der Gryffindors war, aber der Gryffindor, den er gebeten hatte, Lily von ihm eine Nachricht zu überbringen, kam schon nach wenigen Minuten zurück. Mit der Botschaft, daß sie ihn nicht sehen wollte und er verschwinden sollte.
Severus drehte sich auf die Seite und fühlte, wie sein Magen immer noch unangenehme Sprünge machte und Loopings drehte.
Er verstand es nicht. Er begriff einfach nicht, was auf einmal los war. Egal wie sauer Lily auf ihn gewesen war, sie hatte doch immer mit ihm geredet oder ihm zumindest zugehört. Nie hatte sie ihn so abgelehnt wie heute Abend.
Severus fühlte sich verletzt und der Schmerz kam ihm vor wie ein vertrauter alter Freund, den er lange Zeit ausgesperrt hatte, nur um zu merken, daß er listig genug war, sich seinen Weg zu ihm selbst zu suchen.
Lily... Er hoffte und er betete, daß sich alles auflösen würde wie ein Traum, daß es eine logische Erklärung für alles gab und sie morgen schon darüber lachen könnten. Gemeinsam.
Severus konnte sich nicht erinnern, daß er schon einmal so geweint hatte, wie in dieser Nacht. Nicht einmal als Kind.


Als er am nächsten Morgen blaß und vollkommen übernächtigt zum Frühstück kam, war Lily nicht da. Mühsam quälte er ein paar Bissen hinunter und ging zu seiner ersten Unterrichtsstunde an diesem Tag. Doch als er in den Kerker kam, in dem sie Zaubertränke hatten, saß Lily bereits mit James zusammen an einem Tisch und blickte nicht einmal auf, als er das Klassenzimmer betrat. Sie schien an James' Lippen zu hängen, der ihr irgendwas erzählte und als sie lachte und dabei die Hand vor ihren Mund hielt, explodierte eine Welle des Zorns in Severus. Doch er unterdrückte sie, nahm seinen Kessel und setzte sich alleine an einen Tisch in der Ecke.
Nach Zaubertränke hatte Severus draußen auf den Ländereien Pflege für magische Geschöpfe, während Lily in den Turm zu Wahrsagen stieg. In der kalten Luft beruhigte sich sein Zorn langsam wieder und er beschloß, daß er in der Mittagspause noch einmal versuchen würde, mit Lily zu reden.
Doch auch in der Mittagspause tauchte Lily in der Großen Halle nicht auf und so langsam machte Severus sich wirklich ernsthafte Sorgen. Das war einfach zu merkwürdig, zu bizarr. Er hatte nichts getan, was sie verärgert haben könnte, er war ja nicht einmal da gewesen, aber trotzdem mied sie ihn scheinbar wie die Pest, schenkte ihm nicht einmal einen Blick, wenn sie zusammen Unterricht hatten und ging nicht zu den Mahlzeiten, nur um ihm nicht zu begegnen.
Kein Mensch, nicht ein einziger, konnte ihm erzählen, daß da nicht etwas faul war.
Es wunderte ihn nicht weiter, daß Lily auch in Verwandlungen und Zauberkunst einen neuen Platz und einen neuen Partner gefunden hatte, als er ins Klassenzimmer kam. Lediglich der Schmerz in ihm steigerte sich von Minute zu Minute, die dieses Spiel sich fortsetzte, bis er soweit war, daß er am liebsten in irgendeine Ecke gekrochen und nie wieder hervorgekommen wäre.

Lily beobachtete Severus den ganzen Tag aus den Augenwinkeln. Sie sah seinen Schmerz, daß er absolut nicht verstand, was hier vor sich ging. Seine Trauer und seine Wut und all diese Gefühle in seinen Augen lösten in ihr so viele Emotionen aus, daß es sie ihre ganze Kraft kostete, nicht nachzugeben.
Sie durfte einfach nicht schwach werden. Er würde nicht verstehen, was sie hier tat, er würde ihr wieder etwas erzählen von Dingen, von denen er keine Ahnung hatte. Nein, es war das beste für ihn, wenn sie so weitermachte. Früher oder später würde er sie endlich dafür hassen und dann war er in Sicherheit.
Er war das einzige, was zählte. Daß es sie innerlich zerriß, war nicht wichtig. Sie würde schon irgendwie darüber hinweg kommen, aber er mußte vor seinem Vater erst in Sicherheit sein, bevor sie sich wieder sich selbst zuwandte.
Obwohl sie sich jedes einzelne Wort, das sie zu ihm sagen würde, wenn er es schaffen würde, sie zur Rede zu stellen, längst zurecht gelegt hatte, fürchtete sie diesen Augenblick mehr als alles andere. Was war, wenn er ruhig genug blieb, um zu sehen, was wirklich in ihr vorging? Wenn sie es nicht schaffte, kalt und abweisend genug zu sein und er die ganze Wahrheit erkennen würde? Daß sich überhaupt nichts veränderte hatte, daß sie ihn mehr liebte als ihr Leben?
Und dann hatte sie keine Zeit mehr, darüber nachzudenken, denn als sie den Klassenraum für Zauberkunst verlassen wollte, hielt sie jemand am Arm fest.
"Lily!" Lily schloß die Augen und zählte rückwärts, um die Emotionen in ihr nieder zu kämpfen, bevor er sie sehen konnte. Seine Stimme war so weich wie Samt und doch so voller Angst. Sie schluckte krampfhaft und setzten einen kalten Gesichtsausdruck auf, bevor sie sich umdrehte. Auch diesen Ausdruck hatte sie so gut es ging einstudiert.
Severus fühlte eine leichte Gänsehaut, als sie ihn ansah. Sie war so anders, so unfreundlich, so überhaupt nicht Lily. Er schluckte den Kloß in seinem Hals herunter und bemerkte, daß er noch immer seine Finger in ihren Arm drückte. Er ließ sie los und sie rieb die Stelle, an der seine sich Finger in ihr Fleisch gebohrt hatten.
"Danke, zu liebenswürdig", antwortete sie trocken und grausam kalt.
"Lily, ich möchte mit dir reden." Lily fühlte, daß sie jeden Moment umzukippen drohte, doch sie kämpfte das Gefühl nieder. Die kleine Stimme in ihrem Hinterkopf schrie so laut sie konnte, daß sie nicht an sich, sondern an Severus denken mußte. Sie konnte ihm nur helfen, wenn sie ihm hier und jetzt das Herz brach. Sie fühlte einen schmerzhaften Stich in der Brust. Ja, das Herz brechen, in tausend kleine Stücke. Genau das würde sie mit ihm tun, aber es gab keine andere Möglichkeit, kein anderer Weg stand ihr offen.
"Nur zu, rede!" Severus ergriff wieder ihren Arm - diesmal sanfter - und zog sie fort.
"Nicht hier", sagte er schlicht und zog sie in Richtung des Westturms.
Die Luft kam ihm noch eisiger vor, als es einem Januarabend zugestanden hätte, aber vielleicht lag es nur an der Kälte, die ihm von Lily entgegen schlug und schockierte, es ihm unmöglich machte, sich auch nur zu bewegen.
"Was ist nur mit dir los?" fragte er nach einer Zeit des Schweigens, die ihm wie eine Ewigkeit vorkam. "Du holst mich nicht vom Zug ab. Gut, das kann ich noch verschmerzen. Aber heute weichst du mir den ganzen Tag aus, redest kein einziges Wort mit mir, schaust mich an, als wäre ich für dich der schlimmste Mensch auf Erden und ich kenne nicht einen einzigen Grund dafür!" Die Verzweiflung in seiner Stimme bereitete ihr fast körperliche Schmerzen und es kostete Lily mehr Kraft, als sie eigentlich hatte, ihre Fassade aufrecht zu erhalten, während er ihr sein Herz ausschüttete.
"Bist du fertig mit deinem Gejammer?" Jedes ihrer Worte schnitt ihr in ihr eigenes Fleisch wie ein Messer und an seinem Gesichtsausdruck konnte sie nur zu gut erkennen, daß es ihm nicht anders ging. Er schien schlicht gesagt wie vom Schlag getroffen worden zu sein.
"Was?!" Obwohl Lily nicht auf ihn zuging, kein weiteres Wort sagte, hob er abwehrend die Hände und starrte sie immer noch fassungslos an. Ihre Worte wollten nicht in seinen Kopf, schienen um ihn herum zu tanzen, wie kleine Kobolde und ihn zu verhöhnen, wie dumm er doch war.
"Könntest du mir vielleicht endlich sagen, was mit dir los ist?" Eigentlich hatte seine Stimme fest und seine Worte so hart wie möglich klingen sollen, doch sie waren noch nicht ganz heraus, da wußte er schon, daß er versagt hatte.
"Mit mir ist gar nichts los. - Ich hatte nur viel Zeit zum Nachdenken." Severus fühlte, wie sich alles in ihm überschlug. Ohne, daß sie mehr gesagt hatte, ahnte er auch schon, was als nächstes kommen würde und alles in ihm schrie, daß er einfach weglaufen sollte, bevor die Worte kamen, bevor alles zu spät war, doch er lief nicht. Er wußte, das hier war kein Traum und er wußte, wenn er weglief war das nur kindisch und führte zu nichts. Er blieb, obwohl er schon fühlte, wie ein bisher noch unbekannter Schmerz ihn übermannte. Unbekannt, obwohl er gedacht hatte, so gut wie jede Form des Schmerzes schon zu kennen. Ein bitteres Lächeln.
"Und was... ist dabei herausgekommen?" Na, sag es schon! schrie seine innere Stimme Lily an, während sein Herz betete, daß sie einfach nur schweigen sollte.
"Dabei ist herausgekommen..." Sag es! Sag, daß du mich nicht mehr willst! Sag, daß alles nur ein Traum war, ein verboten schöner Traum und daß ich jetzt aufwache und wieder Severus Snape bin, der Junge, den keiner mag und den nie einer mögen wird. Sag es, verdammt!!
Lily wandte ihren Blick ab. Obwohl sie Severus kannte wie keine andere und sein Gesicht immer hatte deuten können, waren seine Emotionen noch nie so klar zu sehen gewesen, wie in diesem Moment. Und es war einfach zu viel für sie.
"Severus, die Sache zwischen uns hat einfach keine Zukunft." Der Schmerz war körperlich. Severus fühlte, daß sein Herz einen Moment aussetzte, er fühlte, wie er sich innerlich verkrampfte, wie seine Gedanken anfingen, wild durcheinander zu schreien und ihm binnen Sekunden Kopfschmerzen bereiteten.
Lily holte tief Luft und zwang sich den Kopf zu drehen und Severus mit all der Härte, die sie aufbringen konnte, in die Augen zu sehen. Und was sie sah, brachte sie selbst fast um. Nie hatte sie es sich so schwer vorgestellt, so schmerzhaft. Nie hatte sie geglaubt, in seinen Augen sehen zu können, wie in ihm alles zerbrach und zu einem großen Trümmerhaufen zusammen fiel.
Was hatte sie nur getan?! Sie hatte ihn zerbrochen, wie ein altes, häßliches Spielzeug! Sie hatte ihn an der empfindlichsten Stelle seiner Seele verletzt! Ihm den Boden unter den Füßen weggerissen und letztendlich etwas in ihm geweckt, was sie so lange bekämpft hatte. Seinen unendlichen Haß auf die Menschen.
Doch sie hatte es für ihn getan. Nur für ihn allein. Für ihn allein... für ihn allein...
"Wann...", hörte sie wieder seine samtweiche Stimme, in der das Zittern kaum zu überhören, kein bißchen versteckt war. "...ist dir diese Erkenntnis gekommen?"
Lily wandte ihren Blick wieder ab und drehte ihm den Rücken zu. "Überleg doch selbst, Severus. Wenn du vernünftig bist, wirst auch du begreifen, daß das keinen Sinn hat, was wir versucht haben. Nur wir beide gegen den Rest des Welt, das ist doch lächerlich." Jeden Moment drohte sie den Kampf gegen ihre Tränen zu verlieren, doch sie focht dagegen an.
"Nicht gegen den Rest der Welt, Lily, und das weißt du sehr genau." Lily blickte überrascht auf. In seiner Stimme war etwas, auf das sie gewartet hatte. Ein gefürchteter, aber willkommener Unterton. Grenzenloser, kalter Hass, den es zu schüren galt. Sie lachte.
Wut flammte in Severus auf. Sie lachte ihn aus! Sie rammte ihm das Messer ins Herz, drehte die Klinge noch einmal um und lachte ihn dann aus, weil er blutend am Boden lag!
"Severus, man könnte meinen, du wärst ein naiver Idiot." Jedes Wort ein Messer. "Liebe kommt und geht, jeden Tag kann es anfangen, jeden Tag kann es enden. Hab ich etwa vergessen, das zu erwähnen?" Ein süffisantes Lächeln umspielte ihre Lippen.
"Scheinbar!" knurrte er und zum ersten Mal an diesem Tag war Lilys Lächeln echt. Sie hatte es geschafft.
"Tja, tut mir leid, Sev, aber so ist das." Sie ging zu ihm hinüber und einen Moment lang keimte die Hoffnung in ihm auf, daß sich jetzt vielleicht doch alles klären würde.
Nur noch einmal wollte sie ihn berühren. Die Wärme seiner Haut fühlen und seinen ganz besonderen Duft nach Kräutern und Zaubertrankzutaten riechen, denn nie wieder, für den Rest ihres Lebens sollte sie beides noch einmal erfahren.
Severus blinzelte. Nichts dergleichen geschah. Lily kam nur mit ihrem gefühllosen Lächeln auf ihn zu und legte ihre Hand auf seine Wange. Ihre Hand war kalt, genau wie ihre Stimme, wie ihre Augen, wie ihr Lächeln. Lily war nicht mehr da.
"Du kommst schon darüber hinweg." Er schlug ihre Hand fort und starrte sie voll Hass und Abscheu an.
"Nimm die Finger von mir, Miststück!" fauchte er sie an.
"Schon gut." Lachte sie und ging an ihm vorbei die Treppe hinunter. Severus starrte ihr hinterher. Wütend, fassungslos, leer.
Er fühlte sich total leer. Der Schmerz war auf einmal weg, nichts, was noch wehtat... für den Moment. Er wußte, dieser Schmerz würde wiederkommen und das schon sehr bald. - Sobald er wirklich begriffen hatte, was hier gerade geschehen war.


Lucius hatte gehört, wie Severus erst mitten in der Nacht in den Gemeinschaftsraum der Slytherins zurückgekommen war. Er hatte gesehen, wie Lily und er zu ihrem geheimen lauschigen Plätzchen auf dem Westturm geschlichen waren, aber Lily war alleine von dort zurückgekehrt und hatte ausgesehen wie der wahrhaftige Tod. Ein Anblick, den Lucius genossen hatte, wie sonst selten etwas in seinem Leben.
Severus jedoch hatte sich nicht blicken lassen. Er mußte noch Stunden auf dem Turm zugebracht haben.
Als er im Gemeinschaftsraum Glas zerbrechen hörte, schreckte Lucius hoch. Mit einem leisen Fluchen sprang er aus dem Bett und warf sich seinen Umhang über.
Im Gemeinschaftsraum bot sich ihm ein Bild des Jammers. Severus saß im Sessel vor dem Kamin, in dem noch immer ein helles Feuer brannte. Vor sich auf dem Tisch stand ein Glas mit einer giftgrünen, klaren Flüssigkeit und auf dem Boden lag eine zerbrochene Flasche. Der Rest der grünen Flüssigkeit aus der Flasche hatte sich über den Boden verteilt. Im ersten Moment grinste Lucius, dann setzte er eine besorgte und wütende Miene zugleich auf.
"Herrgott, Severus, was tust du hier?!" Severus blickte auf und sah Lucius mit glasigen Augen an. Es schien eine Weile zu dauern, bis er ihn erkannt zu haben schien.
"Luschius...du bis es!" lallte er und patschte mit der Hand auf den Sessel neben ihm. "Komm...setz dich ein bißchen zu mir." Lucius mußte zugeben, daß er überrascht war. Severus war offensichtlich in einem Zustand der Volltrunkenheit, so wie er sich benahm. Was auch immer er erwartet hatte, das war es jedenfalls nicht gewesen.
Er setzte sich auf den Sessel, nahm das Glas, das vor Severus stand und roch daran. Angewidert hielt er das Glas von sich weg. Es stank erbärmlich nach Alkohol und Wermut.
"Was zur Hölle ist das?" Severus grinste und deutete auf das Glas.
"Das?" Er kicherte. "Das, mein lieber Luschius, nennt man eine grüne Fee!" Selbst der vollkommen betrunkene Severus sah, daß Lucius kein Wort verstanden hatte und lehnte sich überlegen grinsend zurück.
"Alkohol!" erklärte er und sein merkwürdiges Grinsen wurde breiter. "Sehr viel Alkohol mit ein wenig Anis und Fenchel und einer Meeenge Wermut." Wieder kicherte er und wäre das letzte Wort nicht gewesen, Lucius hätte große Schwierigkeiten gehabt, Severus nicht für seinen erbärmlichen Zustand auszulachen.
"Wermut?" wiederholte er und Severus nickte. Lucius hob die Augenbraue und sah Severus scharf an. "Und welchen Grund gibt es dafür, daß du gerade versuchst, dich mit einer Prise Thujon zu vergiften?" Severus Grinsen wurde noch breiter.
"Ah, sehr gut, Luschius, du bist doch nicht so blöd, wie ich dachte! Hast aufgepaßt in Kräuterkunde."
"Was ist der Grund, Severus?!" Severus blickte den älteren Jungen an und mit einem Mal war jedes Grinsen von seinem Gesicht verschwunden und nur noch Leid und Schmerz erkennbar.
"Lily... Lily ist der Grund." Lucius konnte sich sein sadistisches Grinsen nicht verkneifen.
"Sie hat dir den Laufpaß gegeben?" Es war mehr eine Feststellung als eine Frage und Severus nickte.
"Und jetzt tut es weh, nicht wahr?" Auch das wieder eine Feststellung und wieder nickte Severus.
"Tja, mein Freund, ich hatte es dir ja gesagt." Er stand aus seinem Sessel auf und zog Severus auf die Beine.
"Das ist allerdings kein Grund, sich mit diesem Teufelszeug zu vergiften. Du hättest gleich auf mich hören sollen, das hätte dir einiges erspart." Severus nickte, der Kopf wurde ihm schwer.
"Ja, du hast mich gewarnt, Luschius!"
"Ich hab dich gewarnt, sehr richtig. Und jetzt bringe ich dich in dein Bett." Er wandte sein Gesicht angewidert von Severus ab.
"Herrgott, do stinkst wie ein Gossenmuggel! Wie bist du überhaupt an das Zeug rangekommen mit gerade mal vierzehn Jahren? Nicht zu glauben!" Severus brabbelte irgend etwas vor sich hin, doch Lucius verstand es nicht. Es war im Prinzip auch egal.
Als er Severus in sein Bett gebracht hatte, beseitigte er die Spuren seines Trinkgelages und schrieb dann eine kurze Notiz an Severus' Vater.

Sir,

alles ist bestens gelaufen. Lily hat es getan und Severus ist am Boden zerstört. Er wird Wachs in meinen Händen sein!
Ergebendst
Lucius Malfoy



Der Wecker auf ihrem Nachttisch zeigte an, daß es bereits weit nach drei Uhr Nachts war, doch Lily lag noch immer wach in ihrem Bett und starrte mit weit offenen Augen an die hohe Decke des Schlafsaales.
Ihre Tränen hatten so deutliche Spuren auf ihren Wangen hinterlassen, daß sie glaubte, sie hatten sich dort eingebrannt. Tatsächlich war die Haut von der salzigen Flüssigkeit, die sich in gewaltigen Massen ihren Weg über ihr Gesicht gebahnt hatte, sehr gereizt worden und brannte wie Feuer.
Aber es war egal. Lily wußte, sie hatte alles Schlimme und Schreckliche auf dieser Welt verdient, was ihr nur widerfahren konnte. Sie wußte, für jemanden wie sie konnte es einfach keine Gnade mehr geben.
Sie hatte Severus verraten und alles mit Füßen getreten, was sie ihm beigebracht, gezeigt und lieben gelehrt hatte. Und sie konnte ihm nicht einmal sagen, warum sie das getan hatte. Sie konnte nicht einmal irgendwie verhindern, daß Lucius und Snape ihre Ziel erreichten, Severus auf die dunkle Seite zurück zu ziehen.
Denn wenn auch ihre ganze Zukunft noch im Dunkeln lag, Lily kannte Severus doch gut genug, um zu wissen, daß es jetzt gar keinen anderen Weg mehr für ihn geben würde. Wenn sie wirklich geschafft hatte, was sie an diesem Abend in seinen Augen gesehen hatte - seinen kalten Hass auf die Menschen zu wecken - dann war er für immer an die Dunklen Künste verloren.
Aber er lebte. Immer wieder redete Lily sich ein, daß er nur so leben würde.
Niemals hätte er sie freiwillig aufgegeben, das wäre nicht einmal für einen kurzen Moment für Severus in Frage gekommen, denn zuviel von seinem Glück hing an ihr, das hatte er oft genug gesagt. Niemals, es wäre nie gut gegangen.
Barabas Snape hätte seine Drohung wahr gemacht.
Lily wollte schreien, denn dieser nagende Gedanke, das beißende schlechte Gewissen ließ sie einfach nicht wieder los und es machte sie rasend. Sie wollte sich nicht immer wieder diese eine Ausflucht vorsagen müssen, sich nicht immer an diesen einen dünnen, wirklich elendig dünnen, Strohhalm klammern.
Und doch, in all ihrer Verzweiflung war Lily klar, daß das alles war, was ihr jetzt noch geblieben war, wenn sie nicht selbst an der Sache zerbrechen wollte und den Gefallen würde sie Barabas Snape mit Sicherheit nicht tun. Sie hatte schließlich noch eine Verabredung mit ihm - an seinem Grab.
Bitter ballte sie die Hand zur Faust.


 

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