Des Giftmischers Herz

 

 

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Kapitel 17: Gesicht im Spiegel

 


Am nächsten Tag meldete Severus sich krank. Zum einen war er wirklich nur ein Häufchen Elend, als er gegen sieben Uhr morgens aufwachte, und zum anderen wollte er Lily nicht sehen, um keinen Preis der Welt. Wenigstens einen Tag wollte er Zeit haben, das Geschehene zu verkraften, ohne in ihr Gesicht sehen zu müssen, ohne zufällig irgendwo ihre Stimme zu hören.
Er lachte bitter und wußte, daß er albern war. Lily hatte ihn mit so viel Kälte und sogar Abscheu behandelt, es gab für ihn gar keinen Grund, es ihr nicht gleich zu tun. Und doch hatte er Skrupel. Sie war doch immer noch seine Lily. Seine Fee, sein Licht in der Dunkelheit. Er schüttelte heftig den Kopf und zuckte zusammen, als der Schmerz des Katers ihm in den Kopf stach.
Sie war gar nichts. Sie war nichts weiter als eine kalte, berechnende, herzlose kleine Schlampe, die eine Weile Zerstreuung gesucht hatte.
Severus wußte, daß das nicht wahr war. Sie hatte für ihn alles riskiert, das war niemals nur gespielt gewesen. Doch er fühlte auch, wie er von Minute zu Minute mehr auseinander fiel und er mußte sich ganz einfach einreden, daß Lily schlecht war, mußte ganz einfach ihr die Schuld geben oder sein Leben war nicht länger zu ertragen.
Doch was war nur der Grund? Wie hatte es passieren können, daß sie so plötzlich ihre Meinung änderte? Seine eigenen Gefühle für sie waren noch immer so stark und warm, trotz der Verletzungen, die sie ihm in der letzten Nacht zugefügt hatte, daß er einfach nicht daran glauben konnte, was sie gesagt hatte.
Liebe, wenn es wirklich Liebe war, verging nicht von einem Tag zum anderen. Er wußte nicht viel von der Liebe, das konnte man ihm ganz sicher vorhalten, aber das wußte er instinktiv, denn die Liebe hatte ihm die Gunst erwiesen, ihn für einen Moment zu berühren und seitdem war sie ein Teil von ihm gewesen.
Doch jetzt wollte man sie ihm gewaltsam aus der Brust reißen wie ein Geschwür.
Er spürte die Tränen auf seinem Gesicht und fühlte ein heißes Würgen des Ekels. Was war nur aus ihm geworden? Ein Schwächling, der ständig nur noch am Heulen war wegen eines Mädchens. Eines... Seine Gedanken stockten, doch dann verhärtete sich sein Blick trotzig. Es war vorbei, er konnte es wieder sagen oder denken, denn es entsprach der Wahrheit.
"Wegen eines Schlammblutes!" flüsterte er kaum hörbar und ignorierte den kurzen Stich seines schlechten Gewissens.
"Schlammblut!" wiederholte er verbissen und wieder stach sein Gewissen zu. Er wußte nicht, wie oft er es an diesem Morgen noch sagte, doch als seine Kameraden einige Zeit später aufstanden, um zum Frühstück und zum Unterricht zu gehen, schwieg sein Gewissen beim Klang dieses Wortes endlich.


Es war Lucius, der ihn am selben Nachmittag ein wenig unsanft weckte.
"Lucius", murmelte er verschlafen und zum ersten Mal seit langer Zeit hatte seine Stimme nicht mehr den harten, abweisenden Unterton beim Klang seines Namens. "Was willst du von mir?"
Lucius schlug seine langen Beine übereinander und betrachtete Severus lange. Dann legte sich ein grausames Grinsen auf sein Gesicht.
"Du siehst absolut erbärmlich aus, Severus." Severus strich sich das schwarze Haar aus dem Gesicht, das ein wenig wirr um seinen Kopf herum abstand und schlug die Augen nieder. Er brauchte keinen Spiegel, um zu wissen, daß Lucius recht hatte.
"Danke sehr", entgegnete er darum matt.
"Nach dem, was du mir heute Nacht in deinem wirklich sehr erheiternden Zustand mitgeteilt hast, ist es also endlich aus mit dir und diesem Schlammblut." Einen Moment fühlte Severus den Zorn.
"Nenn sie nicht...", doch er brach ab und schüttelte den Kopf. Was tat er denn da? "Ja, so ist es", antwortete er statt dessen und Lucius schien zufrieden damit. Er nickte.
"Daß das nur eine Frage der Zeit war, habe ich dir ja schon gesagt und bitte erwarte bloß kein Mitleid von mir, das wirst du nicht bekommen." Severus biß sich auf die Lippen. Warum war es aber gerade das, was er sich jetzt wünschte? Einen Freund, der Mitleid mit ihm hatte, der ihm über den Schmerz hinweg half, so wie Sirius es für James getan hatte.
Doch er hatte keinen Sirius an seiner Seite und es hatte auch keinen Sinn nach einem zu suchen, denn Freundschaft war doch genau wie die Liebe. Trügerisch, wankelmütig, Gift für ihn. Er brauchte keine Freunde und er wollte keine Freunde.
"Aber", hob Lucius, der seinen inneren Kampf mit wahrer Freude beobachtet hatte, wieder an, "ich werde dir helfen, wieder Fuß zu fassen in unserer Gemeinschaft. Du hast dich selbst ins Aus gedrängt und das war sehr dumm von dir. Noch dümmer war es, auf keinen von uns zu hören, uns alle zu beleidigen und von dir zu stoßen, aber ich nehme es dir nicht übel. Du warst verzaubert von diesem Schlammblut und ihrer Magie über den Moment, aber jetzt, da sie diese Magie über dich verloren hat, ist es für dich an der Zeit, an deinen Platz zurückzukehren." Zum ersten Mal, seit er mit ihm sprach, hob Severus den Blick und sah Lucius an. Noch immer hing der Schmerz über seinen schwarzen Augen wie ein Schleier, aber mit seinen Worten hatte Lucius gleichzeitig auch eine Hoffnung in ihm geweckt, wieder ein Teil des großen Ganzen zu werden.
Nicht, daß ihm das große Ganze wirklich etwas bedeutete. Es bedeutete nur, etwas zu tun, ein Ziel zu haben, mehr nicht. Und besser ein Ziel, das einem nichts bedeutete als, gar kein Ziel, nicht wahr?
"Was meinst du damit?" fragte er und Lucius grinste wieder.
"Es wundert mich nicht, daß du es nicht mitbekommen hast. Während du die Freuden der Liebe erkundet hast", Lucius hielt einen Moment inne und betrachtete mit freudigem Sadismus die Reaktion auf Severus' Gesicht, "habe ich hier in Slytherin eine kleine Gruppe von Gleichgesinnten zusammen geführt. Alles Zauberer reinen, uralten Blutes, die für ihre Rechte und eine bessere Zaubererwelt eintreten wollen.
Und um das zu erreichen, werden sie nach ihrem Schulabschluß hier in die Dienste des Dunklen Lords treten." Severus blickte ihn überrascht an.
"Ich werde der erste von uns sein, der diesen Schritt von unserer Gruppe tun wird", fuhr Lucius fort, "aber zuvor werde ich dich in diese Gruppe eingliedern und ich erwarte von dir, daß du, wenn du zu uns gehören willst, mit Leib und Seele ein - Todesser wirst. Du wirst meinen Platz einnehmen, wenn ich nicht mehr in Hogwarts bin." Severus wußte, daß er starrte, doch er konnte nicht anders.
"Ein Todesser?!" fragte er überrascht und Lucius nickte.
"Ein absolut bedingungsloser Anhänger des Dunklen Lords. - Ich habe Avery, Lestrange, Rosier und Wilkes für unsere Sache gewonnen, aber wir waren uns alle einig, daß du, Severus, das Potential hast und zu uns gehören solltest. Dein Wissen, deine Fähigkeiten, es wäre eine absolute Verschwendung, das alles wegzuwerfen, anstatt damit der herrlichen Sache Lord Voldemorts zu dienen."
Severus stieß einen verächtlichen Laut aus. "Eine herrliche Sache. Du glaubst das wirklich, nicht wahr? Hör zu, Lucius. Ich will ehrlich mit dir sein. Ich bin keinesfalls von deinem Dunklen Lord überzeugt." Lucius sog scharf die Luft ein.
"Und ich weiß, daß du mit meinem Vater unter einer Decke steckt, daß das, was du mir versuchst hier schmackhaft zu machen genau das ist, was er schon seit Jahren als meinen Weg bezeichnet. - Zu behaupten, ich würde jetzt schlagartig an das alles glauben... hör auf, selbst du würdest mir das nicht abnehmen." Lucius verengte die Augen zu schmalen Schlitzen. Er wußte, daß Severus gerne darauf anspielte, daß er oftmals der schnellere und vor allem schlauere von ihnen beiden gewesen war.
"Überzeuge mich von der Sache. Ich werde es mir alles ansehen, ich werde zuhören, aber ich werde dir hier und jetzt nicht versprechen, daß du mich überzeugen wirst." Lucius grinste kalt und klopfte Severus auf die Schulter.
"Glaub mir, du wirst sehr schnell überzeugt sein." Das wiederum glaubte Severus nicht, aber er brauchte wieder etwas, an das er glauben konnte und das ihn nicht verraten würde, wie der trügerische Schein der Liebe es getan hatte. Wenn es die dunkle Seite war, dann sollte es eben so sein. Aber erst mußte die dunkle Seite ihn für sich gewinnen, freiwillig würde er sich nie wieder geben. Egal, um was es ging.

***



Er hatte den ganzen Tag im Unterricht gefehlt. Es wunderte Lily nicht. Auch sie hatte einen Moment lang überlegt, an diesem Morgen überhaupt nicht aufzustehen. Aber dann hatte sie es doch getan, denn sie wußte, sie durfte sich diese Blöße nicht geben, egal wie sehr das alles noch schmerzte.
Sie war diejenige, die sich eiskalt und gefühllos gezeigt hatte, darum hatte sie jetzt nicht das Recht, sich verletzt zurück zu ziehen.
Ihre Trennung war bereits in der ganzen Schule bekannt. Lily wußte, daß das nicht ohne freundliche Hilfe von irgendwem so schnell die Runde gemacht hatte, doch sie konnte sich nicht zweifellos erklären, wer von den in Frage kommenden Kandidaten es gewesen war. Lucius Malfoy oder James Potter.
Das Gerede zeigte auf jeden Fall seine Wirkung. Egal, wo Lily an diesem Tag lang ging, hörte sie Getuschel hinter sich. Manchmal konnte sie sogar ein paar Worte aufschnappen.
"Ja, eiskalt....", hörte sie eine Ravenclaw einer anderen zuflüstern, die Lily einen finsteren Blick zuwarf und Lily lächelte. Sie hielten zu Severus. Das war gut.
Es würde vielleicht noch lange dauern, aber wenn sie zu Severus hielten, dann würde er vielleicht irgendwann jemand anderen finden. Vielleicht war das doch noch eine Chance, daß er auf dem richtigen Weg blieb.
Doch schon als sie den Gedanken dachte, wußte Lily, daß diese Hoffnung nicht wirklich bestand. Er war nicht von der Sorte, die litt, abhakte und von neuem begann, dafür hatte man ihn in seinem ganzen Leben schon zu oft und gründlich verletzt.
Lily vermißte ihn. Obwohl er nicht weit von ihr war, gerade mal ein paar Meter unter ihr in den Kerkern, war er doch unerreichbar für sie geworden und sie mußte sich daran halten. Sie durfte ihn nicht in Gefahr bringen.
Doch immer wieder hörte sie die Stimme in ihr, die ihr sagte, wie dumm sie doch war, das alles weg zu werfen, daß sie und Severus einfach verschwinden sollten, irgendwohin, wo sie niemand fand.
Lily war zu vernünftig, um dieser verlockenden Idee nachzugeben. Das hatte ja doch keine Zukunft. Das war dumm und irgendwann würde Barabas Snape sie ja doch finden, denn vor ihm gab es kein Entkommen.
"Gut, wenn sie ihn nicht mehr will, dann werde ich ihn mir eben schnappen!" Lilys Kopf schoß hoch und sie sah das bezaubernd schöne Mädchen aus Hufflepuff, das diese Worte soeben an einen Haufen kichernder Mädchen gerichtet hatte, von denen einige in Lilys Richtung starrten. Sie hatte es hören sollen.
Lily spürte die Eifersucht, wie sie in ihr aufstieg und langsam den Zorn in ihr zum Wachsen brachte, doch sie kämpfte das Gefühl nieder. Sie hatte Severus aufgegeben, keine Eifersucht, kein Neid, keine Mißgunst. Sie hatte ihn nicht haben sollen und das war schon schlimm genug, sie wollte jetzt nicht auch noch alles viel schlimmer erleben, weil sie nicht loslassen konnte.
Sie setzte eine kalte Miene auf und ging an den Hufflepuffs vorbei zur großen Treppe, um hinauf in den siebten Stock zu gehen.


Nur düstern Frieden bringt uns dieser Morgen;
Die Sonne scheint, verhüllt vor Weh, zu weilen.
Kommt, offenbart mir ferner, was verborgen:
Ich will dann strafen oder Gnad erteilen;
Denn niemals gab es ein so herbes Los
Als Lilys und ihres Severus'.


Die letzte Träne, die Lily in dieser Sache weinen wollte, fand ihren Weg über ihre Wange und tropfte unbeachtet zu Boden.

***



Auch nach dem ersten Treffen mit dieser Gruppe, von der Lucius ihm erzählt hatte, war Severus nicht überzeugt von diesen Ideen, diesen Idealen. Es wirkte alles so polemisch und er wurde das Gefühl nicht los, daß dieser Dunkle Lord, den Lucius so sehr verehrte nichts weiter war, als ein weiterer Diktator, der große Versprechungen machte, die er nicht zu halten gedachte. Und mehr nicht.
Natürlich hatte er das weder Lucius noch irgend jemand anderem in der Gruppe gesagt. Ein Weilchen nur wollte er zu ihnen gehören und weiter zuhören, weiter zusehen und vielleicht fand er an der ganzen Sache ja doch eines Tages etwas, für das es sich wirklich lohnen würde, sich gegen den Rest der Zauberer und Hexen dieser Welt zu stellen. Denn eines war ganz klar, der Dunkle Lord vertrat die Ansichten einer Minderheit. Keiner verschwindend kleinen Minderheit, aber es gab doch mehr liberale Zauberer als solche, die an alten verstaubten Idealen und Blutlinien hingen.
Schon alleine, weil es fast keine reinblütigen Familien mehr gab und wenn Severus an die Degeneration dachte, die eine Fortsetzung der Reinblütigkeit für die Zukunft mit sich brachte, konnte er nicht anders, als spöttisch zu grinsen. Diese Zauberer taten im Prinzip nichts anderes, als sich selbst auszurotten, denn noch ein paar Generationen dieser inzestuösen Verbindungen innerhalb der reinblütigen Familien und dieser letzte Rest wertvollen Blutes würde vollkommen verblödet sein.
Ein Gedanke, der ihn ehrlich amüsierte. Eine kalte kleine Freude, die er lange nicht mehr gespürt hatte, aber er hatte auch lange keine Boshaftigkeit mehr in sein Herz gelassen. Er hatte sie lange nicht mehr gebraucht.
"Wie hast du dich entschieden?" schnitt Lucius' Stimme kalt wie Eis durch den Gemeinschaftsraum.
"Deine Bodyguards...", Severus hob die Augenbrauen und blickte Lucius spöttisch aus seinen glitzernden Augen an, "diese beiden Gorillas, wie hießen sie noch? Ach ja, Crabbe und Goyle. Das sind mit die größten Idioten, die mir je begegnet sind." Lucius warf ihm einen mißbilligenden Blick zu.
"Ich habe dich nicht gefragt, wie du die Mitglieder der Gruppe findest, sondern was du von der Sache hältst." Severus seufzte.
"Du bist immer so ungeduldig. - Also gut, ich bin dabei. Ich habe ja sonst nichts Besseres zu tun." Lucius ließ sein kaltes Lachen hören.
"Ich bin froh, daß du wieder der Alte bist, mein Freund." Severus sah Lucius an und in seinem Blick war kein einziges Zeichen der Freundschaft zu ihm. Doch Lucius ignorierte das. Es war egal. Unter diesen Todessern - das wußte Severus jetzt schon - war Freundschaft undenkbar. Das war der einzige Grund, warum sie überhaupt zusammen sein konnten. Der einzige Grund, warum ihnen nie die Idee kam, daß das, was sie taten und an das sie glaubten, vollkommen idiotisch war.
Es war egal. Er war nun einer von ihnen.
Severus ließ sich zurück auf seine Matratze sinken und blickte an die hohe Decke mit einem Hauch von Sehnsucht in den schwarzen Augen.
Konnte man sich denn etwas Schöneres vorstellen als einer von diesen Lemmingen zu sein, dachte er bitter, doch dann wischte er den Gedanken fort. Das Grübeln mußte ein Ende haben, der Schmerz mußte ein Ende haben, und wenn er es genau betrachtete, war jetzt genau der richtige Zeitpunkt für das Ende.
Er würde von nun an nie wieder mit Sehnsucht im Herzen an Lily denken, nie wieder einen Gedanken an sie und ihre Wärme verschwenden, sie war gestorben.

***



Lily weinte sich in dieser Nacht in den Schlaf.

***



Severus konnte nicht schlafen, denn immer wenn er die Augen schloß, sah er ihr Gesicht, hörte ihr Lachen, konnte wieder ihr seidiges Haar zwischen seinen Fingern fühlen.


Die Treffen der Gruppe von Todessern, die Lucius gegründet hatte, fanden fast täglich im Gemeinschaftsraum der Slytherins statt. Bei diesen Gelegenheiten erzählte ihnen Lucius, der am besten von ihnen allen unterrichtet war, über die neusten Ereignisse rund um Voldemort, dem Dunklen Lord. Severus merkte schnell, daß die anderen Mitglieder der Gruppe weitaus überzeugter von dieser Sache waren als er und dies auch selbst feststellten. Er gehörte noch nicht so wirklich dazu und wurde mißtrauisch von allen beobachtet, wenn er schweigend und düster vor sich hinstarrend an ihren Treffen teilnahm.
"In letzter Zeit sind verstärkt diese vier Gryffindors dabei beobachtet worden, wie sie durch Hogwarts schlichen, als seien sie auf der Suche nach irgend etwas Verbotenem, das sie anstellen könnten. Leider sind sie mir bei meinen Patrouillen noch nie in die Arme gelaufen."
"Du meinst James, Sirius, Remus und diesen kriecherischen Peter, nehme ich an."
Lucius sah Severus mehr als überrascht an. "Was weißt du über die Sache?" fragte er und Severus hörte aus seiner leicht aufgeregten Stimme deutlich heraus, daß Lucius eine Chance witterte, gleich vier Gryffindors auf einmal der Schule verweisen zu lassen. Er grinste ihn an.
"Ich weiß, daß sie schon seit sehr langer Zeit durch das Schloß schleichen. Sie sind auch schon hier unten gewesen. - Ich weiß nicht genau, was sie da eigentlich tun, aber sie durchstöbern jeden einzelnen Winkel und Remus macht sich dabei ständig irgendwelche Notizen." Lucius kniff die Lippen zusammen und sah für einen Moment sehr wütend aus.
"Hier unten auch schon. Was fällt diesen Gören aus Gryffindor eigentlich ein?" Severus überlegte einen Moment, ob es wirklich richtig war, Sirius und die anderen ans Messer zu liefern. Noch hatte er Lucius zwar keine Hinweise geben können, die ihm irgendwie von Nutzen waren, die vier zu schnappen, aber er wußte, er war durchaus in der Lage, ihm einen Tipp zu geben, der fast narrensicher war. Denn Lucius wußte nicht, wo der Gemeinschaftsraum der Gryffindors war. Genau wie die meisten anderen Schüler aus den anderen Häusern wußte er nur, daß er in einem der vielen Türme von Hogwarts lag.
Severus zögerte. Sirius hatte ihm sehr geholfen. Lily hatte ihm erzählt, daß er es gewesen war, der James endlich zu Vernunft gebracht hatte und er war es auch gewesen, der ihn am Anfang des Schuljahres zu Lilys Abteil geführt hatte.
Sirius war also eigentlich ein guter Kerl, aber dennoch. Severus' Blick wurde wieder hart und er ballte eine seiner Hände zur Faust. Guter Kerl hin oder her, er war ein Gryffindor und ein Freund James Potters, der sich an seine Lily heranmachte, kaum, daß sie ihn verlassen hatte. Severus haßte James dafür fast noch mehr als früher, weil er jetzt genau wußte, was er eigentlich verloren hatte. Und da er bis heute den wahren Grund für Lilys plötzlichen Meinungsumschwung nicht kannte, war es zumindest für ihn sonnenklar, daß der Grund nur James Potter sein konnte. Er hatte sie irgendwie dazu gebracht, daß sie ihn verließ.
Dafür würde er James Potter drankriegen und wenn Sirius in dieser Sache mit drin hing, dann sollte es eben so sein. Manchmal mußte man einfach Opfer bringen, wenn man weiter kommen wollte. Lily hatte ihm schließlich eindrucksvoll gezeigt, wie so etwas ging.
"Du würdest alles darum geben, die vier am Kragen packen zu können oder?" Severus Stimme war kalt und grausam und fast nichts von der samtigen Weichheit war mehr zu hören.
"Du weißt doch mehr, als du mir sagen willst, Severus. Spuck es endlich aus und erweise dich würdig, ein Todesser zu sein."
Ein Grinsen, ebenso kalt wie seine Stimme, glitt über Severus' Gesicht. "Ich weiß zwar nicht, was die vier da tun, aber ich weiß, wo der Gemeinschaftsraum der Gryffindors ist. Du brauchst dich dort nur auf die Lauer legen, es wird nicht lange dauern, bis du die vier erwischst." Die Idee schien Lucius überaus gut zu gefallen.
Schon am gleichen Abend legte Lucius sich im siebten Stock ganz in der Nähe des Portraits der fetten Dame auf die Lauer.
Severus dagegen fühlte sich mies. Und er haßte sich dafür. Sich schlecht zu fühlen, nachdem man einen Gryffindor verraten hatte, dieses Gefühl war seiner nicht würdig. Er durfte so nicht empfinden, er mußte das abstellen.
Doch wie sollte er das tun, wenn ihn immer noch alles an Lily erinnerte? Wie sollte er das schaffen, wenn er Tag und Nacht nur an sie dachte und sich immer wieder dabei erwischte, wie er hoffte, sie würde im nächsten Moment vor ihm stehen und alles würde sich als böser Traum herausstellen?
Das mußte endlich ein Ende haben. Es mußte endlich einen neuen Severus Snape geben. Einen kalten Snape, der sie alle haßte, all diese Gryffindors und Hufflepuffs und Ravenclaws. Er starrte sein blasses Gesicht im Spiegel an.
Ja, er wußte, wie die Mädchen der anderen Häuser über ihn und Lily redeten. Er wußte, daß sie ihr Handeln nicht verstehen konnten und jetzt schon Wetten abschlossen, wer Lilys Nachfolgerin werden würde.
Doch es würde keine geben. Er würde niemals wieder auf das hübsche Gesicht eines Mädchen und auf ihre vielversprechenden Worte reinfallen.
Er griff zu dem Messer, das auf dem Ablagebrett des Spiegels stand. Lange betrachtete er die Klinge, in der sich die Lichter der Lampen im Raum und sein eigenes Gesicht spiegelten und dann griff er sich langsam ins Haar, packte eine Handvoll der langen Strähnen, setzte das Messer an und hielt einen Moment inne. Nach einer halben Ewigkeit, in der er sich selbst im Spiegel beobachtet hatte, schloß er schließlich die Augen und zog das Messer durch.
Lange, glänzend schwarze Haarsträhnen fielen in das Waschbecken vor ihm, immer mehr, bis das Waschbecken fast voll war.
Severus lächelte zufrieden. Er wußte, er sah furchtbar aus und er wußte, es stand ihm nicht, aber es war genau das, was er wollte. Es schreckte die anderen ab.
Binnen weniger Tage hatte Severus seinen Ruf als schmieriger, eiskalter Typ weg. Das lag einerseits an seiner neuen, eigenwilligen Frisur, der er jeden Morgen mit reichlich Pomade einen fettigen Anstrich verpaßte und andererseits an der Tatsache, daß er es endlich schaffte, Lily vor aller Welt wie Dreck zu behandeln.
Er war mehr als zufrieden, als er aus der nächsten Zaubertrankstunde ging, in der Gewißheit, daß Lily an diesem Abend eine lange Strafarbeit absitzen mußte, die er ihr eingebrockt hatte.
Doch auch die anderen Mädchen bekamen ihren Teil ab, wenn sie es wagten, auch nur im entferntesten nett zu ihm zu sein.
Und als dann auch noch James und seine Freunde einige Nächte später von Lucius Malfoy beim nächtlichen Herumschleichen im Schloß erwischt wurden, war es endgültig aus. Dafür bekam Gryffindor nicht nur sagenhafte zweihundert Punkte abgezogen, alle vier Gryffindors mußten auch volle vier Wochen jeden Tag Hausmeister Filch bei seiner Arbeit helfen und für James wurde Quidditch für den Rest des Schuljahres gestrichen.
Von der Schule verweisen wollte Dumbledore die vier jedoch zu Lucius' Enttäuschung für ihre Tat nicht.
"Wir waren einfach nicht vorsichtig genug!" knurrte James wütend, als er im Schlafsaal auf und ab schritt und darüber nachzudenken schien, wie man auch in Zukunft noch unbemerkt aus dem Schlafsaal kommen würde, um die Nachforschungen fortzusetzen. Die Karte des Herumtreibens war noch lange nicht fertig gestellt, aber die Vertrauensschüler schlichen jetzt verstärkt mit den Lehrern in diesem Teil des Schlosses herum, um die vier Rumtreiber vor weiteren Ausflügen abzuschrecken.
"Das hatte nichts mit Vorsicht zu tun", wandte Sirius ruhig ein und blickte James in die Augen, der abrupt stehen blieb.
"Was meinst du damit?" fragte dieser perplex.
"Na, daß Lucius nicht zufällig hier war. Er wußte, daß wir etwas in der Art vor hatten, anders kann es gar nicht sein." James kniff die Augen zusammen. Er wußte noch immer nicht, worauf Sirius genau hinaus wollte. Wer sollte sie bei Lucius verraten haben? Keiner aus Gryffindor würde so etwas tun, dafür haßten sie alle die Slytherins viel zu sehr... und dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen.
"Severus?!" Sirius nickte und einen Moment glaubte James, so etwas wie Traurigkeit im Blick seines Freunde zu sehen. Aber das konnte nicht sein, das hatte er sich nur eingebildet. Sirius und Severus wirklich mögen? Das war lächerlich!
"Wie sollte Severus ihm das verraten haben? Ich meine, Lily war zwar unvernünftig genug, sich mit ihm einzulassen, aber sie hat ihn schließlich niemals mit hier hergebracht oder?" Sirius schüttelte den Kopf.
"Natürlich nicht. Sie weiß, daß sie das nicht machen kann. Aber er ist hier oben gewesen, am ersten Schultag nach den Ferien. Einer der Erstklässler hat Lily eine Nachricht von ihm gebracht. Ich habe gehört, wie er ihr gesagt hat, Severus würde gar nicht weit vom Portraitloch auf sie warten. - Er wird es auf die selbe Art und Weise rausgekriegt haben, wie wir den Gemeinschaftsraum von Slytherin gefunden haben. Er ist einem Gryffindor hinterher gegangen. Welcher das jetzt war...", Sirius hob die Schultern. Das war auch nicht wichtig. Wichtig war nur, daß Severus sich scheinbar entschieden hatte, die Gryffindors zu bekämpfen.
Und er konnte es ihm nicht einmal verübeln, das war ja noch das schlimmste an der Sache. Er konnte ihm nachempfinden, wie verletzt er war. Ganz davon abgesehen, daß er sich wirklich der Gruppe von Lucius Malfoy angeschlossen hatte und sich jetzt vermutlich erst einmal profilieren mußte. Er war ein Abtrünniger gewesen.
Nein, Sirius konnte es ihm nicht vorwerfen, aber er war wütend darüber, denn irgendwo tief in seinem Inneren hatte er doch noch die Hoffnung gehabt, daß Severus sie nicht als Bauern betrachten würde, die man gleich in den ersten Zügen opfern konnte, weil man ja noch ein paar mehr von ihnen zur Verfügung hatte.
"Also fordert er uns heraus!" kam es schüchtern von Peter und Sirius' Kopf schoß in Richtung des blassen, dicklichen Jungen. Er wollte ihm schon eine Abfuhr verpassen und Peter spürte das und zog den Kopf ein, doch dann besann Sirius sich und nickte einfach nur.
"Sieht fast danach aus, als wollte er das. Oder er will sich an Lily rächen. Auch Severus hat schon mitgekriegt, daß sie sich... nun ja, daß James jetzt ihre Schulter zum Anlehnen geworden ist." Sirius wußte, daß seine Worte klangen, als wollte er sagen, Lily benutzte ihn nur als Ersatz für Severus, doch wenn James das gemerkt hatte, schob er die Erkenntnis schnell beiseite.
"Das ist auch besser für sie, egal was dieser Giftmischer davon hält!" Sirius seufzte. Er wußte ja, daß es für James nichts schöneres geben konnte, als Lily, aber daß er wirklich nicht sah, daß Lily sich nur schon mit ihm eingelassen hatte, weil sie Severus weh tun wollte...
Aber James kannte auch nicht die ganze Geschichte, wie er. Wahrscheinlich glaubte er wirklich, daß zwischen den beiden etwas vorgefallen war und daß das der Grund für die Trennung war. Einzig ihm hatte Lily die Sache am Verbotenen Wald mitgeteilt.
"Wie dem auch sei, wir müssen vorsichtiger sein als früher. Wir werden nicht noch einmal so dumm sein und ohne den Tarnumhang gehen. - Ich bin sogar dafür, daß wir das nächste Schuljahr abwarten, bevor wir überhaupt an unserer Karte weiter arbeiten." James schien dieser Vorschlag von Sirius im ersten Moment gar nicht zu behagen, doch als auch Remus zustimmend nickte, wagte er es sich nicht mehr, etwas dagegen zu sagen.
"Es wäre sogar dumm, wenn wir es täten. Ich weiß zwar nicht, ob jemand außer uns vieren weiß, daß James diesen Umhang hat, aber wir sollten es nicht darauf anlegen, daß sie es womöglich erfahren, denn dann ist der Umhang mit Sicherheit weg", setzte Remus nach, um auch den noch immer skeptisch dreinschauenden James zu überzeugen. Und der Gedanke, daß er seinen Tarnumhang an Filch verlieren konnte, der solche Gegenstände in seinem Büro sammelte und archivierte, war dann wohl doch zu erschreckend.
"Also gut, dieses Schuljahr keine Herumschleicherei mehr. Aber wir werden doch trotzdem mit der Animagie weiter machen oder?" Sirius lächelte.
"Das dürfte selbst Severus nicht mitbekommen haben." Sein Blick verfinsterte sich kurz, als er Peter ins Visier nahm. "Es sei denn natürlich, er hat diverse Qualmwolken gesehen, die aus diesem Saal hier abgeraucht sind." Wieder zog Peter angstvoll den Kopf ein und setzte einen so kläglichen Blick auf, daß Sirius die Lippen schürzte.
Dieser Junge war so ein verdammter Feigling.

***



Lily war in Gedanken und achtete nicht darauf, wohin sie ging, als sie plötzlich gegen etwas Warmes stieß. Sie wußte sofort, daß sie gegen jemanden gerannt war und murmelte eine Entschuldigung, doch als sie aufsah, wurde sie bleich. Severus starrte sie finster an, in seinen kalten schwarzen Augen glitzerte es gefährlich.
"Tut...tut mir leid", stotterte sie noch einmal und verfluchte sich im nächsten Moment dafür. Das war doch wieder zu offensichtlich gewesen, ohne Frage. Severus' Augen verengten sich ein wenig.
"Paß gefälligst auf, wo du hinrennst, Schlammblut!" blaffte er sie an. Wie eine kalte Hand griff seine Stimme um ihr Herz und drückte zu. Da war keine Spur von Wärme und Weichheit mehr, alles an ihm war hart geworden, selbst sein vorher durch die ovale Form so weich erscheinendes Gesicht hatte durch seine neue, furchtbare Frisur harte Kanten bekommen.
"Du hast die Augen auch nicht aufgemacht, also spiel dich hier nicht so auf, Severus!" fauchte sie zurück. Sie fühlte sich elend, denn niemals hätte sie gedacht, daß es wirklich einmal solche Kindereien zwischen ihnen geben würde, mitten in der Schule auf einem belebten Gang, wo alle stehen blieben und die beiden angafften.
Severus war es recht, daß sie gafften und alles hörten, was er sagte, denn das hier war die beste Gelegenheit, die er sich wünschen konnte, um ihnen allen zu zeigen, wer er wirklich war, daß er kein Interesse hatte, jemals wieder zu einem von ihnen irgendeine andere Form der Beziehung als tiefe Abneigung zu empfinden.
"Du solltest wissen, daß es die Aufgabe der Schlammblüter ist, darauf zu achten, daß sie uns nicht im Weg sind." Seine Worte schnitten wie kleine Glassplitter in ihre Haut. ‚Schlammblut' ‚uns', das alles tat weh, sehr weh.
"Du weißt ja gar nicht, wie erbärmlich du eigentlich bist, Severus!" Warum sagte sie das? Warum sagte sie nicht das, was sie dachte? Warum sagte sie ihm nicht einfach, was sie wirklich empfand? 'Weil er sonst stirbt!!', schrie die Stimme in ihrem Kopf und Lily gab ihr nach.
"Nicht halb so erbärmlich, wie ein Schlammblut, das wirklich glaubt, ich hätte es jemals wirklich lieben können. Ich habe Vernarrtheit mit Liebe verwechselt." Er hob die Schultern, immer noch das gleiche kalte Grinsen auf dem Gesicht. "Kann ja mal passieren." Lily stieß ihn heftig zur Seite und setzte ihren Weg in Richtung Gryffindor-Gemeinschaftsraum fort.
Severus fühlte die Blicke der Umstehenden auf sich ruhen. Doch jetzt, wo sie weg war und er sich nicht mehr darauf konzentrieren konnte, sie zu hassen, fiel es ihm schwer, seine Fassade aufrecht zu erhalten. Aber so schnell verlernte man die Schauspielerei ja nicht, er mußte sich nur ein wenig zusammenreißen.
Lily rannte zurück zum Turm der Gryffindors und sie erinnerte sich in diesem Moment nur allzu gut, wann sie das das letzte Mal gemacht hatte. Nach dem Streit mit James. Doch heute war es schlimmer.
Sie murmelte das Paßwort und kletterte durch das Portraitloch. Ohne ein Wort zu einem der Jungs zu sagen, ging sie die Treppe zum Mädchenschlafsaal hinauf und erst als sie vor ihrem Nachttisch stand, wagte sie es aufzublicken.
Vor ihr standen die Rosen, die Severus ihr geschenkt hatte. Wenn nicht alles eine Lüge gewesen war - und sie war sich sicher, daß es das nicht war - dann waren seine Worte gerade nichts weiter gewesen, als sein verzweifelter Versuch, von ihr loszukommen.
Denn die Rosen standen in voller Blüte, nicht eines der Eisblätter war abgefallen, nicht ein Tropfen Wasser benetzte den Boden der Kugel.
"Der Tag, an dem sie verblühen, ist der Tag, an dem du aufhörst mich zu lieben, Severus. Ich erwarte diesen Tag, denn das ist gleichzeitig der Tag, an dem du und ich frei voneinander sein werden. - Ob wir es nun wollen oder nicht."

***



Und wieder stand der Hogwarts-Express im Bahnhof und wartete auf die Schüler, die in Scharen über die Plattform wuselten. Es ging nach Hause in die großen Sommerferien und für Lily und Severus ging es endgültig in ein neues Leben.
Severus hatte sich bei den Todessern etabliert und Lily war offiziell mit James Potter zusammen. Alles war so, wie es sein sollte und doch waren an diesem Tag zwei Menschen so unglücklich, wie sie nur sein konnten.
Obwohl doch alles richtig war.


 

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