Des Giftmischers Herz

 

 

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Kapitel 18: Eine schicksalhafte Nacht

 


Zwei Jahre später in Hogwarts...

Lily saß schon sehr früh am Morgen in der Großen Halle über ihrem Frühstück. Nichts ungewöhnliches für sie. Sie schlief oft schlecht. Die meisten kannten sie nicht mehr anders. Einzig Lily schien noch zu wissen, daß es eine Zeit vor den Träumen, vor der Sehnsucht gegeben hatte. Aber diese Zeit war lange her, man konnte niemandem übel nehmen, daß sie es vergessen hatten.
Also saß Lily über ihrer Schüssel mit Haferschleim und hielt den Tagespropheten in der Hand. Neben ihr saß Persephone auf dem Tisch und pickte fleißig in einer Schüssel mit trockenen Cornflakes herum. Sie schuhute zufrieden und Lily lächelte sie an.
Ihre Eule war stets die erste, die am Morgen in die Große Halle kam, genau wie sie. Sie hatten sich einander perfekt angepaßt und sie genossen den Frieden, den sie hier hatten, bevor die anderen kamen und das Leben losging. Bevor er wie jeden Morgen in die Halle kam, mit seinem harten Blick, dem verbitterten Gesicht und der steifen Haltung eines Soldaten.
Trotz der zwei Jahre mit James und seinen Freunden und all dem Spaß, den sie gemeinsam gehabt hatten. Trotz Sirius, der immer wieder versuchte, sie dazu zu bewegen, mit ihm zu reden und ihrer gequälten Seele mal Entspannung zu gönnen. Lily war noch immer unglücklich.
Die Rosen waren noch immer nicht geschmolzen und erinnerten sie jeden Tag von neuem an das, was sie aus Liebe weggegeben hatte, verhöhnten sie dafür.
Es war nicht so, daß man sagen konnte, daß sie total unglücklich war. James gab sich alle Mühe, ihr jeden Wunsch von den Augen abzulesen, doch irgendwie reichte das nicht. James war... James war liebevoll, großzügig, witzig, aber... Lily wollte den Gedanken einfach nicht zu Ende denken. Es war nicht fair James gegenüber, der wirklich alles tat. Es war ihr Fehler. Sie allein war Schuld daran, daß sie mit ihm nicht glücklich war. Ihm durfte man doch keine Schuld geben!!
Aber der Gedanke wollte raus und schaffte es. James war einfach langweilig. Lily schlug die Augen nieder, obwohl niemand da war, der ihre Gedanken hätte erraten können.
James war langweilig, das war es. Mit ihm konnte sie nicht reden. Wenn sie ‚redeten', dann hieß das, James redete und sie tat, als ob sie zuhörte. Denn was James zu erzählen hatte, war nicht interessant. Quidditch war ein toller Sport und sie ging gerne zu den Spielen, doch sie wollte nicht ständig darüber reden. Sie wollte ihre Abende nicht damit verbringen, über die Spieler der einzelnen Mannschaften zu diskutieren. Sie wollte keine Wetten abschließen.
Und wenn er mal nicht von Quidditch redete, dann wollte er sie überreden, Severus doch endlich mal so richtig eins auszuwischen, wollte sie animieren, ihm Dinge über Severus zu erzählen, die er gegen ihn verwenden konnte, doch Lily schwieg.
Sie hatte Severus zerbrochen, sie wollte ihm nicht auch noch die Schande antun, sein Seelenleben vor James preiszugeben, der zweifellos damit nur Unsinn getrieben hätte.
Und eben genau das war das Problem. James Potter, obwohl inzwischen sechzehn Jahre alt, war ein Kind.
Und Lily, obwohl noch nicht einmal sechzehn, war das eben nicht mehr. Lily brauchte jemanden wie Severus, der ihre Ernsthaftigkeit ebenfalls ernst nahm. Jemanden, der sie ernst nahm.
Vor Severus hatte sie sich nie verstellen müssen, vor James tat sie es immer öfter.
Persephone stieß Lily sanft an und das Mädchen lächelte, während sie vorsichtig über den Rücken der hübschen Eule streichelte. Persephone hatte ja recht, man durfte nicht ständig über die vergossene Milch nachdenken. Das machte trübsinnig.
Die Rosen funktionierten einfach nicht so, wie Severus gesagt hatte. Vielleicht, weil er schon eingeplant hatte, daß er eines Tages anders für sie empfinden würde und sie nicht hatte verletzten wollen. Heute tat ihm das wahrscheinlich leid. Ihr Lächeln wurde bitter.
Wie viele Stunden hatte sie mit dem warmherzigen, klugen und liebevollen Severus zugebracht und um nichts in der Welt hatte sie diesen Severus hergeben wollen, aber man hatte ihr doch keine Wahl gelassen und jetzt war dieser Severus tot. Genau, wie er es zu ihr gesagt hatte, an dem Tag, an dem sie ihn verließ, würde er sterben.
Jetzt wußte sie, was es bedeutete.
Denn alles, was noch von Severus übrig war, war sein Haß, seine Verachtung, all seine negativen Gefühle... Nichts schönes mehr, für das es sich für ihn zu leben lohnte, alles schwarz. Der Rest von ihm war gestorben.
Vollkommen abwesend stocherte Lily in dem Haferschleim vor ihr herum, ohne bis jetzt auch nur einen Löffel davon gegessen zu haben. Sie mochte ohnehin keinen Haferschleim. Kein Mensch mochte das Zeug. Angewidert schob sie die Schüssel von sich weg. Warum nur aß sie es dann immer wieder? Weil es so grau und widerlich war, wie sie ihr Leben im Moment empfand? Oder weil einige Leute der Meinung waren, es war gesund?
Lily lehnte sich zurück und blickte in den blauen Himmel, den die verzauberte Decke der großen Halle zeigte. Die Sonne schien warm, obwohl es schon langsam auf Halloween zuging und die Tage immer kürzer wurden. Bald würde sie nicht mehr das Vergnügen haben, für ein paar Minuten allein hier in der strahlenden Morgensonne sitzen zu können.
Und dann war die Ruhe vorbei und die ersten Schüler aus den verschiedenen Häusern Hogwarts strömten zum Frühstück herein. Lily schrak auf und nahm sich schnell ihre Zeitung, um zu verschwinden. Sie würde sich noch ein wenig in den Gemeinschaftsraum setzen und sie lesen, sie hatte ja noch genug Zeit. - Wenn sie nicht wieder anfing zu grübeln natürlich.

***



Lily ging an diesem Morgen besorgter als sonst in den Unterricht. Die Zeitung war wieder voll von Schlagzeilen über den Dunklen Lord gewesen. Sie hatte den Tagespropheten nun schon fast zwei Jahre abonniert und irgendwie hatte sie das Gefühl, daß sich die Schlagzeilen von Monat zu Monat immer mehr häuften und die Taten des schwarzen Zauberers immer furchtbarer wurden.
Und Severus war einer seiner Anhänger. Wenn er Hogwarts in zwei Jahren verließ, würde er genau solche Gräueltaten selbst ausführen. - Genau wie Lucius Malfoy es seit einigen Monaten tat.
Lily dachte mit Grauen an Lucius zurück. Er war seit diesem Schuljahr nicht mehr Schüler in Hogwarts und Lily vermißte ihn weiß Gott kein Stück. Vor allem, weil er seine Verlobte - Narcissa - als kleinen Spion hinterlassen hatte.
Lily wußte es nicht sicher, aber sie konnte sich gut vorstellen, daß durch Narcissa alles Wissenswerte an Lucius weitergeleitet wurde. Aber was gab es hier schon Wissenswertes? Sie hielt sich an das, was sie sich geschworen hatte und bisher zumindest, hielt sich auch Barabas Snape an seinen Teil. - Er hatte ja auch bekommen, was er wollte.
"Hey Lily! Sieh dir das mal an!" Lily blickte zu James hinüber, der mit Sirius und Remus in einer Ecke des Klassenzimmers für Verwandlungen stand und in einem Heft blätterte. Lily verzog kaum sichtbar das Gesicht. Schon wieder 'Rennbesen im Test', sie konnte diese Zeitung nicht mehr sehen. Doch sie ging zu James und ließ sich von ihm die tollsten Neuigkeiten in Sachen Langeweile zeigen.
Severus betrat den Klassenraum als einer der letzten an diesem Morgen. In den vergangen zwei Jahren war er hochgeschossen und von der ganzen Statur her sehr kräftig geworden, wenn man an den zarten Jungen dachte, der er einmal gewesen war. Er überragte Lily inzwischen um einen guten Kopf, während sie vor zwei Jahren noch fast gleich groß gewesen waren. Sein Gesicht war immer noch blaß, aber ebenmäßig und seine schwarzen Augen waren so kalt und hart, daß man eine Gänsehaut bekam, wenn Severus den Blick auf einen richtete.
Sein schwarzes Haar trug er immer noch kurz, hatte aber inzwischen einen Friseur Hand anlegen lassen, was allerdings nicht hieß, daß ihm dieser Schnitt besser stand als das, was er sich damals selbst zurecht geschnitten hatte. Lily vermißte immer noch schmerzlich sein langes schwarzes Haar, das so weich und dick wie Samt gewesen war. Doch er konnte machen, was er wollte, sie war ja nicht mehr da, um ihre Finger darin zu vergraben. Es ging sie rein gar nichts an.
Sie wandte ihren Blick ab.
Severus hatte sich seine Schulmappe unter den Arm geklemmt und schlenderte an diesem Morgen sogar beinahe gut gelaunt in die Klasse. Natürlich sah man ihm das nicht an. Man sah ihm nie an, was er dachte oder fühlte, aber ihm war heute mal nicht nach Finsternis zumute, eine Steigerung zu den letzten Tagen, in denen seine Laune wirklich extrem schlecht gewesen war.
"Hey Snape!" rief ihm Avery entgegen. "Fang auf! Das wird dich interessieren! Ist ein Gruß von Lucius!" Snape fing den länglichen Gegenstand auf, den Avery ihm zuwarf. Es war der Tagesprophet. Er rollte die Zeitung auseinander. Eine glänzende schwarze Augenbraue schoß in die Höhe.

Schwarzmagier richten in der Innenstadt von London ein Massaker an. 5 Muggel tot!, verkündete die Schlagzeile auf der ersten Seite.

"Hört sich auf alle Fälle nach ihm an", murmelte er. Lucius hatte ihm schon lange erzählt, daß er eine Menge Muggel töten würde, sobald er in Voldemorts Dienste getreten war. Severus wußte nicht so recht, was ihm so sehr daran lag, ihn selbst interessierten die Muggel überhaupt nicht, aber er redete Lucius da nie rein.
War seine Sache und ging ihn absolut nichts an.
Severus blickte auf und sah, daß Lily ihn ansah. In seinen Augen blitzte es auf.
"Irgendein Problem, Schlammblut?" Lily schloß für einen kurzen Moment die Augen. Man sollte meinen, in zwei Jahren wäre es möglich, sich an so ziemlich alles zu gewöhnen, aber das gehörte ganz sicher nicht dazu.
"Nein, du vielleicht - Todesser?!" Es war das erste Mal, daß Lily ganz offen aussprach, was einige schon von Severus wußten, die meisten aber nur ahnten. Lily sah, wie Severus sich noch ein wenig mehr versteifte. Dann zog eines seiner grausamen Lächeln über sein Gesicht und er schüttelte den Kopf.
"Es gibt immer wieder Leute, die nicht wissen, wann sie besser ruhig sein sollten", entgegnete er in einer schlichten Drohung. Jedenfalls faßte James seine Worte so auf und wollte sich schon auf Severus stürzen, doch Lily sah ihn drohend an.
"Stimmt haargenau." Das brachte Severus zum Schweigen. Er verstand nicht, warum Lily ihm gegenüber diesen Mut hatte, obwohl bekannt war, wer und was er war, daß er keinerlei Skrupel hatte. Warum dachte sie nicht wenigstens einen einzigen Moment lang an die Möglichkeit, daß er sie eines Tages für ihren dummen Mut einfach... weil sie wußte, daß er es nicht tun würde, ganz einfach. Sie wußte, daß er zu den Todessern gegangen war und sie wußte auch, was die Todesser taten, aber sie war nicht blind. Sie sah, daß er nicht tat, was die Todesser taten. Zumindest nicht alles. Er hatte sich vor ihr verraten, nur weil er nicht in der Lage war, sein Gewissen einen Moment lang zum Schweigen zu bringen und einfach so grausam zu sein, wie Lucius es ihn gelehrt hatte.
Aber andererseits machte es auch keinen Sinn für ihn so zu sein. Die Muggel waren keine Gefahr für ihn und das wußte er genau. Sie als solche zu betrachten, war nur ein Vorwand von Leuten wie Lucius, die einfach nur ihre Mordlust ausleben wollten. Die Muggel hatten mehr Angst vor ihnen, sobald sie erfuhren, daß es Hexen und Zauberer gab, als die Zaubererwelt von den Muggeln mit ihrer Wissenschaft zu fürchten hatten. Er lächelte bitter. Diese ewige kühle Vernunft in ihm!
Gut, sie hatten gelernt zu fliegen, über weite Strecken zu kommunizieren, ihre Straßen und Häuser in der Nacht ohne Feuer zu erleuchten... aber das alles bot keine Gefahr und wer das wirklich glaubte und behauptete, war ein totaler Dummkopf.
Und Lily wußte, daß Severus das wußte. Lily wußte, daß Severus anders dachte als die anderen Todesser. Wütend wandte er seinen Blick von ihr ab und ging zu seinem Platz in der letzten Reihe des Klassenraums.
Noch viel schlimmer als dieses Wissen war aber, daß Lily noch etwas ganz anderes von ihm wußte. Er haßte die muggelgeborenen Hexen und Zauberer nicht wirklich. Er glaubte nicht, wie die anderen Todesser, daß sie schlecht und gefährlich waren. Im Gegenteil. Er sah sie als eine Möglichkeit, daß Muggel und Zauberer eines Tages vielleicht zusammen kommen konnten, um wirklich miteinander zu leben und voneinander zu lernen. Daß sie die einzigen waren, die die Zauberei auf Dauer am Leben erhalten konnten.
Im Prinzip war er vom Herzen her kein Todesser und das wurde Severus jeden Tag wieder schmerzhaft bewußt. Er haßte nicht die Muggel oder die Schlammblüter, er haßte nur sich, Lily und seinen Vater, der ihn in diese Rolle reingezwungen hatte. Das Herz wurde ihm schwer.
Nein, nicht einmal Lily haßte er. Dieser gespielte Haß ihr gegenüber war nichts weiter als der Aufschrei seines gekränkten Stolzes und seines verwundeten Herzens, dieses verfluchte Organ, das einfach nicht wieder heilen wollte, seit man es ihm entzwei gerissen hatte.
Er konnte Lily niemals hassen, egal was sie tun würde. Selbst wenn sie diesen Volltrottel James heiraten und mit ihm einen Haufen Kinder in die Welt setzen würde, er würde sie dafür nicht hassen. Vielleicht war es sogar besser für sie, wenn sie das tat. Die Potters waren eine alte Familie, in der Welt der Zauberer etabliert. Dort würde sie sicher sein und wahrscheinlich niemals mit dem Dunklen Lord in Berührung kommen.
Auf diese Weise, würde James endlich zu etwas gut sein. Severus würde sich keine Gedanken darüber machen müssen, ob Lily auch in Sicherheit war.
Severus kam es am Ende der Stunde so vor, als hätte er sich gerade erst hingesetzt. Die Zeit war vergangen wie im Flug und er hatte nicht ein einziges von McGonagalls Worten mitbekommen. Er hatte bloß nach vorne gestarrt, auf den Platz, auf dem Lily saß.

***



Sirius war mit seinen Nerven am Ende. Seit drei vollen Jahren waren sie nun an ihrem Vorhaben dran, sich selbst zu Animagi auszubilden und nur schleppend waren sie in all der Zeit vorwärts gekommen. Doch jetzt, nach drei langen, beschwerlichen und auch sehr nervtötenden Jahren, waren er und James endlich in der Lage, sich selbst in Tiere zu verwandeln. Einzig Peter bekam es immer noch nicht vollständig hin.
Er schaffte nur ein einziges Tier, eine Ratte. Doch jedes Mal blieb irgendwas an ihm menschlich. Mal war die Ratte so groß wie ein Mensch, beim nächsten Versuch hatte sie statt vier Pfoten drei und eine menschliche Hand oder sie hatte einen winzig kleinen Menschenhintern.
Manche von Peters Verwandlungen waren mit Sicherheit amüsant und sie lachten viel darüber, was der immer noch viel kleinere Junge so alles zustande brachte, aber zumindest Sirius war der Meinung, daß der Spaß einmal ein Ende hatte.
"Oh Peter!" stöhnte er, als Peter es erneut versuchte und es tatsächlich schaffte, ein originalgroßes menschliches Ohr zu behalten. Die Ratte kippte auf die Seite und Remus gluckste vor sich hin. Als Peter sich zurück verwandelte, war die Frustration auf seinem Gesicht nur schwer zu übersehen.
"Ich weiß nicht, was ich falsch mache", jammerte er und war drauf und dran, seinen Zauberstab in die nächste Ecke zu werfen.
"Ich allerdings auch nicht", gab Sirius trocken zurück. Tatsächlich konnte er keinen Fehler erkennen und verstand im Prinzip die Welt nicht mehr. Remus beruhigte sein immer noch glucksendes Lachen und wurde ein wenig ernster.
"Ich kann mir vorstellen, was es sein könnte." Alle blickten ihn überrascht an. Er war der einzige von ihnen, der nicht Animagus geworden war, daher erschien es zumindest Sirius eher unwahrscheinlich, daß er den Fehler entdeckt haben konnte. Er setzte einen säuerlichen Gesichtsausdruck auf.
"Wenn du dich in ein Tier verwandelst, woran denkst du dann, Peter?" Remus' Stimme war ungewöhnlich sanft und auch sein Blick war weicher als sonst. Peter hob die Schultern.
"Könnte es sein, daß es etwas gibt, was dich beunruhigt, wenn du dich in eine Ratte verwandelst?" Peter stockte einen Moment, dann nickte er schließlich langsam.
"Ich frage mich, ob es auch diesmal wieder schaffen werde, mich zurück zu verwandeln." Remus nickte, als hätte er genau diese Antwort erwartet und sah Sirius an, der überrascht schien. Dann wandte er sich wieder Peter zu.
"Diese Angst kenne ich. Du mußt sie loslassen, dann wird es sicher klappen. Du kannst dich selbst wieder in einen Menschen verwandeln und wenn doch etwas schiefgehen sollte, dann sind da auch noch Sirius und James, die dir helfen können. Und im allergrößten Notfall gibt es auch noch mich." Er zwinkerte Peter zu, der mit einem Lächeln antwortete.
"So, und jetzt versuchst du es noch mal und denkst nicht einen Moment daran, daß du dich nicht mehr zurückverwandeln kannst. Das kann zwar vielleicht vorkommen, aber es ist nicht wichtig, wir sind ja da." Peter nickte entschlossen und griff seinen Zauberstab fester. Er deutete damit auf sich selbst und im nächsten Moment saß eine ganz gewöhnliche Straßenratte auf dem Boden und fiepte scheinbar vergnügt vor sich hin. Sirius schüttelte perplex den Kopf. So einfach sollte das gewesen sein? Peter hatte nichts weiter mehr machen müssen, als nicht mehr feige zu sein?
"Woher wußtest du das?"
Remus hob die Schultern. "War nur so eine Vermutung. Ich kann nichts gegen meine Verwandlung tun, egal wie sehr ich sie fürchte, aber seit ich diese Angst bewußt bekämpfe, gerate ich weniger in Panik und die ganze Werwolf-Sache fällt mir leichter. - Daher konnte ich mir einfach vorstellen, daß jemand, der sich fürchtet, nicht alles einsetzt und dann klappt es nicht." Das erschien auch Sirius logisch. James stand mit einem breiten Grinsen vor Peter und sah auf ihn hinunter.
"Tja, dann heißt es jetzt wohl feiern, was? Komm Peter, deine menschliche Form ist dafür besser geeignet." Im nächsten Moment stand Peter wieder als Mensch vor ihnen und er war sichtlich stolz darüber, was er geschafft hatte. Remus hob ein Stück Pergament von seinem Nachttisch auf und hielt es ihnen vor wie ein stolzer Vater sein Baby herumzeigte.
"Die Karte ist auch fertig. Sie ist mein Meisterstück, das könnt ihr mir glauben." James' Grinsen wurde immer breiter und nicht nur Sirius erkannte, daß er etwas ausheckte.
"Laß uns an deiner Freude teilhaben, James!" Sirius stieß ihn mit dem Ellbogen an.
"Wenn wir jetzt alle bereit sind, dann ist es an der Zeit, daß wir anfangen, unsere kleine Rache in die Tat umzusetzen, findet ihr nicht?" Sirius hob skeptisch die Augenbrauen.
"Du meinst die Sache mit Severus?" James nickte und sein Gesichtsausdruck wurde ein wenig grimmig.
"Allerdings meine ich das. Volle zwei Jahre geht mir der Typ jetzt schon mit seiner Schnüffelei auf den Wecker. Ständig beobachtet er uns und will unbedingt herausfinden, was wir immer tun, wenn wir in der Schule herumschleichen. Ich wette mit euch, er würde sofort zuschnappen, wenn wir ihm eine Gelegenheit bieten, alles herauszufinden." Remus schien nicht ganz wohl bei dem Gedanken zu sein und auch Sirius hatte noch so seine Zweifel.
"Bist du dir wirklich sicher. Ich meine, wenn wir ihn in die Heulende Hütte lassen, ist er in Lebensgefahr, das ist dir doch klar?" Remus blickte bei Sirius' Worten beschämt auf den Boden.
"Natürlich weiß ich das. Aber wir sind doch dann bei Remus und beruhigen ihn ein wenig. Außerdem hab ich in der Bibliothek ein Buch über Schutzzauber gefunden. Wir werden Remus in eine Art Bannkreis sperren. Er kann dann nicht raus, aber Snape, der das ja nicht weiß, wird sich so gewaltig in den Hosen machen, daß er nie wieder auf die Idee kommt, sich uns in den Weg zu stellen. Alles vollkommen ohne Risiko, aber effektiv." James lachte, doch plötzlich merkte auch er, daß er nicht wirklich glaubte, was er sagte. Er hatte noch nie in seinem Leben einen Bannkreis heraufbeschworen. Er wußte, er war ein Ausnahmezauberer, ein großes Talent, aber konnte er sich deshalb auch gleich darauf verlassen, daß er das ordentlich hinbekam? Mit einem fast schon energischen Kopfschütteln wischte er den Gedanken fort. Er wollte keinen Rückzieher machen. Er wollte die Sache durchziehen. Was scherte es ihn denn, wie es Severus ging? Sollte er doch an seiner Neugier sterben, dann waren sie ihn wenigstens alle los. Und dann würde er sich endlich für immer sicher sein können, daß Lily ihm gehörte.
Außerdem tat er es auch für Lily. Wenn er Severus diesen Denkzettel verpaßte, würde er damit aufhören, Lily wie eine minderwertige Hexe zu behandeln. Zumindest hoffte er das. Lily schien immer sehr bedrückt, wenn es solche Szenen gab wie vor ein paar Tagen in Verwandlungen.
James wollte es nicht sehen, sonst hätte er bemerkt, daß Lily immer traurig war, wenn sie Severus sah und nicht nur in diesen speziellen Momenten.
"Gut, wie du meinst. Dann ist Severus nächsten Vollmond fällig." Sirius Stimme zeigte nur allzu deutlich seine Gefühle, sein großes Unbehagen über diese Sache. Ihm war nicht wohl dabei, Severus wirklich in die Heulende Hütte zu locken. Egal wie sehr ihnen der Slytherin auch auf die Nerven ging, oder wie wütend er war, daß Severus nichts Besseres zu tun gehabt hatte, als sie bei der erstbesten Gelegenheit an Malfoy zu verraten, ihn in Lebensgefahr zu bringen, war eine ernste Sache.
Aber auch wenn er es für einige wenige Augenblicke einmal wirklich gedacht hatte, Severus Snape war nicht sein Freund und war es auch niemals gewesen. Er hatte Sirius in den letzten beiden Jahre nur zu deutlich gezeigt, wie wenig wert er auf das gemeinsam Erlebte legte. Seine Verpflichtungen lagen also einzig bei James. Wenn James es wirklich durchziehen wollte, dann würde er ihm zur Seite stehen, wie er es schon immer für seinen Freund getan hatte.
Sirius wäre dankbar gewesen, wenn sein Gewissen seinem Kopf in diesem Punkt wenigstens einmal recht gegeben hätte.

***



"Ich verstehe immer noch nicht so ganz, warum du mir diesen Trick verraten hast, Sirius."
Sirius schluckte, um ruhig zu bleiben, denn er wollte nicht, daß Severus sah, wie nervös er eigentlich war.
"Weil ich genau weiß, daß du es wissen willst", antwortete er schlicht und drückte Severus den Ast in die Hand. Severus drückte mit dem Ast auf die Stelle an der Peitschenden Weide, die Sirius ihm gezeigt hatte und sofort erstarrte der Baum, der sich bis eben noch nervös und lauernd bewegt hatte. Sirius nickte Severus zu und verschwand in dem Loch unter dem Baum.
Severus schluckte. Ihm war nicht wohl bei der Sache. Irgend etwas hier stimmte so überhaupt nicht. Sirius verriet ihm doch nicht einfach so, daß es hier einen geheimen Gang gab und daß er herausfinden konnte, was er wissen wollte, wenn er nur diesem Gang folgte. Doch trotz allen Mißtrauens ging nun auch Severus auf den geheimen Eingang zu. Die Weide rührte sich noch immer nicht. Severus behielt sie ganz genau im Auge. Er wußte, wenn sie aus ihrer Starre erwachte, mußte er sehr schnell sein oder sie schlug ihn mit ihren kräftigen Zweigen einfach zu Brei. Er konnte sich Angenehmeres vorstellen.
Doch er erreichte den Eingang unbeschadet und gerade als er in den dunklen Gang hinabsteigen wollte, hörte er die aufgeregte Stimme James Potters, die aus dem Gang heraus drang und auf ihn zu kam.
"Geh in Deckung, Sirius!" rief James seinem Freund zu und im nächsten Moment sprang er aus dem Eingang heraus und stieß Severus zur Seite. Sie rollten unter der Peitschenden Weide weg und erst als sie außer Reichweite des Baumes waren, ließ James Severus los und sprang auf die Beine. Lauernd beobachtete er den Eingang der Höhle.
Wütend sprang Severus auf und klopfte sich Gras und Dreck von der Kleidung.
"Was soll der Blödsinn, Potter?"
James hob die Hand, um Severus zum Schweigen zu bringen, und starrte noch immer zu dem geheimen Eingang. Ein Hauch von Röte stieg Severus ins Gesicht und seine Hand zitterte vor Zorn.
"Sag mir sofort, was das für ein Spielchen ist, sonst hole ich sofort McGonagall hierher. Meine Strafe fällt garantiert geringer aus als eure." James warf Severus einen kurzen Blick zu, drehte sich dann aber wieder in Richtung Geheimgang.
"Blas dich hier nicht so auf, Snape. Ich hab dir gerade das Leben gerettet, du solltest etwas dankbarer sein." Severus wollte etwas erwidern, doch die Worte blieben ihm im Hals stecken, als aus dem geheimen Gang unter der Weide etwas sehr Großes hervorgeklettert kam. Etwas Großes mit einem grauen Fell, Pfoten, bestückt mit riesigen Klauen und einem Maul voller Reißzähne.
"Lauf, Severus, das ist gesünder für dich." Doch Severus rührte sich nicht vom Fleck, sondern starrte erst den Werwolf an und dann James, der das furchteinflößende Monster mit seinem Blick fixierte.
"Das war doch ein abgekartetes Spiel oder?" Severus' Stimme war nur ein zitterndes Flüstern. "Ihr wolltet mich da reinschicken, obwohl ihr wußtet, daß das Vieh da unten ist?! Und was wäre dann passiert, hättet ihr dabei zugesehen, wie er mich zerfetzt und vielleicht dazu noch applaudiert?" James drehte wieder kurz den Kopf.
"Wir wollten dir einen Streich spielen, mein Gott. Wir wollten, daß du deine Nase aus unseren Angelegenheiten raus hältst. Aber wir wollten dich nicht töten!" Der kurze Moment der Unachtsamkeit genügte für den Werwolf. Sofort sprang er los und riß Severus zu Boden. Mit seinen scharfen Klauen fügte er ihm eine tiefe Wunde in der Brust zu.
Severus spürte den scharfen, brennenden Schmerz nur einen Moment, bevor er sich selbst betäubte. Unwirklich, wie in einem Traum fühlte er, wie der Werwolf ihn durch die Luft schleuderte und er auf die Wiese zurückkrachte. Was dann geschah, wußte Severus nicht, denn für einen kurzen Moment wurde es schwarz um ihn herum und im nächsten Moment sah er, wie der Werwolf mit einem großen schwarzen Bären kämpfte... oder war es ein Hund?
Severus rappelte sich mühsam auf. Seine Wunde blutete heftig und ihm war schwindelig. Er sah auf den Boden und ein kurzes Lächeln war auf seinem Gesicht zu sehen. Wenn das alles sein Blut war, war das ja auch kein Wunder. Der scharfe Schmerz drang langsam wieder durch das ausgeschüttete Adrenalin und er stöhnte auf. Er spürte, wie ihm jemand stützend unter die Arme griff, aber er schüttelte ihn wütend ab. James sprang unwillkürlich einen Schritt zurück.
"Nimm deine Finger von mir, Potter! Ich glaube, ihr habt heute schon genug angerichtet." Er drehte sich um und ging in Richtung Schloß. Es kostete ihn all seine Kraft, seine Schritte sicher wirken zu lassen. Doch es klappte, James folgte ihm nicht.
"Verdammt!" keuchte er, als er außer Hörweite kam, und als James und seine Freunde ihn schließlich auch nicht mehr sehen konnten, verließ ihn seine Kraft. Der Schmerz und der Schwindel umhüllten ihn und er brach zusammen.

***



Lily lag um etwa die gleiche Zeit im Mädchenschlafsaal auf ihrem Bett und machte noch ein paar letzte Hausaufgaben, die liegen geblieben waren. Das passierte ihr in letzter Zeit sehr häufig, meistens dann, wenn sie am Morgen eine so schlechte Zeitung in der Hand gehabt hatte wie heute morgen schon wieder.
Es hatte einen Bericht über die erschreckende Entwicklung unter den jungen Hexen und Zauberern gegeben. Bereits jeder vierte stellte sich auf die Seite des Dunklen Lords und der Trend hielt an.
Das hatte Lily so ziemlich den ganzen Tag beschäftigt und ließ sie auch jetzt noch nicht los, obwohl sie sich sehr bemühte, sich auf ihren Aufsatz über Seherinnen und Seher der Mythologie Griechenlands und Roms zu konzentrieren.
Ein merkwürdiges Geräusch lenkte sie von beidem ab. Es klang wie Glas, das splitterte und es kam von ihrem Nachttisch. Im ersten Moment realisierte sich nicht, was das sein konnte, doch dann sah sie, daß eine der Eisrosen von Severus Risse bekam, die erste Blüte war schon abgefallen. Lily runzelte die Stirn. Und dann fielen ihr Severus' Worte wieder ein. Worte, die sie vor langer Zeit von ihm gehört, aber scheinbar nie vergessen hatte.
"Sie werden wirklich ewig blühen?"
"Bis ich sterbe. Dann werden sie zerspringen."

Das blanke Entsetzen ergriff von Lily Besitz, als sie von ihrem Bett sprang, in ihre Schuhe schlüpfte und nach ihrem Umhang griff. Aber wo sollte sie ihn suchen? Wo konnte er sein? Auf keinem Fall im Schloß. Hier im Schloß war er nicht in Lebensgefahr, wie denn auch? Oder doch? Lily schüttelte den Gedanken ab. Niemals im Schloß, er mußte irgendwo auf den Ländereien sein. Vermutlich am Verbotenen Wald, da war es am gefährlichsten.
Lily hörte ihr Blut in ihren Ohren rauschen und tosen wie eine aufgewühlte See im Winter. Es war so laut, daß sie sonst fast nichts anderes mehr hörte. Sie gab sich nicht einmal Mühe, ihre Schritte zu dämpfen und sich vorsichtig aus dem Schloß zu schleichen. Dafür hatte sie keine Zeit. Severus starb. Sie wußte nicht warum, aber es war so. Und sie mußte ihn finden, bevor alles zu spät war. Für ihre Vernunft war hier kein Platz, dieses eine Mal nicht.
Sie stieß das Portal auf und rannte hinaus. Im letzten Moment sah sie, wie drei Gestalten aus der Richtung der Peitschenden Weide kamen und sprang hinter den nächstgelegenen Busch. Lily kam sich albern und dumm vor, sie hätte die drei doch um Hilfe bitten können, aber es war ein Reflex und vielleicht war das ja auch gut so.
"Hast du gesehen, ob er es ins Schloß geschafft hat?" Es war die Stimme von Peter, wie immer quiekend und diesmal auch sehr ängstlich.
"Nein, ich hab auf Sirius und Remus geachtet, weil ich dachte, ich müßte vielleicht eingreifen, wenn Sirius mit ihm nicht fertig werden würde. Aber er wird es schon geschafft haben." Das kam von James. Lily stockte der Atem, doch sie gab sich den Jungs noch immer nicht zu erkennen.
"Er war aber ziemlich schwer verletzt, James. Vielleicht sollten wir ihn doch suchen. Du weißt, was Remus in seinem momentanen Zustand anrichten kann. Wir können froh sein, daß er Snape nicht mit einem Prankenschlag getötet hat." Ein riesiger Eisklumpen fiel in Lilys Magen und sie fühlte sich, als müsse sie sich im nächsten Moment übergeben.
"Wieso kam er eigentlich auf einmal unter der Peitschenden Weide raus, James?" James hob die Schultern.
"Und was machen wir jetzt?" Peter schien kurz vor der Panik zu sein.
"Wir können nichts machen. Wir können nur die Ohren aufhalten. Vielleicht erfahren wir so, ob er zu Madam Pomfrey gelangt ist oder nicht." Die drei verschwanden im Schloß und sofort rannte Lily wieder los. Also irgendwo bei der Weide mußte er sein. Nicht einen Moment lang glaubte sie wirklich daran, daß Severus im Schloß angekommen war. Wenn das wirklich so gewesen wäre, wäre die Rose nicht gesprungen. Madam Pomfrey hätte ihm sofort helfen können. Madam Pomfrey konnte schließlich immer helfen, egal, was es war...
Während sie von Panik angetrieben über die weitläufigen Wiesen hinüber zur Weide rannte, wischte sie sich die Tränen aus dem Gesicht. Alles nur das durfte nicht passieren... und dann sah sie ihn. Er war schwer zu erkennen unter seinem Umhang in der Dunkelheit, aber er lag abseits vom Weg hinter ein paar Büschen und bewegte sich nicht.
Lily schlug einen Haken in seine Richtung und kam neben ihm schlitternd zum Stehen. Severus war ohnmächtig und Lily mußte sich sehr anstrengen, ihn auf den Rücken zu drehen, im Vergleich zu ihr war er wirklich groß und schwer geworden, auch wenn es sicherlich größere und muskulösere Jungs in seinem Alter gab.
Er stöhnte leise, als sie ihn schließlich umgedreht hatte und Lily mußte einen Moment die Augen schließen. Die Wunde war wirklich enorm und sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, wie Remus ihm das angetan haben könnte. Gerade der ruhige, fröhliche Remus... Die Wunde sah aus wie die Klaue eines großen Tieres, die sich tief ins Fleisch gegraben hatte.
"Verschwinde, Schlammblut!" Lily erschrak, als er plötzlich sprach. Er hatte die Augen nur einen kleinen Spalt geöffnet. Trotzdem sah sie seine Schmerzen und seine Angst, hier sterben zu müssen deutlich in ihnen aufflackern.
"Sei nicht albern, Severus!" antwortete sie resoluter als sie eigentlich wollte. Doch er durfte jetzt mit diesen Kindereien nicht weitermachen, das war nicht der richtige Zeitpunkt für so etwas. Sie öffnete den Verschluß ihres Umhanges und zog die Überjacke ihres Pyjamas aus. Darunter trug sie nur noch ein Trägerhemd und sofort bekam sie von der kalten Nachtluft eine Gänsehaut. Sie riß ihre Jacke in Streifen, so lang wie möglich.
"Ich bin nicht albern!" Das Flüstern war kaum zu hören und er atmete schwer. Wenn er nur endlich den Mund halten würde, dachte Lily verzweifelt. Er durfte sich nicht so anstrengen, nur weil er sie jetzt beschimpfen wollte oder mußte oder was er auch immer empfand, wenn er sie sah.
"Ich will nur nicht, daß so ein Schlammblut wie du mir auch nur nah kommt."
Lily legte die Stoffstreifen neben sich und riß die Reste von Severus' Hemd auf, um die Wunde frei zu legen. "Dann willst du wohl lieber verbluten, du Schwachkopf?!" Seine Schultern zuckten ein wenig, als er versuchte, zu lachen, auch wenn er dabei keinen Ton herausbrachte. Lily arbeitete mit verbissener Verzweiflung weiter. Mit einem Zauber, den sie gerade vor kurzem in ihrem Buch über Heilzauber gelesen hatte, reinigte sie die Wunde und desinfizierte sie. Severus bäumte sich ein wenig auf und verzog das Gesicht vor Schmerz.
"Das muß dir ja richtige Freude bereiten, Schlammblut!" Lily schwieg und machte weiter. Als die Wunde gereinigt war, verband sie sie mit den Stoffstreifen, so gut es eben ging. Sie wußte, auf diese Wunde hätte eigentlich noch eine Heilsalbe oder etwas in der Art gehört, aber das hatte sie gerade nicht zur Hand, es mußte so gehen.
"Hat dir ja damals schon Spaß gemacht, mein Herz in Stücke zu reißen...Was war eigentlich der beste Augenblick für dich? Wann hab ich das dümmste Gesicht gemacht?" Langsam wurde seine Stimme kräftiger, ein deutliches Zeichen, daß es ihm schon ein wenig besser ging. Lily war erleichtert und schien erst jetzt zu bemerken, was er zu ihr gesagt hatte.
"Du machst es dir so verdammt einfach, Severus. Du bist derjenige, der verletzt wurde. Du bist derjenige, dessen Herz gebrochen wurde. Nur dir hat das damals weh getan, nur du hast gelitten! Das denkst du doch oder?" Severus fixierte sie mit seinem kalten, harten Blick und schien nicht so ganz zu verstehen, was sie ihm eigentlich sagen wollte.
"Natürlich denke ich das! So ist es ja auch schließlich gewesen. - Ich war derjenige, der plötzlich ganz alleine dastand, von heute auf morgen ohne Vorwarnung." Seine Augen wurden noch ein wenig kälter. "Während du dich sofort an deinen James und seine verfluchten Freunde gehängt hast. - Bist du eigentlich noch am selben Abend mit ihm zusammen gekommen oder hast du aus Anstand noch bis zum nächsten Tag gewartet?" Lily hatte den Blick gesenkt. Sie konnte verstehen, daß er so sauer war. Sie hatte schließlich alles extra so inszeniert, daß er es eben so sah. Doch irgendwie tat es ihr weh, sehr weh. Sie fühlte sich merkwürdig leer und so voller Angst. Sie hatte Severus fast verloren, diesmal war es real gewesen, keine Drohung eines Schreckgespenstes, das Severus' Vater war.
Sie wollte ihm alles sagen, wollte ihm endlich erklären, warum alles passiert war, wie es passiert war. Sie wollte endlich, daß er verstand und sie nicht mehr haßte, denn sein Haß war für sie schlimmer als es jede Einsamkeit sein konnte. Und einsam war sie. Ständig von Freunden umgeben, aber trotzdem einsam, weil die einzige verwandte Seele nicht bei ihr sein konnte.
"Mich hat sehr verletzt, daß du mir die ganze Sache wirklich geglaubt hast. Ich hatte erwartet, daß du wenigstens noch ein paar Tage versuchen würdest, hinter die wahren Gründe zu kommen, daß du dich bemühen würdest." Severus stieß einen verächtlichen Laut aus, gefolgt von einem schmerzhaften Stöhnen.
"Dann wolltest du wohl nur spielen, was? War ich dir zu langweilig geworden oder was hattest du damit im Sinn?!" Lily schloß traurig die Augen und schüttelte den Kopf.
"Ich wollte nicht spielen. Ich war auf der anderen Seite ja auch sehr froh, daß du alles sofort geglaubt hast, denn so wurde die ganze Sache wenigstens nicht noch schmerzhafter. Und das wäre es geworden, wenn du dich noch um mich bemüht hättest." Severus versuchte sich aufzurichten, doch Lily ließ es nicht zu, drückte ihn zurück auf den Boden. Er sah sie wieder an und diesmal war die Verwirrung auf seinem Gesicht deutlicher als jeder Haß und jede Verachtung.
"Lily, ich verstehe nicht, was du mir sagen willst. Was soll das hier? Danke, daß du mir geholfen hast, aber jetzt bring mich zurück ins Schloß oder hol wenigstens Hilfe, aber hör auf mit deinen perfiden Spielchen, ich hatte schon genug davon. - Oder sag mir endlich konkret, was du hier andeuten wolltest. Denn ich fürchte, ich bin heute nicht in der Stimmung, weibliche Rätsel zu lösen." Lily wischte sich verstohlen eine Träne aus dem Gesicht. Doch Severus entging diese Bewegung nicht. Sein Kopf war immer noch vernebelt von seinem hohen Blutverlust, aber er sah sie trotzdem völlig klar, wußte, daß hier etwas nicht stimmte und das schon seit zwei Jahren.
"Ich kann es dir nicht sagen. Ich habe dein Leben gerade erst gerettet, ich kann es nicht schon wieder in Gefahr bringen", antwortete sie endlich.
"Wieso sollte mein Leben in Gefahr sein? Du hast mich doch schon längst umgebracht, da kann gar nichts mehr passieren." Lily kämpfte mit sich und wenn sie geglaubt hatte, ihr Kampf vor zwei Jahren war schlimm gewesen, dann wurde sie jetzt eines besseren belehrt. Damals hatte sie nur gegen ihre Liebe ankämpfen müssen, jetzt kamen auch noch Sehnsucht und Einsamkeit hinzu und die drei Gefühle zusammen ließen ihr keinerlei Chance.
"Ich habe dich damals gerettet, weil ich dich sehr geliebt habe und nicht zulassen wollte, daß dir wegen mir etwas passiert." Severus drehte ungeduldig den Kopf weg und dachte einen Moment sehr genau über seine nächsten Worte nach.
"Du kannst mich doch gar nicht geliebt haben. Kein Grund der Welt rechtfertigt es, daß du mir damals eiskalt das Herz gebrochen hast, obwohl du mich geliebt haben willst. Es gibt nichts, was dem Ganzen einen Sinn geben könnte ohne gleichzeitig ans Licht zu bringen, daß du eine Heuchlerin warst." Wieder schwieg Lily. Sie wußte, sie mußte es ihm erzählen. Er war in den letzten beiden Jahren genauso wenig zur Ruhe gekommen, wie sie es war und er würde es nie schaffen, wenn er nicht die Wahrheit erfuhr.
Und andererseits, wenn er die Wahrheit erfuhr, würde er alles daran setzen, sie wiederhaben zu wollen, auch da war sie sich sicher. Und ohne daß sie das jemals gewollt hatte, war sie plötzlich in einen Konflikt zurück gerutscht, den sie nie wieder austragen wollte.
"Ich sehe doch, daß da was ist, Lily, jetzt rück endlich raus damit!" Diesmal hatte er sich halb aufgerichtet und sah ihr genau ins Gesicht.
"Wie waren deine Eltern so, als du damals in den Weihnachtsferien zu Hause warst?" Severus schien erstaunt über die Gegenfrage zu sein.
"Meine Mutter war wie immer und mein Vater war sehr angespannt, hat mich aber in Ruhe gelassen. Was tut das zur Sache?" Lily sah ihm in die Augen und zum ersten Mal seit fast zwei Jahren versank er wieder in das unendliche Grün ihrer wunderschönen Augen und fühlte die Wärme von damals in sich aufsteigen. Es war wie ein Gefühl des wieder zu Hause seins.
"Die ganze Zeit über? Oder hat er sich im Laufe der Ferien geändert?" Severus schien einen Moment lang wirklich nachdenken zu müssen, doch dann fiel ihm scheinbar was ein.
"Ich hab nicht wirklich darauf geachtet, aber ich hatte den Eindruck, daß er gegen Ende der Ferien ein wenig entspannter war. - Ich weiß allerdings immer noch nicht, worauf du eigentlich hinaus willst und es wäre wirklich zu gnädig von dir, wenn du vielleicht endlich auch mal meine Frage beantworten würdest." Die Kälte seiner Stimme jagte Lily noch zusätzliche Schauer über den Rücken und jetzt erst fiel ihr auf, daß sie noch immer nur im Trägertop in der Kälte saß. Kein Wunder, daß sie schon zitterte wie Espenlaub. Sie zog ihren Umhang über ihre Schultern und verschränkte die Arme vor der Brust, um die Wärme in ihrem Körper zu halten.
"Er war hier in Hogwarts", sagte sie schlicht und hatte damit auf Severus eine Wirkung, die sie erschrocken zusammen fahren ließ. Hätte ihn der Schmerz nicht sofort wieder zurück geworfen, wäre er in diesem Moment wahrscheinlich wie von der Tarantel gestochen aufgesprungen. Nach einer heftigen Bewegung fiel er zurück auf den Boden und Lily sah, daß Blut durch ihren provisorischen Verband drang.
"Du darfst dich nicht so viel bewegen!" rief sie aufgebracht und sah entsetzt auf den roten Fleck, der immer größer wurde. Severus sah sie an und sein Blick war mit einem mal sehr verändert. Nicht mehr kalt und hart, sondern irgendwie ahnend und ängstlich erwartend. Seine Augen streiften die mittlerweile fast völlig verblaßte Narbe auf ihrer Wange.
"Was hat er getan?" fragte er und seine Stimme war ganz rau, sein Mund war furchtbar trocken. "Wie hat er es geschafft, daß du mich einfach hast sitzen lassen?" Lily griff nach dem Saum ihres Umhanges und riß unter großen Anstrengungen einen Streifen von dem dicken schwarzen Stoff ab, den sie um seine Wunde wickelte, um den Verband zu verstärken.
"Lily!", er griff nach ihrem Arm und sie hielt in der Bewegung inne, "hör jetzt auf damit und rede mit mir!" Lily schüttelte den Kopf und sah ihn nicht an, doch Severus ließ ihren Arm nicht los und starrte sie weiter eindringlich an.
"Rede mit mir!" forderte er sie noch einmal auf und seine Stimme zeigte, daß er keinen Widerspruch dulden würde.
"Er hat mir gedroht, daß er alles, was ich liebe, töten und vernichten würde. Meine Eltern, meine Schwester und dich." Severus' Finger bohrten sich fester in ihren Arm. Sie wußte, er wollte ihr nicht weh tun, denn sie sah den Schock in seinen Augen, aber dennoch legte sie ihre freie Hand auf seinen Arm und löste sich vorsichtig aus seinem Griff.
"Ich weiß, daß das hart für dich ist, Severus..."
Er schüttelte den Kopf und unterbrach sie damit. "Nein... nein, es war nur die Überraschung. Ich hab schon immer gewußt, daß er mich nicht liebt, daß er im Prinzip nicht einmal Haß für mich empfindet, gar keine Emotion, egal welche. Aber ich bin doch trotzdem irgendwie überrascht darüber." Einen Moment schwieg er, bevor er sie mit seinen Augen so hoffnungsvoll anblickte, wie es der jüngere Severus auch immer getan hatte. Ein wenig von der alten Wärme war zu ihm zurück gekehrt und spiegelte sich in seinem Gesicht.
"Aber Lily, ich hab dir doch gesagt, daß er mir nichts anhaben kann. Warum bloß hast du mir in der Sache nicht vertraut? Und wegen deinen Eltern, da hätten wir doch zu Dumbledore gehen können, der hätte da sicher etwas gedreht, daß auch sie außer Gefahr sind."
Lily schüttelte verzweifelt den Kopf. "Auch wenn ich es damals nicht wußte, heute weiß ich, was ein Todesser ist und welche Möglichkeiten er hat. Du weißt genau, daß meine Eltern nicht den Hauch einer Chance gehabt hätten, wenn ich dich nicht aufgegeben hätte." Severus biß sich auf die Lippen. Im Prinzip hatte sie recht. Die einzige Möglichkeit, die Dumbledore gehabt hätte, um die Evans zu schützen, wäre ein Gemeiniswahrer gewesen und er war sich nicht sicher, ob das bei Muggeln auch genauso gut klappte, wie bei Zauberern.
Lily lächelte still und bitter in sich hinein, als sie sah, daß sie scheinbar doch recht gehabt hatte. Severus widersprach ihr nicht, das war Antwort genug. Sie riß einen weiteren Stoffstreifen von ihrem Umhang ab und vollendete ihren zweiten Verband schweigend. Als sie fertig war und wieder in sein Gesicht blickte, merkte sie, daß er sie die ganze Zeit über beobachtet hatte.
"Warum bist du eigentlich hier, Lily? Wie konntest du wissen, daß ich hier verletzt rumliegen würde?" Lily lächelte verlegen und wieder wurde es Severus ganz warm ums Herz. Die Vertrautheit zwischen ihnen beiden war zwar unter viel Eis und Haß begraben worden, aber nichts hatte sie vernichten können, das wußte er in solchen Momenten wie diesen ganz genau.
"Wegen einer Rose." Severus schien nicht ganz zu verstehen, was eine Rose mit ihrer Anwesenheit zu tun haben könnte.
"Du hast mir damals diese Eisrosen geschenkt und gesagt, wenn du mich nicht mehr lieben würdest, würden sie schmelzen, solltest du aber sterben, würden sie zerspringen." Severus lächelte. Er hatte nicht geglaubt, daß sie die Rosen noch immer hatte, wenngleich er ganz genau gewußt hatte, daß sie noch immer blühen mußten. Er hatte zwar die Kontrolle über seine Mimik, seine Gestik und sein Auftreten, aber seinem Herz hatte er in all der Zeit nicht gebieten können, Lily endlich nicht mehr zu lieben.
"Eine der Rosen ist gesplittert und da wußte ich, daß etwas nicht in Ordnung sein konnte. - Und auf dem Weg zu dir habe ich James und die anderen dabei belauscht, wie sie über dich sprachen und dabei fiel auch der Name der Weide, also wußte ich, wo ich suchen sollte." Ihr Lächeln verschwand. "Aber eines ist mir immer noch unklar, Severus. Wie konnte Remus das tun? Was ist denn nur passiert? Ich verstehe es einfach nicht." Severus' Augen weiteten sich vor Überraschung und einen Moment lang glaubte Lily, er würde noch blasser, als er es ohnehin schon durch den hohen Blutverlust war.
"Aber... Remus? Wie kommst du darauf, daß es Remus Lupin war, der mich so zugerichtet hat?" Lily zog die Stirn kraus.
"Weil Peter zu James gesagt hat, daß es Remus gewesen ist." Severus machte ein Gesicht, als würden ihm in diesem Moment alle Rätsel dieser Welt auf einmal klar.
"Was soll es denn sonst gewesen sein, wenn es nicht Remus war?" hakte Lily nach.
"Es war auf jeden Fall nicht der Remus, den wir beide kennen, Lily, du wärst überrascht. - Ich wurde von einem Werwolf angegriffen." Der Schock stand Lily ins Gesicht geschrieben.
"Remus ein Werwolf? - Er hat dich aber nicht gebissen oder?!" Severus schüttelte lächelnd den Kopf. Erst in diesem Moment dachte auch er zum ersten Mal daran, daß er nicht nur knapp dem Tod entkommen war, Remus hätte ihn genauso gut auch beißen und so zum Werwolf machen können.
"Die Verletzung ist von seiner Klaue, keine Sorge." Lily atmete erleichtert auf. Das letzte, was Severus gebrauchen konnte, war so etwas. Er war ohnehin schon ausgestoßen aus der Welt, zu der er immer hatte dazugehören wollen.
"Lily..." Er zögerte und schien sich nicht recht zu trauen, seinen Gedanken zu Ende zu bringen.
"Ja?" Ihr Lächeln sollte aufmunternd sein, doch sie wußte, wie nervös sie klang.
"Und wie ist das jetzt zwischen uns? Ich meine, was sollen wir tun?" Lily wußte, was er meinte, doch sie wußte darauf keine Antwort. Natürlich war ihr klar, daß ihr Herz schrie, daß sie die Gelegenheit ergreifen sollte, doch ihre Angst war noch immer da. Wenn auch nicht Severus, ihre Eltern würden sicherlich durch Snapes Hand sterben, wenn sie jetzt wieder... Sie wollte den Gedanken nicht zu Ende denken, sie hatte das Bild schon zu oft gesehen. Immer wieder in ihren Träumen.
"Ich werde dich nicht einfach wieder zu James zurückgehen lassen."
Lily fuhr herum und starrte Severus überrascht an. Der Ausdruck auf seinem Gesicht war entschlossen.
"Ich weiß, daß er dich nicht glücklich machen kann, ich habe mich die ganzen zwei Jahre gefragt, wie du es überhaupt so lange mit ihm aushältst. Ich hab sogar eine Weile lang gedacht, daß du mir vielleicht die ganze Zeit nur etwas vorgemacht hast und gar nicht so warst, wie ich dich kennenlernen durfte. Aber jetzt weiß ich es sicher, du bist, wie ich dich kenne und James Potter ist dir und deinem Verstand, deinem Wesen so unwürdig, wie sonst kaum jemand in dieser Schule." Lily blickte wieder auf ihren zerrissenen Umhang.
"Du bist zu hart zu ihm, Severus. Ich bin auch keine Heilige und James..."
Severus lachte. "James teilt nicht eine deiner Interessen. James hat nichts als Unsinn im Kopf und Quidditch steht für ihn über allem anderen. Du willst mir doch nicht ernsthaft erzählen, daß dich das glücklich machen kann? - Du hast ihn ertragen, hast ihn akzeptiert, um die Fassade aufrecht zu erhalten, aber du hast keine Gefühle für ihn, die es rechtfertigen, James mir vorzuziehen." Lily sagte nichts. Natürlich hatte Severus recht. Aber wie sollte sie zu Severus zurückkehren können? Es ging nicht.
"Sag mir einfach nur, was du möchtest, ohne daß es etwas damit zu tun hat, was wir letztendlich machen", setzte er nach, als er sah, daß Lily zu keiner Antwort kam. Er wollte es ihr leichter machen und gleichzeitig nicht schon wieder verletzt werden, wo die verfluchte Hoffnung ungefragt wieder in ihm aufgekeimt war.
"Ich möchte wieder in deiner Nähe sein. Ich möchte dich wieder lächeln sehen und wieder meinen Namen aus deinem Mund hören, deine weiche Stimme. Deine Wärme fehlt mir, deine Gesellschaft und Unterstützung, all das fehlt mir so sehr. - Aber all das darf nicht sein, verstehst du?" Severus griff nach ihrer Hand und zog sie zu sich auf den Boden. Als sie neben ihm lag, legte er seinen Umhang der neben ihm lag, über sie und drückte sie sanft an sich. Vorsichtig legte Lily ihren Kopf auf seine Schulter und schloß die Augen. Das fühlte sich endlich wieder richtig an! Seine Wärme, obwohl nur schwach spürbar, da auch er durch den hohen Blutverlust ungewöhnlich unterkühlt war, drang sofort durch ihren ganzen Körper und schon bald hörte sie auf zu zittern. Minuten lagen sie schweigend da.
"Hast du dir schon einmal eine andere Möglichkeit überlegt, die es uns ermöglicht, trotzdem zusammen zu bleiben?" Lily schreckte aus ihrem beinahe schon Halbschlaf wieder auf.
"Was meinst du damit?" Vorsichtig strich er ihr eine ihrer langen roten Haarsträhnen aus dem Gesicht. Wie sehr sie diese Geste vermißt hatte!
"Ich meine damit, daß wir deine Eltern nicht in Gefahr bringen, weil wir nach außen hin alles so belassen, wie es ist. Und im Stillen sind wir so, wie wir sein wollen. Zusammen und glücklich damit." Lily hatten einen eher skeptischen Ausdruck auf dem Gesicht. Irgendwas schien ihr an der Sache nicht zu gefallen.
"Ich soll James also im Prinzip noch schlimmer ausnutzen, als ich es ohnehin schon getan habe. Ich soll ihn nicht nur noch länger belügen, sondern ihn auch noch mit dem Jungen betrügen, den er ohnehin schon als seinen größten Feind betrachtet und das nicht nur, wenn es um mich geht." Severus schnaubte ärgerlich.
Sein Blick war ungewohnt ungeduldig. "Warum denkst du zuerst an James? James ist vollkommen uninteressant. Du und ich, wir beide sind wichtig. Was mit James Potter ist, braucht uns nicht zu interessieren. - Ihn interessiert schließlich auch nicht wirklich, was du denkst und empfindest, sonst müßtest du dir nicht jede Woche wieder die neueste Ausgaben seiner verschiedenen Quidditch-Zeitschriften ansehen und dabei unheimlich interessiert tun." Lilys Augen glänzten traurig, doch sie schmiegte sich enger an Severus. Wer wußte schon, ob sie ihm irgendwann noch einmal so nah sein konnte wie jetzt. Man mußte jeden Moment ausnutzen, so gut man konnte, so viel hatte sie jedenfalls von Barabas Snape auf alle Fälle gelernt.
"Du bist sehr aufmerksam geworden und siehst viel. - Aber leider bist du auch ebenso kalt und hart geworden." Severus' Schultern schaukelten sanft unter ihrem Kopf, als er über diese Bemerkung lachte.
"Ich hätte gedacht, du hättest es vorher schon bemerkt." Sein Gesicht wurde ernst. "Das ist es nun einmal, was Einsamkeit und Ablehnung aus einem Menschen machen können." Er spürte, wie Lily nickte und drückte sie einen Hauch fester an sich. Er wollte ihr gegenüber nicht barsch oder kalt sein, aber er hatte es sich in den vergangenen Monaten einfach so angewöhnt und ihm war klar, daß er es nicht von hier auf jetzt wieder ablegen konnte. Trotzdem sollte sie spüren, wie er es meinte, wenn nicht mit Worten, dann mit Gesten.
"Ich schätze, du hast recht. Ich bin an der ganzen Misere schuld. - Und gutmachen kann ich es auch nicht mehr."
Severus wollte sie in diesem Moment am liebsten richtig in den Arm nehmen, doch schon die kleinste Bewegung verursachte ihm große Schmerzen. Also drehte er nur seinen Kopf zu ihrem und drückte ihr einen Kuß auf die Stirn. Sie blickte ihn überrascht an.
"Man kann fast alles wieder gutmachen, Lily. Laß mich einfach nicht wieder zurück in meine Einsamkeit. Vergiß James und vertrau mir, daß wir eine gemeinsame Zukunft haben, die mein Vater uns nicht nehmen kann." Sie hörte das Flehen in seiner Stimme und sie wußte, wenn sie ihn nach dieser Nacht abweisen würde, dann wäre er endgültig für sie verloren. - Aber James betrügen und sogar noch schlimmer belügen als bisher? Jemandem vorzumachen, daß man ihn liebte, obwohl man nicht mehr als Freundschaft empfand, war eine Sache, aber das, was Severus ihr vorschlug war eine ganz andere. Damit ging sie viel weiter als vielleicht gut war... das ging auf jeden Fall zu weit.
"Ich will keinen von euch beiden verletzen. Gibt es keinen Weg, das zu schaffen?" Severus lächelte in die sternenklare Nacht hinauf. Das war wieder typisch Lily. Und nur zu gerne hätte er ihr diesen Wunsch erfüllt, aber er sah keinen Weg. Entweder er blieb endgültig auf der Strecke oder sie würde James etwas vormachen müssen, was alles bisher Dagewesene noch überbot.
"Also gibt es keinen", deutete Lily sein Schweigen. Severus streichelte sachte über ihre Schulter, ohne irgendwas zu sagen. Lily kam es so vor, als wäre eine Ewigkeit vergangen, als seine Stimme die Stille der Nacht durchschnitt wie ein scharfes Messer.
"Es gibt nur ihn oder mich. Einer von uns beiden wird von dir nicht das kriegen, was er will und du mußt ganz alleine entscheiden, wer von uns beiden das sein soll." Es hatte ihn mehr Überwindung gekostet, ihr das zu sagen als alles andere, was er sich im Moment nur zu sagen vorstellen konnte. Und doch war ihm klar geworden, daß er es sagen mußte, es führte gar kein Weg daran vorbei. Sie fragte, er mußte antworten, egal, ob ihm die Antwort nun gefiel oder nicht...
Lily richtete sich ein wenig auf und stützte sich auf ihrem Ellenbogen ab. Ihr Gesicht war undeutbar, als sie ihn ungewöhnlich intensiv ansah und er wußte nicht, was er davon halten sollte. Schließlich lehnte sie sich vorsichtig zum ihm hinüber und küßte ihn ganz sanft und zaghaft auf den Mund. Das Gefühl war so bekannt und irgendwie wieder so heimatlich, wie alles, was sie in den letzten Stunden mit Severus erlebt hatte. Wenn sie wirklich eine Entscheidung treffen mußte, dann stand diese Entscheidung wohl fest, wenn es ihr auch furchtbar leid tat, daß sie James so etwas antat für all die Liebe, die er ihr entgegen gebracht hatte in der schweren Zeit.
"Wenn das jetzt etwas anderes bedeutet als, daß du dich für mich entschieden hast, dann sag mir das bitte jetzt, bevor ich anfangen, mich zu freuen", flüsterte er, als ihre Lippen sich wieder trennten.
Lily schüttelte den Kopf. "Es gibt nur einen Weg, den ich gehen kann, wenn ich an mich denken will und nicht an alle anderen. Und der Weg bist nun einmal du."
Der Weg des Herzens war nicht immer einfach und oft erschien er einem als der falsche, aber wenn Lily Evans in dieser Nacht etwas gelernt hatte, dann, daß sie Severus Snape niemals loslassen konnte und daß ein Leben ohne ihn für sie gleichbedeutend war mit dem Tod.
Der Morgen graute, als Lily Severus dabei half, zurück ins Schloß zu kommen. Obwohl sie Madam Pomfrey ansahen, daß sie gerne eine Erklärung zu den schweren Verletzungen gehabt hätte, fragte die Schulschwester auch diesmal nicht. Und Lily hätte sie dafür küssen können.


 

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