Des Giftmischers Herz

 

 

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Kapitel 22: Harry Potter

 


"Lily?" fragte James besorgt, als Lily plötzlich vom Tisch aufsprang und an ihm vorbei stürmte. Die Tür des Badezimmers fiel hinter ihr zu, er konnte hören, daß sie würgte.
Es dauerte fast fünf Minuten, bis sie endlich wieder aus dem Badezimmer kam. Sie war erschreckend bleich im Gesicht und sie hatte sich die Hand auf den Magen gelegt.
"Ist alles in Ordnung, Schatz?" fragte er sanft. Lily blickte auf und sah ihn ein wenig verwirrt an. James schüttelte den Kopf. Seit ihrem Besuch in London war Lily irgendwie seltsam, obwohl dieser Besuch schon mehrere Wochen her war.
Oft wirkte sie abwesend und manchmal erwischte er sie dabei, wie sie auf der Fensterbank des Schlafzimmers saß und fast unglücklich hinausstarrte. Doch sie erzählte nicht, was in London passiert war, sagte nur, daß es ein schöner Besuch gewesen war und daß sie und Linda das unbedingt mal wiederholen mußten.
Natürlich glaubte James ihr, wenn sie sagte, daß nichts vorgefallen war, aber sie sprach ja gar nicht und ihr Benehmen war einfach nur seltsam. Und seit einigen Tagen hatte sie sich schon mehrfach genauso plötzlich übergeben, wie jetzt.
Lily schüttelte langsam den Kopf, als wäre seine Frage erst jetzt zu ihr durchgedrungen.
"Alles in Ordnung, mach dir keine Sorgen", sagte sie matt und lächelte. Es war ja auch nicht gelogen und Lily wunderte sich, daß James immer noch nicht verstanden hatte, was mit ihr los war. Sie hatte ihm eigentlich mehr Kombinationsgabe zugetraut.
Er sah sie immer noch skeptisch an und Lily versuchte, ein wenig breiter zu lächeln. Ihr rebellierender Magen machte es ihr allerdings nicht leicht.
"James, wirklich, manchmal glaube ich, daß du wirklich naiv bist." Sie zwinkerte. James wollte etwas erwidern, doch dann zog er die Stirn kraus und musterte seine Frau von oben bis unten. Als er mit seinem Blick wieder zu ihrem Gesicht zurück gekehrt war, hatte sein Gesicht einen sehr fragenden Blick angenommen. Ihm wurde plötzlich einiges klarer. Ihr Verhalten war anders, sogar ihr Aussehen hatte sich ein wenig verändert. Sie erschien ihm manchmal irgendwie... ja noch wärmer, strahlender.
"Bist du etwa..?" fragte er und spürte, wie er einen Kloß im Hals bekam. Er schluckte.
"Schwanger", sagte Lily schlicht und grinste James an, der erst auf seinem Stuhl saß, als hätte ihn gerade der Schlag getroffen und dann wie von der Tarantel gestochen aufsprang und sie in den Arm nahm.
"Ich werde Papa?!" rief er aufgeregt und wirbelte Lily durch die Luft. Lily lachte, doch unter ihrer fröhlichen Oberfläche schlug ihr Gewissen wieder gnadenlos zu. War es richtig, James so zu belügen? Er war nicht der Vater, das war so sicher wie kaum etwas anderes auf dieser Welt. Sie hatte selbst dafür gesorgt, daß es so sicher war.
Aber sie konnte ihm schließlich nicht einfach sagen, daß dieses Kind das Kind von Severus Snape war. Dieses Wissen hätte ihm den Boden unter den Füßen weggezogen und sein ganzes Leben aus den Fugen gebracht.
Wenn dieser ganze Alptraum doch nur schnell vorbei war.


Wie Severus es ihr gesagt hatte, schrieb er ihr keinen Brief und auch Lily ihrerseits tat es nicht. Es gab nichts Wichtiges zu erzählen und sie wollte ihn nicht unnötig in Gefahr bringen.
Fast ein Jahr verging, in denen die beiden nichts von einander hörten. Severus ging an der Universität seinen Forschungen nach und entwickelte ohne das Wissen der meisten anderen Studenten tief unten in den Kellern der Universität, wo sich die Labors befanden, die tödlichsten und grauenhaftesten Gifte, die die Welt jemals gesehen hatte. - Im Auftrag Voldemorts. Lediglich die anderen Todesser an der Uni wußten es und hielten ihm den Rücken frei.
Voldemort hielt große Stücke auf Severus, genau wie Lucius und Dumbledore es vorausgesehen hatten, und obwohl Severus seine Arbeit widerstrebte, gab er sich alle erdenkliche Mühe, diesen Eindruck noch zu vertiefen. Je schneller er die rechte Hand Voldemorts wurde, um so schneller kam er aus der Sache hier heraus.
Severus wußte, daß auch er als Spion mit Konsequenzen zu rechnen hatte. Zwar kannte er keine Zahlen, aber daß Voldemort seine Entwicklungen auch einsetzte, war wohl so selbstverständlich, daß es keiner Frage bedurfte und Severus konnte sich nicht vorstellen, daß er im Endeffekt wirklich vollkommen ohne Strafverfolgung durch das Zaubereiministerium davonkommen würde. Selbst, wenn er Dumbledore als Fürsprecher hatte.
Es war bereits tief in der Nacht, doch Severus arbeitete noch immer an einem seiner neuesten Aufträge. Er war allein im Labor und genoß die Ruhe der späten Stunde. Es lenkte ihn ein wenig von den Gewissensbissen ab, die er hatte, wenn er das tat, was er am meisten liebte, Forschen und Entwickeln.
Immer schon hatte er Wissenschaftler werden wollen, allerdings hatte er sich dabei mehr das Zaubereiministerium als Auftraggeber vorgestellt und nicht den Fürst des Grauens in Person. Er wollte Stoffe und Tränke erfinden, die den Menschen halfen, unwichtig, ob sie nun Zauberer oder Muggel waren. Doch was tat er statt dessen? Er entwickelte Todeswaffen.
Er hörte den kräftigen Flügelschlag Goliaths und blickte auf. Er hatte erst vor zwei Tagen einen Brief von Dumbledore erhalten und der alte Zauberer war viel zu vorsichtig, um ihm so bald schon wieder zu schreiben. Was konnte das nur bedeuten?
Severus strich seiner Eule liebevoll über den Rücken und nahm den Brief entgegen. Sein Herz schlug schneller, als er die Schrift erkannte, und nachdem er sich versichert hatte, daß niemand da war, der ihn beobachten konnte, riß er den Umschlag auf.

Mein liebster Severus,

ich weiß, ich habe versprochen, dir nicht zu schreiben, außer es ist etwas sehr Wichtiges, aber ich glaube, daß du wissen solltest, was vor einigen Tagen passiert ist. Ich habe ohnehin schon ein schlechtes Gewissen, daß ich es so lange vor dir verheimlicht habe. Aber ich wollte es irgendwie selbst nicht so recht wahrhaben, bis zum Schluß habe ich befürchtet, es könnte noch etwas schief gehen.

Wenn du sehen würdest, wie aufgeregt ich im Moment bin!


Severus sah lächelnd von dem Brief auf. Und ob er sah, wie aufgeregt sie war. Ihre Hand hatte beim Schreiben gezittert, das war gar nicht zu übersehen. Was konnte nur so wichtig sein, daß sie diesen Brief geschrieben hatte? Nicht, daß er sich nicht freute, endlich wieder etwas von Lily zu hören, aber sie wußte doch, wie gefährlich es war, ihm zu schreiben! Er las weiter.

Vor ein paar Tagen ist unser Sohn Harry zur Welt gekommen.


Ein überraschter leiser Schrei entfuhr Severus und fast hätte er den Brief in seiner Hand fallen gelassen. Sein Sohn Harry?

Ich würde gerne sehen, welches Gesicht du jetzt machst. Ich wußte es schon, als ich in London in den Zug gestiegen bin. Na ja, ich wußte es nicht, aber ich habe es gespürt, weil ich... weil ich mit Absicht in dieser Nacht nicht verhütet habe. Bei James habe ich das immer getan.
Ich hoffe, du bist mir nicht böse, daß ich das getan habe. Ich weiß, es ist die falsche Zeit für ein Kind und du kannst ihn nicht aufwachsen sehen, aber ich bin so glücklich, daß ich den Kleinen habe. Er erinnert mich so sehr an dich.

Er hat dein Haar. Es ist pechschwarz und so dick, man möchte nicht meinen, daß er noch ein Baby ist. Natürlich glaubt James, er sei der Vater und natürlich habe ich ihn in dem Glauben gelassen, aber ich weiß mit Sicherheit, daß er unser Sohn ist, es gibt keinen Zweifel. Ich mußte allerdings etwas tun, was... Du darfst bitte nicht wütend werden, Severus. Ich habe einen Zauber über Harry gelegt, damit er James ein wenig ähnlicher wird. Jetzt, wo er noch ein Baby ist, fällt es noch nicht so auf, aber wenn er älter wird, wird man sehen, daß es keine Ähnlichkeit mit James gibt und falls du dann noch nicht wieder zu mir zurückgekehrt bist - wer kann schon sagen, wann das endlich sein wird - stecke ich in echten Schwierigkeiten. - Ich kann diesen Zauber selbstverständlich jederzeit aufheben und werde es tun, sobald wir wieder vereint sind und die Maske nicht länger nötig sein wird. Haßt du mich dafür? Ich bete, daß das nicht so ist und du mich und mein Handeln vielleicht ein bisschen verstehen kannst.

Ich hoffe, diese Nachricht war wichtig genug, um dir zu schreiben und ich habe dich nicht in Schwierigkeiten gebracht.

Ich denke jeden Tag an dich und immerzu frage ich mich, wann du wohl zu uns zurückkehren wirst. Ich hoffe, es wird noch vor dem Tag sein, an dem Harry damit anfängt, James Papa zu nennen. Ich weiß nicht, ob ich die Scharade dann noch aufrecht erhalten kann.

Ich habe dir kein Foto von Harry beigelegt, weil ich nicht möchte, daß man es bei dir findet und Fragen aufkommen. Ich hoffe, das war richtig so. Ich möchte nicht in die Lage kommen, es tun zu müssen, auch wenn ich Harry selbstverständlich gegen jede Gefahr dieser Welt verteidigen werde!
Harry und ich warten auf dich, also komm bald zu uns zurück.

In Liebe
Lily und Harry


Severus fuhr sich über die müden Augen und starrte verwundert auf seine feuchten Finger. Er hatte gar nicht bemerkt, daß er beim Lesen des Briefes begonnen hatte, zu weinen. Immer wieder starrte er auf den Brief, auf Lilys zarte Handschrift, die diesmal ein wenig unstet ausgefallen war und wußte nicht, ob er sich freuen sollte oder nicht.
Er fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. Er hatte einen Sohn. Er war Vater. Von diesem Augenblick hatte er immerzu geträumt, aber irgendwie hatte er es sich anders vorgestellt. Irgendwie hatte er immer gedacht, daß das passieren würde, wenn dieser ganze Terror hier längst vorbei war, wenn er und Lily ein neues Leben begonnen hatten. Er hatte erwartet, daß er dabei sein und Lily durch die Schwangerschaft begleiten würde. Daß er der erste Mann nach dem Arzt war, der das Kind in seinem Arm hielt und es Lily zeigte, die gerade gemeinsam mit ihm, mit seiner Unterstützung die Geburt überstanden hatte.
Er hatte alles erwartet, nur nicht diesen Brief, der ihn in dieser Todesküche erreichte, wenn er gerade dabei war, wieder ein paar hundert Menschen umzubringen.
Freude und Verzweiflung gaben sich die Hand und er konnte sich nicht entscheiden, was jetzt das stärkere Gefühl war.
Doch ein Gefühl war ganz deutlich und übertönte sogar die beiden anderen nach einer Weile. Seine Eifersucht. Er haßte den Gedanken, daß nicht nur seine Frau die Frau von James Potter hatte werden müssen, jetzt war auch noch sein Junge der Sohn dieses Bastards. Wenn Voldemort nicht bald der Vergangenheit angehörte, dann würde der kleine Harry bei James aufwachsen, würde ihn Vater nennen und ihn lieben. Er würde sogar aussehen wie James Potter und vermutlich auch sonst noch viel Ähnlichkeit mit ihm haben. Lilys Illusionszauber waren die besten. Und wenn er - Severus Snape - aus diesem Krieg zurückkehrte, dann kannte dieser Junge ihn nicht einmal und würde nicht verstehen, warum er sein Vater sein sollte und warum James nicht mehr da war.
Severus ballte wütend die Hand zur Faust. Das hier mußte ein Ende haben und das so bald wie möglich!


Zur selben Zeit erhielt auch Lord Voldemort die Nachricht, daß James Potter einen Sohn bekommen hatte. Der Dunkle Lord saß in seinem Sessel, ein Glas Wein in der Hand, und trommelte ungeduldig mit den Fingern der anderen Hand auf der Lehne des Sessels herum, während Lucius ihm die Neuigkeit unterbreitete.
"So, so. Die Potters haben Nachwuchs." Seine Stimme klang wie ein kalter Frosthauch. Unwirklich, nicht menschlich. Lucius verbeugte sich leicht.
"So ist es, Meister." Voldemort grinste böse, seine Augen blitzten gefährlich.
"Lucius, könnte es sein, daß dieses Kind das Kind aus der Legende ist? - Dieser Harry, ist er das Kind, das alles Böse in dieser Welt bekämpfen und besiegen wird?" Lucius blickte Voldemort an und versuchte, seinem Blick so viel Sicherheit und Festigkeit zu geben, wie es ihm eben möglich war.
"Ich bin mir nicht sicher, Meister. Wie Ihr ja selbst wißt, besagt die Legende nur, daß es ein Kind aus einem alten Zauberergeschlecht sein wird, geboren in einer der dunkelsten Zeiten dieser Welt." Voldemort unterbrach ihn unwirsch.
"Die Legende ist mir hinreichend bekannt, Lucius!" fauchte er den jungen Mann an, der bei den harschen Worten zusammen zuckte.
"Was ich von dir wissen will, glaubst du, daß dieses Kind das besagte Kind ist?" Lucius überlegte sich seine nächsten Worte ganz genau. Er wußte, eine falsche Antwort und er würde sich wünschen, niemals geboren zu sein. Der Meister war in einem seiner angespannten Zustände - und darin befand er sich gerade einmal mehr - mehr als unberechenbar.
"Die Möglichkeit besteht, Meister. Wenn sie auch nicht sehr groß ist." Voldemorts Augen verengten sich zu Schlitzen und er funkelte Lucius gefährlich an.
"Dann mache mir doch auch gleich einen Vorschlag, Lucius. Erfrische mich mit deiner Weitsichtigkeit und deiner Schläue." Wieder überlegte Lucius erst einen Augenblick. Er fühlte sich in die Ecke gedrängt und bedroht. Er war bei weitem kein brillanter Taktiker, und Voldemort wußte das.
"Wir werden dem jungen Vater einen Besuch abstatten", begann Lucius und ließ Voldemort dabei nicht aus den Augen. "Und ihn auf unsere Seite bringen."
Voldemort lachte ein kaltes, freudloses Lachen, in seinem Blick lag wirklich so etwas wie ein amüsiertes Leuchten. "Gut, das soll dein Auftrag sein, Lucius. Bringe mit die Treue von James Potter und seiner reizenden Frau Lily und du sollst belohnt werden."
Lucius verbeugte sich und ging langsam rückwärts in Richtung Tür. Als er den Raum verlassen hatte, atmete er erleichtert auf. Voldemort war in einer denkbar schlechten Laune und seine Nachricht hatte es nicht besser gemacht.
In der letzten Zeit schlugen viele ihrer Pläne fehl. Zwar lieferten alle scheinbar eine tadellose Arbeit ab, vor allem Severus tat sich durch hervorragende Leistungen hervor, aber Lucius war sich sicher, daß einer von ihnen ein falsches Spiel spielte. Zu oft kamen diese Idioten, die Dumbledore, der alte Narr, um sich gescharrt hatte, hinter ihre Pläne und machten sie zunichte. Das konnte schon kein Zufall mehr sein.
Und jetzt auch noch dieses Kind, wo Voldemort sich doch schon lange sicher war, daß in der alten Legende um die Vernichtung des Bösen auf dieser Welt von den Potters die Rede war. Lucius wußte nicht, woher diese Sicherheit stammte, denn das Profil traf auf viele Familien der Zaubererwelt zu, aber er wagte es sicherlich nicht, dem Dunklen Lord zu widersprechen. Man konnte ihn vieles nennen, aber nicht total dämlich.


Lilys Brief hatte Severus tief aufgewühlt und er lag oft nächtelang wach, mit seinen Gedanken ständig bei ihr und seinem Sohn. Das Kind, das er noch nie gesehen hatte, das er vielleicht auch so bald nicht sehen würde.
Und dann diese Aufregung unter den Todessern. Lucius war vor Tagen schon mit einem unbekannten Ziel aufgebrochen und es hieß, daß er eine wichtige Aufgabe für seine Lordschaft erfüllte. Es gab so viele Gerüchte darüber wie Todesser im Kreise Voldemorts und obwohl Severus sich sonst nur wenig um die Aufträge Voldemorts scherte, die nicht an ihn gingen, machte ihn diese ungewohnte Aufregung sehr nervös. Er ahnte nichts Gutes dabei und hatte das Gefühl, daß er und auch Dumbledore wissen sollten, worum es eigentlich ging.
Doch Severus war sich bewußt, daß der einzige Weg, es zu erfahren, sein würde, es von Voldemort direkt zu erfahren und wenn dieser es nicht von sich aus erzählte - was er so gut wie nie tat - dann würde es ein Geheimnis bleiben.
Er konnte schon nicht mehr zählen, wie oft er schon nachts aufgestanden war, um Lily einen Brief zu schreiben, doch immer wenn er an seinem Schreibtisch saß und die Feder das erste Mal in die Tinte getaucht hatte, brachte er sich davon wieder ab. Er durfte nicht antworten. Er erhielt auch so schon viel zu häufig Post und es würde auffallen, wenn es noch mehr werden würde. So sehr es ihn schmerzte, er würde nicht mehr über Harry erfahren bis zu dem Tag, an dem endlich alles vorbei war.
Wie sehr verfluchte er Dumbledore doch für seine Idee, und Lily dafür, daß sie ihm geraten hatte, den Auftrag anzunehmen. Und nicht zuletzt auch sich selbst, der dumm genug gewesen war, es auch wirklich zu tun, obwohl er doch von vorne herein gewußt hatte, daß er es bereuen würde, früher oder später. Er hatte das Gefühl, daß es in diesem Fall früher gewesen war.
Er hörte einige aufgebrachte Stimmen in der Empfangshalle des palaisähnlichen Wohnsitzes Voldemorts, in dem auch er mittlerweile seine Unterkunft hatte und schlug die Decke zur Seite.
"Es ist mir egal, ob seine Lordschaft schon schläft, Avery!" fuhr ein aufgebrachter Lucius seinen jüngeren Gefolgsmann an. "Es ist wichtig, ich muß ihn auf der Stelle sprechen." Severus, der im ersten Stock des Gebäudes im Schatten einer großen Säule stand, runzelte erstaunt die Stirn. Wenn Lucius es wagte, Voldemort aus dem Bett holen zu lassen, dann mußte es wirklich enorm wichtig sein. Lucius rannte die Treppe hinauf und hastete an Severus vorbei, der sich etwas tiefer in den Schatten zurückzog, um nicht von ihm gesehen zu werden. Lucius nahm eine weitere Treppe hinauf in den zweiten Stock, in dem sich die Zimmer des Dunklen Lords befanden und Severus folgte ihm in einigem Abstand, nachdem Avery kopfschüttelnd zurück auf seinen Posten gegangen war. Lucius war schon in den Gemächern Voldemorts verschwunden.
Severus wußte, wie unklug und gefährlich es war, aber trotzdem legte er vorsichtig sein Ohr an die geschlossene Tür des Raumes und murmelte kaum hörbar einen Zauber, der sein Gehör um das Vielfache schärfte.
"Das sind keine guten Nachrichten, du Wurm!" hörte er Voldemort zischen und zuckte unwillkürlich zusammen. Das war eine Tonlage, die kein Todesser gerne hörte, wenn der Lord mit ihm sprach. Severus wußte nur zu genau, was Lucius gerade empfand, doch irgendwie empfand er kein Mitleid, nur Schadenfreude.
"Ich weiß, Sir. Ich habe alles aufgefahren, was ich bieten konnte, aber Potter hat sich stur gezeigt. Er war nicht eine Minute bereit, auch nur über mein Angebot nachzudenken." Severus' Augenbraue schoß in die Höhe. Potter?
"Vielleicht sollten wir unserem Mr. Potter einmal demonstrieren, wozu wir in der Lage sind, meinst du nicht auch?" Schweigen trat ein. Severus hörte sein eigenes Herz, das so laut schlug, daß er glaubte, jeder im Umkreis von einem Kilometer konnte es hören.
Was wollte Voldemort von den Potters? War er schon so weit? Das hätte er doch bemerkt.
"Morgen um diese Zeit sind Camille und Charles Potter tot!" Eine Gänsehaut zog sich über Severus' Rücken.
"Ich hoffe, du hast mich verstanden, Lucius! - Potter wird schon sehen, was er von seinem törichten Widerstand hat." Severus hörte, wie Lucius' Schritte auf die Tür zukamen und drückte sich schnell in die nächste dunkle Ecke, die sich ihm bot. Noch immer schlug sein Herz bedrohlich laut, doch er sagte sich selbst immer wieder, daß er sich das nur einbildete, daß Lucius ihn nicht hören konnte, wenn er nur keine dumme Bewegung machte.
Potters Eltern. Mußte er ihn warnen? Er konnte sich nicht in diese Gefahr begeben, nur um jemandem zu helfen, den er haßte, oder etwa doch?
Immer wieder stellte er sich diese Frage, doch als er sein Zimmer wieder erreicht hatte, stand seine Antwort fest. Er hatte nichts gegen Camille und Charles Potter, aber er konnte wegen ihnen seine Deckung nicht riskieren, dafür waren sie nicht wichtig genug.


In der nächsten Nacht entzündete sich mitten in der Nacht der Kamin im Wohnzimmer der Potters. Sofort war James hellwach und sprang aus dem Bett. Er wußte zunächst nicht, wo das Geräusch herkam, doch als er im Wohnzimmer stand, atmete er erleichtert auf. Es war nur sein Chef aus dem Zaubererministerium, Cornelius Fudge, der Minister für innere Angelegenheiten. Einen Moment lang dachte James ernsthaft darüber nach, im Ministerium einen Antrag einzureichen, daß ab sofort Muggeltelefone eingeführt wurden.
Er wischte den Gedanken fort, es mußte etwas passiert sein, sonst würde das Ministerium nicht mitten in der Nacht versuchen, ihn zu kontaktieren.
"Sir?" fragte James verschlafen. Seine Müdigkeit war schlagartig zurück gekehrt. Lily kam ebenfalls ins Wohnzimmer, auf ihrem Arm der weinende Harry, der von dem Lärm, den James gemacht hatte, sofort aufgewacht war.
"James, ich muß Ihnen leider mitteilen..." Fudge hielt einen Moment inne und schien darüber nachzudenken, wie er seine Worte vorbringen sollte. Eine steile Falte bildete sich auf James' Stirn.
"Ja, Sir?"
Fudge schüttelte den Kopf und James sah, daß auf seinem Gesicht ein Ausdruck des Entsetzens und der Trauer lag.
"James, es hat einen Überfall der Todesser gegeben. Ihre Eltern. Es tut mir leid, James, sie sind tot." Erschrocken drückte Lily ihren kleinen Sohn fester an sich, der in diesem Moment aufhörte zu weinen. James versteifte sich und starrte fassungslos in die Flammen, in denen sich immer noch Fudges Gesicht zeigte.
Er sah aus, als hätte er die Worte des Ministers gar nicht gehört. Lily wollte einen Schritt auf ihn zugehen, doch seine jähe Bewegung Richtung Feuer ließ sie sofort zurechtschrecken.
"Fudge, das ist unmöglich!" Die Verzweiflung brachte seine Stimme zum Zittern. "Die Todesser würden es sich doch niemals wagen, meine Eltern anzugreifen. Sie haben überhaupt keine Chance..."
"James...", unterbrach Fudge den junge Mann sanft aber bestimmt, "sie haben es getan und Sie müssen damit aufhören, sich dagegen zu wehren. Ich kann mir vorstellen, wie fürchterlich das für Sie sein muß, aber es wird Ihnen nicht helfen, die Sache zu leugnen." Lily sah, wie James in sich zusammensackte. Er tat ihr in diesem Moment so unendlich leid.
"James, ich fürchte, daß diese Sache in direktem Zusammenhang mit dem Besuch von Lucius Malfoy bei Ihnen steht. Sie sollten Vorsichtsmaßnahmen treffen. Die Familie Ihrer Frau und Ihre eigene Familie muß geschützt werden." Lily spürte, wie ihr Herz einen Moment lang aufhörte zu schlagen. Ihre Eltern! Waren sie etwas in Gefahr? Schlagartig fiel ihr der Traum ein, den sie über Jahre hinweg immer wieder geträumt hatte. Würde dieser Traum jetzt Wirklichkeit werden?
"Was schlagen Sie vor, Sir?" James Stimme klang dünn und unnatürlich. Fudge versuchte, ihn tröstend anzulächeln, doch was konnte ihn in diesem Moment trösten? Seine Eltern waren tot und egal was der Minister auch tat, nichts konnte ihn in diesem Moment trösten.
"Wenden Sie sich an Dumbledore. Er wird einen Rat haben." Dumbledore. Lily fühlte, daß sie schlagartig erleichtert war. Dumbledore würde eine Lösung wissen, da war sie sicher. Dumbledore wußte schließlich immer Rat. Das Gesicht von Cornelius Fudge verschwand und mit ihm das Feuer im Kamin. Kaum waren die Flammen erloschen, sank James auf den Boden nieder und vergrub sein Gesicht in den Händen. Wie ein Kind, das mißhandelt worden war, wippte er vor und zurück und sie hörte, wie er leise schluchzte. Lily setzte sich vorsichtig zu ihm und lehnte ihren Kopf an seine Schulter. Mehr konnte sie mit Harry auf dem Arm in diesem Moment nicht tun. James sah auf und schlang schließlich verzweifelt seine Arme um seine Frau und den kleinen Harry.
Lily ließ es einfach geschehen, auch wenn der kleine Junge das alles nicht verstand und wieder ein klägliches Quieken hören ließ.
"Du mußt zu Dumbledore, James", sagte sie nach einer halben Ewigkeit des Schweigens und Weinens. "Du mußt sofort gehen, bevor noch mehr schlimme Dinge geschehen."
James schien sie erst nicht gehört zu haben, doch dann nickte er, zog die Nase hoch und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. Sie hatte recht. Er durfte hier nicht sitzen, wie ein Kind, er mußte los und sofort etwas unternehmen.
"Wir haben noch etwas Flohpulver, damit kommst du am schnellsten nach Hogsmeade. Ich werde es für dich holen." Während Lily das Flohpulver aus der Küche holte, ging James hinauf ins Schlafzimmer, um sich anzuziehen. Er fühlte sich merkwürdig leer und schuldig. Aber er hatte unmöglich wissen können, daß sein Handeln solche Konsequenzen nach sich ziehen würde. Er hatte einfach nur nach seinem Gewissen gehandelt, so wie seine Eltern es ihm beigebracht hatten. Und jetzt hatten seine Eltern für ihn mit dem Leben bezahlt. War dieser schwarze Lord wirklich so feige?
James spürte die unglaubliche Wut in sich und das Entsetzen darüber, daß so etwas passieren konnte.
Als er wieder hinunter ins Wohnzimmer kam, wartete Lily auf ihn. Der kleine Harry war auf ihrem Arm eingeschlafen. Er warf sich seinen Umhang über die Schulter, drückte Lily einen Kuß auf die Wange und griff dann in die Schüssel mit dem Flohpulver. Er schluckte, als er in den großen Kamin trat. Dann warf er das Flohpulver mit einer finsteren Entschlossenheit in die Reste der Glut und rief:
"Drei Besen, Hogsmeade!" Grelle grüne Flammen loderte um ihn herum auf und im nächsten Moment war er verschwunden.
Lily starrte noch einen Moment unentschlossen in den Kamin, bevor sie Harry die Treppe hinauf in sein Bett zurück brachte. Zum ersten Mal erkannte sie wirklich, zu was Lord Voldemort in der Lage war. Zum ersten Mal erkannte sie das ganze Maß seiner Grausamkeit und es erschreckte sie.
Sie blickte auf Harry, der friedlich schlafend in seinem Bettchen lag. Warum nur mußte der kleine Kerl in einer so unsicheren Welt aufwachsen?


Als James am nächsten Morgen nach Hause zurückkehrte, fand er Lily an Harrys Bettchen, wo sie eingeschlafen war. Einen Moment lang betrachtete er seine kleine Familie, wie sie friedlich schlafend der grausamen Realität für wenige Augenblicke entflohen war, und lächelte. Warum nur hatten sie diese Pest von Voldemort verdient? Was hatte die Welt verbrochen, daß sie solch ein böses Element geschickt bekam, das alle in Angst und Schrecken versetzte?
Lily bewegte sich im Schlaf und wachte langsam auf. Sie blinzelte und rieb sich müde die Augen. Sie spürte James' Blick auf sich und drehte sich zu ihm um. Besorgt sah sie ihn an. Er sah furchtbar aus, aber nach dieser Nacht war das auch kein Wunder.
Ihre Rücken schmerze, als sie von dem Stuhl an Harrys Bettchen aufstand und zu ihm hinüber ging. Sanft fasste sie ihn am Arm und zog ihn aus dem Zimmer. Sie wollte nicht, daß Harry aufwachte, aber sie mußte wissen, was Dumbledore gesagt hatte.
Sie gingen hinunter in die Küche und während Lily Frühstück machte, erzählte James von seinem Gespräch mit Dumbledore.
"Wir müssen nun einen unserer Freunde auswählen, der als Geheimniswahrer für uns auftreten wird." Lily schenkte ihm lächelnd einen Kaffee ein.
"Die Entscheidung dürfte doch nicht schwer fallen. Ich denke, Sirius wird die Aufgabe gerne übernehmen." James nickte. Natürlich hatte auch sofort an seinen besten Freund gedacht.


Severus erfuhr erst aus der Zeitung, daß der Mord an Potters Eltern wirklich, wie befohlen, ausgeführt worden war. Aber das war auch nicht weiter verwunderlich. Voldemorts Befehle wurden stets sofort ausgeführt.
Aber trotzdem schnürte es ihm den Hals zu, denn er erkannte den größten Fehler, den er in seinem ganzen Leben gemacht hatte. Lily bei den Potters sicher zu wähnen, war eine übermäßige Dummheit gewesen und jetzt war sie dort nicht nur nicht sicher, sondern auch noch in großer Gefahr. Er verfluchte sich dafür, daß er sie gebeten hatte, bei James zu bleiben und sogar seine Frau zu werden. Er verfluchte den Tag, an dem er in die Dienste des Dunklen Lords getreten war, statt mit Lily zu verschwinden und niemals wieder hierher zurück zu kehren.
Nur sehr schwer widerstand er dem Drang, einfach loszugehen und Lily zu holen, um mit ihr zu verschwinden oder noch törichter, sofort nach Hogwarts zu reisen, um Dumbledore um Hilfe zu bitten.
Nur die Hoffnung, daß James und Lily das bereits selbst getan hatten, hielt ihn von dieser Dummheit ab.
Er haßte sich in diesem Moment für sein Pflichtgefühl, denn nur dieses war daran Schuld, daß er nicht alles sofort hinwarf und seinen Gefühlen nachgab.
Die folgenden Tage zogen sich grausam langsam hin, doch je länger er nichts mehr von einem Angriff auf die Familie Potter hörte, um so ruhiger wurde Severus. Er wußte zwar, daß es noch nicht vorbei war, aber vielleicht waren die drei schon in Sicherheit.
Und dann kam eine kurze Notiz von Dumbledore, die seine Sorgen alle mit einem Schlag zerstreute und ihm seine Sicherheit zurückgaben, daß es Lily gut ging und ihr nichts geschehen würden.

Ich habe James und Lily an einem geheimen Ort verborgen und Voldemort wird mit keinem Zauber der Welt in der Lage
sein, sie aufzuspüren. Finde heraus, was er vorhat und unterrichte mich davon!


Severus wußte, daß Dumbledore damit meinte, daß sie einen Geheimniswahrer hatten, der für sie das Geheimnis ihres Aufenthaltsortes hütete. Somit waren sie für Voldemort unerreichbar. Er konnte sie nicht finden, denn nur der Geheimniswahrer war in der Lage, diesen mächtigen Zauber zu brechen, indem er das Geheimnis verriet. Und das würde sicher nicht passieren, denn wie er James kannte, hatte er Sirius zu seinem Geheimniswahrer erwählt und der loyale Sirius war mit Sicherheit die beste Wahl, die man treffen konnte.
Severus fragte sich, was Dumbledore wohl wegen Lilys Eltern unternommen hatte, kam aber dann zu dem Schluß, daß dieser Zauber sie wohl mit einschloß. Er brauchte sich keine Sorgen machen und konnte sich wieder seiner Aufgabe widmen. Das hatte immer noch höchste Priorität. Es klopfte an seine Tür und Severus stopfte den kleinen Zettel hastig in eine Tasche in seinem Umhang.
"Herein!" schnarrte er in Richtung Tür und Lucius streckte seinen Kopf herein. Lucius wirkte blaß und übernächtigt und Severus konnte sich denken, woran das lag. Er konnte Lily und James nicht finden. Nur mit Mühe verkniff er sich das hämische Lächeln, das sich in diesem Moment auf seinem Gesicht ausbreiten wollte.
Er nahm eine Handvoll von Goliaths Eulenfutter und schüttete es in den Napf des Vogels. Dabei ließ er Lucius nicht aus den Augen.
"Wie kann ich dir helfen, Lucius?" fragte er ruhig, um den älteren Mann zum Sprechen zu bringen.
"Er will dich sehen. Sofort." Severus nickte und schüttete noch ein wenig Wasser nach, bevor er sich das Haar nach hinten strich und Lucius folgte. Sie schwiegen auf dem Weg zu Lord Voldemort, aber Severus' Blick brannte tiefe Löcher in Lucius' Rücken. Er empfand nicht das geringste, wenn er daran dachte, daß er die Eltern von James Potter getötet hatte. Das war ihm sogar absolut egal. Aber der Gedanke daran, daß er nun auf der Jagd nach Lily war und das vermutlich sogar sehr genoß, machte ihn in diesem Moment beinahe rasend. Und er hoffte inständig, daß er dabei sein würde, wenn Lucius dafür bezahlen mußte, daß er keinen Erfolg gehabt hatte, denn es bestand keinerlei Hoffnung für ihn, die drei verbliebenen Potters zu finden. Ein kurzes Lächeln erhellte seine Züge. Falsch, den letzten verbliebenen Potter. Manchmal vergaß sogar er das.
Lucius stieß die Tür zu Lord Voldemorts Empfangszimmer auf und sofort setzte Severus sein ernstes, unbewegtes Gesicht auf, das er dem Dunklen Lord stets zeigte.
Voldemort stand mit dem Rücken zu seinen beiden Todessern und als er sich umdrehte, hatte er ein furchtbares Lächeln auf den unmenschlichen Zügen. Severus hatte sich schon oft gefragt, wie viele schwarzmagische Rituale dieser Mensch schon durchgemacht haben mußte, um dieses Aussehen zu erreichen. Er wußte, daß Voldemort auf seine Unsterblichkeit hinarbeitete und er kannte viele der Rituale, die man durchführen mußte auf dem Weg dorthin. Aber noch nie hatte Severus jemanden gesehen, der das auch bereits getan hatte und kurz vor dieser Unsterblichkeit stand. In seinen kühnsten Träumen hatte er sich nicht ausgemalt, daß ein solcher Mensch so gar nicht mehr menschlich sein würde.
"Severus! Schön, daß du meinem Ruf so rasch gefolgt bist. Ich hoffe, ich habe dich nicht von einer wichtigen Aufgabe abgehalten." Severus verbeugte sich leicht, das Gesicht immer noch ohne jede Regung, ohne jedes Zeichen von Leben oder Emotion.
"Nein, Meister. Ich war nur gerade dabei, meinen Aufbruch zur Universität vorzubereiten. Ich erwarte für die heutige Nacht eine neue Lieferung an Zutaten, mit denen ich in der Lage sein werde, den von Euch gewünschten Trank endlich fertig zu stellen." Voldemort zeigte für einen kurzen Moment so etwas wie ein zufriedenes Lächeln, ein kaltes Lachen aus seinem Mund jagte Severus Schauer über den Rücken.
"Immer fleißig, meine kleine Kobra. Ich glaube, es war Lucius' beste und intelligenteste Tat, deine Aufnahme in meine Reihen vorzuschlagen." Lucius wußte nicht, ob er stolz sein oder sich beleidigt fühlen sollte. Im Vergleich zu Severus erhielt er selten Lob für seine Taten. Aber er war ja auch nichts weiter als jemand, der die Drecksarbeit machte. Er war nicht brillant wie Severus. Nur allzu bitter wurde das Lucius beinahe täglich bewußt.
"Wenn du mit deinem momentanen Projekt fertig bist, habe ich eine sehr leichte Aufgabe für dich, Severus. - Sozusagen als kleine Entspannung."
Wenn er nicht gewußt hätte, daß das beim Lord der Dunkelheit gar nicht mehr möglich war, hätte Severus schwören können, daß er Zuneigung aus der unwirklichen Stimme heraus hörte.
"Ich brauche einen sehr starken Wahrheitstrank von dir. Ich denke, das ist eine deiner leichteren Übungen, nicht wahr?" Severus blickte auf, den kalten harten Blick direkt auf Voldemort gerichtet und lächelte.
"Wenn er nicht drei Tage köcheln müßte, würde ich ihn euch schon morgen früh überreichen." Voldemort nickte zufrieden.
"Dann mach dich jetzt auf den Weg, Severus. - Lucius, du bleibst noch." Severus zog sich zurück und schloß hinter sich die Tür. Doch er ging noch nicht, sondern wagte es ein weiteres Mal, die beiden zu belauschen. Er wußte, wie leichtsinnig das war, aber er konnte den Dunklen Lord ebenso wenig einfach fragen, was er im Bezug auf Potter unternehmen wollte.
"Lucius, ich bin keineswegs zufrieden mit dir", zischte Voldemort Lucius an und sogar Severus spürte einen unangenehmen Stich der Angst. Wie mußte Lucius sich erst fühlen?
"Es war eine weit schwierigere Aufgabe, Camille und Charles Potter aus dem Weg zu räumen, trotzdem hast du das geschafft und bist jetzt nicht in der Lage, diesen verfluchten James zu finden. Erkläre dich."
"Meister, ich habe den Verdacht, daß es hier nicht mit rechten Dingen zugeht", erwiderte Lucius weniger ängstlich, als Severus erwartet hatte und das gefiel ihm nicht sonderlich.
"Von unserem Spion im Ministerium weiß ich, daß Fudge sich noch in der Nacht des Todes seiner Eltern mit James Potter unterhalten hat und danach ist er wohl auf direktem Weg nach Hogwarts gereist. Ich befürchte, Dumbledore, der alte Narr, ist auf eine brillante Idee gekommen, um Lily, James und das Balg zu schützen."
Er hörte das kalte Lachen Voldemorts. "Du solltest dir eines merken, Lucius. Dumbledore ist so manches, aber sicher kein Narr. Wenn man es zu etwas bringen will, dann sollte man seine Freunde und Feinde niemals leichtfertig unterschätzen, sonst kostet es dich eines Tages den Kopf.
Die sprichst also davon, daß es einen Geheimniswahrer gibt." Severus' Herz machte einen unangenehmen Sprung. Natürlich hatte er gewußt, daß es nicht lange dauern würde, bis Voldemort das herausfand, aber er hatte doch gehofft, daß es etwas länger dauern würde.
"Ganz richtig. - Und ich kann mir auch vorstellen, wer es ist. James Potter nennt drei Zauberer seine besten Freunde. Sirius Black, Remus Lupin und Peter Pettigrew. Einer von ihnen wird mit Sicherheit der Geheimniswahrer der Potters sein."
"Sehr gut Lucius, ich habe doch noch Hoffnung für dich, daß du eines Tages durch mich ganz groß werden wirst." Für einen kurzen Moment trat Schweigen ein und dann hörte er, wie Voldemort wieder ansetzte.
"Ich möchte, daß du mir diese drei herbringst. Du solltest in der Lage sein, wenigstens sie zu finden, wie ich hoffe. Mit dem Trank, den ich Severus brauen lasse, werden wir das Geheimnis schon aus ihnen herauskriegen."
Severus erstarrte. Er hatte genug gehört und machte sich auf den Weg, aus dem Palais zu verschwinden. Auf dem Weg zur Universität mußte er ständig an Voldemorts letzte Worte denken. Er mußte etwas unternehmen oder der Plan des Dunklen Lords konnte wirklich aufgehen.
Als er die Keller der Universität erreicht hatte, entschloß er sich, Dumbledore einen Brief zu schreiben und ihn zu bitten, die drei Freunde zu warnen und zu schützen. Unter normalen Umständen würde keiner von ihnen drei zu einer Gefahr für James werden, da war er sich sicher, aber wenn der Wahrheitstrank ins Spiel kam, dann konnten sie schlicht nicht anders.


Noch in der selben Nacht erhielt Dumbledore die Nachricht von Severus und versammelte die drei Freunde in Hogwarts. Sirius, Remus und Peter schienen alle äußerst nervös, wenn auch Peter den Eindruck machte, am stärksten von der drohenden Gefahr niedergedrückt zu werden.
"Ich hatte gehofft, daß uns mehr Zeit bleiben würde, aber wie ich heute Nacht erfahren habe, hat Voldemort Lucius Malfoy und seine Schergen losgeschickt, nach euch zu suchen, um aus euch das Geheimnis um den Verbleib von Lily, James und Harry herauszupressen."
Sirius schnaubte verächtlich und blickte Dumbledore fest in die Augen. "Wir werden niemals reden und wenn er sich auf den Kopf stellt."
Dumbledores Augen leuchteten warm, als er Sirius ansah. "Voldemort ist nicht dumm, Sirius. Er hat Severus Snape in seinen Reihen, es besteht also gar keine Frage, wenn er euch in die Finger bekommt, verabreicht man euch das beste Wahrheitsserum, das die Welt bisher gesehen hat." Er hörte, wie Sirius etwas von einem dreckigen Verräter murmelte, doch er entgegnete nichts. Severus' Deckung mußte perfekt sein und indem er den Haß der drei jungen Männer gegen ihn noch ein wenig schürte, wurden seine Chancen besser.
"Ich muß euch daher bitten, euch auf die Flucht zu begeben. Ihr müßt euch verstecken, dürft niemandem trauen, niemandem sagen, wer ihr wirklich seid. Bleibt in Kontakt mit mir, aber verratet mir nie, wo ihr gerade seid. Ich werde euch sagen, wenn ihr zurückkommen könnt.
Wir haben einen Plan und wenn alles so läuft, wie wir es geplant haben, dann geht die Herrschaft Voldemorts ihrem Ende zu. Aber bis es soweit ist, dürfen wir das Leben der Potters nicht gefährden." Sirius ballte die Hand zur Faust. Die Nachricht vom Tod der Potters hatte ihn fast so hart getroffen, als hätte Voldemort seine eigene Familie getötet und er wußte, daß es seinem besten Freund mehr als dreckig ging. Daß er jetzt auch noch fliehen mußte, paßte ihm gar nicht. "Sir, es muß doch einen anderen Weg geben."
Dumbledore schüttelte den Kopf. "Im Moment nicht, Sirius. Alles was ihr für James tun könnt, ist euch aus dem Staub zu machen und England und gleich am besten auch Europa für eine Weile verlassen." Er sah den drei abwechselnd in die Gesichter.
"Ich bitte euch, vertraut mir und der Liga im Kampf gegen Voldemort. Wir werden erfolgreich sein und euch aus eurer Verbannung zurück holen, sobald der Sieg unser ist."
Sirius nickte entschlossen und stand auf. "Ich werde gehen", sagte er mit fester Stimme und sah Remus und Peter an, die ebenfalls nickten. Remus hatte sogar eines seiner schalkhaften Grinsen auf dem Gesicht, so daß auch Sirius lächeln mußte. Remus war wohl derjenige unter ihnen, der noch jeder Situation etwas Positives abgewann, über das er sich freuen konnte.
"Ich danke euch und ich glaube, James und Lily geht es genauso." Nachdem die drei jungen Männer sein Büro verlassen hatten und sich auf den Heimweg machten, um ihre Abreise vorzubereiten, blieb Dumbledore nachdenklich an seinem Schreibtisch sitzen. Müde fuhr er sich über die Augen.
Er hatte ein ungutes Gefühl und wußte nicht, wie er es einordnen sollte. Obwohl alles perfekt schien, hatte er doch das Gefühl, daß etwas Unvorhergesehenes passieren würde.
Obwohl Dumbledores Meinung über diese Form der Magie geteilt war, wünschte er sich in diesem Moment, er würde dem kleinen Kreis der wahren Seher angehören. In solch dunklen Zeiten wünschte man sich doch nichts sehnlicher, als die Zukunft zu kennen, in der Hoffnung, daß sie besser war, als die Zeit, die man gerade durchlebte.


Über ein Jahr verging, in denen Lucius und seine Schergen sowohl vergeblich nach James und Lily Potter als auch nach Sirius, Remus und Peter suchten. Severus grinste in seinen einsamen Stunden im Labor still in sich hinein, denn er wußte, daß Dumbledore dafür gesorgt haben mußte, daß alle für Voldemort unerreichbar wurden.
Voldemort dagegen war nun immer öfter äußerst schlechter Laune. Sein Plan, die Unsterblichkeit zu erreichen, ging bei weitem nicht so gut voran, wie er sich das vorgestellt hatte und die Zauberer, die Dumbledore um sich gescharrt hatte, wurden nicht nur immer zahlreicher, sondern auch mächtiger und trieben ihn zwar langsam, aber stetig immer weiter in die Enge.
Severus wußte, daß Voldemort in Zugzwang geriet und die Bedrohung für den Dunklen Lord von Tag zu Tag stieg. Immer mehr treue Todesser aus den Reihen Voldemorts fielen täglich der Verfolgung durch das Zaubereiministerium zum Opfer und wer nicht sofort von ihnen getötet wurde, wurde nach Askaban verschifft, von wo nie wieder einer von ihnen zurückkehren würde.
Nicht zum ersten Mal fragte er sich, ob wohl auch er eines Tages mit den Auroren zusammen treffen würde und ob sie ihn dann auch töten oder verhaften würden. Sie konnten nicht wissen, daß er als Spion tätig war. Nicht nur er selbst wußte, daß es innerhalb des Ministeriums Spione gab. Auch Dumbledore war das bewußt. Also konnte man die Leute, die wußten, daß Severus Snape kein wahrer Todesser, sondern Agent war, mit Sicherheit an einer Hand abzählen.
Doch Severus konnte nicht behaupten, daß er dieser Tage in schlechter Stimmung war. Er war sogar äußerst gut gelaunt und verfolgte täglich mit wachsender - wenn auch natürlich gut versteckter - Begeisterung die neuesten Nachrichten, die der Tagesprophet über den Kampf gegen Voldemort brachte. Immer häufiger standen jetzt seine Mißerfolge auf der Titelseite und verschwunden waren die Zeiten, in denen man erzitterte, wenn man die Zeitung aufschlug.
Severus hoffte inständig, daß das ein Trend war, der auch anhielt bis zu dem Tag, an dem die Zeitung die Vernichtung Voldemorts verkünden würde. Er wünschte sich immer öfter nichts sehnlicher herbei, als den Tag, an dem er endlich von hier fortgehen und Lily von James Potter wegholen konnte. Lily und seinen kleinen Sohn, den er immer noch nicht gesehen hatte, obwohl er jetzt schon älter als ein Jahr war. Er lächelte bitter. Er nannte James bestimmt schon Papa. Aber noch war er jung genug, James bald zu vergessen und dann würde es nur noch ihn geben, Severus, seinen wirklichen Vater. Und er würde dieses Kind lieben, wie er die Mutter liebte und es würde niemals all die schrecklichen Dinge durchmachen müssen, die er als Kind erlebt hatte.
Ablehnung und Anfeindung sollten dem kleinen Harry fremd sein.


 

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