Des Giftmischers Herz

 

 

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Kapitel 5: Remus, Rumtreiber und Animagi

 

London, Bahnhof King's Cross, 1. September 1972…

Vieles kam Lily vor wie ein Déjà Vu, als sie sich zum zweiten Mal in ihrem Leben auf den Weg nach Hogwarts machte. Das gleiche mürrische Gesicht ihrer Schwester, die gleiche Aufregung und der gleiche Stolz bei ihren Eltern. Und die gleiche Nervosität bei ihr. Zwar wußte sie jetzt, was sie erwartete und es war nicht mehr die gleiche Spannung wie im Jahr zuvor, aber sie war einer neuen Anspannung gewichen, einer großen Vorfreude, die sich warm in ihr ausbreitete, als sie nun den Bahnhof betrat.
Gleich würde sie Severus endlich wiedersehen. Die zwei Monate ohne ihn waren sehr lang gewesen und erst in den Sommerferien hatte sie so richtig begriffen, wie viel ihr Severus wirklich bedeutete. Erst als sie gemerkt hatte, daß sich ihre Angst, nicht in die Zaubererwelt zu gehören, in das genaue Gegenteil verkehrt hatte. Sie gehörte nicht mehr in die Welt der Muggel. Sie konnte mit ihnen leben, mit ihnen lachen, so wie früher, aber ihr Platz war nicht mehr dort. Sie liebte ihre Eltern nicht weniger, nur weil sie jetzt eine Hexe war und sich durch ihr Anderssein immer weiter von ihnen entfernte, aber sie wußte, sie würde ihr Leben schon sehr bald ohne die beiden und Gott sei Dank auch ohne Petunia leben. Sie wußte, daß sie, kaum daß sie ihre Ausbildung in Hogwarts beendet hatte, fortgehen und vielleicht auch schon eine eigene Familie gründen würde. Nach außen hin würde sie ein scheinbar normaler Muggel sein und ihr wahres Leben blieb für alle anderen im Verborgenen.
Die Erkenntnis von zwei Monaten, in denen sie von ihrem neuen, liebgewonnenen Leben abgeschnitten gewesen war.
"Ich verstehe nicht, daß keiner diese Verrückten mit ihren Umhängen zu beachten scheint", grummelte Petunia in ihre Arme, die sie vor der Brust verschränkt hatte. Lily drehte sich nicht einmal zu ihr um.
"Weil Muggel nur das sehen, was sie sehen wollen. Und weil sie nicht an Magie glauben, sehen sie auch nicht, daß einige Leute auf diesem Bahnhof hier anders sind. Gerade du solltest doch verstehen, was es heißt, Tatsachen zu verleumden." Lily hörte, wie Petunia ein Geräusch von sich gab, das wie ein beleidigtes ‚püh' klang, doch bevor sie noch einen draufsetzen konnte, griff Jane Evans ein.
"Kinder, ihr solltet euch nicht streiten. Schließlich seht ihr euch bald wieder für eine sehr lange Zeit nicht und ihr müßt immer daran denken, daß man nie im Streit auseinander gehen darf. Euch wird es nie leid tun, wenn ihr euch freundlich von jemandem verabschiedet habt, aber geschieht es im Streit, kann es einen Menschen manchmal ein Leben lang verfolgen."
Petunia tat so, als hätte sie ihre Mutter gar nicht gehört und die Decke des Bahnhofsgebäudes schien plötzlich rasend interessant. Lily nickte leicht, doch sie glaubte nicht daran, daß sie und ihre Schwester es noch einmal schaffen würden, sich einander anzunähern. Petunia nahm es ihr viel zu übel, daß sie eine Hexe war, obwohl Lily dafür gar nichts konnte. Schließlich war Hexe sein nichts, was man lernen konnte, wenn man nicht von Geburt an die Anlagen dazu hatte.
Petunia war verbohrt und Lily hatte nicht die Lust, sich damit länger zu beschäftigen. Es war wirklich nicht ihr Problem, sollte Petunia es mit sich selbst ausmachen.
Ein paar Meter vor ihnen hatte Lily Severus und seine Familie entdeckt. Sie spürte den Drang, einfach auf sie zuzulaufen und Severus zu umarmen, doch seit sie von der Einstellung der Eltern wußte, war Lily klar, daß das vermutlich niemals sein konnte.
Es versetzte ihr einen Stich, doch sie wischte das Gefühl weg. Schließlich ging dieser Haß nicht gegen ihre Person an sich, sondern gegen die Tatsache, daß sie kein "reines" Blut hatte. Diese Leute waren einfach dumm und verbohrt, kein Grund, daß sie sich den Kopf darüber zerbrach.
Auch Severus hatte Lily schon entdeckt, bemühte sich aber, ihr keine Beachtung zu schenken. Da in den letzten beiden Ferienwochen keine Eulen mehr für ihn gekommen waren, hatte sich das Mißtrauen seines Vaters wieder etwas gelegt, aber wenn er jetzt einer Muggelhexe zu viel Beachtung schenkte, würde das vermutlich alles wieder nach oben bringen. Er würde Lily ja im Zug für viele Stunden ganz für sich allein haben.
"Wir haben noch ein bißchen Zeit, wollen wir nicht noch etwas trinken gehen?" schlug Lilys Vater vor. Bis auf Petunia, die nur ein dumpfes Knurren von sich gab, waren alle begeistert, es war schon eine sehr lange Fahrt bis nach London gewesen, ein bißchen Entspannung konnte nicht schaden...
James sah Lily, als sie mit ihren Eltern in einem der Bahnhof-Cafés Platz nahm. Die ganzen Ferien über hatte er sich den Kopf zerbrochen, wie es wohl sein würde, wenn er sie im September wieder sah. War sie immer noch sauer auf ihn? Oder würde sie ihm verzeihen und alles war wieder in Ordnung? Sie konnte es ihm doch schließlich nicht ewig übel nehmen, daß er hinter Severus her spioniert hatte. Zumal ja nichts Schlimmes herausgekommen war. Severus hatte sich ja leider von seiner guten Seite gezeigt.
Er fing Lilys Blick auf, doch als sie ihn sah und erkannte, erstarrten ihre Gesichtszüge zu einer kalten Maske und sie wandte ihren Blick ab. James sank unmerklich ein wenig in sich zusammen. Es konnte einfach nicht so weiter gehen, wie die letzten Monate. Der Schmerz war einfach zu groß und überwältigend für ihn. Noch länger würde er es nicht aushalten, von Lily verachtet und ignoriert zu werden.

Der Abschied auf Gleis 9 ¾ fiel diesmal eher kurz aus. Lily und ihre Familie hatten so lange in dem Café gesessen, daß sie fast zu spät zum Gleis kamen und Lily mußte praktisch schon auf den fahrenden Zug aufspringen. Sie stand winkend an einem der Gangfenster, bis der Zug den Bahnhof verlassen hatte, dann machte sie sich auf die Suche nach Severus. Sie fand ihn im vorletzten Abteil des Zuges, und mal wieder hatte er es geschafft, daß das Abteil bis auf ihn leer war.
"Ist hier noch frei?" fragte sie. Sofort hellten sich seine blassen und düsteren Gesichtszüge auf und er wandte seinen Blick der Tür zu.
"Lily! Ich dachte schon, du hättest dich in ein anderes Abteil gesetzt!"
Lily zog ihren großen Schrankkoffer in das Abteil und schob die Tür zu. "Nein, nein, ich hab nur fast den Zug verpaßt, weil wir noch in einem Café gesessen haben." Sie ließ sich auf die leere Sitzbank fallen und lächelte glücklich.
"Gott sei Dank sind diese Ferien vorbei. Ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr ich mich auf Hogwarts freue und auf Hagrid und wie sehr ich dich vermißt hab. Ich hätte nie gedacht, daß die Welt der Muggel so langweilig sein kann. Alles, was immer normal für mich war, ödet mich nur noch an!"
Severus entspannte sich und lehnte sich in seinen Sitz zurück. "Ich hab dich auch sehr vermißt. - Ähm, Lily..." Er senkte verlegen den Blick.
"Hm?"
"Du hast zwar gesagt, ich soll dir nichts schenken, aber... ich hab hier was für dich." Er hielt ihr ein kleines blaues Glasfläschchen hin. "Ich hab es selbst gemacht."
Lily nahm das kleine Fläschchen, öffnete es und roch daran. Ein reiner Reflex, den sie alle hatten, seit sie Zaubertränke brauten. Die Flüssigkeit darin roch nach gar nichts. Sie sah Severus verwundert an.
"Und was genau ist das?"
"Es ist ein Parfüm."
Wieder roch Lily an der Flasche, schüttelte dann aber verwirrt den Kopf. "Aber es riecht doch nach gar nichts."
Severus lachte. "Es ist natürlich ein Zauberparfüm. Es wird erst nach etwas riechen, wenn du es aufträgst. Es verändert seinen Duft ganz individuell nach Jahreszeit, Stimmung der Trägerin usw. Und es paßt immer perfekt. - So stand es zumindest in dem Buch." Er wurde ein bißchen rot.
Lily trug ein wenig von der Flüssigkeit auf ihr Handgelenk auf und roch daran. Ihre Miene hellte sich auf. Es roch nach Herbstblumen, Nebel und ein wenig nach Regen.
"Das ist ja wunderbar! Danke, Severus! Ich habe noch nie etwas gesehen, das so toll riecht!"
Obwohl er sie jetzt ein Jahr lang kannte, waren Lilys Gefühlsausbrüche für Severus immer noch überraschend und viel zu plötzlich. Als sie jetzt in seine Arme flog, fühlte er sich im ersten Moment wie gelähmt. Aber er war glücklich. Er begann zu begreifen, was er sein Leben lang vermißt hatte. Nicht Liebe und Zuneigung an sich, sondern Lily. Er wußte ganz sicher, nur sie konnte ihn jemals glücklich machen und ohne sie würde er ein verbitterter von Haß erfüllter Mann werden. Doch sie würde ihn davor bewahren. Sie würde gar nicht erst zulassen, daß es so weit kam.
Lily spürte Severus' Herzschlag durch seine Kleidung hindurch ganz deutlich und er roch auch immer noch genauso wie bei ihrer letzten Umarmung vor den Ferien. Kräuter und Zaubertrankzutaten.
Es war nicht das erste Mal, seit sie in Hogwarts zur Schule ging, daß sie sich fragte, ob wohl doch alles im Leben Schicksal war. Denn wenn es so war, dann war Severus ihres, da war sie sich sicher. Irgendwie wußte sie, daß das Glück, das sie empfand, wenn sie und Severus zusammen waren, lernten oder redeten oder auch einfach nur schwiegen, etwas war, was man nicht oft im Leben erfuhr, manche erfuhren es wahrscheinlich nie. Gerade mal zwölf Jahre hin oder her, sie war in Severus verliebt.
"Warte erst einmal bis Weihnachten, dann riechst du bestimmt, wie ein riesiger Lebkuchen", grinste Severus.
Lily schmiegte ihren Kopf immer noch an seine Brust und je länger sie in dieser Haltung bliebt, desto entspannter wurde Severus. Es fühlte sich richtig an, also konnte es nur richtig sein. Plötzlich fiel ihm etwas ein.
"Oh, ich hab ja noch etwas für dich. Als ich mit meinen Eltern in der Winkelgasse war, hab ich es geschafft, daß ich diesmal meine Bücher alleine kaufen konnte, weil Vater und Mutter sich neue Umhänge kaufen wollten und ich noch keine brauchte. Sie hassen Einkaufen, darum waren sie über die Zeitersparnis sehr froh."
Lily ließ ihn los und er griff in den großen schwarzen Beutel neben sich auf dem Sitz. "Darum hab ich dir das gekauft."
Lily nahm das große, in braunes Packpapier eingepackte Päckchen und machte es auf. Es war eine brandneue Ausgabe von ‚Das ultimative Lehrbuch der Zaubertränke Band 1', in wunderschönes dunkelgrünes Leder eingebunden. Der Einband war mit Gold beschriftet und mit goldenen Ornamenten verziert. Lilys Augen wurden größer und größer. "Severus! Das war doch bestimmt sehr teuer. Das ist ja eine absolute Edelausgabe."
Severus lächelte. Er liebte dieses Gefühl, wenn er Lily eine Freude machen konnte. "Das ist doch vollkommen egal. Ich hab versprochen, daß du das Buch von mir bekommst, also halte ich mein Versprechen auch."
Lily strich sanft über den weichen Ledereinband. "Ja, zum Geburtstag oder zu Weihnachten, wenn es denn unbedingt sein muß, aber doch nicht einfach so."
"Hey, sieh es als Geburtstagsgeschenk für die Zeit an, in der ich dir nichts schenken konnte, weil ich dich nicht kannte. Dann ist es direkt schon ein popeliges Geschenk. - Und jetzt freu dich über dein Buch." Er zwinkerte ihr zu.
Lily drückte das Buch an sich und verstaute es dann sicher in ihrem Rucksack.

Sie hatten sich beide so viel zu erzählen, daß sie gar nicht merkten, wie die Stunden verflogen, bis die alte Hexe mit dem Süßigkeitenwagen die Tür zu ihrem Abteil aufschob. Severus kaufte Kürbiskuchen, Schokofrösche und Kürbissaft für sie beide, denn mit der Zeit hatten sie doch Hunger bekommen. Während sie aßen, sah Severus abwesend aus dem Fenster des Zuges auf die vorrasende Landschaft. Lily beobachtete ihn dabei.
"Sag mal", sagte sie schließlich nach einer ganzen Weile, "warum halten so viele Schüler in Hogwarts dich für unfreundlich und sogar gefährlich? Warum will keiner etwas mit dir zu tun haben? Für mich bist du der liebste Mitschüler in der ganzen Schule, aber die anderen denken nicht so und warnen mich ständig davor, zu viel Zeit mit dir zu verbringen."
Für einen kurzen Moment versteinerte Severus' Miene und Lily bereute es, daß sie überhaupt etwas gesagt hatte. So etwas sagte man nicht zu seinem besten Freund oder? Selbst dann nicht, wenn man ihm nur helfen wollte.
Severus schlug die Augen nieder. "Weil ich anders bin", antwortete er schließlich, sah Lily dabei aber nicht an, sondern weiter aus dem Fenster des Zuges.
Lily antwortete nicht, sondern wartete und schließlich sprach er weiter.
"Ich bin das einzige Kind meiner Eltern. Ich hatte eine jüngere Schwester, sie ist allerdings gestorben, als sie gerade drei Jahre alt. Von da an war meine Mutter ganz verändert. Sie war nicht immer so kalt und gefühllos mir gegenüber. Nein, als meine Schwester noch lebte, war sie sogar eine sehr warmherzige Mutter. Sie hatte zwar auch damals schon die selben Ansichten über Muggel usw., aber sie liebte ihre Kinder.
Das hat sich mit dem Tod meiner Schwester geändert. Ich war gerade fünf Jahre alt und hab nicht begriffen, daß es falsch ist, daß meine Mutter kein nettes Wort für mich hat oder daß mein Vater mich dazu ausersehen hatte, einen berühmten Zauberer aus mir zu machen.
Meine Kindheit war geprägt von Kälte, Drill und Haß. Weißt du, ich empfinde gar nichts dabei, wenn ich über meine Eltern sage, daß ich sie hasse. Ich empfinde nicht einmal etwas, wenn ich es ihnen direkt ins Gesicht sage und das habe ich weiß Gott schon getan." Er stützte sein Kinn auf seine Hand und Lily erkannte nur zu deutlich, wie schwer es ihm fiel, sich ihr zu öffnen und über Dinge zu reden, die ihn offensichtlich sehr verletzt hatten und auch noch verletzten.
"Ich hatte bis zu dem Tag, an dem ich dich kennen gelernt hatte, keinen Freund. Sicher, ich kenne Lucius Malfoy und ein paar andere Slytherins schon seit meiner frühesten Kindheit, aber das sind keine Freundschaften. Diese Jungs sind Schlangen, man darf ihnen nicht die Gelegenheit bieten, einen anzufallen, sie würden es sofort tun.
Ich habe mich also stets in mich selbst zurückgezogen, bin nicht aus mir herausgegangen. Und das macht mich zu einem Außenseiter.
Weil ich noch dazu ein Slytherin bin, von dessen Eltern bekannt ist, daß sie den dunklen Künsten eher zugewandt sind, als der weißen Magie, traut mir in der ganzen Schule niemand. Das gilt nicht nur für Gryffindor, Hufflepuff und Ravenclaw. Auch in meinem eigenen Haus halten sie mich für gefährlich.
Ich weiß mehr über die dunklen Künste als die Schüler der Abschlußklasse. Und vor allem weiß ich auch, wie man die dunklen Flüche richtig anwendet. Wenn ich wollte, könnte ich auf der Stelle in einer einzigen Sekunde töten. Ich beherrsche den Todesfluch wie andere Zweitkläßler ‚Alohomora'. Das alles hat mein Vater mir beigebracht und er erwartet von mir, daß ich dieses Können eines Tages auch einsetzen werde."
Lily schlug die Hand vor den Mund. In ihren grünen Augen stand Angst. Severus lächelte matt. "Keine Sorge, ich habe es nicht vor. - Vielleicht hast du schon davon gehört. Seit einiger Zeit zieht ein mächtiger dunkler Zauberer durch das Land und scharrt Zauberer und Hexen um sich. Er nennt sich Lord Voldemort, der dunkle Lord. Ich bin mir sicher, daß es nicht mehr lange dauert, bis mein Vater zu seinen engsten Anhängern gehören wird, denn dieser Zauberer macht den Zauberern und Hexen Versprechungen, die dem Weltbild meines Vaters perfekt entsprechen. Ich glaube, er ist so etwas wie in eurer Welt dieser... Hitler."
Lily schluckte. Sie hatte schon so etwas in der Richtung erwartet. Lieblose Kindheit, Einsamkeit, aber daß Severus' Vater seinen Sohn systematisch darauf vorbereitete, auf die dunkle Seite zu wechseln und Severus vermutlich bis zum letzten Jahr auch nichts weiter gedacht hatte, als daß das normal war, schockierte sie sehr.
"Die anderen haben Angst, sich auf mich einzulassen, das ist schlicht und ergreifend alles. Sie kommen nicht einmal auf die Idee, daß einer wie ich Gefühle haben könnte, die sie verletzen, wenn sie sich so verhalten. Die wenigsten sind so wie du und ich denke, das ist unter Zauberern und Muggeln das gleiche Bild. Es gibt nur wenige, die mit offenen Augen durch die Welt laufen und jedem Menschen erst einmal eine Chance geben.
Vermutlich hätte ich Vaters Willen irgendwann erfüllt, wenn ich dich nicht getroffen hätte. Du hast mir ein besseres Ziel im Leben gegeben, denn seit ich dich kenne, erfahre ich nach und nach, was positive Gefühle sind. Du bist vermutlich die Rettung meiner Seele gewesen." Er konnte wieder lächeln und Lily atmete auf, erleichtert darüber, daß sie ihn mit ihrer dummen Frage nicht in tiefere Brüterei gestürzt hatte.
Sie würde es schaffen, daß die anderen ihn mit offeneren Augen sahen. Schließlich war Severus kein schlechter Mensch und diese Tatsache konnte man nicht einfach übersehen.
Denn auch, wenn er etwas anderes sagte, Lily spürte deutlich, daß sechs Jahre eine lange Zeit waren und der Einfluß in Slytherin konnte und würde ihn früher oder später doch mehr auf die dunkle Seite ziehen, wenn er außer durch sie keine Akzeptanz von den Schülern der anderen Häuser bekam. Und das war dann auch nur zu verständlich...
Severus bemerkte, daß seine Geschichte Lily in tiefe Nachdenklichkeit gestürzt hatte. Sie machte sich stets große Sorgen um ihn und hatte keinerlei Vorurteile ihm gegenüber wegen seiner Eltern, seinem Haus oder seiner Kenntnisse der dunklen Künste. Und dafür liebte er sie. Sie schaffte es, daß er richtig aufblühte und Freude am Leben hatte. Alles Dinge, die er ohne sie wieder verlieren würde. Wenn Lily nicht mehr da war, würde er in ein tiefes Loch fallen, aus dem er wahrscheinlich nie wieder herauskommen würde. Darum durfte Lily ihn nie verlassen. Aber das würde er schon schaffen. Er hatte es geschafft, daß sie ihn überhaupt mochte, also würde doch auch das keine größeren Probleme mehr machen.
Es gab eigentlich nur eine Sache, die ihm Kopfzerbrechen bereitete. Er würde Lily eines Tages seinen Eltern vorstellen müssen und die würden mit einer Hexe aus einer Muggelfamilie als seine Frau niemals einverstanden sein. Bei dem Gedanken mußte Severus lächeln. Lily als seine Frau, Gott, das war ein schöner Traum.
Er mußte für das Problem allerdings eine Lösung finden, denn es würde sich nicht verflüchtigen... Wäre Lily eine Slytherin geworden, wäre es vielleicht nicht so schwierig gewesen, aber andererseits wäre Lily nicht Lily, wäre sie zu den Slytherins eingeteilt worden. Das war alles so verdammt vertrackt.
"Hey, jetzt denk nicht so ewig lange darüber nach. Ich mag nicht, wenn du wegen mir so viel grübelst. Ich habe doch jetzt dich und du machst mich glücklich. Damit sind die Probleme doch gelöst. - hey, schau mal, ich hab Nicolas Flamel!" Er hielt die Karte hoch, die er gerade aus der Packung Schokofrösche gezogen hatte. Lily lächelte, doch ihre Gedanken über Severus ließen sie für den Rest der Fahrt nicht los.

Kaum hatte er den Bahnhof in London betreten, war James in tiefes Brüten verfallen. Sirius hatte den Blick, den Lily James zugeworfen hatte, ebenfalls gesehen und er verstand seinen Freund ein wenig. Er und ihre beiden gemeinsamen Freunde Remus Lupin und Peter Pettigrew taten daher ihr Möglichstes, ihn ein wenig aufzuheitern, bisher ohne Erfolg.
"Ich habe große Pläne für das nächste Jahr!" kündigte Remus mit einem Blitzen in seinen Augen an. Sirius und Peter sahen ihn neugierig an. James schien immer noch nicht zuzuhören.
"Ich werde alle Geheimgänge, die es in Hogwarts gibt, finden und eine Karte herstellen. Aber keine gewöhnliche Karte. Auf dieser Karte werden immer alle Personen, die im Schloß sind, mit Namen und genauer Position angezeigt werden. Und wenn sie sich bewegen, dann bewegen sie sich auch auf der Karte. - Stellt euch vor, was man mit so einer Karte alles machen könnte."
Peter sah vollkommen begeistert aus. "Das klingt genial, Remus. Hast du auch schon einen Plan, wie du das anstellen willst? Ich habe gehört, es gibt Unmengen Geheimgänge in Hogwarts. Sonst würde Hausmeister Filch, das Ekel, nicht immer so schnell überall auftauchen können."
Remus winkte ab. "Das kriegen wir schon hin. Wir werden einfach ein bißchen stöbern müssen - und einige Regeln werden dabei auch zu Bruch gehen, fürchte ich." Er grinste breit. "Und außerdem gibt es da ja noch immer die Hausgeister. Ich bin sicher, der Fast Kopflose Nick wird uns gerne ein bißchen was über die geheimen Schleichwege von Hogwarts erzählen."
"Dann bin ich mal sehr gespannt. Sagt Bescheid, wenn diese Superkarte fertig ist, ja?"
Sirius saß wie immer mit der Nase über einem Buch im Zug. Remus sah ihn ein wenig verstimmt an. "Ist immer noch ein höheres Ziel, als der größte Streber von ganz Hogwarts zu werden." Er deutete auf das Buch in Sirius' Hand.
"Ich glaube, mein Freund, daß selbst dir dieses Buch gefallen würde."
"Worum geht's?" schaltete sich plötzlich James ein. Seine Freunde sahen ihn überrascht an. Das war mit das erste, was er heute gesagt hatte.
"Über die Kunst, sich in Tiere zu verwandeln. Ein Zauberer, der das beherrscht ist ein ‚Animagus'. Ich finde das äußerst interessant, aber leider muß man beim Zaubereiministerium gemeldet sein, wenn man es beherrscht. Das macht die Sache schon wieder langweilig. Sie tragen dich in eine Kartei ein mit allen besonderen Merkmalen, die du als Tier hast. McGonagall ist ein Animagus. Sie verwandelt sich zum Beispiel in eine graue getigerte Katze mit Brillengläsern um die Augen." Remus war blaß und sehr schweigsam geworden. James fiel das sofort auf, denn eigentlich war es nicht Remus' Art.
"Geht es dir nicht gut?" fragte er ihn ehrlich besorgt. Remus sah ihn an und in seinen Augen sah er Angst flackern.
"Wißt ihr, es ist nicht so lustig, sich in ein Tier zu verwandeln, wie ihr denkt." Die drei sahen ihren Freund fragend an. Remus brach der kalte Angstschweiß aus. Er konnte ihnen davon nichts erzählen. Wenn er ihnen erzählte, was los war, würden sie sicher nichts mehr mit ihm zu tun haben wollen. Und er konnte es ihnen noch nicht einmal übel nehmen.
"Hast du das etwa schon einmal getan?!" fragte Sirius und die freudige Erregung in seiner Stimme war kaum zu überhören. Remus sah so aus als verfluchte er sich selbst dafür, daß er überhaupt einen Ton gesagt hatte. Er hatte keine Ahnung, wie er aus der Situation wieder mit heiler Haut herauskommen würde.
"Jetzt komm schon," James knuffte ihn in die Seite, "rück's raus, wir fressen dich schon nicht, egal, was du verbrochen hast."
Remus sah den schalkhaften Blick auf James Gesicht nicht, genausowenig das Augenzwinkern Sirius' oder Peters freundliches Grinsen. Schlagartig wurde er noch eine Spur blasser. "Das ist nichts, worüber man Scherze macht!" blaffte er sie an.
James runzelte die Stirn. "Oh man, das scheint ja wirklich was Ernsteres zu sein, Remus. Du kannst uns wirklich vertrauen. Das weißt du doch oder? Komm, erzähl, was ist los?"
Remus schlang die Arme um seinen Oberkörper und sah seine Freunde ängstlich an.
James hatte nicht geglaubt, seinen charismatischen, selbstbewußten Freund einmal so zu sehen und da er nicht wußte, was eigentlich mit ihm los war, verstand er auch nicht, warum Remus so reagierte.
"Ihr werdet Angst haben, wenn ich es euch erzähle!" Remus' Stimme war eine Nuance höher als gewöhnlich, scheinbar geriet er immer mehr in Panik. "Und dann werdet ihr mit mir nichts mehr zu tun haben wollen! Es ist wirklich besser, wenn ihr es nicht wißt."
James legte ihm beruhigend die Hand auf die Schulter. Remus zitterte am ganzen Leib.
"Remus, du weißt doch, daß wir die absolut besten Freunde sind, die man sich vorstellen kann. Wir würden nicht einmal Angst vor dir kriegen, wenn du uns jetzt sagen würdest, daß du jemanden umgebracht hast, weil wir wissen, daß du kein schlechter Mensch bist. Also erzähl es uns. Es wird dir garantiert hinterher viel besser gehen."
Remus zögerte noch immer. Die Worte wollten einfach nicht aus ihm heraus. So lange schon hielt er dieses furchtbare Geheimnis vor aller Welt zurück und diese Jungs kannte er erst ein einziges Jahr. Es war noch zu früh, sie in so etwas einzuweihen. Aber andererseits war er sich sicher, daß sie es ehrlich mit ihm meinten. Sie waren Freunde, ganz klar, also konnte er seinen Freunden doch eigentlich auch vertrauen und ihnen erzählen, was mit ihm nicht stimmte. Schließlich würde es bald ohnehin die halbe Schule wissen. Früher oder später mußte es einmal schiefgehen, das war so gut wie vorprogrammiert.
"Also gut," setzte er mit zitternder Stimme an. "Ich bin ein Werwolf."

***



Hogwarts am gleichen Abend nach dem großen Fest...

Gleich nachdem sie vom großen Fest hatten verschwinden können, hatten die vier Freunde sich in die Bibliothek geschlichen. Sie wußten zwar, daß sie heute gleich auf ihre Zimmer gehen sollten, aber nachdem Remus im Zug eine solche Bombe hatte platzen lassen, konnten sie einfach nicht mehr bis zum nächsten Tag warten. Sie mußten gleich etwas unternehmen.
Die Bibliothekarin hob überrascht die rechte Augenbraue als Sirius mit einem extrem hohen Stapel Bücher auf sie zugewankt kam. Er hob die Schultern und lächelte entschuldigend.
"Ich wollte nur nicht morgen den Ansturm mitmachen und dann vielleicht die Hälfte der Bücher nicht kriegen, weil andere schneller waren." Sie nickte, immer noch etwas skeptisch, trug ihn aber in die Kartei ein. Remus, Peter und James halfen ihm, die vielen Bücher in den Gryffindor-Turm zu bringen. Dort war alles schon sehr ruhig, die meisten waren wohl nach dem langen Reisetag gleich ins Bett gegangen.
So leise wie möglich schlichen sie die Treppe zum Schlafsaal hinauf. Henry McDough, der fünfte Schüler in ihrem Schlafsaal, schlief schon tief und fest, was man, wie immer, sehr gut an seinem sonoren Schnarchen erkennen konnte. Sirius breitete die Bücher in der Mitte des Raums auf dem Boden aus und sie setzten sich im Kreis drum herum.
"Was haben wir hier jetzt alles?" fragte James und ließ seinen Blick über die ganzen Bücher schweifen.
"Informationen zu Werwölfen allgemein, Theorien zu Heilungsmethoden etc. Pure Informationen. Und ich hab noch ein paar Bücher zum Thema "Animagus" ausgeliehen."
"Meinst du nicht, daß das der falsche Zeitpunkt ist, Sirius?" Sirius sah James anklagend an. Wie immer gab sich sein Freund noch nicht einmal Mühe irgendeinen Zusammenhang zu finden. Dann wandte er sich Remus zu.
"Nachdem du uns heute im Zug dein Geheimnis verraten hast, ist mir auch klar, warum du so häufig im Krankenflügel warst im letzten Schuljahr. Es sind immer die drei Tage um Vollmond, nicht wahr? Wo gehst du dann hin? Ich meine, im Krankenflügel kannst du dann ja nicht wirklich sein."
Remus sah noch immer sehr unglücklich aus. Zwar hatten seine Freunde ganz anders reagiert als er vermutet hatte, aber er redete scheinbar wirklich nicht gerne über sein Leben als Werwolf. "Dumbledore hat da was für mich eingerichtet."
Die anderen Jungs sahen überrascht aus. Sie hatten wohl mit vielem gerechnet, aber nicht damit, daß Dumbledore von Remus' Geheimnis wußte.
"Meine Eltern haben es ihm gleich gesagt, nachdem ich die Aufnahmebescheinigung für Hogwarts gekriegt habe. Er hat gesagt, es sei kein Problem, er würde schon dafür sorgen, daß ich niemandem schaden würde. - Habt ihr schon einmal von Hogsmeade gehört?"
Seine Freunde nickten. Praktisch jeder Schüler kannte das Dorf in der Nähe von Hogwarts, das ausschließlich von Hexen und Zauberern bewohnt wurde. Dort gab es nicht einen Muggel und wahrscheinlich gehörte es zu den Dingen, die für Muggel ohnehin unsichtbar waren. Ab der dritten Klasse durften Schüler von Hogwarts das Dorf an bestimmten Wochenenden besuchen, Schülern der ersten beiden Klassen war das jedoch untersagt, es gab noch nicht einmal die Möglichkeit, in Begleitung der Lehrer dort hin zu gehen.
"Es gibt in Hogsmeade eine alte schiefe Hütte. Sie heißt die Heulende Hütte und Dumbledore läßt überall verbreiten, daß es in der Hütte fürchterlich spukt, damit keiner der Schüler auf die Idee kommt, auch nur in die Nähe dieser Hütte zu kommen. Dort halte ich mich in den drei Nächten jeden Monat auf. Der Eingang ist unter der Peitschenden Weide, die sie letztes Jahr gesetzt haben. - Extra für mich, denn kein Mensch kommt an dieser Weide vorbei, ohne von ihr schwer verletzt zu werden."
Die anderen hatten große Augen bekommen, doch nur die von Sirius leuchteten erfreut. Er griff nach dem ersten Buch über Verwandlung in Tiere und schlug es auf.
"Und da wir Remus versprochen haben, ihm gute Freunde zu sein, werden wir ihm von nun an in diesen für ihn sehr schweren Tagen Gesellschaft leisten. Da das aber in unserer menschlichen Form nicht geht..." Er deutete auf das Buch.
"Aber Sirius! Sich in ein Tier zu verwandeln ist Verwandlungskunst der oberen Klasse. Du hast selbst gesagt, daß nur wenige Zauberer das wirklich beherrschen. Solche wie die McGonagall, die aber ein Genie auf dem Gebiet ist... Meinst du nicht, für einen Zauberer im zweiten Ausbildungsjahr ist das ein bißchen hoch gegriffen?"
"James!" lachte Sirius. "Seit wann steckst du dir denn bloß deine Ziele so niedrig? Das ist eine Herausforderung und zumindest ich bin begeistert darüber, sie annehmen zu können. Ich werde es auf jeden Fall versuchen und wenn es Jahre dauert, bis ich mich in ein Tier verwandeln kann, ich werde es noch schaffe, bevor wir Hogwarts verlassen, das schwöre ich euch. - Macht ihr mit?"
Weder Peter noch James sahen allzu überzeugt aus, aber nach einem Blick auf den immer noch zerknirschten Remus gaben sie Sirius schließlich die Hand drauf. Warum auch nicht, vielleicht waren sie ja sehr begabte Zauberer und es würde ihnen gar nicht so schwer fallen, Animagi zu werden.

***



Lily hatte gleich bei der Ankunft gespürt, daß eine komische Stimmung bei den Gryffindors herrschte. Sie konnte sich schon denken, daß es an Severus und ihr lag, aber noch hatte keiner offen mit ihr darüber gesprochen. Sie waren nicht abweisend zu ihr, das konnte man beim besten Willen nicht behaupten, aber die anderen Gryffindors behandelten sie nicht mehr so herzlich wie noch in ihrem ersten Jahr. Das bedrückte Lily ein wenig. Denn auch wenn es ihr vollkommen klar gewesen war, daß keiner in Gryffindor ihre Freundschaft zu Severus gut hieß, hatte sie doch nicht damit gerechnet, daß es dazu führen würde, daß sie von den anderen ausgegrenzt wurde.
Sie erzählte Severus davon, als sie am nächsten Tag zusammen zum Mittagessen gingen. Ganz anders als Lily war Severus gar nicht traurig über das Verhalten der anderen Gryffindors, auch wenn er nachfühlen konnte, daß es Lily sehr nahe gehen mußte. Sie als ein sehr offener, herzlicher Mensch vertrug es wahrscheinlich gar nicht gut, wenn sie plötzlich auf solche Abweisung stieß. Sie war es nicht gewöhnt wie er. Nichtsdestotrotz würde dieses Verhalten der anderen nur dazu führen, daß Lily und er sich noch näher standen. Wahrscheinlich war das genau der gegenteilige Effekt von dem, was die Gryffindors eigentlich wollten, aber so würde es kommen.
Es brachte Severus nicht wirklich weiter bei der Lösung seines Elternproblems, das langsam aber sicher wie ein drohendes Schwert über ihm zu hängen schien, aber es machte ihn glücklich und glückliche Menschen hatten sicher die besseren Ideen. Zumindest hatte er das mal irgendwo gehört.
Sie waren gerade auf dem Weg zum Unterricht für Zaubertränke, der wie immer in einem der Kerker stattfand. Auf ihrem Weg dorthin kamen sie in der Eingangshalle des Schlosses am schwarzen Brett vorbei. Lily warf zunächst nur einen flüchtigen Blick darauf, blieb dann aber doch am neuesten Aushang hängen.
"Sieh mal, das hört sich interessant an." Sie deutete auf ein großes Pergament. Es war eine Ankündigung, die von einem großen Schulfest in Hogwarts berichtete, das kurz vor Weihnachten stattfinden sollte. Dazu sollten viele ehemaliger Schüler - die meisten heute Eltern von Schülern in Hogwarts - und auch Lehrer von anderen Zauberschulen eingeladen werden.
"Das klingt auf jeden Fall nach einer sehr großen Veranstaltung. - Na ja, meine Eltern werden nicht kommen, da bin ich mir sicher." Er klang nicht wirklich traurig darüber, was Lily auch gut nachvollziehen konnte.
"Interessieren sie sich nicht für Bälle?" fragte sie mäßig interessiert nach.
Severus hob die Schultern. "Nein, aber Vater interessiert sich nicht für Hogwarts. Ich hab dir doch von der Sache mit Durmstrang erzählt. Und Mutter tut nie etwas ohne Vater. Ganz einfache Geschichte also." Lily erinnerte sich vage an die Schule von der er sprach. Es war die einzige Zaubererschule, die nicht nur die Verteidigung gegen die dunklen Künste, sondern diese Künste selbst unterrichtete. Die Schule, die Barabas Snape nur zu gerne besucht hätte, die aber sowohl ihn als auch seinen Sohn nicht angenommen hatte.
"Aber es ist immerhin insofern ein Vorteil, daß ich mir nicht irgendeine Slytherin, die ich gar nicht leiden kann, als meine Partnerin auswählen muß."
Lily lächelte und sie gingen weiter in Richtung Kerker, sie waren spät dran.

Schon während den ersten Wochen des Schuljahres fiel Severus auf, daß James und seine Freunde extrem viel im Schloß umherstromerten. Manchmal, wenn sie sich unbeobachtet fühlten, erweckten sie den Eindruck, jeden noch so kleinen Winkel des Schlosses genau untersuchen zu wollen. Gerade so, als schienen sie auf der Suche nach etwas.
Die Sache machte auf Severus einen sehr suspekten Eindruck und obwohl er gar nicht genau wußte, warum er das eigentlich tat, nahm er sich vor, die vier im Auge zu behalten. Er hatte so das dumpfe Gefühl, daß sie etwas im Schilde führten und fürchtete, daß es gegen ihn gehen könnte.
Severus hielt nicht viel von James Potter, aber er war nicht dumm genug, ihn für ungefährlich zu halten. Er war sich nach langem Nachdenken inzwischen fast schon sicher, daß er es James zu verdanken hatte, daß Lucius im letzten Schuljahr so auf ihn losgegangen war. Er wußte nicht, was er damit hatte bezwecken wollen, aber es war garantiert mit voller Absicht und mit einem Sinn und Zweck geschehen. Da es aber keine weiteres Konsequenzen gehabt hatte, war der Plan offensichtlich fehlgeschlagen.
Vielleicht gab es jetzt eine Neuauflage davon und diesmal wollte er nicht unvorbereitet sein. Es war ja nicht so, daß er Lucius mochte, aber er wollte ihm nicht beim nächsten Streit, wenn er wieder die Beherrschung verlor, den Todesfluch auf den Hals hetzen, bevor er wirklich darüber nachdenken konnte.
Schon während der Sommerferien hatte Severus damit begonnen, seine Prioritäten zu überdenken und seine Schicksalskarten neu zu ordnen. Bisher war sein Leben in absolut glatten Bahnen verlaufen und alles schien so klar und unumstößlich, aber Lily hatte durch ihre pure Anwesenheit alles durcheinander gebracht. Severus war sich inzwischen über zwei Dinge eigentlich sonnenklar. Erstens, daß er Lily für den Rest seines Lebens an seiner Seite haben wollte. Freiwillig würde er sie nicht wieder hergeben. Und zweitens würden seine Eltern ihn vermutlich enterben und verbannen, wenn er Lily als seine Partnerin auswählen sollte. Denn auch in dieser Hinsicht bestanden schon genaue Pläne der Eltern, was in Frage kam und was nicht. Und ganz am Ende der Liste der Kandidatinnen war das "Schlammblut" zu finden.
Severus zuckte zusammen. Er hatte diesen Begriff früher so bedenkenlos und selbstverständlich benutzt und sich nichts weiter dabei gedacht, doch jetzt konnte er das Wort noch nicht einmal mehr in Gedanken verwenden, ohne sich unwohl zu fühlen. Lily hatte seine Welt gründlich verdreht.
Aber es war gut und es fühlte sich richtig an und darum war Severus endlich zu dem Entschluß gekommen, daß seine Entscheidung immer - egal, worum es auch ging - auf Lily fallen würde. Egal vor welche Wahl er auch gestellt wurde, die Wahl würde Lily heißen.
Und eines Tages würde er ihr das auch sagen und er freute sich auf diesen Augenblick. Sicher, er war dann mittellos und sie würden gemeinsam komplett bei null anfangen müssen, aber sie waren zusammen und zumindest für Severus war das das einzige was zählte.

***



"Ich hab verdammt gute Nachrichten!" rief James aufgeregt und gut gelaunt, als er den Schlafsaal betrat, in dem seine Freunde schon versammelt saßen. Sie blickten ihn fragend an und er grinste.
"Ihr seht hier vor euch den neuen Jäger der Hausmannschaft von Gryffindor!" Das Grinsen auf seinem Gesicht weitete sich aus von einem Ohr zum anderen und seine Wangen glühten vor Aufregung und Begeisterung.
Remus pfiff anerkennend durch die Zähne. "Wow, herzlichen Glückwunsch. Du mußt ja verdammt gut sein, wenn sie dich so jung wie du bist schon als Jäger haben wollen."
"Tja", flötete James und rieb seine Fingernägel an seinem Pullover blank "ich hab es halt drauf."
Sirius sah ihn an und tippte sich an die Stirn. "Und schon ist es dir zu Kopf gestiegen. Wo hast du bloß diesen enormen Größenwahn her?"
"Das ist kein Größenwahn, das ist Selbstvertrauen, geboren aus Talent." Er zwinkerte Sirius zu, der ein wenig fassungslos den Kopf schüttelte. "Du bist manchmal ein echte Pfeife." Doch er war froh darüber, daß man James ins Team aufgenommen hatte. James liebte Quidditch über alles und wenn er jetzt jede Woche mehrmals trainierte, würde er vielleicht früher oder später von Lily loskommen oder wenigstens von dem Gedanken, Severus irgend etwas Furchtbares nachweisen zu müssen, was er wahrscheinlich nicht schaffen würde, denn zumindest Sirius war sich inzwischen darüber bewußt, daß Severus nicht nach seinen Eltern schlug und durchaus als ehrbar bezeichnet werden konnte. Jedenfalls was Lily betraf. Sirius lief es eiskalt den Rücken hinunter.
Die Erinnerung an die Sache im Schlafsaal der Slytherins war noch sehr lebendig in seinem Kopf und jedes Mal, wenn er darüber nachdachte, was Severus getan hatte, um Lily zu verteidigen... wenn man davon absah, daß er auch einen anderen Zauber als einen der schrecklichsten dunklen Flüche hätte verwenden können, war es etwas, was nur ein wahrer Freund für einen anderen tun würde. James wollte das vielleicht nicht sehen und tat sich leid, weil Lily ihn nun schon seit gut neun Monaten komplett ignorierte, aber Severus empfand echte Gefühle für Lily und bewertete sie keineswegs nach ihrer Herkunft, so wie James es ihm immer wieder vorwerfen wollte.
Darum war es vielleicht wirklich nicht schlecht, wenn Quidditch jetzt der Inhalt seines Lebens wurde, dann würde er Severus und Lily endlich in Frieden lassen und nicht etwas unschätzbar Wertvolles zerstören. Früher oder später würde es sich an ihm rächen, denn das Schicksal schenkte nichts, sondern verlangte für alles seinen Preis...
Sirius mochte Severus nicht. Er hatte ihn von Anfang an irgendwie nicht leiden können. Nur aus einem Bauchgefühl heraus, das er nicht erklären konnte, klar, aber trotzdem war die Abneigung da. Was er ihm aber dennoch nicht wünschte, war, daß er Lily verlor. Seit Sirius sich zurück erinnern konnte, beobachtete er andere Menschen ganz genau und zog seine Schlüsse daraus, um an Wissen dazuzugewinnen. Und er mußte sich schon sehr täuschen, wenn Lily nicht das einzig Wertvolle in Severus' Leben war. Severus mit und ohne Lily, das war immer ein Unterschied wie Tag und Nacht. Severus ganz ohne Lily würde vermutlich in einer Katastrophe enden. Vielleicht nur eine Katastrophe für Severus, aber wahrscheinlich doch eher eine für sie alle zusammen.
Aber so lange ihnen keiner ins Handwerk pfuschte, würde nichts passieren und Severus und Lily würden Schritt für Schritt ihren Weg zueinander finden. Wenn er bloß nicht das beklemmende Gefühl hätte, daß da noch etwas passieren würde...
Sirius schüttelte kaum merklich den Kopf. Es war nicht die Zeit, über solche Dinge nachzudenken. Darüber konnte er sich wieder den Kopf zerbrechen, wenn James' Aufmerksamkeit von Quidditch zurück auf Lily umschwang.

***



Severus saß allein in der Bibliothek, als er von James' neuer Rolle als Gryffindor-Jäger erfuhr. Er saß gerade über seinen Hausaufgaben für Kräuterkunde, als sich zwei Mädchen aus Gryffindor an den Tisch neben ihn setzten. Er hörte zunächst bei ihrem Gespräch nicht zu, lediglich ihr Gekicher drang bis zu ihm durch und er verdrehte entnervt die Augen. Lily kicherte nie so albern rum. Warum mußten sich diese Hühner ausgerechnet so nah an ihn heransetzen. Schließlich hatte er zu arbeiten...
"Hast du schon gehört? James Potter ist jetzt Jäger für Gryffindor", sagte die eine von den beiden und schlagartig wurde Severus hellhörig. Er selbst hatte kein wirkliches Interesse an Quidditch und beschränkte seinen Ehrgeiz darauf, bei den Spielen einen guten Platz zu ergattern, aber er wußte, daß Spieler der Hausteams bei den Mädchen sehr gut ankamen. Er konnte sich zwar nicht erklären, warum in dem Moment die Alarmglocken bei ihm losschrillten, aber sie taten es und das Gefühl war nicht schön, soviel stand fest.
"Ja, hab ich. Er hat sehr viel dafür trainiert, hab ich gehört. Er ist so tapfer, weißt du?" Das zweite Mädchen lächelte verträumt.
Die erste sah sie fragend an. "Wie meinst du das?"
"Na, er hat doch nur mit dem Quidditch angefangen, weil er wegen Lily Evans so furchtbar gelitten hat. Es heißt, James soll fürchterlich verliebt in die Kleine sein, sie hat ihn aber total abgewiesen, um sich diesem Slytherin an den Hals zu werfen. Sie spricht schon seit Monaten kein Wort mehr mit ihm und keiner weiß warum. Irgendein Vorfall im letzten Winter. Sie hatten Streit und seitdem herrscht Funkstille." Sie seufzte und schaute sehnsüchtig an die hohe Decke. "James hat sehr lange darunter gelitten, aber dann hat er sich zusammengerissen, sich seinen Besen geschnappt und angefangen, wie ein Besessener zu trainieren. Ich kann gar nicht verstehen, wieso Lily einen solchen Jungen so behandelt. Sie soll froh sein, daß sich überhaupt noch irgendein Gryffindor für sie interessiert! Aber soll sie doch froh werden mit ihrem Slytherin. Das soll ein ganz merkwürdiger, suspekter Typ sein, aber ich hab seinen Namen vergessen. Auf jeden Fall ist er wohl ziemlich gefährlich und total kalt. Wie hieß er denn noch?"
Severus drehte sich zu den beiden um. "Sein Name ist Severus Snape!" sagte er in einem sehr leisen, aber amüsiert kalten Ton. Die beiden Mädchen fuhren vor Schreck zusammen und starrten Severus an.
"Ich glaube, ihr sprecht von mir, nicht wahr?" Sofort liefen beide hochrot an und verließen fast fluchtartig die Bibliothek. Als sie beide weg waren, verfinsterte sich Severus' Miene schlagartig wieder. Er konnte sich nicht daran erinnern, daß Schüler von Gryffindor schon einmal über einen ihrer Mitschüler so hergezogen waren. Eigentlich hieß es doch immer, daß die anderen Häuser immer so stark zusammen hielten und nur in Slytherin Eigenschaften wie Mißgunst und Neid zu finden waren. Er war schuld, daß Lily von der Gemeinschaft der Gryffindors ausgeschlossen wurde und zum ersten Mal begriff er, daß es ihm nicht nur einfach leid tat. Wenn es sich nicht änderte, würde Lily ihn früher oder später deswegen verlassen. Er war sich sicher, eher opferte sie ihre Liebe und ging mit einem anderen, als ihr Leben lang von allen ausgeschlossen zu sein, so wie er.
Doch genau das stand ihr eben bevor, wenn sie bei ihm blieb und er war sich nicht sicher, ob sie sich darüber im Klaren war.
"Verdammt!" zischte er und ein deutlicher Anflug von Angst schwang in seiner Stimme mit.

Das Problem beschäftigte Severus auch in den nächsten Tagen noch intensiv. Den anderen Slytherins fiel nicht auf, daß er noch stiller und düsterer war als sonst, aber Lily merkte es sofort.
"Willst du mir nicht endlich sagen, was dich so bedrückt?" fragte sie ihn, als sie gemeinsam nach dem Abendessen in Richtung Bibliothek gingen. Severus lockerte den Knoten seiner silbergrau-grünen Krawatte ein wenig. Lily runzelte die Stirn. Das tat der sonst so korrekte Severus nie.
"Bist du sicher, daß du in die Bibliothek willst?"
Severus blickte sie fragend an. "Warum denn nicht?"
Sie hob ein wenig die Schultern und er sah das besorgte Glitzern in ihren grünen Augen. "Ich hab ganz einfach das Gefühl, daß du über etwas reden möchtest."
Severus überlegte einen Augenblick und nickte schließlich. Lily lächelte. Immerhin war er bereit, über sein Problem zu reden.
Sie stiegen hinauf in den Westturm des Schlosses. Lily lief ein kalter Schauer über den Rücken, weil es genau hier damals zwischen ihr und James zu dem großen Streit gekommen war und wenn es irgendwie möglich gewesen wäre, hätte sie den Ort sicherlich gemieden, allerdings war der Westturm der einzige Platz im Schloß, an dem man garantiert ungestört war, denn dort oben gab es rein gar nichts.
Da es schon Anfang November war, war es dort oben eisig kalt und die Dunkelheit war längst über Hogwarts herein gebrochen. Hunderte von Sternen glitzerten und funkelten am Himmel über dem alten Gemäuer. Lily zog ihren Umhang ein wenig enger an ihren Körper, ihr Atem kondensierte zu kleinen Dampfwölkchen. Sie setzten sich auf die Treppenstufe.
"Gut, dann rück mal mit der Sprache heraus", nahm Lily ihr Gespräch wieder auf und sah Severus an. Er blickte auf seine glänzenden schwarzen Schuhe und einen Moment lang glaubte Lily, er würde gleich die Spitze seines Umhangs nehmen und einen imaginären Fleck wegpolieren. Er hatte zwar eingewilligt, aber im Moment schien er nichts weiter zu wollen, als weit weg zu sein.
"Ich hab mich gefragt...", setzte er schließlich an, hielt dann aber doch inne, als wolle er lieber doch nichts sagen. Lily fühlte eine Spannung in der Luft, die vorher noch nie dagewesen war, wenn sie und Severus allein gewesen waren. Eine äußerst unangenehme Spannung.
"Lily, ist dir in der letzten Zeit etwas an den anderen Gryffindors aufgefallen?" startete er einen neuen Versuch und sah sie mit seinem tiefschwarzen Blick an.
Lily blinzelte überrascht. "Nein, ist irgendwas mit denen?"
Wieder fixierte Severus seine Schuhe und überlegte erst einen Moment, bevor er antwortete. "Ich hab mich gefragt, ob du eigentlich noch zu irgendeinem Schüler deines Hauses engeren Kontakt hast, oder ob du die meiste Zeit mit mir verbringst."
Lily lächelte. "Du bist doch nicht etwa eifersüchtig?"
"Nein", antwortete Severus schlicht und sehr ernst. Lily blickte einen Moment in den Himmel, an dem die leuchtenden Sterne immer zahlreicher wurden.
"Eigentlich weiß ich schon gar nicht mehr, was in Gryffindor gerade Sache ist", antwortete sie, ohne ihren Blick von den Sternen abzuwenden. "Ich habe dort keine engeren Freunde seit ich nichts mehr mit James und seinen Freunden zu tun habe, aber es war bisher auch nicht schlimm so. Ich bin sehr glücklich im Moment, auch ohne irgendwelche Haus-Klüngelein." Sie schwiegen einen Moment und Severus überlegte, ob er die Frage, die ihn wirklich interessierte, stellen sollte. Vermutlich wußte Lily nicht einmal, daß es Gryffindors gab, die schlecht über sie redeten und wenn er es ihr jetzt offenbarte, brachte er vielleicht etwas ins Rollen, was er eigentlich mit allem Mitteln verhindern wollte.
Er sah Lily an, die immer noch mit dem Gesicht zu den Sternen gerichtet auf der Treppe saß. Der Mond schien ihr ins Gesicht und malte silberne Schattenspiele darauf. Er lächelte und im selben Moment stach es ihm ins Herz. Seine Lily. Wenn es doch bloß eine Garantie geben würde, daß er sie halten konnte. Wenn ihm nur irgend jemand definitiv würde sagen können, daß er derjenige war, der Lily so glücklich machte, wie sie es verdiente... Aber er wußte, das gab es nicht und das Risiko, daß sie mit ihm einen Fehler beging oder daß sie eines Tages meinte, ihn als einen Fehler zu erkennen und ihn verließ, war da und ließ sich nicht abwenden.
"Das war aber doch nicht alles oder?" Ihre Stimme - obwohl sehr leise - durchschnitt die Nacht und er schreckte auf.
"Du bist doch nicht wirklich so betrübt gewesen, weil ich keine Freunde mehr in Gryffindor habe oder?" Sie sah ihn und war erstaunt, daß sie in seinem Gesicht so etwas wie Angst erkennen konnte.
"Nein, das war nicht alles... Lily, im Moment bist du glücklich, so wie es ist, aber wie sieht es mit der Zukunft aus? Wird dich die Freundschaft zu mir immer glücklich und zufrieden genug machen, daß du gerne in Hogwarts bist? Oder wirst du irgendwann an einen Punkt kommen, an dem du mehr willst? Wirst du eines Tages von mir fortgehen, damit die anderen dich wieder in ihre Arme aufnehmen oder wirst du immer so zu mir stehen, wie du es im Moment tust?" Er wollte die Worte aufhalten, doch sie sprudelten einfach so aus ihm heraus und er konnte nichts dagegen tun.
"Lily, nicht du bist das Problem, nicht wegen dir hast du keine Kontakte in deinem eigenen Haus. Ich bin es. Wegen mir wird über dich geredet, wegen mir hast du keine Freunde in Gryffindor und ich frage mich, ob du mir das vielleicht eines Tages zum Vorwurf machen wirst und mich - was noch viel schlimmer wäre..." Er konnte es nicht aussprechen. Hilflos starrte er auf seine im Mondlicht silberweißen Hände.
Lily konnte kaum verbergen, wie überrascht sie war.
"Severus!" Sie sprang auf und schlang ihre Arme um ihn. "Bitte, an so etwas darfst du nicht einmal denken! Das ist Unsinn! Natürlich werde ich immer zu dir stehen, ich hab dich gerne. Und so lange du zu mir stehst, werde ich nie unglücklich sein."
Severus erschauderte. Es gab nichts, was er lieber tat, doch er wußte auch, daß er nicht immer und bedingungslos zu ihr stand, doch das würde sich ändern. Für seine Lily würde es sich ändern, schon bald. Sie blickte ihm in die Augen und er strich vorsichtig eine Träne von ihrer Wange.
"Shh, nicht Lily. Ich war dumm, das ist kein Grund zu weinen." Er streichelte über ihr rotes Haar und drückte ihren Kopf an seine Brust. Lily spürte eine Klammer aus Angst um ihr Herz, die sie sich einfach nicht erklären konnte. Warum nur machte es ihr solche Angst, daß Severus diese Gedanken hatte? Weil sie eines Tages wirklich wahr werden konnten? Nichts auf der ganzen Welt wollte sie weniger, aber was war, wenn Severus wirklich recht hatte und sie eines Tages nicht mehr damit zurechtkommen würde, daß man sie mied, nur weil sie einen sehr lieben Menschen mochte?

"Miss Evans, Mr. Snape!" Die beiden drehten sich um und sahen Professor McGonagall, die sie zu sich hinüber winkte.
"Ja, Professor?" fragte Severus ein wenig skeptisch. Professor McGonagall war die Hauslehrerin von Haus Gryffindor und sprach ihn normalerweise niemals außerhalb des Verwandlungsunterrichts an.
"Warum sehen Sie so nervös aus, Mr. Snape, haben Sie etwas angestellt?" fragte sie freundlich. Severus hob die rechte Augenbraue.
"Ich habe mich gefragt, ob Sie beide nicht eventuell Interesse hätten, sich an der Organisation unseres geplanten Balles zu beteiligen."
Lily lächelte und ihr ganzes Gesicht strahlte. "Oh ja, Professor, das würde ich sehr gerne tun."
Severus spürte eine unerwartete Erleichterung. Er wußte nicht, was er eigentlich erwartet hatte, aber die Banalität, die dieses Gespräch angenommen hatte, ließ ihm einen Stein vom Herzen fallen. Er nickte Professor McGonagall zu. "Was sollen wir tun?" fragte er.
Professor McGonagall drückte ihnen beiden einen Zetteln in die Hand.
"Hier steht drauf, wann und wo wir uns das erste Mal treffen werden. Ich bin sehr froh, daß Sie beide mitmachen wollen, wir können jede Hilfe gebrauchen."
Lily sprach für den Rest des Abends von nichts anderem mehr als dem Weihnachtsball. Sie schaffte es zwar nicht wirklich, Severus mit ihrer Vorfreude anzustecken, aber auch er hielt die Idee, bei dieser Sache mitzumachen, für förderlich. Vielleicht schaffte er es ja so, den anderen Schülern zu zeigen, daß er sein konnte, wie sie alle. Daß es gar keinen wirklichen Grund für sie gab, ihn als einen Aussätzigen zu behandeln. Und daß sie sich vielleicht überlegten, Lily wieder wie eine normale Schülerin zu behandeln.

***



Hustend und nach Luft schnappend riß Sirius das Fenster des Schlafsaales auf. Dicker, grauer Qualm bahnte sich sofort seinen Weg nach draußen und langsam füllte sich der große Raum wieder mit Sauerstoff. Sirius' Gesicht, das sonst immer so ruhig und ausgeglichen war, hatte einen bedenklich wütenden Ausdruck angenommen, als er Peter fixierte, der entsetzt auf den riesigen Rattenschwanz starrte, der ihm gewachsen war.
"Was genau hast du nicht verstanden, Peter?" preßte Sirius hervor und versuchte, das Beben aus seiner Stimme zu vertreiben. "Als ich gesagt habe, daß du es lassen sollst oder daß du noch nicht bereit bist für einen Selbstversuch?!" Peter duckte sich ein wenig weg. Sirius war sonst nie wütend und dieser plötzliche Ausbruch erschreckte den kleinen schmächtigen Peter mehr, als es selbst Remus in einer Vollmondnacht tun konnte.
"Es tut mir leid, Sirius!" quiekte er aufgeregt und er hätte schwören können, daß er aufgeregt mit der Nase zuckte. Doch seine Nase war noch wie vorher, keine Rattenschnauze... Sirius griff sich entnervt an den Kopf. Scheinbar war er der einzige gewesen, der sich von Anfang an im Klaren darüber gewesen war, daß es auf keinen Fall einfach und ungefährlich sein würde, ein Animagus zu werden. Vor allem, weil sie es alleine taten, ohne Unterricht bei einem erfahrenen Animagus. Schließlich wollten sie nicht in die Kartei aufgenommen werden - mal davon abgesehen, daß es in ihrem Alter wahrscheinlich noch lange verboten war, solch einen Zauber an sich selbst überhaupt auszuprobieren.
"Halt still!" knurrte Sirius den verängstigten Peter an und richtete seinen Zauberstab auf den Rattenschwanz.
"Reversio!" murmelte er und der Schwanz schrumpfte zusammen bis er mit einem leisen "puff" ganz verschwand. Peter atmete erleichtert auf, aber noch war kein freundlicher Ausdruck auf das Gesicht seines Freundes zurückgekehrt. Auch die anderen beiden schienen sehr erleichtert zu sein.
"Ihr müßt vorsichtiger sein. Die Kunst, sich selbst in ein anderes Lebewesen zu verwandeln, ist kein Spiel. Erst, wenn ihr es perfekt beherrscht andere Lebewesen zu verwandeln, solltet ihr es an euch selbst ausprobieren. Bis es soweit ist, möchte ich keinen von euch mehr bei einem Selbstversuch erwischen. Übt weiter mit den Fröschen, die ich euch gegeben hab." So langsam begriff Sirius, was für ein harter Job es sein mußte, Lehrer für junge Zauberlehrlinge zu sein. Seine Freunde hatten, seit sie damit begonnen hatten, sich selbst zu Animagi auszubilden, nichts als Unsinn im Kopf gehabt. Da es in diesem Fall um Magie ging, die man auf sich selbst anwandte, handelte es sich um äußerst gefährlichen Unsinn und es strengte Sirius unheimlich an, diesen Sack Flöhe zu hüten. Er tippte seine Kröte vor sich mit dem Zauberstab an und sofort verwandelte sie sich in einen Trinkpokal...
Nachdem es im Schlafsaal selbst mal für einige Minuten keinen Tumult gegeben hatte, drang plötzlich Lärm aus dem Gemeinschaftsraum der Gryffindors zu ihnen nach oben. Neugierig stiegen die vier Freunde die Treppen zum Gemeinschaftsraum hinunter, wo sich die restlichen Gryffindors schon um einen neuen Aushang an der alten Anschlagstafel gescharrt hatten.
"Was ist denn los?" fragte James, nachdem er vergeblich versucht hatte, sich nach vorne zum Aushang zu kämpfen.
"Sie haben die Liste ausgehängt, wer bei dem Weihnachtsball mithelfen möchte", antwortete Linda und schenkte ihm ihr schönstes Lächeln. James erwiderte es halbherzig. Die Liste interessierte ihn im Moment mehr. Es dauerte noch gut zehn Minuten, bis die vier es endlich schafften, an die Liste heranzukommen. Sofort erstarrte James und jede Farbe wich aus seinem Gesicht. Auch Sirius sah, was sein Freund sofort entdeckt hatte. Lily und Severus hatten sich bereits auf der Liste eingetragen, für die Gruppe, die sich um die magischen Dekorationen kümmerte.
"Schau an", knurrte James und griff nach dem Stift. "Da möchte sich wohl jemand von seiner sensiblen Seite zeigen. Was meint ihr, wird das ein Weihnachtsball oder wird es von der Dekoration her eher an eine Totenfeier in einer Gruft erinnern? Immerhin, man macht hier den Bock zum Gärtner, nicht wahr?"
Remus und Peter stimmten im grimmig zu, nur Sirius antwortete nicht. Wenn James nur endlich Abstand zu der Sache bekommen würde, er hatte es so verdammt nötig. Aber jedes Mal, wenn er Severus und Lily zusammen sah oder auch nur Severus allein, wallte sofort dieser für James so untypisches Hass in ihm hoch.
Das konnte ganz einfach nicht gut gehen. Sirius fühlte und fürchtete es.
"James, vielleicht solltest du ihm einfach mal eine Chance geben." Sirius bereute die Worte schon, als er noch dabei war, sie auszusprechen. Aber er wollte endlich auch mal etwas dazu sagen und nicht immer nur schweigen, um seinen Freund nicht noch mehr aufzuregen. Vielleicht war es ja gerade das, was James brauchte, jemand, der ehrlich zu ihm war und ihm keinen Honig ums Maul schmierte und ihm bestätigte, was für ein armer Kerl er doch war.
"Gerade du sagst das? Du weißt schließlich genau so viel über ihn wie ich und solltest dir deshalb um Lily die gleichen Sorgen machen!"
Sirius lächelte. "Du machst dir keine Sorgen um Lily. Weil du ganz genau weißt, daß sie bei Severus wahrscheinlich genauso gut oder sogar besser aufgehoben ist, als bei dir. Du weißt einfach nur nicht, wo du mit den Gefühlen in dir hin sollst. Weil du noch nie verloren hast. Du hast immer alles bekommen, was du wolltest, was es dich auch gekostet hat. Und Lily ist das erste, was du über alle Maßen besitzen wolltest, das aber letztendlich einem anderen zugefallen ist. - Hast du dir vielleicht schon einmal Gedanken darüber gemacht, daß Lily durchaus weiß, was sie tut und es deshalb einen Grund geben muß, weshalb sie Severus so mag und ihm so vertraut? Sie ist nicht blöd und wenn sie Severus ihr volles Vertrauen schenkt, dann glaube ich, daß er es auch verdient hat."
James preßte die Lippen aufeinander, bis sie nur noch ein schmaler, weißer Strich in seinem Gesicht waren. Beide Hände zu Fäusten geballt stand er da und überlegte, was er nun tun sollte. In ihm schrie alles danach, einfach seine Faust mitten ins Sirius' Gesicht zu schlagen, damit er endlich schwieg, aber sein Verstand, so leise er in diesem Moment auch nur durchdrang, war ganz klar dagegen. Natürlich wußte James, daß Severus vermutlich wirklich nicht so schlecht war, wie er ihn immer hinstellte, aber er konnte mit dieser Sache einfach nicht leben, so sehr er sich auch bemühte.
"Natürlich weiß auch ich, wie Severus allen hier vorkommt, aber warum macht sich eigentlich niemand die Mühe, mal hinter seine Fassade zu blicken?" fuhr Sirius fort. "Ich habe das gleiche gesehen, wie du, James, aber diese Sache ist passiert, weil Severus Lily verteidigen wollte.
Ich glaube, daß Severus allen nur etwas vormacht und nicht einmal annähernd so hart und gleichgültig ist, wie er tut. Vermutlich ist Lily mit all ihrer Herzlichkeit und Wärme das schönste, was ihm je widerfahren ist in seinem Leben und ich wäre so froh, wenn du mir endlich versprechen würdest, daß du nicht länger versuchst, die Beziehung zwischen Lily und Severus zu beenden. Wenn du endlich einsehen würdest, daß diese beiden zusammen gehören und aufhören würdest, Lily an deine Seite zu wünschen... Wenn sie wirklich für dich bestimmt ist, dann kommt sie eines Tages auch zu dir, aber wenn du jetzt so weitermachst, wie bisher, wird das nie geschehen, verstehst du?"
Um die beiden Freunde herum hatte sich ein Kreis staunender Gryffindors gebildet. Noch nie hatte man in diesem Turm miterlebt, daß Sirius Black und James Potter nicht einer Meinung waren. Und noch nie hatte man es in diesem Turm erlebt, daß ein Gryffindor für einen Slytherin Partei ergriff - mal abgesehen von Lily, aber die zählte wegen emotionaler Verblendung in den Augen der anderen Gryffindors nicht.
James senkte den Blick zu Boden. Er wußte nicht, was er tun sollte. Er fühlte nur den Sturm, der in ihm raste und wußte, daß er, selbst wenn er sich übermäßig anstrengte und alles tat, was in seiner Macht stand, doch nie an den Punkt kommen würde, an dem er Severus Lily überlassen und dabei noch lächeln konnte.
"Denkst du das wirklich?" fragte er und sah Sirius fest in die Augen. "Glaubst du wirklich, daß Severus und Lily dazu bestimmt sind, zusammen zu sein und glücklich zu werden?"
Sirius nickte leicht. Es fiel ihm genauso schwer, es seinem Freund ins Gesicht zu sagen, wie es James schwer fiel, diese Tatsache zu akzeptieren, das war Sirius vollkommen klar. Aber ihm war darüber hinaus klar, daß es gar nicht anders ging.
Er sah sich die Sache jetzt schon über ein Jahr an, hatte miterlebt, wie James mit allen Mitteln arbeitete und damit alles verloren hatte. Er sah, wie es ihn innerlich auffraß, daß er Lily nicht bekommen konnte und Sirius wußte, wenn er seinem Freund nicht half, würde es zur Katastrophe kommen. Selbst, wenn sich alles in ihm sträubte, für Severus Partei zu ergreifen, dieses eine Mal mußte er es tun. Im Prinzip tat er es für Lily. Er hatte Respekt vor diesem Mädchen, das keine Angst davor gehabt hatte, sich einem jungen Zauberer zu öffnen, der bis zu diesem Tag wahrscheinlich noch nicht eine reine Emotion gefühlt hatte. Lily war jemand, der trotz der Unsicherheit vor einer neuen Umgebung, vorurteilsfrei an eine Sache herangegangen war und dadurch gewonnen hatte. Vielleicht mied man sie im Moment im Turm der Gryffindors, teils aus verletztem Stolz, teils, weil manche es einfach nicht besser wußten, aber eines Tages würde man auch hier erkennen, daß es großartig war, was Lily tat und daß man sie dafür nicht verbannen, sondern gern haben mußte.
Sirius fühlte in sich ganz deutlich, was die meisten anderen bald auch erfahren würden und er war zuversichtlich, daß das vielleicht der Beginn einer neuen Ära werden konnte. Wenn... ja wenn sich ihnen nicht doch noch unerwartete Hindernisse in den Weg stellten.
James' Augen leuchteten ungewöhnlich stark und Sirius erkannte, daß es Tränen waren, die James nur sehr mühsam zurück hielt. Tränen eines Verlierers, der erst langsam begriff, daß er verloren hatte und vor allem, was er verloren hatte. Sirius legte seinem Freund den Arm um die Schultern und zog ihn sanft zurück die Treppe hinauf in den Schlafsaal. Die meisten anderen Gryffindors sahen ihnen mit einem mitleidigen Blick für James nach.
"Ich hatte nie wirklich eine Chance oder?" fragte James seinen besten Freund, als sie die Eichentür des Schlafsaales hinter sich schlossen.
Sirius hob leicht die Schultern. "Ich kann es dir nicht sagen, aber wahrscheinlich nicht. Die beiden haben sich von Anfang an blendend verstanden. Es lag sicher nicht an dir." Er klopfte ihm auf die Schulter. "Du hast nur den Fehler gemacht, Severus unbedingt etwas Schlechtes nachweisen zu wollen, das war alles. Aber eines Tages wird Lily auch das verzeihen und wieder mit dir reden." Er tat so, als sah er nicht, daß James sich verstohlen über die Augen wischte. Es war seinem Freund sicher nicht recht, wenn er ihn weinen sah und er konnte es verstehen. James machte die erste große Niederlage seines Lebens durch, während gleichzeitig für ihn so viele starke Emotionen daran hingen. Da würde wohl selbst der stärkste Mann weinen, was sollte man dann von einem nicht ganz dreizehnjährigen Jungen erwarten?

 

  Kapitel 4

  Kapitel 6

 

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