Herz aus Eis

 

 

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Kapitel 4: Nacht der Tausend Worte


Wie Severus es erwartet hatte, klopfte es nach dem Abendessen an seine Bürotür. Bevor er irgendetwas sagen konnte, flog die Tür auf und eine erboste Patricia stürmte in den Raum.
“Wie kannst du es wagen, mich vor den Schülern dermaßen als Idiotin hinzustellen? Die Sache hat sich bei deinen Slytherins schon herumgesprochen. Als ich heute die Siebtklässler unterrichtet habe, haben sie mir ganz unmissverständlich mitgeteilt, daß ich ihnen eh nichts zu sagen hätte, da sie unter deinem besonderen Schutz stünden. Wie soll ich so unterrichten, wenn du meine Autorität völlig untergräbst?”, schrie sie ihn an.
“Autorität hat man, oder man hat sie nicht. Es ist nicht mein Problem, wenn du die Schüler nicht in den Griff bekommst”, antwortete Severus kühl und fuhr seelenruhig mit seiner Arbeit fort (er legte tote Axolotls in Natronlauge ein).
“Und ob es dein Problem ist! Malfoy hat den Kessel zum Schmelzen gebracht, und du glaubst eher ihm als mir. Jedes Mal hackst du auf dem armen Neville rum, und er hat es wirklich schwer genug. Mir wirfst du mangelnde Objektivität vor, aber du bevorzugst deine Slytherins gnadenlos.. ich denke, ich werde wohl mal mit dem Rektor darüber reden müssen”, fauchte Patricia.
Severus sah sie milde lächelnd an und erwiderte: “Wenn du meinst, dann tu das. Vielleicht werde ich mal mit dem Ministerium reden, möglicherweise brauchen sie noch jemanden in der Abteilung für magische Spiele und Sportarten.. denn dort gehörst du eher hin als an diese Schule!”
Klatsch! Severus taumelte von der Wucht der Ohrfeige, die ihn getroffen hatte, rückwärts an die Wand.
“Wag es nicht, mich noch einmal so zu beleidigen.” Patricias Stimme war leise und tödlich kalt. “Die Zeiten sind vorbei, ich habe keine Angst mehr vor dir.. Alle predigen, ich solle dir vertrauen und mit dir Freundschaft schließen. Ich habe es versucht...ich habe dich nach Hogwarts gebracht, ich war jeden Tag bei dir auf der Krankenstation und habe darauf gewartet, daß du wieder aufwachst; habe Madam Pomfrey geholfen, dich zu pflegen.. sogar diese blöden Schokofrösche habe ich dir hingestellt, damit du was zur Aufmunterung hast, wenn du aufwachst..” Sie schluckte, faßte sich aber schnell wieder und fuhr fort.. “Ich wollte, daß du wieder gesund wirst... Tage und Nächte habe ich mich auf die Vertretungsstunden für Zaubertränke vorbereitet, habe deinen Lehrplan genau befolgt, damit alles seinen normalen Gang gehen konnte und um dir Arbeit abzunehmen.. und kannst du dir das vorstellen: Ich hab es gerne getan!
Sie schüttelte den Kopf. Severus hörte entgeistert zu und setzte zu einer Erwiderung an, doch Patricia redete weiter: “Remus und Dumbledore haben ständig von deinem 'guten Kern' geredet, und ich habe ihnen schließlich geglaubt. Ich wollte wirklich vergessen, was damals war.. aber du bist immer noch genauso zu mir wie früher. Du verachtest mich, weil ich ein Kind von Muggeln bin, weil ich als Teenager James angehimmelt habe, weil ich Quidditch gespielt habe, weil ich in Gryffindor war, weil du mich hässlich findest, weil du dir schon seit Jahren wünschst, Verteidigung gegen die Dunklen Künste zu unterrichten, aber Dumbledore mir diese Stelle gegeben hat..”
Sie strich sich die Haare aus dem Gesicht und zog ihr Fazit: “Und nun hast du es innerhalb eines Tages geschafft, mir die Arbeit von fast 4 Wochen zunichte zu machen, indem du die Slytherins gegen mich aufhetzt.. Nun, ich danke sehr, Severus..”
Sie drehte sich um und ging zur Tür. Bevor sie sie öffnen konnte, stellte Severus sich ihr in den Weg.
“Ich habe das alles nicht gewußt... ich meine, daß du bei mir warst auf der Krankenstation..”
Er sah in ihr vor Zorn noch gerötetes Gesicht und merkte, daß sie mit den Tränen kämpfte.
“Laß mich vorbei, Severus”, flüsterte sie und versuchte, an ihm vorbeizukommen.
Severus hielt sie an den Schultern zurück und sagte: “Geh nicht... es.. es tut mir leid.. es stimmt nicht, ich verachte dich nicht.. ich.. ich kann manchmal nicht anders. Ich weiß, daß du mir das Leben gerettet hast. Aber du hättest mich einfach liegen lassen sollen.”
Patricia sah ihn entsetzt an. “Heißt das... du wärst lieber gestorben?”
Severus nickte.
“Aber...das konnte ich nicht zulassen. Ich hatte solche Angst um dich, als ich dich dort habe liegen sehen.”
Severus spürte, wie sich ihm die Kehle zuschnürte. “Angst.. um mich? Wieso?”
Patricias Zorn war verflogen, doch die Tränen konnte sie nicht mehr zurückhalten. Dicke Tropfen kullerten über ihre Wangen und tropften auf ihre Robe.
Hastig versuchte Patricia, sie mit dem Handrücken wegzuwischen. Severus zog aus seiner Umhangtasche ein Taschentuch hervor und begann, ihr nasses Gesicht vorsichtig abzutupfen.
Er merkte, wie seine Hand dabei zitterte.
“Wieso fragst du?”, sagte Patricia heiser. “Du bist doch auch ein Mensch, Severus, und ich glaube, das habe ich erst in diesem Moment wirklich begriffen..”
Severus führte sie am Arm zu einem Stuhl vor seinem Schreibtisch, auf den sie niedersackte. Er setzte sich auf einen Hocker neben sie. Der Kloß in seinem Hals wurde immer größer, und Severus versuchte mühsam, sich zu beherrschen und nicht dem Impuls zu folgen, den Tränen freien Lauf zu lassen. Die Gefühle drohten, ihn zu überwältigen, als er sich vergegenwärtigte, was Patricia ihm gerade gesagt hatte. Es war das erste Mal in seinem Leben, daß ihn jemand als Mensch gesehen hatte.
Sein Vater hatte ihn nur als Erben betrachtet, der die Dunklen Künste in der Familientradition der Snapes weiterführen sollte, und auch für Voldemort war er nur ein Instrument gewesen, ein Diener ohne eigenen Willen, der nach seinem Befehl gequält und gefoltert hatte.
In seiner Arbeit war er aufgegangen, und hatte sich als Zaubertrankmeister einen gewissen Respekt verschafft, doch nie hatte er menschliche Regungen wie Freundschaft oder Zuneigung empfunden. Er hatte gelernt, daß Macht und Erfolg das Einzige waren, wonach es sich zu streben lohnte. Und nun kam diese Frau, die die Herzen der Schüler mit ihrem Lächeln, ihrer herzlichen Art, ihren Geschichten über Quidditch, mit Respekt und Achtung ihnen gegenüber und einem eigensinnigen Uhu (mit einem verrückten Namen) auf der Schulter im Sturm erobern konnte.. und stellte alles in Frage, woran er bisher geglaubt hatte.
“Ich habe es gespürt”, sagte er leise. “Du hast mit mir geredet und mich in den Arm genommen, und wir sind geflogen.. erst dachte ich, es wäre nur ein Traum gewesen.”
Patricia lächelte leicht. “Nein, war es nicht..”
Sie legte ihre Hand kurz auf Severus´ Schulter und sagte mit einem leichten Zittern in der Stimme: “Ich will nicht, daß du stirbst.. ich habe schon ständig Angst um Remus und Sirius und all die anderen.. wenn das doch alles bloß endlich vorbei wäre..”
“Du möchtest Remus wohl immer noch gern heiraten, nicht wahr?” Patricia zuckte leicht zusammen, und Severus befürchtete, daß er wohl wieder etwas falsches gesagt hatte. Doch sie lächelte nur leicht und schüttelte den Kopf.
“An dieser Schule kann man wohl keine Geheimnisse haben...”
“Ich weiß es von Lupin”, beeilte sich Severus zu sagen.
Patricia hob eine Augenbraue. “Aha... na ja, warum solltest du es nicht wissen, daß ich mich all die Jahre zur kompletten Idiotin gemacht habe..? Meine Freundinnen, Hexen wie Muggel, haben sich mein Gejammer ständig anhören müssen, und mir immer wieder gesagt, daß es nie was werden würde mit Remus und mir. Und sie hatten natürlich recht.”
Sie seufzte, sah Severus an und sagte: “Ihr seid euch sehr ähnlich, du und Remus.. Beide lebt ihr nur für eure Arbeit und den Kampf gegen Du-weißt-schon-wen.. und setzt bereitwillig Euer Leben dafür aufs Spiel.. Für so was profanes wie eine Frau ist da natürlich kein Platz. Auch ein Butterbier, Severus?”
Er nickte, und sie bewegte kurz ihren Zauberstab und holte dann unter ihrem Umhang zwei Flaschen Butterbier und eine Tüte Cracker hervor.

Severus und Patricia tranken schweigend und sahen in die Flammen, bis Patricia das Schweigen schließlich brach: “Um auf deine Frage zurückzukommen: Nein, ich will ihn nicht mehr heiraten. Ich habe sehr viel darüber nachgedacht, seitdem ich ihn das letzte Mal getroffen habe, und habe es, glaube ich, endlich kapiert. Hier in Hogwarts als Lehrerin zu arbeiten, ist so wunderbar.. ich wünsche mir so sehr, daß ich mich bewähre und daß Dumbledore mich behält..”
“Das wird er...”, sagte Severus und konnte fast kaum glauben, was er da gesagt hatte.
Patricia lachte. “Meinst du das ernst? Du bist es doch, der scharf auf meinen Job ist!”
Severus` Mund wurde zu einem schmalen Strich.
“Ja, ich wollte Verteidigung gegen die dunklen Künste schon immer gern unterrichten. Aber in der jetzigen Situation wird wohl niemand wollen, daß ein ehemaliger Todesser den Schülern alles über Flüche beibringt, oder?”
Sie legte kurz eine Hand auf seinen Arm, zog sie aber schnell wieder zurück.
Severus fühlte in diesem Moment das erste Mal in seinem Leben Verbitterung darüber, wie viele Menschen instinktiv vor ihm zurückschreckten und seine Nähe mieden.
“Hast du Angst vor mir?”, fragte er Patricia barsch.
“Nein.. aber ich weiß nicht, ob du es schätzt, von mir berührt zu werden..”
“Du hast es bereits einige Male getan, und habe ich dich deswegen gleich vergiftet?”
Sie grinste und antwortete: “Nein, und das würdest du auch nicht schaffen. Ich habe an der Uni sehr gut aufgepasst und außerdem ein Praktikum bei den Auroren gemacht!”
Sie zwinkerte ihm zu, und Severus spürte, daß sie wieder einen seiner Schutzwälle heruntergerissen hatte.
Erst um 5 Uhr morgens verließ Patricia Severus´ Büro und machte sich auf den Weg in ihre Privaträume. In dieser Nacht der tausend Worte hatte sie in dem letzten Menschen, von dem sie es je erwartet hätte, einen Seelenverwandten gefunden.. und vielleicht sogar einen Freund?

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