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Kapitel 6




Nach einer langen Nacht hatte sich Sabina so weit beruhigt, dass sie fähig war, wieder zur Arbeit zu erscheinen. Sie hatte ja schon einiges hinter sich, an Chefs, aber dieser schlug alles. Aber das, was er ihr dann schließlich doch noch gezeigt hatte, war unerwartet interessant gewesen. Sie hätte nie erwartet, dass es so etwas gab. In einer städtischen Behörde! Es war beinahe wie im Film. Nicht dass sie jetzt genau wusste, was sie dort überhaupt tun sollte. Aber allein der Gedanke an die ganzen potentiell interessanten Dinge, die dort in den Akten auf sie warteten, viel interessanter als die Baugenehmigungen, Autozulassungen und ähnlich wichtige Dinge, mit denen sie gerechnet hatte, munterte sie auf. Mit dem Typ würde sie schon fertig werden. Wenn er in seinem Zimmer bliebe, und sie in ihrem, würde ihm nichts passieren. Sie grinste. Und er hatte nicht den Eindruck gemacht, als genösse er ihre Gesellschaft so sehr, dass er ständig um sie herumwieseln würde. Auch das, was Katharina ihr erzählt hatte, ließ sie vermuten, er würde eher unsichtbar sein. Katharina hatte ziemlich deutlich gemacht, dass das etwas war, was alle Kolleginnen schätzten.

Sie schüttelte sich. Der Morgen gehörte ihr, danach ging es erst an die Arbeit, und erst dann würde sie sich wieder mit IHM beschäftigen, wenn sie musste. Sie war noch früher dran als gestern und ein Teil ihres Hirns beschäftigte sich schon mit dem rätselhaften Mann von gestern, obwohl der größere Teil von ihr das nicht wollte. Sie wollte sich nicht mit Männern beschäftigen, mit so sonderbaren schon mal gar nicht. Entschlossen schob sie die Karte in den Schlitz und betrat das Bad.

Sie schwamm auf dem Rücken und betrachtete den Himmel. Himmelblau, mit weißen Wölkchen. Wieder so ein schöner Tag. So eine Verschwendung, ihn im Büro zu verbringen, mit dieser Nebelkrähe und alten modrigen Akten. Stop, befahl sie sich streng. Nicht schon wieder. Hier ist es jetzt schön, nicht an später denken.

Seufzend drehte sie sich um. Sie war allein. Ganz allein in dem großen Bad. Sie kam sich vor wie eine Prinzessin oder ein Hollywoodstar. Die schönen Dinge des Lebens waren so einfach zu erreichen - ein bisschen Disziplin wegen des frühen Aufstehens und ein wenig Geld für den Eintritt - und Freiheit!

Sie stieß gegen etwas, das sich unter ihren Händen materialisierte. „Sie“, stieß sie hervor. „Wo kommen Sie denn jetzt her?“

Bernsteinfarbene Augen verengten sich zu Schlitzen und sahen sie wütend an. „Entschuldigung, heißt das“.

Graue Augen verengten sich. „Angenommen“. War das ein winzig kleines Grinsen gewesen? Sie konnte sich nicht sicher sein, das Zucken am Mund war so schnell wieder verschwunden. Wie er. Er zog mit einer Bewegung an ihr vorbei und war weg. Ihre Bahnen berührten sich nicht wieder und sie sah ihn nicht. Ab und zu sah sie eine Bewegung im Wasser, aber das war es auch. Es beschäftigte sie nicht weiter. Nicht wirklich.

Sie rannte. Wieder hatte sie sich zu lange im Wasser aufgehalten. Es zog sie nichts in das Amt. Beinahe hätte sie ihre Verkleidung vergessen. An der Tür schlüpfte sie in weite schwarze Leinenhosen und ein Hemd, ebenfalls schwarz, und band die Haare zurück. Schnell noch der Lippenstift, und rein in das Gebäude. Gerade noch rechtzeitig. Severus Snape trat vom Fenster zurück, seine Lippen waren ein Strich.

Das fing ja gut an mit dieser Frau. Nicht genug, dass er sie jetzt wohl jeden Morgen in diesem Bad treffen würde, wo sie ihm die Freude an seinem glorreichen Alleinsein verdarb, nein, sie hatte auch noch die Impertinenz, beinahe zu spät zu kommen. Als ob sie diesen Job nicht ernst nehme. Und dann verkleidete sie sich auch noch. Und das in letzter Minute. Als ob sie auch das nicht ernst nehme. Sondern als ob das alles ein Spiel sei. Und sie ein kleines Kind, das noch nicht mal zur Schule gehe. Lächerlich. Einfach albern. Die war ja noch schlimmer als die Muggel, die er bis jetzt auf dem Hals gehabt hatte. Die schienen wenigstens unter der Arbeit zu leiden, wie es sich gehörte. Diese nicht. Gestern wollte sie ihn umbringen, das ja. Aber die Arbeit selber schien ihr nichts auszumachen. Sie nahm sie nicht ernst. Schien das aber auch nicht von sich zu verlangen. Sonderbar, sehr sonderbar.

Er hielt es bis nach der Mittagspause - seiner Mittagspause, denn Dr. Snape machte nicht gemeinsam mit den anderen Mittag, er ging, wenn alle anderen wieder da waren - aus. Dann hatte er sich davon überzeugt, dass er jetzt mal nachschauen musste, was die Neue machte. Sicherlich hatte sie jetzt gerade ihren müden Punkt erreicht. Muggel hatten das alle. Sie fraßen sich voll zu Mittag, um überhaupt etwas Schönes in ihrem kargen Leben zu haben, um hinterher apathisch rumzuhängen und zu klagen. Er ließ das natürlich nicht durchgehen. Er brauchte nicht essen, nicht häufig jedenfalls, und er hatte auch keinen Spaß daran. Er aß in Gesellschaft, um nicht aufzufallen. Mittags verschwand er, bewegte sich, während alle anderen etwas in sich hineinstopften. Nein, sicherlich hing sie da jetzt auf einem Stuhl herum, zu müde, um sich zu verteidigen, wenn er sie wegen ihrer laxen Arbeitsmoral angreifen würde. Und das musste er tun. Er war schließlich der Chef. Und es ging nicht an, dass sie ihre Arbeit nicht ernst nahm. Sie war wichtig - wenn auch nicht der Teil, den die meisten hier für wichtig hielten.

Mit zusammengekniffenen Lippen und dem üblichen Stirnrunzeln machte er sich auf den Weg. Leute, die ihm begegneten und ihn grüßten, knurrte er nur an. Er hatte sich bereits so in seine Vorstellung von der Neuen, die faul und träge auf ihrem Stuhl hing, verbissen, dass er seinen Augen nicht glaubte, als die ihm klar sagten, dass diese Frau mitnichten auf einem Stuhl rumhing, ja nicht mal auf einem saß, sondern mit einem Aktenordner in der Hand Dehnübungen im Stehen machte.

„Entschuldigen Sie, dass ich Sie in Ihrer Mittagspause störe“, sagte er mit unverhülltem Sarkasmus und hochgezogener Augenbraue. „Sie nutzen Ihre Zeit ja anscheinend gut“.

„Allerdings“, entgegnete sie, und durchbohrte ihn mit ihren grauen Augen - ein Blick, an den er sich schon ziemlich gewöhnt hatte und der nicht aufhörte, ihn zu amüsieren. „Wieso sollte ich das im Sitzen lesen, wenn ich mich doch dabei bewegen kann?“

„Allerdings“, entgegnete Snape mit seiner seidenweichsten Stimme, und er hätte sicherlich noch mehr zum Thema zu sagen gehabt, bekam aber keine Gelegenheit dazu.

Sabina hielt ihm, noch immer in der Dehnung für den rückseitigen Oberschenkelmuskel, den Aktenordner hin. „Das hier ist wirklich interessant.“

Er sah erst sie, mit unverhohlenem Amüsement, dann den Brief, den sie aufgeschlagen hatte, an. Es war der Brief einer „betroffenen Mitbürgerin“ - als ob sie das nicht alle wären. Sie beschwerte sich über ungewöhnliche Geräuschentwicklung und ungewöhnliche Erscheinungen auf der Feierstätte im Wald - konnte nachts nicht schlafen und hatte dann beschlossen, dass da etwas sie störte. Und einen Auslöser gefunden. Hatte sich dann an alle Stellen gewandt, und schließlich auch an seine, nachdem sie von allen nur höfliche nichtssagende Briefe bekommen hatte. Die typische einsame Querulantin. Es gab sie in verschiedenen Ausformungen. Diejenigen, die Montags als erstes zum Arzt gingen, um den mit ihren Sorgen vollzumüllen. Diejenigen, die ihren Kollegen, wenn sie welche hatten, meistens waren diese Typen schon Rentner, bzw. lebten von der Rente eines verstorbenen Gatten, oder Mitbewohnern das Leben zur Hölle machten. Und diejenigen, die sich mit ungeheuer wichtigen Beobachtungen an alle möglichen Stellen, die Polizei und sonst wen wandten. Und sie zu handeln aufforderten.

Snape schnaubte. „Finden Sie?“

„Allerdings“. Sie sah ihn kühl an.

Wirklich amüsant. Die Dolche in ihren Augen, schon nach einem Tag, das war ja noch amüsanter als Neville Longbottom, der sich schier bepinkelte, wenn er ihn sah. „Und was soll an den Wahnvorstellungen einer einsamen Hausfrau so interessant sein.?“ Er sah sie absichtlich mürrisch an. Vielleicht würde sie ja wieder mit Gegenständen werfen, zumindest in ihrer Fantasie. Und das war ein ziemlich interessantes Phänomen.

Das tat sie nicht. Er fühlte, wie sie tief durchatmete und sehr viel Wasser durch ihr Hirn floss. Wellen über Wellen. Er sah sie mit einer hochgezogenen Augenbraue an. Sie lächelte. Und bekam dabei Grübchen in den Wangen. Snapes Gesicht wurde noch maskenhafter. Sie betrachtete ihn interessiert. Was sah sie?

Seine Augen veränderten sich irgendwie. Wurden für einen winzigen Moment erst noch schwärzer, und dann plötzlich goldbraun. Sie konnte tief in sie hineinblicken und sah - Kummer? Schuld? Angst?

Es dauerte nur einen kaum wahrnehmbaren Augenblick. Und hinterher dachte sie, sie habe es sich eingebildet. Sie sah noch einen Moment in die undurchdringlich tiefen schwarzen Seen, die seine Augen jetzt wieder waren. Vielleicht doch nicht so ganz undurchdringlich? Vielleicht war da doch irgendwo ein fühlendes Wesen hinter diesem starren Äußeren? Nicht, Sabina, sagte sie zu sich selbst. Nicht schon wieder. Du kannst nicht jeden Menschen retten. Und diesen ganz gewiss nicht. Das ist nur wieder das alte Schema. Fall nicht drauf rein. Sie atmete tief durch. „Ich denke nicht, dass es sich hierbei um Wahnvorstellungen einer einsamen Hausfrau handelt“, sagte sie leise aber fest.

„Ach.“ Das Wort triefte vor Herablassung. „Und was bringt Sie zu der Ansicht?“

„Ich kenne den Ort“, sagte sie. „Es ist sehr schön dort. Ruhig und friedlich. Ja, es gibt Erinnerungen an die Volksaufmärsche, die da stattgefunden haben, aber es ist ein Ort friedlicher Kraft. Wenn diese Frau sagt, dass sie dort sonderbare Wahrnehmungen gehabt hat, die nicht durch lärmende Jugendliche verursacht sein könnten, oder durch ein Konzert oder so etwas, dann würde ich mir das angucken wollen.“

„Würden Sie?“ Seine Stimme war schneidend. Trotz der seidenweichen Grundlage.

„Ja“, sagte sie einfach.

„Und wie würden Sie das machen wollen? Tag und Nacht auf der Lauer liegen? Das können wir nicht bezahlen.“ Seine Stimme war verächtlich und bitter.

Sabina nahm einfach mal an, dass sich die Bitterkeit auf die mangelnden Stellen bezog. Zu seinen und ihren Gunsten.

Sie beugte sich noch einmal über den Brief. „Hier“, sagte sie und Snape beugte sich beinahe auch. Beinahe.

„Was?“, schnarrte er.

„Sie sagt, es ist immer bei Vollmond besonders auffällig.“

„Vollmond“, schnaubte er. „Von allen Vorurteilen, die durch dumme Geschichten weiterverbreitet werden, ist das natürlich das dümmste Klischee von allen.“

Sie sah ihn an. „Heute nacht ist Vollmond“.

„Ach was?“

Snape sah sie an. „Geduld ist nicht Ihre starke Seite, was?“, sagte er. Wieder flog ein Messer nah an ihm vorbei. Er lächelte, ein winziges bisschen. „Wollen wir mal bis zum Beweis des Gegenteils annehmen, dass Sie eine starke Seite haben“.


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