Jenseits von Hogwarts

 

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Kapitel 5

Zweifel


Severus seufzte leise, als er sich auf den Weg hinab in die Kerker machte. Er war ungeheuer erleichtert über den Ausgang der Unterredung, die er eben mit dem Dunklen Lord gehabt hatte. Dieser schien fürs Erste tatsächlich seinen Zorn auf Lucius gestillt und für den Moment auch das Interesse an seinem neuen Spielzeug Draco verloren zu haben. Er hatte ihn beauftragt, die beiden Malfoys aus ihrem Verlies zu holen und sie zurück auf ihren Landsitz zu begleiten, wo sie sich bis auf Weiteres aufhalten sollten. Severus sollte zunächst bei ihnen bleiben und sicher stellen, dass sie das Haus nicht verließen und auch keinerlei Kontakte zur Außenwelt aufnahmen.
Er öffnete die Zellentür mit einem Schwenk seines Zauberstabes. Sie glitt quietschend auf und gab den Blick auf ihre Bewohner frei. Draco lag zusammengerollt auf dem Steinboden und schien zu schlafen. Lucius saß an die Wand gegenüber der Tür gelehnt und schaute ihn überrascht und fragend an.
"Ihr habt Glück!", begrüßte ihn Severus. "Der Dunkle Lord entläßt euch aus seinen Kerkern. Wir drei werden zusammen zu eurem Landsitz apparieren. Dort steht ihr, bis der Dunkle Lord etwas anderes befiehlt, unter meiner Bewachung und unter Hausarrest."
Lucius schloss für einen Moment die Augen. "Danke!", sagte er dann schlicht.
Severus hob fragend eine Augenbraue.
"Danke wofür?"

***


Draco erwachte, als ihn jemand heftig an den Schultern rüttelte. Er blinzelte erst verschlafen, war dann aber mit einem Schlag hellwach, als er sein Gegenüber erkannte. "Was ist?", fragte er erschrocken.
Snapes Gesicht hing über ihm, die Lippen zum gewohnt spöttischen Lächeln verzogen. "Los, aufstehen! Gute Nachrichten für euch: Es geht zurück nach Hause!"
"Ist das wahr?", wandte sich Draco verblüfft an seinen Vater.
"Es scheint so", sagte Lucius müde. "Ich hoffe es zumindest sehr."
Nur mit Hilfe der beiden anderen gelang es ihm, mühsam, auf die Füße zu kommen. Draco beobachtete seinen Vater beunruhigt. Beruhte dessen Schwäche tatsächlich nur auf den Nachwirkungen seines Cruciatus-Fluches? Falls ja, verfügte er über wesentlich stärkere magische Kräfte, als er für möglich gehalten hatte.
Sein Vater fing seinen besorgten Blick auf und versuchte zu lächeln. Es wurde eher ein schmerzverzerrtes Grinsen. "Falls es dich beruhigt, Draco, es ist nicht allein deine Schuld, dass ich so wacklig auf den Beinen bin. Wie ich bereits erwähnte, hatte der Dunkle Lord einige Tage Zeit, sich mit mir zu beschäftigen - und er hat die Zeit gut genutzt."
"Ich werde mich um Lucius kümmern, sobald wir auf eurem Landsitz sind. Aber jetzt sollten wir uns besser beeilen, bevor unser Lord es sich doch noch anders überlegt."
Bei der Vorstellung, auf unbestimmte Zeit und unter äußerst unangenehmen Umständen in der Gesellschaft des Dunklen Lords bleiben zu müssen, kam Bewegung in Draco. Entschlossen packte er einen Arm seines Vaters und legte ihn sich über die Schulter. Snape tat das Gleiche auf der anderen Seite. Ihre freien Arme um Lucius' Taille gelegt und ihn mehr tragend als stützend, führten sie den blonden Todesser aus dem Verlies.
"Hier unten ist der Gebrauch von Magie aus Sicherheitsgründen äußerst eingeschränkt. Sonst würde ich Lucius einfach mit einem Schwebezauber belegen", wandte sich Snape an Draco. "Aus den Kerkern können wir auch nicht disapparieren. Der Dunkle Lord hat besondere Bannflüche gelegt, damit ihm kein Gefangener auf diese Weise entwischen kann. Aber es gibt hier einen speziellen Raum, den wir nutzen werden."
Draco war immer noch mehr als nervös. Die Gefahr, die von diesem Ort ausging, war körperlich spürbar. Unbegreiflich, wie sein Vater und sein Hauslehrer - seine Gedanken gerieten ins Stocken und er warf rasch einen Blick auf Snape. Er konnte sich ihn kaum mehr als Lehrer vorstellen. ‚Die Rechte Hand des Dunklen Lords' - diese Rolle schien so viel besser zu ihm zu passen. Dennoch, er konnte sich nicht vorstellen, wie sie den regelmäßigen Aufenthalt in diesen Mauern, die Bedrohung und Furcht geradezu ausströmten, ertragen konnten. Wie konnte irgendjemand die regelmäßige Gegenwart des Dunklen Lords verkraften? Wie konnte jemand - wie konnten Snape oder sein Vater es über sich bringen, regelmäßig Menschen zu foltern und zu töten, wo ihn selbst doch schon dieses eine Mal völlig fertig gemacht hatte?
Nein, das stimmte nicht ganz. Es hatte ihn ohne Frage fertig gemacht, seinen Vater foltern zu müssen, und wahrscheinlich - hoffentlich , dachte Draco - wäre ihm das auch bei einem anderen Menschen schwer gefallen. Der Mord an Marcus aber hatte ihn seltsam ungerührt gelassen, weder Zweifel noch Reue quälten ihn in diesem Zusammenhang. Das beunruhigte Draco irgendwie und er schob den Gedanken an Marcus rasch beiseite.
Erst diese wenigen Tage in der Gewalt des Dunklen Lords hatten Draco eine ungefähre Vorstellung davon gegeben, was es wirklich bedeutete, ein Todesser zu sein. Oder ein Opfer der Todesser - was mitunter auf das Gleiche hinauslief. Und der Dunkle Lord hatte ihn noch nicht einmal gefoltert. Er wußte von seinem Vater, dass manche Gefangene Jahre in den Kerkern verbrachten und immer wieder gequält und gedemütigt wurden.
‚Von Menschen wie meinem Vater', dachte Draco unbehaglich.
‚Nein', korrigierte er sich bestürzt. ‚ Von meinem Vater!'
Er versuchte sich vorzustellen, wie sein Vater den Zauberstab auf jemanden richtete - irgend jemanden, den er nie vorher gesehen, der ihm nie etwas getan hatte - und ihn so mit dem Cruciatus-Fluch folterte, wie Draco es gestern gezwungenermaßen mit ihm getan hatte. Es gelang ihm nicht.
Draco wurde aus seinen Gedanken gerissen, als sie nach einer scharfen Biegung plötzlich vor einer schmalen Tür stehen blieben. Die Tür sah irgendwie eigenartig aus. Sie schien gleichzeitig enorm massiv und trotzdem fließend wie Wasser. Blauschwarz brodelte die Oberfläche und es bildeten sich immer neue Muster auf ihr: Drachen, Schlangen, Knoten... Draco streckte fasziniert eine Hand nach dem komplizierten keltischen Linienmuster aus, das eben in Entstehung begriffen war.
"Nicht!", zischte Snape warnend und schlug ihm mit dem Zauberstab auf die Finger. Erschrocken zog Draco die Hand zurück, konnte seine Augen jedoch nicht von den wirbelnden Mustern losreißen.
"Enervate!"
Etwas wie ein heftiger Stromschlag schoss durch seinen Körper und er schnappte überrascht nach Luft.
Snape sah ihn verärgert an. "Sie hypnotisiert dich, wenn du nicht aufpasst! Und wenn du sie dann anfaßt..." Um seine Worte zu illustrieren, zog Snape einen Bogen Pergament aus einer Tasche seines Umhanges und berührte damit die Tür. Augenblicklich züngelten blau-violette Flammen aus ihr hervor. Das Pergament wurde sofort von ihnen erfasst und Snape ließ es rasch fallen, ehe es ganz vom Feuer umhüllt wurde. Doch das Pergament verbrannte nicht. Mit Entsetzen beobachtete Draco, wie es sich in einer Art Agonie krümmte und wand. Schwarze Flecken erschienen auf seiner Oberfläche, wurden zu Blasen und zerplatzten zischend. Ein Übelkeit erregender schwefliger Geruch hing in der Luft, als immer mehr Blasen erschienen, bis das Blatt vollkommen von ihnen bedeckt war. Immer noch krümmte es sich wie unter entsetzlichen Qualen. Aber das konnte nicht sein - es war doch nur ein lebloses Ding... Draco brach kalter Schweiß aus, als er sich vorstellte, er selbst würde jetzt dort am Boden liegen und sich in Agonie winden.
"Das Schloss des Dunklen Lords ist voll von schwarzer Magie. Noch nie hat es jemand geschafft, hier unbemerkt einzudringen. Die wenigen, die es versucht haben - nun ja..." Snape deutete mit einem verächtlichen Schnauben auf das verkohlte Pergament. "Also, fass' hier lieber nichts an!"
Draco nahm sich fest vor, auf Snape zu hören. Dieser hatte jetzt die Augen geschlossen und murmelte leise lateinische Worte. Die Muster auf der Tür verblassten und sie schwang lautlos nach innen auf. Ein mattes grünliches Licht, wie von einem Flohpulver-Feuer, erfüllte den kleinen Raum. Tatsächlich befand sich auch ein alter rußgeschwärzter Kamin in dem Zimmer. Doch kein Feuer brannte in ihm. Das Licht schien von überall und nirgends zu kommen. Die Tür hatte sich geräuschlos hinter ihnen geschlossen.
"So." Snape streckte eine Hand aus und packte Draco fest am Arm. Seine andere Hand stützte nach wie vor Lucius. "Dann mal los!"
Plötzliche Schwärze umfing Draco. Etwas presste ihm die Luft aus den Lungen, taumelnd machte er einen Schritt vorwärts - und stand im Arbeitszimmer seines Vaters.

***


Nichts hatte sich verändert in dem Jahr seiner Abwesenheit. Lucius ließ den Blick über sein aufgeräumtes und blitzsauberes Arbeitszimmer schweifen und fühlte sich in seinen verschmutzten, stinkenden Roben wie ein Eindringling.
In der Mitte des Raumes stand ein mächtiger Schreibtisch aus Eichenholz, dahinter ein hochlehniger und bequem gepolsterter Stuhl. Die steinernen Wände wurden von hohen Bücherregalen und zahlreichen Ölgemälden verdeckt. Von der holzgetäfelten Decke hing ein silberner Kerzenleuchter herab, im Kamin lag ordentlich aufgestapelt ein Haufen Feuerholz und darüber auf dem Sims stand die obligatorische Schale mit Räucherwerk, das er benutzte, um sich bei der Arbeit besser konzentrieren zu können. Durch die hohen Bogenfenster hinter dem Schreibtisch fiel das Morgenlicht herein und ließ den tanzenden Staub sichtbar werden.
Wie war es möglich, dass all das unverändert geblieben war - wenn er selbst sich doch so sehr verändert hatte im Verlauf seiner Gefangenschaft, erst in Askaban und dann beim Dunklen Lord? Er seufzte leise und warf einen fragenden Blick auf Severus. "Ich würde gerne baden. Draco sicherlich auch", sagte er leise und vorsichtig. "Hast du etwas dagegen?"
Snape schüttelte stumm den Kopf.
Lucius atmete erleichtert auf. "Binky!", rief er dann in befehlsgewohntem Ton.
Eine Sekunde später gab es ein sanftes ‚Plopp!' und ein weiblicher Hauself, gehüllt in ein altes und schmutziges Handtuch, erschien vor ihnen. "Ja, Meister Malfoy, Sir? Sie wünschen, Sir?"
Wirklich, als ob er nie weggewesen wäre und in seiner gewohnten, Autorität ausstrahlenden Erscheinung vor ihr stünde. Dumme kleine Biester, diese Hauselfen. Andererseits - im Moment war er ihr fast dankbar. Binky strahlte eine Normalität aus, die irgendwie beruhigend auf ihn wirkte. "Bereite die beiden Badezimmer im Erdgeschoss und im ersten Stock vor. Und leg saubere Kleidung für Draco und mich bereit."
"Jawohl, Meister Malfoy, Sir!", quiekte Binky und war mit einem leisen ‚Plopp!' verschwunden.
Severus und Draco stützten Lucius noch immer und so wie er sich gegenwärtig fühlte, wäre es ihm wahrscheinlich auch nicht gelungen, ohne Hilfe auf den Beinen zu bleiben. "Ich muss mich einen Moment setzen, bitte", sagte er leise. Er war sich immer noch nicht sicher, was er von Severus und dessen Bewacher-Mission zu halten hatte. In den letzten Tagen hatte er mehrmals unangenehme Bekanntschaft mit Severus' magischen Fähigkeiten in Gestalt verschiedener äußerst schmerzhafter Flüche und wirklich widerlich wirkender Zaubertränke gemacht und so hielt er Höflichkeit und, bis zu einem gewissen Grad, sogar Unterwürfigkeit für angebracht. Schweigend führten sie ihn zu seinem Schreibtischstuhl und erleichtert ließ er sich in die weichen Polster sinken. "Danke."
Severus musterte ihn nachdenklich. "Du hast dich verändert, Lucius. Zu deinem Vorteil, möchte ich fast sagen. Ich hätte es kaum für möglich gehalten, dass es irgend jemandem gelingen könnte, dir deine ätzende Arroganz auszutreiben."
Geschockt starrte Draco ihn an. Er öffnete den Mund, wohl um seinen Vater zu verteidigen, schloss ihn jedoch sofort wieder, als er Lucius' warnendes Kopfschütteln bemerkte.
Der Stellvertreter des Dunklen Lords schien auch keine Antwort erwartet zu haben. "Wird Zeit, dass dieser Hauself wieder auftaucht. Ihr beide braucht wirklich dringend ein Bad, so, wie ihr ausseht... und so, wie ihr riecht." Er verzog angewidert dass Gesicht.

***


Die Schamesröte stieg Draco in die Wangen und er warf einen hastigen Blick zu seinem Vater hinüber. Blass und mit geschlossen Augen saß der auf seinem Stuhl, schien aber nicht auf Snapes Feststellung zu reagieren. Denn es war eine Feststellung, keine Beleidigung, auch wenn sie nicht sehr taktvoll gewesen war. Draco hatte seit fast einer Woche weder die Kleider wechseln noch sich waschen können und in der vertrauten Geruchskulisse ihres Hauses wurde ihm der strenge Geruch, der von ihm selbst ausging, erstmals unangenehm bewusst. In den Kerkern Voldemorts hatte er andere Sorgen gehabt, aber jetzt merkte er wohl, dass er - nun ja, stank.
Sein Vater allerdings hatte offenbar monatelang dieselbe Kleidung getragen und mochte er in Askaban auch ab und an Gelegenheit zur Körperpflege gehabt haben, so hatte es diese bei Voldemort sicher nicht mehr gegeben. Noch nie hatte er seinen Vater so schmutzig und heruntergekommen gesehen. Das sonst so gepflegte, platinblonde lange Haar hing ihm fettig und wirr ins Gesicht, dass von einer bleichen und ungesunden Farbe war. Die Augen lagen tief in den Höhlen und waren von blauschwarzen Schatten umgeben. Wangen- und Kieferknochen traten scharf hervor und zahlreiche kleine Schnitte, Schürfwunden und blaue Flecken verunstalteten sein Gesicht. Lucius' Robe war zerrissen und ebenso wie die restliche Kleidung stark verschmutzt. Da er in seinen Umhang gehüllt war, konnte es Draco nicht klar erkennen, aber er schätzte, dass sein Vater in dem Jahr seiner Gefangenschaft in Askaban ungefähr fünfzehn Kilo an Gewicht verloren haben musste. Und er roch äußerst unangenehm. Nun ja, der Cruciatus-Fluch ließ einen die Kontrolle über sämtliche Muskeln verlieren, und wenn...
"Was ist los, Draco?"
Erst jetzt wurde er sich bewusst, dass er seinen Vater während der letzten Minute unverwandt angestarrt hatte. "Entschuldige, Vater", sagte er beschämt.
"Ich bin wohl derzeit kein schöner Anblick?"
"Vater, es tut mir leid..."
"Du brauchst dich nicht zu entschuldigen", sagte Lucius müde.
Draco sah ihn verblüfft an. Snape hatte recht: Sein Vater war in der Tat verändert. Das Erscheinen Binkys befreite Draco aus seiner unangenehmen Lage.
"Die Bäder sind gerichtet, Master Malfoy, Sir."
"Danke, Binky."

***


Danke, Binky?
Binky schlackerte verwirrt mit ihren Fledermausohren, als wollte sie sicher gehen, sich nicht verhört zu haben und starrte ihren Herrn groß an. Lucius wurde klar, dass er sich noch nie in seinem Leben bei einem der Hauselfen für dessen Arbeit bedankt hatte. Nun, das würde er ändern müssen. Er wußte jetzt, wie es sich anfühlte, ganz unten in der Hierarchie zu stehen und einem anderen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert zu sein.
"Du kannst gehen, Binky."
"Jawohl, Meister Malfoy, Sir." Mit einem letzten besorgten Blick auf ihren Gebieter löste sich die Hauselfe in Luft auf.
"Draco, würdest du mir bitte ins Bad helfen? Um alleine da hinzukommen, fühle ich mich im Moment zu... schwach."
"Ich mach das schon." Severus trat neben Lucius und zog ihn auf die Beine.

***


Besorgt blickte Draco zu seinem Vater. Sollte er ihn wirklich mit Snape alleine lassen? Andererseits, wenn Snape ihm Schaden zufügen wollte, hätte er, Draco, ohnehin nichts dagegen tun können.
"Na los, Junge. Du hast ein Bad fast genauso nötig wie ich", lächelte sein Vater ihm aufmunternd zu. ‚Plopp!' - Lucius und Snape waren verschwunden.
‚Hoffentlich hat er ihn wirklich nur zum Badezimmer gebracht', dachte Draco mit einem flauen Gefühl im Magen. Dann verließ er das Arbeitszimmer und machte sich auf den konventionellen Weg über die Treppe zu seinem eigenen Bad im ersten Stock.
Im Badezimmer angekommen, riss Draco sich eilig die muffigen Kleider vom Leib und kletterte in die Wanne. Binky hatte einen ganzen Berg weicher, sauberer Handtücher bereit gelegt und auf einem Hocker lagen ordentlich zusammengefaltet seine Lieblingsklamotten: eine schwarze Trainingshose und ein schon etwas ausgebeulter und verwaschener grüner Pullover. Sein Vater mochte es nicht besonders, wenn er in alter und abgetragener Kleidung herumlief, nicht einmal zu Hause, schließlich hatten sie es auch wirklich nicht nötig. Aber er fühlte sich in diesem Pullover nun mal besonders wohl und Binky schien, wie alle Hauselfen, ein besonderes Gespür für die aktuellen Bedürfnisse ihrer Herrschaft zu haben.
Mit einem erleichterten Seufzer ließ er sich in das warme und duftende Wasser gleiten. ‚Rosa Seifenschaum! Typisch Binky', dachte Draco grinsend. Sie hatte eine Vorliebe für Rosa und Lila und überhaupt für jede Form von Kitsch, was ihr schon manchen Rüffel des Hausherrn eingetragen hatte. Draco hatte allerdings den Verdacht, dass Binkys Geschmack ganz gut mit dem seiner Mutter harmonierte, auch wenn die das gegenüber ihrem Mann natürlich nie zugeben würde.
Das Wasser tat wirklich gut, er konnte sogar schon wieder über ganz normale Sachen nachdenken. Mit zugehaltener Nase tauchte er unter und kam prustend wieder hoch. Seine Haare fühlten sich ganz schön eklig an und er begann, sich gründlich einzuseifen und abzuschrubben, während er weiter seinen Gedanken nachhing. Leider beschränkten die sich nun nicht mehr auf so harmlose Dinge wie Binkys Lieblingsfarben.
Statt dessen drängten sich ihm Bilder auf: Der gepeinigte Marcus, der ihn aus strahlend grünen Augen unverwandt ansah. Das weiße Gesicht des Dunklen Lords, von einem grausamen Lächeln verzerrt, als er Draco das Dunkle Mal einbrannte. Sein Vater, am Boden zusammen gekrümmt, zuckend und schreiend unter Qualen, die er ihm zufügte. Sein Vater, halb bewusstlos an eine steinerne Kerkerwand gelehnt, dem Snape einen Zaubertrank die Kehle hinunter zwang. Sein Vater, mit verdrecktem strähnigen Haar, das Gesicht bleich und zerschrammt, gehüllt in schmutzige zerfetzte Roben und so schwach, dass er ohne Hilfe kaum stehen konnte.
Er glaubte, den demütig flehenden Klang in Lucius' Stimme zu hören, den sie neuerdings annahm, wann immer er mit Snape sprach, und sein Herz krampfte sich zusammen. Was hatte Askaban, im Verein mit dem Dunklen Lord, Lucius nur angetan? Er war kaum wiederzuerkennen.
Und dann die Sache mit Snape. Draco hatte seinen Hauslehrer immer sehr geschätzt, ja, ihn geradezu verehrt. Abgesehen vom letzten Jahr vielleicht, doch da hatte Draco einfach zu sehr unter Druck gestanden. Mit Ausnahme dieses einen Jahres hatten sie immer eine gute Beziehung zueinander gehabt, hatte Snape ihn stets freundlich behandelt - das hieß, soweit er überhaupt freundlich sein konnte. Doch im Umgang mit seinen Slytherins und, besonders, mit Draco, war er das immer in weit größerem Maß gewesen, als es sich die Schüler der anderen Häuser wohl auch nur entfernt vorstellten konnten.
Und jetzt? Mit Sicherheit hatte Snape als ‚Rechte Hand des Dunklen Lords' an den Folterungen seines Vaters teilgenommen. Das würde die fast instinktive Furcht, die Lucius vor ihm zu haben schien, vielleicht erklären. Aber da war auch noch etwas anderes zwischen den beiden... Eine seltsame Art von Vertrautheit, die er zwischen ihnen früher nie beobachtet hatte. Lucius Malfoy und Severus Snape waren gemeinsam in Hogwarts gewesen, nicht im selben Jahrgang, da Lucius drei Jahre älter war, aber Schulkameraden bei den Slytherins. Freunde waren sie jedoch nie gewesen. Draco bezweifelte sogar, dass Snape in seiner unterkühlten und abweisenden Art jemals so etwas wie einen Freund gehabt hatte. Respekt, auch Furcht, die konnte er mittlerweile mühelos erringen - aber Freundschaft? Außerdem hatte sein Vater früher oft abfällig von Snape gesprochen, sich über dessen verkrampfte Art und unfeine Halbblüter-Abstammung lustig gemacht. Der Slytherin-Hauslehrer war gelegentlich zu Besuch bei ihnen gewesen, um mit Lucius Aktionen der Todesser zu planen. Nie war Draco da auch nur ein Hauch von Intimität aufgefallen, der über eine kühle geschäftsmäßige Beziehung hinausgereicht hätte.
Jetzt war das anders. Lucius schien sich zwar einerseits vor Snape zu fürchten, ihm andererseits aber auch zu vertrauen. Obwohl ‚vertrauen' vielleicht das falsche Wort war. Es schien mehr so, als hätte sich sein Vater ganz in sein Schicksal ergeben - und als hieße dieses Schicksal Severus Snape.

***


Zur gleichen Zeit wie Draco lag auch Lucius Malfoy in der Badewanne. Hier war das Wasser allerdings von schwarzem Seifenschaum bedeckt. Ursprünglich war er lila gewesen, aber Severus hatte ihn mit einem konsternierten Blick und einem gemurmelten "Das geht doch wirklich zu weit!" in seine Lieblingsfarbe verwandelt.
Ebenso pikiert hatte er Lucius aus den schmutzigen Kleidern und in die Wanne geholfen. Langsam schien sich seine Funktion als Bewacher in eine Art Babysitter-Job zu verwandeln... Natürlich hätte er Lucius auch einfach mit einem Reinigungszauber belegen können. Aber Severus verstand dessen Bedürfnis nach einem simplen, nichtmagischen Bad durchaus. Zauberei war zwar zweckmäßig, aber es mangelte ihr eindeutig an den sinnlichen Qualitäten, die warmes Wasser und duftender Seifenschaum besaßen. Und nach all dem Ungemach, dass Lucius durch ihn hatte erdulden müssen, wollte Severus ihm eine solch harmlose Annehmlichkeit nicht verweigern. Dabei bleiben musste er allerdings, denn es bestand die Gefahr, dass sein ‚Schützling' in seinem geschwächten Zustand in der Badewanne ertrank - oder dass er sich die Pulsadern aufschnitt, um dem Dunklen Lord ein für alle Mal zu entkommen. Was es unter allen Umständen zu verhindern galt.
Da es im Badezimmer ziemlich warm war, hatte Severus seinen Umhang abgelegt und an einen Garderobenhaken gehängt. Er ließ sich auf einem Hocker nieder und blickte Lucius stirnrunzelnd an. Erschreckend dünn und mit den Spuren der Folter auf seinem nackten Oberkörper, machte er ihm fast ein schlechtes Gewissen.
‚Ach was', dachte er wütend. ‚Er hätte dich genauso gefoltert wie du ihn, wenn der Dunkle Lord es befohlen hätte. Schließlich hat er das früher schon getan und ich hatte nicht den Eindruck, dass es ihm etwas ausgemacht hätte. Ganz im Gegenteil, er hatte seinen Spaß dran.'
Lucius fing seinen zornigen Blick auf und versuchte ein vorsichtiges und besänftigendes Lächeln.
‚Eine Folge der Folter. Viele werden so, wenn man die Folter nur lange genug durchzieht. Am Ende sind sie dir dankbar für jedes Wort, das keine Drohung enthält und so verstört, dass sie sich nach jeder freundlichen Berührung sehnen - auch wenn sie von ihrem Henker kommt.'
Severus gelang es dennoch nicht, das Unbehagen wegzuschieben, dass ihn bei Lucius' Lächeln ergriffen hatte.
"Brauchst du Hilfe?", fragte er grob und machte Anstalten, sich zu erheben.
Bei seinem schroffen Ton zuckte sein Gegenüber leicht zusammen, behielt aber das unterwürfige Lächeln bei. "Danke, es geht schon."
Severus zuckte die Achseln und blieb sitzen. Er kannte beide Seiten der Folter, wie die meisten von Voldemorts Anhängern. Einerseits braute er zahlreiche Tränke für den Dunklen Lord, die dem Opfer den Tod oder Schlimmeres brachten. Und natürlich tötete und folterte er im Auftrag seines Meisters. Der Dunkle Lord hatte allerdings auch eine ausgeprägt sadistische Ader, wenn es um die Bestrafung von Fehlern seiner Todesser ging. Severus hatte ziemlich viele Foltermethoden am eigenen Leib kennen gelernt. Allerdings war er dabei nie seelisch gebrochen worden - anders als Lucius, der nur noch ein Schatten seines früheren stolzen und überheblichen Selbst war.
Eigentlich hätte Severus bei diesem Gedanken Befriedigung verspüren müssen, schließlich war dieser neue, zerstörte Lucius sein Werk. Und er hatte Grund zum Triumph, denn er hatte den anderen gehasst, jahrelang, jahrzehntelang. Doch Severus wusste, dass sie in wenigen Tagen nie soviel hätten erreichen können, wären Lucius' Seele, Geist und Körper nicht schon durch ein Jahr Haft in Askaban schwer angegriffen gewesen. Sie hatten ihm lediglich den Rest gegeben. Und außerdem -
Ein dumpfer Schlag ließ ihn aufschrecken. Lucius hatte mit seinen ungeschickten Händen die Shampooflasche zu Boden fallen lassen.
"Na, so wird das nie was", knurrte Severus ihn an. Er stand auf, krempelte die Ärmel hoch und schnappte sich das Shampoo. "Halt still!", zischte er genervt und leicht angeekelt, als er Lucius nun zwar nasses, aber nach wie vor furchtbar schmutziges Haar packte und es einzuseifen begann. ‚Jetzt wäre es wirklich Zeit für einen Reinigungszauber...' Doch Severus fuhr fort, den Seifenschaum durch Lucius' langes Haar zu streichen, länger und gründlicher als eigentlich nötig.
Lucius wagte kaum zu atmen.
‚Er kann nichts dafür', mahnte sich Severus in Gedanken. ‚ Du hast ihm diese Angst in die Seele eingebrannt.'
"Ich wasch' dir nur die Haare!" Er gab sich Mühe, seiner Stimme einen beruhigenden Klang zu verleihen und spürte, wie sich Lucius allmählich etwas entspannte.
Nach einer Weile fragte Lucius zögernd: "Was, meinst du, hat der Dunkle Lord mit Draco vor?"
Draco. Das schien in der Tat Lucius' einzige Sorge zu sein und war wahrscheinlich auch der Grund dafür, dass es ihm gelungen war, in der Gegenwart des Jungen seinen letzten Rest Selbstbeherrschung zusammen zu kratzen.
"Ich habe heute früh mit dem Dunklen Lord gesprochen und da sah es so aus, als ob er noch keine konkreten Pläne mit ihm hätte. Und wenn er den Jungen irgendwo einsetzen wird, dann werde ich dabei sein, um auf ihn aufzupassen. Wie du weißt, habe ich Narcissa den Unauflösbaren Eid geschworen, Draco zu beschützen."
"Ja. Und ich bin dir wirklich sehr dankbar dafür." Lucius drehte den Kopf und für einen Moment trafen sich ihre Blicke. Lucius' Dankbarkeit war echt. Doch Severus konnte der Versuchung einfach nicht widerstehen...
"Wo wir gerade bei Narcissa sind, wo steckt sie überhaupt?" Er hob fragend eine Augenbraue.
"Ich weiß es nicht."
Nun schoss auch seine zweite Augenbraue in die Höhe.
"Ich weiß es wirklich nicht! Nach meiner Verhaftung fingen diese verdammten Auroren an, hier rumzuschnüffeln und Narcissa hatte Angst, dass sie sie auch nach Askaban schicken würden. Das wollte sie nicht riskieren, allein schon Dracos wegen nicht. Außerdem hat sie panische Angst vorm Dunklen Lord. Deshalb hält sie sich verborgen - und ich kenne weder ihren Aufenthaltsort noch den Geheimniswahrer!"
"Dir ist klar, dass ich es auf jeden Fall aus dir rauskriegen werde, falls du es doch wissen solltest?"
Lucius schluckte krampfhaft. "Ja."
"Schau mir in die Augen! Du weißt nicht, wo Narcissa sich versteckt hält?"
"Nein."
"Du weißt nicht, wer Narcissas Geheimniswahrer ist?"
"Nein!"
Severus zögerte einen Moment. "Es scheint so, als würdest du die Wahrheit sagen."
Lucius tat erleichtert einen tiefen Atemzug.
"Weiß Draco es?"
Lucius erstarrte und wurde noch blasser, als er es ohnehin schon war. "Du würdest doch nicht...?", hob er mit zitternder Stimme an. Panik flackerte in seinen eisgrauen Augen und auf seinem Gesicht lag ein so entsetzter und flehender Ausdruck, dass Severus der Spaß an seinem kleinen Spiel mit einem Schlag verging.
"Ich würde ihn nur fragen , Lucius, so wie ich dich jetzt frage."
"Er weiß es nicht!"
"Ich denke, das werde ich besser selber feststellen." Zeit, das ‚Gespräch' zu beenden. "Übrigens scheinst du mir sauber genug zu sein." Er richtete seinen Zauberstab auf die Wanne und augenblicklich verschwand das Wasser. Dann griff er sich die Dusche und begann den verdatterten Lucius abzubrausen. "Die Handtücher sparen wir uns." Severus richtete seinen Zauberstab diesmal auf Lucius und trocknete ihn magisch ab.
"Nun komm schon, beweg' dich." Grob packte er seinen Gefangenen unter den Armen, zog ihn aus der Wanne und half ihm in die sauberen Kleider.
Zu seiner Schande musste Severus gestehen, dass es ihm Spaß gemacht hatte, Lucius mit Fragen nach Narcissa in Panik zu versetzen - zumindest am Anfang. Er war immer noch zornig auf den Mann, den Narcissa für einen alten Freund von ihm hielt. Zornig auf drei Jahrzehnte Spott und Erniedrigung. Lucius war während seiner Schulzeit kaum besser gewesen als Black oder Potter senior. Und in all den Jahren ihrer gemeinsamen Arbeit für den Dunklen Lord hatte er stets eine verletzende Bemerkung für Severus bereit gehabt. Wenn bei ihren gemeinsamen Aktionen irgendetwas schief gegangen war, war Lucius gern bereit gewesen, Severus die Verantwortung dafür zuzuschieben, während er Erfolge stets für sich allein beansprucht hatte. Narcissa war da sehr anders gewesen...
Nun, auch Lucius hatte sich verändert. Ein guter Teil dieser Veränderung ging auf Severus' Konto - und er war nicht stolz darauf. Seine Beziehung zu Lucius hatte sich ebenfalls gewandelt, und Severus war nicht sicher, ob es sich dabei um eine Veränderung zum Positiven handelte. Fast sehnte er sich nach dem alten, gehässigen und eingebildeten Lucius und nach seinem eigenen, bitteren Hass auf ihn. Draco allerdings hatte ihn im letzten Schuljahr zunehmend an diesen alten Lucius erinnert - an Lucius auf dem Höhepunkt seiner Arroganz und Selbstüberhebung.. Nun, der Aufenthalt beim Dunklen Lord schien Stolz und Sebstbewusstsein des Jungen wieder auf ein erträgliches Maß zurechtgestutzt zu haben.
Es würde zwar nicht nötig sein, Draco nach dem Aufenthaltsort seiner Mutter zu befragen, aber es gab andere Dinge, die er von ihm wissen wollte. Er wollte wissen, wer der Mensch war, den er unter Einsatz seines Lebens seit über einem Jahr beschützte. Sie waren nicht mehr in Hogwarts oder beim Dunklen Lord, die unmittelbare Gefahr für Draco war vorüber - und damit auch seine Schonzeit. Im Grunde mochte er den Jungen, aber im Verlauf des letzten Schuljahres hatte Draco ihn mit seiner zunehmenden Arroganz und Unverschämtheit bis zur Weißglut gereizt. Wenn Draco dabei war, sich zu einem zweiten Lucius zu entwickeln, würde er Mittel finden, auch den Unauflösbaren Eid aufzulösen.

***


Draco schleppte seinen großen Rucksack durch das Ankleidezimmer und stopfte wahllos Kleidungsstücke für sich und seinen Vater hinein. Von Binky hatte er sich ein großes Proviantpaket besorgt und an der Hüfte trug er einen Beutel mit einer ansehnlichen Zahl von Goldstücken.
Draco hatte seine Entscheidung getroffen. Mochte es momentan auch so aussehen, als ob vom Dunklen Lord keine Gefahr mehr für sie ausginge, das konnte sich jede Minute ändern. Und hatte sich Snape während der letzten Stunden auch relativ freundlich ihm gegenüber verhalten - das konnte sich genau so schnell ändern.
Sie mussten hier raus. Egal wohin, nur weg aus dem Machtbereich des Dunklen Lords. Am Besten wäre es, sie würden einen Geheimniswahrer auftreiben und sich ebenso verbergen wie seine Mutter. Dann konnten der Dunkle Lord und Snape lange nach ihnen suchen! Er zerrte an den Schnallen seines Rucksacks, er ging gerade so eben zu.
Wo hatte Snape seinen Vater hinverfrachtet? Hoffentlich in dessen Schlafzimmer, denn das war durch eine Tapetentür mit dem Ankleidezimmer verbunden. Außerdem gab es da eine geheime Treppe, die direkt in den Keller führte. Da Snape wahrscheinlich inzwischen den Apparierschutz erneuert hatte, würden sie einen der langen Geheimgänge verwenden müssen. Und sein Vater war so schwach... Ob er wohl etwas dagegen haben würde, wenn Draco ihn mit einem Schwebezauber belegte, um ihre Flucht zu beschleunigen?
Er tastete nach dem Mechanismus der Tapetentür - und schrie vor Schreck auf, als sie im selben Augenblick aufschwang und Snape vor ihm stand. Der musterte Draco in seiner abgetragenen Muggelkleidung und mit dem vollgestopften Rucksack auf den Schultern und seine Lippen kräuselten sich zu einem spöttischen Lächeln. "Wo willst du denn hin?", fragte er mit hochgezogenen Augenbrauen.
Draco schluckte krampfhaft, als die Angst ihm die Kehle zuzuschnüren drohte, doch dann packte ihn wieder die Wut. "Weg von hier! Und du wirst mich nicht aufhalten!"
Snapes Augen funkelten amüsiert ob der nur mühsam unterdrückten Furcht in Dracos Stimme und angesichts des familiären ‚du'. "Ich kann mich nicht erinnern, Mr Malfoy , dass wir schon Brüderschaft miteinander getrunken hätten", entgegnete er lächelnd, und es klang für seine Verhältnisse fast vergnügt. Doch in Draco brodelte der gleiche Hass, den er am vorigen Tag auf den Dunklen Lord verspürt hatte, als dieser ihn zwang, seinen Vater zu foltern. Er riss einen Zauberstab aus dem Hosenbund und richtete ihn auf seinen Lehrer: "Cruc-!"
Doch Snape war schneller: "Expelliarmus!" Dracos Zauberstab schoss in Snapes ausgestreckte Linke. Zufrieden nickend steckte er ihn in die Tasche.
"Ich wußte nicht, dass du noch einen zweiten Zauberstab hast? Abgesehen von dem, der sich zusammen mit Lucius' noch in der Obhut des Dunklen Lords befindet?"
"Der hier gehörte meiner Großmutter", knurrte Draco zornig.
"Ah, ja? Vielleicht sollte ich das Haus nach weiteren Exemplaren durchsuchen, um uns unangenehme Überraschungen zu ersparen. - Setz dich."
"Nein!"
"Ich sagte, setz dich !"
Ein Stuhl raste heran und traf mit einem heftigen Schlag Dracos Kniekehlen. Er knickte ein und landete unsanft auf seinem Hintern.
"Schön." Snape winkte einen zweiten Stuhl herbei und ließ sich mit kaum einem Meter Abstand vor Draco nieder. Der versuchte, dem starren Blick seines Gegenübers auszuweichen, doch Snape fuhr ihn an: "Sieh mir in die Augen, wenn ich mit dir rede!" Widerstrebend blickte Draco ihn an.
"Gut. Und jetzt hör mir genau zu, weil ich mich nämlich nicht wiederholen werde."
Draco hatte das unangenehme Gefühl, von Snape hypnotisiert zu werden. Er versuchte, seinen Blick von den leeren schwarzen Augen loszureißen, doch es gelang ihm nicht. Er bemühte sich, seinen Geist vor Snape zu verschließen, wie es ihn seine Tante Bellatrix gelehrt hatte, doch er war wütend und erschöpft - und er hatte Angst. Es gelang ihm nicht, sich richtig zu konzentrieren. In Hogwarts hatte er Snape noch abwehren können, doch diesmal ging sein Lehrer wesentlich rücksichtsloser vor. Draco begann, vor Anstrengung zu schwitzen und spürte, wie ihm die Hitze ins Gesicht stieg, als er all seine mentalen Kräfte aufbot, um Snape abzuwehren. Doch Snape war stärker, brutal fegte er Dracos geistige Barrieren beiseite. Draco fühlte, wie der andere in seinen Geist eindrang. Bilder und Gedanken stiegen in ihm auf, die er nicht gerufen hatte. Seine Erinnerungen wurden grob durchwühlt und zerfleddert. Ein letztes Mal bäumte er sich verzweifelt auf - und erhielt als Antwort einen heftigen mentalen Schlag, der ihn halb betäubte und seine Gegenwehr endgültig brach.
‚Du wirst nie wieder versuchen, von mir wegzulaufen. Nie wieder, hast du verstanden?', tönte eine kalte Stimme in seinem Kopf.
Draco nickte benommen.
‚Dieses Haus ist der sicherste Ort für dich und deinen Vater. Ist das klar?'
Wieder nickte Draco.
‚Du brauchst keine Angst vor mir zu haben. Du kannst mir vertrauen.' Die Stimme nahm einen wärmeren Klang an. ‚Glaub mir, alles, was ich tue, geschieht in deinem Interesse. Und auch im Interesse deines Vaters.'
Draco entkrampfte sich. Es tat so gut, auf die Stimme zu hören... Ihr zu glauben...
‚Und jetzt brauchst du Ruhe. Du hast eine schwierige Zeit hinter dir und mußt dich dringend erholen.'
Die Stimme hatte recht... Er war so müde....
‚Es ist alles in Ordnung. Du bist hier sicher. Schlaf jetzt, Draco.'
Mit ungeheurem Behagen schloss Draco die Augen und glitt erleichtert in die tiefe Schwärze hinab.

***


Dichte, violette Rauchschwaden stiegen von dem brodelnden Kessel auf und durchzogen den finsteren Kellerraum. Severus eilte geschäftig in Lucius Labor umher und bereitete verschiedene Zutaten für einen Zaubertrank vor. Oben in ihren Betten schliefen die beiden Malfoys friedlich und fest. Er hatte Lucius in einen tiefen Heilschlaf versetzt und auch Draco würde in seinem erschöpften Zustand nach der Hypnose mindestens zehn Stunden in Morpheus' Armen weilen. Endlich hatte Severus Zeit, sich um einige wichtige Dinge zu kümmern. Zunächst einmal musste er diesen Trank ansetzen. Es war ein sehr schwieriges und wirkmächtiges Gebräu, das einige Tage Reifungszeit brauchte. Dann musste er unbemerkt Kontakt mit Harry Potter aufnehmen...
Er verdrehte die Augen und stöhnte innerlich. Das würde wahrlich nicht leicht werden und alles andere als ein Vergnügen für ihn sein. James Potters arroganter und ignoranter Sprößling würde nur schwer zu überzeugen sein. Besonders, wenn er es war, der ihn überzeugen wollte. Es würde schwierig werden, er würde auf einem sehr schmalen Grad zwischen Wahrheit und Verstellung balancieren müssen. Keinesfalls wollte er den Unauflösbaren Eid erwähnen. Oder seine wahre Rolle im Kampf zwischen Dumbledore und dem Dunklen Lord. Es würde sehr schwierig werden, Potter zu überzeugen. Doch es gab Mittel und Wege, jemanden auf die richtige Seite zu ziehen: Legilementik, Zaubertränke, Hypnose, Folter...
Nur dass die in diesem Fall leider alle nicht in Frage kamen.


Review

Kapitel 4

Kapitel 6

 

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