Von Mördern und Verrätern

 

 

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Kapitel 64: Und dann ist alles anders


Severus blickte wieder zu Lucius' ausgestrecktem Körper hin. Selbst im Tod, die hellen Augen blicklos aufgerissen, bewahrte sich der Mann noch eine gewisse Würde. Wie er so auf dem Rücken lag, die Arme seitlich abgespreizt, und die teuren Stoffe seiner Robe um ihn ausgebreitet, sah er noch immer aus wie ein gefallener Engel. Nobel bis in den Tod. Severus hätte erwartet, dass ihn das Ableben des Mannes, der ihn durch die Hölle geschickt hatte, erfreuen würde. Dass es all das, was ihm angetan worden war, wettmache würde, aber nichts derartiges war geschehen. Da war keine Genugtuung, keine Gerechtigkeit.

Noch immer fühlte er die hoffnungslose Leere in sich. Eine Leere, in der jeder Anflug von Befriedigung schnell wieder verpuffte. Während er auf Lucius' Leiche starrte, auf die sterblichen Überreste des Mannes, der einmal sein Freund gewesen war, nur um dann zu seinem Dämonen zu werden, der ihn immer und immer wieder erniedrigt hatte und ihm selbst seine Rache genommen hatte, fühlte er absolut ... nichts.

Es spielte keine Rolle, das wurde ihm mit einem Male bewusst. All die glorreichen Aussichten, sein Streben danach, den Mann bezahlen zu lassen, hatten seinem Leben einen gewissen Sinn gegeben, ein Ziel, für das es sich zu kämpfen lohnte. Das war mit einem Mal verschwunden und er fühlte sich einfach nur noch müde.

Er hörte die Jubelschreie der Sieger. Sie liessen Harry Potter hochleben, feierten den Fall Voldemorts in lautstarken Parolen, doch auch das ließ ihn kalt. Es hatte eine Zeit gegeben, in der er diesen Tag so sehr herbeigesehnt hatte, doch nun konnte er nicht mehr verstehen warum. Er sah auf und beobachtete, wie sich Freunde und Mitstreiter in die Arme fielen und vor Freude weinten. Tonks umarmte einen müde, aber dennoch glücklich aussehenden Dumbledore, und Weasley drückte einer überraschten Granger einen schnellen Kuss auf die Lippen. Potter, der, trotz des dünnen, blutenden Rinnsals, das von seiner Stirne über sein Gesicht lief, breit grinste, wurde von einem der Weasley-Zwillinge und einem ihm unbekannten Auror auf den Schultern getragen.

Der Sieg über den dunklen Lord ließ selbst Fremde zu Freunden werden, vereint in der Freude über die glücklich überstandene Bedrohung. Es gab keinen Grund nicht zu feiern.

Überhaupt keinen Grund...

Alle waren glücklich... Freunde... vereint.

Sein Blick senkte sich wieder zu Malfoys Körper. Dies war sein Freund gewesen, seit frühester Kindheit. Niemand sonst schien zu beabsichtigen den abseits stehenden, verhassten Slytherin in die Feierlichkeiten einzubeziehen. Er würde dies auch nicht wollen. Er hatte hart daran gearbeitet, alleine gelassen zu werden. Sein ganzes Leben schon. Der einzige, der sich davon nie hatte beeindrucken lassen, weder als sie Freunde gewesen waren, noch als er Lucius' Gefangener war, war soeben getötet worden. Von einem verdammten, erbärmlichen Hauselfen mit einer Bratpfanne.

Sein Hass auf den Mann war gleichzeitig mit dessen Leben verloschen. Da war nichts mehr. Weder Wut noch Freude, nur noch Leere. Harry Potter hatte ihn in aller Entwürdigung gesehen und hatte miterlebt, wie schwach er war. Noch nicht einmal der Gedanke, dass dies James Potters endgültiger Triumph war, obwohl er seit Jahren in einem engen Sarg verrottete, störte ihn jetzt noch. Es war ihm alles egal. Er kniete sich nieder und schloss dem Toten sanft die Augen. "Du hast gewonnen, Lucius. Ich hoffe, das freut dich, wo auch immer du nun bist."

Er stand wieder auf und blickte noch einmal auf die jubelnde Menge. Nach wie vor wurde er nicht beachtet. Voldemort war tot und seine Arbeit im Orden erledigt. Sein Leben war vor Jahren von ihm gerissen worden, als er sich dem dunklen Lord angeschlossen hatte. Als er dies realisierte, hatte er dieses Leben von Voldemort auf Dumbledore übertragen, und am Schluss hatte Malfoy ihm auch noch die Seele entrissen. Nun hatte er nichts mehr. Er fühlte sich komplett entleert und alt. Er war müde, so müde und wollte nur noch schlafen.

Er wandte den Blick ab und verschwand aus dem großen Salon.

***



Sirius löste sich gerade von einer innigen Umarmung mit seinem alten Freund Lupin, ließ aber seinen Arm noch locker um die Schulter des Werwolfes gelegt. Er hätte jubeln können. Zum ersten Mal seit über zwanzig Jahren fühlte er sich wirklich frei. Voldemort war tot, die konstante Gefahr für Harry gebannt und Peters Körper würde seine Unschuld ein und für allemal beweisen. Dabei hatten sie die ganze Sache, dank Dumbledores ausgefallenen Plan, fast ohne Blutvergießen auf ihrer Seite durchziehen können.

Das Leben war gut.

Natürlich waren noch immer die meisten der Todesser auf der Flucht, doch mit Voldemorts Tod und Malfoys versiegtem Geldhahn, würde es wohl nur eine Frage der Zeit sein, bis sie entweder für immer flohen oder geschnappt würden. Da Snape nun auch von seiner Schuld freigesprochen werden würde, konnte der Slytherin dem Ministerium eine genaue Liste aller Todesser liefern, von denen er wusste.

Instinktiv sah sich Sirius nach dem ehemaligen Spion um. Etwas abseits lag Malfoy. Sirius hatte so viel Hass in Snapes Augen gesehen, wann immer er von dem Mann geredet hatte, sodass er sich gut zusammenreimen konnte, dass der Blonde etwas mit den Folterungen des Zaubertränkemeisters zu tun hatte. Sirius war nach wie vor überzeugt, dass Snapes Verhalten bewies, dass er mit dem Ganzen nicht umgehen konnte. Vielleicht würde Malfoys Tod ihn nun endlich wieder normal werden lassen.

Aber wo war Snape? Warum feierte er nicht mit? Nun gut. Ein feiernder Snape war etwas, was diese Welt wohl kaum je miterleben würde (und wahrscheinlich auch nicht wirklich brauchte), aber warum stand er dann nicht irgendwo herum und starrte düster und missbilligend auf sie herunter?

"Hast du Snape gesehen?" fragte er Remus.

"Der stand eben noch bei Malfoy, danach habe ich ihn nicht mehr gesehen. Vielleicht wollte er zu Draco, um ihm die Nachricht persönlich mitzuteilen? Immerhin ist er der Hauslehrer der Slytherins."

Sirius runzelte die Stirn. Das glaubte er nun doch nicht. Ein unangenehmes Gefühl machte sich in ihm breit. Etwas beunruhigte ihn. Snape hatte, seit seinem Aufenthalt bei Voldemort, keinerlei Interesse mehr daran gezeigt, wie es in der Schule oder um sein Haus stand.

"Ich geh mal nachschauen", sagte er so beiläufig wie möglich. Etwas beunruhigte ihn ganz gewaltig. Remus nickte nur und machte sich auf, um Harry von einer Horde zu eng rückender Gratulanten zu befreien.

Sirius ging zu der Ecke, wo unbeachtet Malfoys Leiche lag. ‚Geschieht dir nur Recht, du snobistischer Mistkerl', dachte er mit einem angeekelten Blick auf den Toten.

Sirius sah sich dann nach Snape um, doch der Tränkemeister war nirgends zu sehen. Mit einem Seufzer verwandelte er sich in seine Hundeform, um mit seinen schärferen Sinnen nach dem Mann zu suchen, und bereute dies sofort. Im Raum hing der strenge Geruch von Blut, verbranntem Fleisch und Tod. Dennoch zwang er sich, die Form zu halten, ging aber einige Schritte von dem toten Malfoy weg. Snapes Witterung lag schwer in der Luft und Sirius konnte ihr gut folgen. Die Spur teilte sich und eine davon führte in die Richtung, wo Snape und Harry in den Raum gekommen sein mussten, die andere führte zu einer kleinen Tür.

Er folgte dieser Spur durch die Tür in einen Korridor, der nicht minder pompös war, als der große Salon. Der Boden war mit spiegelglatt polierten, zu Mustern zusammengesetzten Marmorplatten bedeckt. Die Decke wölbte sich mehr als sieben Meter über seinem Kopf und zwischen den hohen Fenstern, die alle paar Meter Licht hereinströmen ließen, hingen überlebensgrosse, reich verzierte Gemälde, die alle wütend und abfällig zu ihm hinunter sehende Männer und Frauen zeigten, von denen eine unnatürliche Anzahl weiss-blondes Haar hatte.

Sirius folgte der Spur durch den Korridor und ignorierte die gelegentlichen Beschimpfungen und arroganten Kommentare der Personen auf den Leinwänden.

Er behielt den Kopf gesenkt, die Nase knapp über dem Boden. Dass die Räumlichkeiten in diesem Haus so akribisch sauber waren, erleichterte es ihm, die Spur klar wie einen leuchtenden Faden wahrzunehmen und er bemerkte auch sofort, als sie eine scharfe Rechtsbiegung machte und scheinbar hinter einem Gemälde in der Wand verschwand.

Na toll. Ein versteckter Durchgang. Wie sollte er nur da durchkommen?

"Der verdammte Hauself hat Lucius umgebracht. Mireille aus dem großen Salon hat es uns erzählt, und nun musste ich den Verräter Snape auch noch in das geheime Labor lassen, bloss weil er das Passwort kannte", jammerte eine Stimme über ihm. "Und nicht genug damit, nun kommt auch noch so ein schmutziges Vieh um meinen Rahmen vollzusabbern. Verschwinde du Biest", zeterte ein alter Mann, mit sehr verrunzeltem Gesicht und hellblauen, leicht vernebelten, tief in den Höhlen liegenden Augen.

Sirius trat einen Schritt zurück und nahm seine menschliche Gestalt an.

"Ein Animagus?"

Sirius besah sich den Greis auf dem Bild. Trotz seines hohen Alters hatte der Mann eine Arroganz in seiner Haltung, wie sie jeder Malfoy zu haben schien. Ausserdem schien er mehr in seiner Würde verletzt als wirklich betroffen darüber, dass Lucius getötet worden war.

"Wer bist du? Ein Freund von Snape?" keifte der Alte kampfeslüstern.

Sirius roch seine Chance, ohne Passwort in den Geheimgang zu kommen. Er konnte nur hoffen, dass das Gemälde nicht schon von ihm persönlich gehört hatte und so feixte er es überheblich an. "Mein Name ist Sirius Black. Ich verfolge Snape." Das war noch nicht einmal gelogen.

Der alte Malfoy lehnte sich leicht vor um ihn genauer anzusehen. "Ein Black also. Eine alte, reine und ehrfürchtige Familie. Ich habe den alten Marcos Black sehr gut gekannt. War mir damals immer ein nützlicher Verbündeter." Das nachdenkliche Gesicht verhärtete sich wieder. "Aber das war auch Sixtus Snape. Dennoch ist der jüngste Spross dieser Familie eine verachtungswürdige Missgeburt geworden."

"Ich kann Euch versichern, dass Snape und ich schon seit Jahren verfeindet sind", lenkte Sirius ein. Auch das war nicht gelogen, stellte er amüsiert fest, verbannte aber das Lächeln, bevor es auf seinem Gesicht erscheinen konnte.

"Schaffst du ihn aus dem Weg, wenn ich dich durchlasse? Solche Missgeburten wie er sollten sofort nach der Geburt ersäuft werden."

"Ich kümmere mich schon um ihn", versicherte Sirius.

"Nun gut...", sagte der alte Malfoy gedehnt und dann schwang endlich das Bild zur Seite und eröffnete den Blick auf eine dunkle Steintreppe, die alle paar Meter von einer magischen Fackel an der Wand erhellt in die Tiefe führte.

Sirius folgte den Stufen, die bald in einen Gang übergingen. Dieser führte einige Meter weiter und endete in einer halb geöffneten, aus rauen Brettern gezimmerten Holztür.

Sirius ging darauf zu und trat in ein Labor, das dem Zaubertränkebüro Snapes sehr glich. Auch hier standen Regale an den Wänden, bis unter die Decke mit Büchern und Einmachgläsern gefüllt. Neugierig zog er ein besonders altes Buch von einem Stapel auf einem kleinen Steintisch.

‚Wie man mit menschlichen Organen Tränke verstärken kann.'

Sirius liess das Buch fallen, als hätte er sich verbrannt. Diese Publikation war pure schwarze Magie. Menschliche Organe wurden schon seit dem Mittelalter nicht mehr in Tränken verwendet, da tierische dieselbe Wirkung hatten, wenn auch manchmal in abgeschwächter Form.

War wohl nicht verwunderlich, solche Bücher hier zu finden.

"Snape?" rief er in den Raum und kehrte damit wieder zu dem Grund seines Hier seins zurück. Er erhielt keine Antwort und konnte auch den Slytherin nirgends entdecken. Aber dieser musste sich hier aufhalten. Der Raum war nicht besonders groß und hatte nur die eine Tür. Obwohl man wohl einen Menschen in diesem überfüllten Chaos schon mal übersehen konnte. Systematisch lief er das Zimmer dem Büchergestell nach ab, an dem steinernen Lavabo und der kalten Feuerstelle mit dem Kessel darüber vorbei zu dem massigen Pult, das etwa einen Meter vor der hinteren Wand in der Ecke stand. Er umrundete es und dort, gegen die Mauer gehockt, war Severus Snape.

"Was tust du hier?"

Snape sah wie in Zeitlupe hoch zu ihm. Der Slytherin sah sehr müde aus, dachte Sirius. Seine Augen waren stumpf und er war bleicher als sonst.

"Lass mich alleine, Black", sagte Snape, während er den Kopf wieder senkte.

Sirius stutzte. Noch nie hatte er Snapes Stimme so kraftlos und leer gehört.

"Was ist los mit dir. Du solltest froh sein, dass Du-Weißt-Schon-Wer tot ist."

Snape reagierte nicht und Black atmete entnervt aus. Doch dann sah er etwas, das all seine Alarmglocken schrillen ließ. Dort wo Snape saß, sickerte langsam etwas nasses, rotes unter seinem Umhang hervor und breitete sich über den Boden aus. Neben ihm, halb unter dem Stoff seiner Roben verdeckt, sah er den Knauf eines Messers. Eine kleine Phiole mit einer bernsteinfarbenen Flüssigkeit lag, noch immer verkorkt, daneben.

"Snape? Was hast du getan?" Panik ergriff Sirius. Er kniete neben Snape und griff nach dessen Armen, die im Stoff seiner Robe vergraben waren. Snape wehrte sich nicht, sondern beobachtete nur teilnahmslos, wie seine Arme an den Händen angehoben wurden und Sirius geschockt darauf starrte. Das Lederband, mit welchem der Zauberstab befestigt gewesen war, hing noch immer lose um die Hand, wenn auch der Zauberstab weg war. Die kurzen, eleganten Lederhandschuhe reichten nur bis zum Handgelenk und als die Ärmel von Snapes Roben etwas nach hinten rutschten, hatte der Animagus eine gute Sicht auf die längs aufgeschlitzten Handgelenke. Aus den hässlichen Wunden quoll noch immer in einem steten Fluss Blut hervor.


 

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