Von Mördern und Verrätern

 

 

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Kapitel 65


"WAS HAST DU GETAN?" schrie Sirius nun. Er hatte es gewusst. Er hatte es gewusst und Albus hatte ihm nicht geglaubt. Er zückte seinen Zauberstab und richtete ihn auf die Wunden "Reparo arterio". Die Wunde hörte auf zu bluten, doch Muskel und Haut blieben noch durchtrennt. Sirius' Kenntnisse menschlicher Anatomie waren nicht so gut, diese Verletzungen wieder richtig zu verschliessen und er wagte es nicht, alles zu heilen. Es würde für den Moment reichen, dass Snape nicht mehr Blut verlor. Sein Puls, den er gut fühlen konnte, als er die Unterarme hielt, war etwas schneller als normal, aber noch immer kräftig.

Mit einem weiteren Schwenk seines Zauberstabes trennte Sirius zwei lange Stoffstücke aus Snapes Umhang und knotete sie fest um die blutverschmierten Wunden. Snape wehrte sich die ganze Zeit nicht und beobachtete die Sache weiterhin, als würde es ihn selber überhaupt nicht betreffen. Er verzog noch nicht einmal das Gesicht ob der etwas groben Behandlung seiner offenen Wunden.

"Ich konnte die Phiole mit dem Gift nicht öffnen. Meine Hände haben noch nicht genug Gefühl. Das Messer ging besser", murmelte der Slytherin schließlich fast entschuldigend.

Das brachte jedoch Sirius' Geduldsfaden endgültig zum Reißen. Er kam mit seinem Gesicht ganz nah an das des Slytherin heran, ohne dessen Handgelenke loszulassen. "WAS ZUR HÖLLE HAST DU DIR DABEI GEDACHT?"

Snape sah ihn nur an und der feuchte Film über seinen Pupillen ließ Sirius erkennen, dass es nicht Apathie war, die den Slytherin gefangen hielt, sondern tiefe Hoffnungslosigkeit.

Er lehnte sich wieder etwas zurück. "Warum, Snape? Warum?"

"Weil ich schon tot bin. Lucius hat mich umgebracht."

"Was redest du da für einen Blödsinn. Malfoy ist tot. Das sollte dich doch für alles entschädigen. Du hast deine Rache bekommen."

Snape schüttelte nur den Kopf und seufzte leise. Den Slytherin so zu sehen war sehr entnervend. Sirius hätte nie gedacht, eine solch menschliche Seite an Snape jemals mitzubekommen. "Was ist passiert?"

Wieder schüttelte Snape nur den Kopf.

"Sturer Slytherin. Denkst du, du kannst mir viel erzählen, was ich nicht nachvollziehen kann? Erinnerst du dich, mit wem du redest? Jemand der zwölf Jahre unter Dementoren überlebt hat wird wohl am besten verstehen, was mit dir passiert ist. Ich habe eigentlich angenommen, dass du es alleine verarbeiten könntest, doch nun", er hob Snapes verbundene Arme leicht an, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, "weiss ich, dass du das offensichtlich nicht kannst. Ich habe nicht vor, dich hier sterben zu lassen, nachdem ich dich hochgepäppelt habe. Und wenn du mir nicht endlich erzählst, was los ist, dann zwinge ich dich dazu."

Nun kam doch wieder etwas Leben in die schwarzen Augen. "Wie willst du das anstellen? Mir Veritaserum die Kehle hinunterzwingen?"

"Wenn es sein muss..." Sirius verlor langsam wieder die Geduld.

"Du würdest es nicht verstehen." Snapes Stimme klang wieder nur müde und seine Aussage enthielt weder Selbstmitleid noch Hohn. Es war einfach eine Feststellung.

"Da wäre ich mir nicht so sicher. Schau, Snape. Ich biete dir hier die Möglichkeit alles abzuladen. Ich werde zuhören, egal wie schlimm es ist, und ich werde auch alles was du mir sagst für mich behalten." Sirius wusste nicht, was ihn dazu brachte, dieses Angebot zu machen, aber in den Wochen, in denen er beobachtet hatte, wie es mit Snape bergab ging, in denen er auf einen Ausbruch in irgend einer Form gewartet hatte, hatte er eine Art Stolz entwickelt. Er hatte es Dumbledore und all denen beweisen wollen, die ihm nicht geglaubt hatten. Nun hatte er tatsächlich Recht behalten, aber jetzt war seine Neugier geweckt und er wollte wissen, was diesen Slytherin so aus dem Konzept gebracht hatte. Doch als Snape noch immer nicht auf ihn einging, seufzte er kurz und entschied sich für einen drastischen Schritt.

"Du bist recht gut in Okklumentik und Legilimentik, habe ich gehört. Ich mache dir ein Angebot, und ich hoffe, dass du begreifst, was ich dir hier biete. Dringe in meinen Geist ein und sieh selbst, was ich in Askaban erlebt habe. Ich bin bereit, dir meine Erinnerungen anzuvertrauen, wenn du danach dasselbe tust." Sirius hatte Mühe, den Vorschlag hervorzuwürgen. Jemanden, und ausgerechnet Snape, in seinen Erinnerungen herumwuseln zu lassen, ging ihm komplett gegen den Strich, aber er wollte einfach wissen, was mit dem Mann passiert war, warum dieser sich sogar das Leben nehmen wollte. Seine Neugier übertraf eindeutig seinen Unwillen. Snape würde ohnehin nichts sehen, was er sich nach seinem eigenen, kurzen Aufenthalt im Gefängnis nicht denken konnte. Sirius war zuversichtlich, dass er Snape von den anderen Erinnerungen fernhalten konnte, sollte sich der Slytherin zu weit vorwagen.

"Black, seit wir uns kennen, hassen wir uns. Wir waren immer Feinde, also warum, bei Merlins Bart, sollte ich gerade DIR vertrauen?"

Noch immer fehlte die Schärfe, die die Worte eigentlich haben müssten, und Sirius fühlte eine Art Düsterkeit in ihm entstehen. "Ich bin dein ärgster Feind, Snape, und genau das macht mich zu dem, was einem besten Freund am nächsten kommt. Und da du ohnehin nie einen besten Freund haben wirst ... Ich kenne dich schon dein ganzes Leben lang, genau wie du mich. Zu viel ist zwischen uns vorgefallen. Außerdem scheint es dich ja ohnehin kaum noch zu interessieren, was passiert. Also warum nicht? Du hast nichts zu verlieren."

Snape reagierte eine Weile nicht. Sirius ließ die Handgelenke los und fand sich schon fast damit ab, dass er wohl nie die ganze Wahrheit erfahren würde.

Der Slytherin liess seine Hände einen Moment nur in seinem Schoss ruhen, den Blick auf den bandagierten Handgelenken. Schließlich atmete er einmal tief durch, griff neben sich und hob mit ungelenken Fingern seinen Zauberstab aus einer Falte seiner Robe. Die Hand zitterte leicht und Sirius fragte sich, ob der Blutverlust daran Schuld war, oder etwas anderes.

"Wahrscheinlich hast du Recht. Es spielt nicht mehr wirklich eine Rolle. Ich zeige dir einen Teil, aber nicht alles", fügte er nach einem Moment müde hinzu.

Sirius hätte eigentlich nicht gedacht, dass sein klischeehafter Spruch, dass Snape ohnehin nichts mehr zu verlieren hatte, etwas bewirken würde, doch scheinbar war genau das der Fall.

Der Zaubertränkemeister versuchte sich etwas aufzurichten, sackte jedoch sofort schwer atmend zurück auf den Boden. Ein dünner Schweißfilm bildete sich auf seiner Stirn.

"Keine Kraft... Muss so gehen", keuchte er.

Sirius schürzte die Lippen. "Das kommt davon, wenn man mit Messern Löcher in seinen Körper schneidet." Etwas vermittelnder fuhr er fort: "Kann ich dir irgendwie helfen? Was muss ich machen?"

Snape holte ein paar Mal tief Luft. "Nein, bleib einfach sitzen." Er sah Sirius für eine Weile tief in die Augen und ein kurzer Anflug von Zweifel erfasste die schwarzen Augen, verschwand aber sofort wieder und machte der Hoffnungslosigkeit Platz. Snape war es zu diesem Zeitpunkt wirklich egal. Er hob seinen Zauberstab umständlich indem er ihn mit dem Daumenballen gegen den Rest der Hand presste und richtete ihn auf Sirius. "Legilimens", flüsterte er mit einem schicksalsergebenen Seufzen in der Stimme.

Das Gefühl, das Sirius ergriff, war mehr als unangenehm. Es war ihm, als würden Erinnerungen aus der Tiefe seiner Seele in die oberen Regionen seines Bewusstseins gezogen. Ohne dass er etwas dagegen tun konnte, schwammen Erinnerungen an die Oberfläche und formten sich vor seinem geistigen Auge zu Bildern. Seine Mutter, wie sie ihn anschrie, die Nachricht vom Tod seines Bruders, Kälte, Hunger, Angst und Hoffnungslosigkeit in einer kahlen Zelle.

Panik überkam Sirius. Er hatte nicht erwartet, dass die Kontrolle so effektiv von ihm gerissen würde. So war das nicht geplant gewesen. Er begann sich gegen das Eindringen zu wehren, doch er konnte nichts tun als langsam die Angst zu fühlen, die in ihm hoch kroch. Auch Snape schien das zu spüren und die unsichtbare Kraft, die die Erinnerungen aus der Tiefe seines Gehirns geholt hatte, begann nachzulassen und dann waren da plötzlich andere Bilder. Bilder, die nicht ihm gehörten. Wieder in Azkaban, aber eine andere Zelle. Diese hier war hoch im Turm, dem eisigen Durchzug nach zu urteilen, der durch das hohe, geschlitzte Fenster pfiff. Snape saß in einer Ecke und versuchte vergeblich sich so eng zusammenzukauern, dass er ein wenig Körperwärme bewahren konnte. Dann war er im Gerichtssaal und er sah Snape auf dem Stuhl sitzen. Irgendwo aus den Reihen hörte er Rons Stimme. "Ich hoffe, dass wir zusehen dürfen, wenn er den Kuss kriegt." Dann ein grosser Salon und eine hochschwangere Frau. Snape stand vor ihr und tötete sie ohne mit der Wimper zu zucken, Voldemort hinter ihm. Das nächste Bild war etwas verschwommen und vermischte sich mit einer seiner Erinnerungen, als er als Hund den Geräuschen des Gefängnissees gelauscht hatte. Es war fast so, als hätte Snape für einen Moment die Kontrolle über seine eigenen Erinnerungen verloren und versuchte diese nun wiederzuerlangen, doch das schien ihm nicht mehr so recht zu gelingen. Das Bild wurde nie scharf und dann waren sie wieder zurück in dem prunkvollen Salon. Snape wurde von Voldemort gegen dessen Brust gedrückt, bevor der dunkle Magier dem Zaubertränkemeister die Kehle aufschnitt. Sirius stockte der Atem, als er das beobachtete. Er hatte es wohl gewusst, doch nun, da er es sah, verstand er plötzlich, warum Harry dies so mitgenommen hatte, und warum Snape noch immer Alpträume deswegen hatte. Dies war wohl eine der brutalsten und schmerzhaftesten Wege zu sterben. Doch Snape war nicht tot. Die Erinnerung wechselte wieder und nun war er in einer Art Kerker, mit Lucius Malfoy vor ihm.
Und genau in diesem Moment schien die Kontrolle, irgendetwas willentlich steuern zu können, dem Slytherin vollkommen zu entgleiten.
Sirius konnte es sich nicht erklären, doch auf einmal war es, als würde er nicht nur die Bilder sehen, sondern auch Snapes Gefühle wahrnehmen. Eine Flutwelle von Wut, Scham und Angst brach über ihn herein, und was er nun miterlebte, darauf hatten ihn all seine gute Absichten und all die Jahre in Azkaban nicht vorbereiten können. Je mehr Bilder in einer brutalen Langsamkeit und Eindringlichkeit vor ihm abliefen, je mehr er miterleben musste, was Snape in seiner Gefangenschaft widerfahren war, desto mehr hatte er das Gefühl, sich übergeben zu müssen. Die Erinnerungen spielten sich vor ihm ab, als wäre er selbst im Raum mit Snape. Er sah, wie man seinen Körper verstümmelte und er hörte, wie sein Geist bearbeitet wurde. Die Folter war schlimmer, als er es erwartet hätte, obwohl er die Wunden selber gesehen und des öfteren verbunden hatte, aber was die Übelkeit in ihm hochsteigen ließ, war das psychische Spiel, das Malfoy mit dem Slytherin trieb, und Snapes verzweifelte Versuche, seine Würde zu bewahren. Je weiter die Erinnerungen gingen, desto mehr schien jedoch diese stolze Fassade zu bröckeln. Als er mit ansah, wie Malfoy Snape zur Flucht verleitete, nur um ihn danach wieder einzufangen und zu bestrafen, wurde er langsam wütend, und als dann Malfoys Gerede über Dumbledores Verhalten nach und nach zu Snape durchzudringen schien, und dieser zu zweifeln begann, schloss diese Wut den Tränkemeister mit ein. Sein Gewissen sagte ihm, dass es nicht Snapes Fehler war, aber sein Wille wollte das nicht anerkennen. Alles, was er mit ansehen musste, war abstossend und schlimm, doch Snapes jetziger Zustand, seine Depression und seine Hoffnungslosigkeit, wurden Sirius erst bewusst und verständlich, als er mit Horror mit ansah, wie Malfoy ein Kind nach dem anderen umgebrachte und Snape jedes Mal einredete, dass es sein Fehler war und dass er es hätte retten können. Das Gefühl, das er zu diesem Zeitpunkt noch wahrnahm, war ohnmächtige Verzweiflung und es war schwer zu sagen, was er davon von Snape auffing und was von ihm selbst kam. Dann sah er, wie Snape mit Hundehalsband und weinend, allen Stolz verlor und brach. Als er dann vor Voldemort kniete, alle Würde von ihm gerissen, da drohte sich Sirius' Magen endgültig umzustülpen. Die Szene eines vor Voldemort kauernden Snape blieb für eine Weile, aber die Umgebung verschwamm für eine Sekunde und die kleine Zelle wurde zu dem grossen Salon mit einem geschockten Harry als Zuschauer, dann waren sie wieder zurück in der Zelle.

Sirius sammelte alle Energie, die Bilder von sich zu stoßen und sich von den überwältigenden Gefühlen Snapes zu befreien. In den hintersten Regionen suchte er nach allem, was er je über Okklumentik gelesen hatte, und hob seine mentalen Schilde. "Protego", keuchte er mehr als dass er es sagte, und wie ein zerrissener Faden waren die Erinnerungen, mit einem letzten Bild von Snape auf dem Leichenhaufen, wie er in einen halbverwesten Schädel starrte, verschwunden.

So als ob er sich selber von einer Fessel befreit hätte, fiel Sirius ein wenig zurück. Er hatte schon befürchtet, nie mehr aus den Erinnerungen Snapes heraus zu kommen. Dass er es mit seinem geringen Wissen über Okklumentik und ohne Zauberstab in der Hand geschafft hatte, zeigte, dass etwas gewaltig schief gegangen war. Schon bei dem ersten Bild der Folter hatte Snape die komplette Kontrolle verloren und die Legilimentik hatte sich verselbständigt. Und nach dem, was er nun gesehen hatte, wusste Sirius auch warum. Kein Wunder.

Er richtete sich wieder auf und sah zu Snape, der noch immer in der Ecke saß, Schultern und Kopf gesenkt und ... weinte?

Snape schluchzte tatsächlich leise vor sich hin und es klang so verzweifelt, dass sich Sirius sofort das Bild von einem Snape aufdrängte, wie er vor Voldemort gekauert hatte. Und das nicht nur einmal.

"Ich wollte nicht...", flüsterte dieser zwischen zwei Schluchzern und Sirius betrachtete die Tränen, die die Wangen des Mannes herunter liefen, als wären sie ein monumentales Wunder. "Du solltest nicht alles sehen. Ich habe die Kontrolle... Schon wieder. Ich habe es versucht. Ich wollte, dass sie mich töten. Ich wollte für einmal der Sieger sein... ich habe schon wieder versagt. Seit meiner Geburt habe ich immer gekämpft. Mir wurde nichts geschenkt, doch hatte ich immer noch meinen Stolz. Den konnte mir niemand nehmen, oder so dachte ich..." Er sah Sirius direkt aus tränennassen Augen an. "Ich kann nicht mehr."

Angesichts der Selbstverachtung und Enttäuschung, die in Snapes Stimme lag, brach etwas in Sirius. Dies war nicht mehr der fiese Slytherin, den er nur mit einem gehässigen Gesichtsausdruck und einem beleidigenden Wort auf den Lippen kannte. In diesem Moment hätte Sirius nicht gehässig antworten können, egal wem er hier gegenüber saß. Für diesen weinenden, gebrochenen Mann konnte Sirius den tiefen Hass, den er normalerweise Snape gegenüber empfand, nicht mehr aufrecht erhalten.

Hilflos sah er auf den Slytherin. Er fühlte sich komplett fehl am Platz. Mit einem zynischen, gemeinen Snape konnte er umgehen, aber hiermit war er total überfordert. Dies war noch immer Snape, doch zum ersten Mal war er auch ein Mensch, der tief verletzt worden war und der dringend Hilfe brauchte. Hilfe, die ihm Sirius nicht geben konnte. Was konnte man einem Mann sagen, der so etwas erlebt hatte? Dass er überhaupt noch nicht den Verstand verloren hatte, grenzte schon an ein Wunder. Snape hatte wochenlang alles in sich hineingefressen, wie es seine Art war, doch nun war es zuviel geworden, und die erneute Konfrontation erst mit Malfoy und Voldemort und dann mit seinen Erinnerungen hatte auch nicht geholfen.

Wenn er dem Slytherin nur nie gefolgt wäre, flüsterte der egoistische Teil von ihm und dieser Gedanke machte ihn, gleichzeitig als er kam, krank. Snape verdiente jede Hilfe, die er bekommen könnte. Eine Hilfe, die sie alle, sogar er, in ihrer Tragweite nicht realisiert hatten...

Snape hatte den Kopf wieder gesenkt und machte noch nicht einmal Anstalten, seine Schluchzer zu unterdrücken. Verschwunden war die arrogante Fassade und Sirius sah zum ersten Mal in seinem Leben in Snapes Seele. Er kroch ein wenig näher zu dem Mann und hob unsicher eine Hand, um sie ihm beruhigend auf die Schulter zu legen, zögerte aber mitten in der Bewegung. Der Slytherin würde eine solche Geste nicht dulden. Doch dann hatte dieser zerstörte Mann kaum noch Ähnlichkeit mit Snape. ‚Ach, zur Hölle...', dachte er, griff einem Impuls folgend nach den Schultern des anderen Mannes und zog ihn gegen sich in eine feste, tröstende Umarmung. Zu seiner Überraschung wehrte sich dieser nicht dagegen, sondern lehnte sich schwer gegen ihn, als wäre Sirius sein einziger noch verbliebener Halt in dieser Welt. Vielleicht war er es ja.
Diese Erkenntnis liess jeden Zweifel von Sirius abfallen und er strich ermutigend mit seiner Hand sanft Snapes Rücken auf und ab.

"Beruhige dich. Ist schon gut. Ich sag es niemandem", flüsterte er unbeholfen, während er den anderen Zauberer gegen seine Schulter weinen liess. "Du hast nicht versagt. Du hast überlebt. Das ist mehr, als Malfoy oder der dunkle Lord geschafft haben."

Snapes Schluchzen erstarb langsam, jedoch vermutete Sirius, dass das eher damit zu tun hatte, dass der Mann keine Kraft mehr zum Weinen hatte, als dass seine Worte viel bewirkt hätten.

"Und wofür? Am Ende ist es bedeutungslos", flüsterte der Slytherin wieder in dieser des Lebens müden Stimme, die noch immer zitterte und von einem trockenen Schluchzer durchbrochen wurde.

Sirius wusste nicht so recht, was er darauf erwidern sollte. Aber eines war klar. Dass er Snapes Selbstmord dieses Mal verhindert hatte, wäre nur ein Aufschub. Der Slytherin sah im Leben nur noch eine Bürde und würde es wieder versuchen. Immer wieder. Er war des Lebens überdrüssig und das so stark, dass er seinen verhassten Feind sogar in seine Erinnerungen gelassen hatte. Snape hatte mit dem Leben hier abgeschlossen.

Sirius rückte ein wenig von Snape ab, hielt aber noch immer beide Hände auf seinen Schultern. "Wer weiss das schon? Aber in einem hatte Malfoy bestimmt Unrecht. Albus ist fast wahnsinnig geworden, als wir wussten, dass du aufgeflogen bist, wir dich aber nicht finden konnten. Er hat den Schülern gegenüber den Schein gewahrt, doch privat hat er kaum schlafen können, aus Sorge um dich." Er zwang ein aufmunterndes Lächeln auf sein Gesicht. "Da ich in seinen Quartieren wohnte, habe ich natürlich alle die Nächte, in denen er vor dem Kamin saß und grübelte und seufzte, mitbekommen."

Snape sah ihn an, als könne er den Wahrheitsgehalt seiner Worte dadurch herausfinden, dass er ihn lange genug fixierte.

"Wenn du dich nun umbringen willst, dann würdest du Albus' Herz brechen. Er sorgt sich wirklich um dich, weißt du."

Nun war in Snapes Gesicht eine Mischung aus Schuld, Erstaunen und, zum ersten Mal seit langem, Zweifel, doch dann verschwand das Gefühl wieder und machte der altbekannten Resignation Platz.

"Selbst wenn das stimmt, dann spielt es keine Rolle. Albus wird vergessen. Er wird keine andere Wahl haben. Zu viele Leben sind im Spiel. Er kann sich nicht mit einem aufhalten. Vielleicht würde er wirklich trauern, für eine kleine Weile, aber er würde darüber hinweg kommen. Ich wäre nicht der erste Mensch, den er beerdigt."

"Du bist nicht einfach ein Name unter vielen für ihn, Snape."

Snape senkte den Kopf und starrte wieder auf seine Hände und flüsterte kaum hörbar, als dürfe er nicht zu hoffen wagen: "Vielleicht nicht für ihn, aber da ist er der Einzige..."

Das wiederum überraschte Sirius. "Aber ich dachte immer, dass du genau das willst. Dass es dir egal ist, wie die anderen über dich denken. Du standest immer darüber, dich bei anderen beliebt zu machen. Hölle, du hast immer alles getan, dass dich alle mieden."

Wieder seufzte Snape. "Ich weiss. Ich war auch immer glücklich damit. Ich konnte die meisten Menschen noch nie ausstehen." Er blickte auf. "Aber nun weiss ich nicht mehr, ob es mir reicht, gehasst zu werden. Hass ist auch eine Art von Respekt, weißt du. Der einzige Respekt, den ich mir erarbeiten konnte. Doch kaum war ich weg, feierten die Schüler eine Party. Der Respekt ist nichts wert, wenn ich nicht da bin und die nächste Generation Schüler wird sich überhaupt nicht mehr an mich erinnern." Sein Gesicht verzerrte sich wie in Schmerzen. "Sogar Pettigrew hat sich zu guter Letzt gegen den dunklen Lord aufgelehnt. Er hat ihm wiederstanden. Sogar der jämmerliche Feigling hat etwas erreicht was ich nicht habe."

Langsam begann Sirius das wahre Ausmass des Problems zu erkennen, und es erschreckte ihn.

"Peter war ein Feigling. Er hat den einfachsten Weg gesucht. Den schmerzlosesten und einzig möglichen für ihn. Du hast die Folter überlebt, die er keinen Tag durchgestanden hätte."

Snape machte ein Geräusch, das irgend wo zwischen einem Schluchzer und einem Lachen lag. "Aber am Ende bin ich gebrochen worden, er nicht. Er hat sich wiedersetzt. Das Resultat ist am Schluss alles was zählt. Wofür soll ich noch leben, sag es mir?"

"Dein Leben ist noch nicht zu Ende, Snape. Du hast noch Jahre vor dir um dir einen Namen zu machen", sagte Sirius mit einem Anflug der Verzweiflung und er stellte mit Überraschung fest, dass er um alles in der Welt wollte, dass Snape lebte. Etwas was er während der ganzen Pflege nie auch nur im Anflug gewünscht hatte, ausser um seines Stolzes willen, nie aber um des Slytherins willen. Jetzt tat er aber genau das. Er wollte, dass Severus Snape, der Mann, dem man solch etwas schlimmes angetan hatte, lebte. Malfoy und Voldemort durften ihn nicht noch fertig zerstören, das hatte er nicht verdient. Und genau deshalb hätte Sirius im Moment alles für einen gehässigen, bitteren, bösartigen Kommentar gegeben.

Snape fasste sich wieder etwas und schnaubte abfällig. "Vierzig Jahre hab ich nichts erreicht, und weitere vierzig oder achtzig sollen etwas bewirken? Komm von deiner idealisierten goldenen Gryffindorwolke herunter, Black. Willst du wissen, warum ich mich wirklich auf diese Selbstmordaktion eingelassen habe? Nicht aus einem sentimentalen Gefühl heraus oder aus Respekt dem Direktor gegenüber, auch wenn das sicherlich eine Rolle spielte. Nein, ich wusste, dass man, selbst, wenn ich dabei sterben würde, mich dafür in Erinnerung behalten würde. Ich hätte den dunkelsten Magier ausgetrickst oder wäre zumindest jedes Risiko dafür eingegangen. Ich hätte etwas riskiert, was niemand ausser mir gewagt hätte und daran hätte man sich erinnert. Ich hätte endlich etwas Bedeutendes erreicht, hätte ich mich nur nicht brechen lassen." Snape ballte die Faust und Hass funkelte nun schwach in seinen Augen. "Ich wäre stolz untergegangen und hätte zumindest post mortem noch den Orden erhalten, der mir bei deiner Flucht entgangen ist", spie er anklagend in Sirius' Gesicht.

Sirius jubilierte innerlich. Da war zumindest wieder ein Funke Leben in Snapes Worten. Scheinbar stellte er sich doch nicht so schlecht an bei seinen Versuchen, zu dem Slytherin durchzudringen.

Sirius ließ Snapes Schultern los und setzte sich mit erneutem Selbstvertrauen bequemer hin. "Da hast du noch immer das Leben vor dir. Da sollte doch irgend eine denkwürdige Tat, die einen Orden verdient, drinliegen, denkst du nicht? Ich mache dir einen Vorschlag, Snape. Du bringst dich nicht um, und ich sage von all dem, was hier passiert ist, nichts zu Albus."

Snape wurde nun plötzlich wütend, wenngleich Sirius den Eindruck hatte, auch einen Anflug von Panik in seinem Blick zu erkennen. "Du hinterhältiger Mistkerl, du hast versprochen, nichts zu sagen."

"Das galt nur für die Erinnerungen, nicht für den Selbstmordversuch", grinste Sirius.

Der Wutausbruch verschwand wie Luft aus einem Ballon und brachte einen Teil der Resignation und Verzweiflung zurück.

"Es ist meine eigene Entscheidung..."

Sirius hätte sich ohrfeigen können und seine gesamte Selbstsicherheit verschwand mindestens so schnell wie Snapes Wut. So einfach war die Sache wohl doch nicht, Snapes Seele war zerbrochen, und wenn er ihm nun wieder die Kontrolle entriss, war er nicht besser als Malfoy.

"Ich will dir nicht die Kontrolle wegnehmen", versuchte er den Schaden wieder gutzumachen. "Natürlich kannst du machen, was du willst. Es ist auch deine Entscheidung, ob du Albus etwas sagen willst, aber bitte verstehe, dass sich Leute um dich sorgen. Was dir widerfahren ist, ist schrecklich, aber es war nicht dein Fehler. Nichts von alledem. Es gibt Leute, denen du sehr wichtig bist. Vergiss das einfach nicht."

"Ich kann nicht damit umgehen, Black. Ich schaffe es nicht. Ich will die Alpträume nicht mehr sehen, die Schreie nicht mehr hören und mich nicht mehr daran erinnern, dass ich mich habe besiegen lassen."

Sirius legte erneut eine Hand auf die Schulter seines Gegenübers. "Versuche es doch. Du musst da nicht ohne Hilfe durch. Du bist nicht alleine. Albus wird immer ein offenes Ohr haben, und wenn du nicht zu ihm willst und ..." Er zögerte kurz. "Nun ich kenne ja nun schon alles, also kannst du auch zu mir kommen."

Diesmal sah ihn Snape an, als hätte er den Verstand verloren, und Sirius erlaubte sich ein kleines Lächeln. Der Slytherin war immer ein Einzelgänger gewesen, doch um dies hier bewältigen zu können, brauchte er Unterstützung und zu Sirius' Überraschung schien er sogar ein Stück weit bereit, diese anzunehmen. Er wusste nicht, ob Snapes Seele komplett zu heilen war, doch wenn er sich viel Zeit gab, dann könnte er es eventuell schaffen. Irgendwann. Mit viel Hilfe.

Snape senkte wieder den Kopf und dachte einen Moment nach. "Ich kann nichts versprechen", gab er schließlich zögernd zu.

"Das geht in Ordnung." Sirius stand auf und hielt Snape die Hand hin. "Komm, gehen wir, sonst schickt Albus noch einen Suchtrupp nach uns los."

Snape besah sich die dargebotene Hand erst widerwillig, liess sich dann aber doch von dem Animagus am Ellbogen fassen und auf die Beine ziehen. Er schwankte bedrohlich und Sirius stützte ihn sofort. "Schwindlig?"

Snape nickte nur, aber nach einiger Zeit stand er sicherer, auch wenn er Sirius' stützenden Körper noch nicht von sich stieß. Sirius reinigte Snapes Umhang mit einem Zauberspruch von dem Blut und fummelte kurz an Snapes Ärmeln, so dass sie die Bandagen bedeckten. "Ich bin nicht gut mit Heilzaubern. Ich hoffe du kannst dich Zuhause selbst darum kümmern, sonst bleibt dir wohl trotz allem nur Poppy."

Wieder verzog sich Snapes Gesicht in eine abweisende Grimasse und er wischte sich mit einem abrupten Wisch seines Ärmels die letzten Spuren eintrocknender Tränen vom Gesicht. "Das kriege ich schon hin. Nun lass uns verschwinden."

Bevor sie in Richtung Ausgang gingen, sah Sirius noch einmal voller Ernst auf Snape. "Ich werde von nun an ein Auge auf dich haben, Snape. So etwas wie bei Malfoy wird man nicht mehr mit dir machen", schwor er so leise, dass er nicht sicher war, ob Snape ihn überhaupt gehört hatte. Falls doch, dann machte er keine Anstalten dazu.

Sirius lächelte. Snape war noch immer der fettige, unfreundliche Bastard und sie würden wohl nie Freunde werden, aber er hatte heute zum ersten Mal den Menschen hinter dem gemeinen Slytherin gesehen und er würde dafür sorgen, dass dieser Mensch alle Hilfe bekam, die er brauchte.

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