Von Mördern und Verrätern

 

 

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Kapitel 71



St.Mungos

"... Nicht glauben, dass..."

"...sehen, wie wir weiter vorgehen. Sein Zustand..."

****

"Professor Dumbledore, gehen Sie nur. Es ist zu früh, als dass er wach wird... Mister Snape?"

Bewegung und ein Luftzug.

"Severus? Kannst du mich hören? Versuche die Augen zu öffnen."

"Lassen Sie ihm Zeit. Er wird bald ..."

****

Ein unaufhörliches, leises und rhythmisches ‚Klick-Klick' durchbrach die schwarze Stille, die ihn umfangen hielt. Wo war er? Wer war er?

Das klickende Geräusch stoppte für einen kurzen Moment, nur um bald wieder fortzufahren. Er lauschte angestrengt. Das Geräusch hätte frustrierend sein können, doch es war alles, was er wahrnahm und somit sein einziger Halt. Je mehr er sich darauf konzentrierte, desto mehr verflüchtigte sich der Nebel, der undurchdringlich um seinen Geist zu schweben schien. Irgendetwas war nicht so, wie es sein sollte. Snape. Tod. Nur ein Wort. Er sollte tot sein.

Ein neues, anderes Klicken und ein leichter Luftstoß streifte sein Gesicht und dann war da das Rascheln von Stoff und das erste, rhythmische ‚Klick-Klick' hörte auf. "Sirius? Es ist noch nicht Zeit für die Ablösung."

Er kannte die weibliche Stimme und der Name. Sirius Black ... Sein Feind, oder sein Freund? Er war sich nicht sicher. Er erinnerte sich nicht.

"Ich weiß. Ich hatte nichts zu tun und Remus hat keine Zeit mich abzulenken. Zuhause rumzusitzen machte mich noch irrsinnig. Wie geht es Severus?"

Severus. Ja, genau, das war sein Name, nicht? Sein Geist wand sich langsam aus dem dicken Nebel, aber er fühlte sich, als wäre sein Körper zu schwer um ihn zu bewegen und etwas Weiches drückte gegen seinen Rücken. Alles schien so schwer und der Nebel sang zu ihm und versuchte ihn wieder zurück zu ziehen, in seine dicken Schwaden des Nichts-Wissen.

"Laut den Heilern sollte er bald aufwachen."

Aufwachen? War es darum so dunkel? Er hatte die Augen geschlossen. Natürlich. Unter enormer Anstrengung zwang er seine schweren Lider sich zu heben.

Er blickte auf eine hellgelb bemalte Wand mit feinen Haarrissen, welche die Farbe hier und dort zum Abblättern gebracht hatten. Eine Wand, von der ein sanftes, kaum wahrnehmbares Licht ausging. Was bedeutete, dass es gar keine Wand, sondern eine Decke war. Auch war sie nur darum in seinem Blickfeld, weil er auf dem Rücken lag, das Weiche in seinem Rücken die Matratze des Bettes, in dem er lag.

Er blinzelte einmal und versuchte die lungernde Müdigkeit zu vertreiben, als plötzlich ein Kopf, umrandet mit schwarzen Haaren in sein Blickfeld schoss. "Snape? Severus. Du bist wach!"

"Severus?" Die andere, weibliche Stimme, ließ ihn seinen Kopf drehen und er blickte in das Gesicht der Weasley Matriarchin, die sich über sein Bett beugte, den Stuhl daneben ignorierend und noch immer ein angefangenes, zerknittertes Strickzeug in der einen Hand hielt. Das erklärte das klickende Geräusch wohl. Molly lächelte verhalten und nervös, als wisse ihr Gesicht nicht, welcher Ausdruck in dieser Situation angebracht wäre. Der mitfühlende Ausdruck in ihren Augen verstärkte diesen Eindruck noch mehr.

"Schön, dass du wieder bei uns bist. Du hast uns zu Tode erschreckt, weißt du." Sie hob eine Hand, zögerte aber einen Moment, bevor sie eine Strähne seines kurzen Haares unnötigerweise zurück strich. Das Mitleid in ihren Augen war für Severus erst unverständlich, bis seine Erinnerung auf einen Schlag über ihn hereinbrach. Er stöhnte jämmerlich, als ihm klar wurde, dass seine Flucht erneut fehlgeschlagen war. Das einzige Geräusch schmerzte seine trockene Kehle, doch dieser Schmerz war nichts im Gegensatz zu der Hoffnungslosigkeit, die sein Herz zusammenzudrücken schien. Mit aller Kraft drehte er sich von den Zweien weg und vergrub sein Gesicht im Kissen, als könne er so die ganze Welt ausschalten.

"Severus..." Mollys Stimme brach ab.

"Molly, würdest du bitte Albus benachrichtigen? Er wollte Bescheid wissen, sobald er aufwacht", sagte Black ruhig.

Er konnte fühlen, wie sich eine der zwei Personen aufrichtete. Ein kurzes Rascheln, als Molly wahrscheinlich ihre Sachen zusammen packte und dann Schritte und das Öffnen und Schliessen der Tür.
Die Matratze senkte sich, als sich etwas Schweres an der Kante hinter seinem Rücken darauf niederließ und eine Hand legte sich leicht auf seine Schulter. Diese einfache Geste jagte einen Schauer durch seinen Körper, und er konnte ebenso wenig dagegen unternehmen, wie gegen den Atem, der ihm für einen Sekunde im Hals stecken blieb.

Sofort verschwand die Hand wieder.

"Severus", erklang Sirius' leise, hilflose Stimme.

Irgendwie schienen alle bei seinem Namen stecken zu bleiben, fuhr es ihm durch den Kopf. Als ob sein Selbstmordversuch all ihre Sicherheit ihm gegenüber geraubt hätte und er ein höchst zerbrechliches Wesen wäre, das durch das geringste falsche Wort zerstört werden konnte. Und das Schlimmste war, dass diese Befürchtung wahrscheinlich sogar nicht einmal so weit hergeholt war. Zu viel hatte er schon ertragen müssen. Er war zu müde noch mehr zu verkraften. Noch nicht einmal mehr ein einzelnes Wort.

"Wer weiß alles...", flüsterte er in das Kissen vor sich.

Sirius seufzte, doch schien zu verstehen, was er fragen wollte, aber nicht aussprechen konnte. "McGonagall war bei Poppy, als die Beiden sich gerade über Floh mit Molly Weasley unterhielten, als ich sie rief. Es hätte zu viel Zeit gekostet, die beiden anderen erst los zu werden." Er zögerte. "Tut mir leid."

Severus nickte apathisch.

"Albus hat den Heilern hier erzählt, dass du vergiftet worden bist, mehr nicht..."

Der Tonfall Blacks machte deutlich, dass er noch unerfreulichere Nachrichten auf Lager hatte, die er ihm aber lieber verschweigen wollte. Severus konnte es sich aber schon denken, was das war.

"Die meisten Leute hier kennen dich und deine Fähigkeiten und alle anderen haben davon gehört. Die Art der Vergiftung war zu... zu speziell."

Severus schloss die Augen und atmete tief ein. Jeder Zauberer, der auch nur halbwegs fähig in Herbologie und Zaubertränke war, würde sich fragen, wie einem solch etablierten Zaubertränkemeister ein Kraut untergeschoben werden konnte, das einen ganz speziellen Geschmack hatte, den jeder, der den Meistertitel trug, sofort erkennen würde. Einen Geschmack, der nur erhalten blieb, wenn die Pflanze nicht vermischt und ganz kompliziert und spezifisch geerntet und verändert wurde. Eine Pflanze, deren Wirkung zu langsam war und einfach zu neutralisieren, wenn man sich der Wirkung bewusst wurde. Ihr Name war unter Zauberern harmlos und die wenigsten von ihnen würden überhaupt wissen, dass die Pflanze bei Muggeln überhaupt tödlich war. Jeder Zaubertränkemeister und Herbologe jedoch schon. Und wenn jemand mal per Zufall (was so gut wie ausgeschlossen war) damit vergiftet wurde, würde dieser sofort die Verbindung zu den Symptomen herstellen und hätte noch genügend Zeit, Gegenmassnahmen zu treffen.
Ein Attentäter müsste genug Wissen über den Muggelschierling haben, müsste ihn genau richtig ernten und bearbeiten und es dann noch fertig bringen, dass der zu Vergiftende seine magische Aura solange unterdrückt, bis das Gift in die Blutbahn übergegangen war. Und dann noch dafür sorgen, dass das Opfer nichts unternimmt. Nein, der Schierling war nicht geeignet um jemanden zu vergiften. Höchstens zum Selbstmord. Den Selbstmord eines fähigen Zaubertränkemeisters, der sicher gehen wollte, dass er nicht gerettet werden würde.
Die Leute würden sich den Mund zerreissen. Hätte er nicht überlebt, wäre es egal gewesen, doch so...
Er schluckte schwer. Egal was er machte, er schien die Situation nur noch zu verschlimmern.

Doch dann wiederum, was bedeutete die Meinung der breiten Massen denn noch? Er respektierte sich selber nicht mehr, dass es die anderen auch nicht taten schmerzte komischerweise nicht mehr halb so viel, wie es sollte und noch vor wenigen Stunden getan hatte. Oder vielleicht hatte der Schmerz in seiner Brust auch nur so sehr von ihm Besitz ergriffen, dass kein neuer mehr Platz hatte?

Etwas nagte an Severus' Bewusstsein. Etwas was aus den hintersten Regionen seines Gehirns lockte, er aber nicht fassen konnte. Etwas was zu tun hatte mit... "Albus?" entwich es aus ihm in einem Flüstern. Er öffnete die Augen und verdrängte effektiv das andere Thema in die hintersten Regionen seines Gehirns. "Er war hier gewesen."

Mühsam verdrängte er die trüben Gedanken und die Müdigkeit, die schon wieder an seinem Bewusstsein zog, drehte er sich zurück und starrte auf Black.

Dieser nickte. "Ja, wir haben uns abgewechselt, damit du nicht alleine sein würdest, wenn du erwachst. Du warst einige Male ganz kurz bei Bewusstsein, bist aber immer sofort wieder eingeschlafen."

Ja, jetzt erinnerte er sich wieder. Dann waren die Wortfetzen, an die er sich ansatzweise erinnern konnte, kein Traum gewesen.

"Erschrick nicht. Ich hebe das Kopfteil etwas an, damit du den Leuten gerader in die Augen sehen kannst." Der Gryffindor wartete erst ab und als er nur ein knappes Nicken als Antwort bekam, zog er seinen Zauberstab und richtete ihn auf das Kopfende von Severus' Bett, neben seinem Kopf. "Levio."

Severus fühlte, wie sich das Bett hinter seinem Kopf hob und er war gezwungen, sich gerader hin zu setzen, dass er nicht hinunter rutschte.
Die Tür ging auf und eine etwas untersetzte Frau ungefähr in Minervas Alter trat in den Raum. Sie trug die limettengrüne Uniform der St. Mungos Heiler mit dem Emblem eines Knochens gekreuzt mit einem Zauberstab.

Ihr Gesicht zeigte ein höfliches, etwas neutrales Lächeln. "Ah, Mister Snape. Mrs. Weasley hat mir gesagt, dass Sie wach sind."

Sie trat an das Bett nickte ihm zu. "Ich bin Heilerin McCarthy."

Sirius runzelte die Stirn und Abneigung stand ganz klar in seinen Zügen. "Nett, Sie kennen zu lernen, Mrs. McCarthy."

Sie warf dem Animagus einen wüsten Blick zu, richtete sich wieder an ihren Patienten. "Da Sie ein Zaubertränkeexperte sind wird es Ihnen genügen, wenn ich Ihnen sage, dass Sie mit dem Gift des gefleckten Schierlings, der Muggelversion natürlich, vergiftet wurden." Ihr Blick lastete misstrauisch auf ihm und ihre Augenbrauen waren hoch in die Stirn gezogen, als erwartete sie eine Bestätigung von ihm, für eine Frage, die sie sich verkniff. Sie wartete sogar einen Moment, doch Snape starrte nur stur gerade aus und schien sie zu ignorieren, wenn auch seine Kieferknochen leicht arbeiteten. Mit einem frustrierten Schnaufer fuhr sie in einer provozierenden Stimme fort, als von ihm keine Reaktion kam: "Wie Sie sicher wissen, ist die Wirkung der Pflanze einfach zu behandeln, wenn man weiss, wonach man suchen muss. Hätte Ihr Direktor nicht darauf bestanden, Sie nur Palliativ zu behandeln und Ihnen keine Gegenmittel zu geben, bis wir Ihr Blut analysiert hatten, würden wir heute sicher nicht miteinander reden. Wir werden Sie noch eine Weile hier unter Beobachtung halten, bis das Meiste des Giftes aus Ihrem Körper verschwunden ist und Sie etwas zu Kräften gekommen sind." Sie beobachtete ihn wie ein Geier ein sterbendes Lamm, als könne sie es nicht erwarten, bis er ihr endlich alle seine Sünden und den Umstand gestand, dass er sich selber vergiftet hatte.

Sie näherte sich der Seite des Bettes, Black gegenüber und jetzt sah Severus aus den Augenwinkeln, dass sie einen Becher in der Hand trug, den sie ihm unzeremoniell vors Gesicht hielt. "Trinken Sie das, das wird Ihnen helfen, sich zu erholen."

Severus starrte auf die grünbraune Flüssigkeit und die Luft um ihn schien plötzlich etwas dicker zu werden. Er atmete schwer, ohne es sich erklären zu können, warum sein Herz plötzlich schneller schlug und sich ein Gewicht auf seine Brust senkte. Sirius aber schien seine Schwierigkeiten zu bemerken und griff ein indem er der überraschten Heilerin den Becher aus der Hand nahm. Die Frau machte ein entrüstetes Geräusch und öffnete den Mund um etwas zu sagen und Sirius brachte sie mit einem einzigen Blick und einem kaum wahrnehmbaren Kopfschütteln zum Schweigen. Daraufhin zog die Heilerin ihr Gesicht in einen solch schlecht gekünstelten Ausdruck der Entrüstung, dass es die Verlegenheit in ihren Augen nicht zu überdecken mochte und Severus fragte sich beschämt, was alles genau sie über seine Vorgeschichte wusste. Dass sie vermutete, dass er versucht hatte sich umzubringen, hatte sie selber schon vorher angedeutet.

"Was ist das für ein Trank?" hörte er Sirius fragen. Trotz der Scham, wurde das Atmen wieder einfacher und sein Herz beruhigte sich, jetzt, da der Becher nicht mehr direkt vor sein Gesicht gehalten wurde.

"Nur ein Stärkungstrank. Der Plenus animi robur, um genau zu sein", antwortet die Heilerin.

"Snape?"

Severus schloss kurz die Augen um sich zu sammeln, bevor er zu dem Gryffindor hoch sah. Warum verriet ihn sein Körper nur immer wieder und machte so überaus deutlich, dass er sich nicht mehr unter Kontrolle hatte?

Der Animagus blickte ihn ruhig an, behielt aber den Becher bei sich. Weit genug von Severus entfernt, damit dieser sich nicht durch die Aufforderung bedroht fühlte, aber doch nah genug, dass er ihn selber fassen konnte. Das Ganze war lächerlich. Nein, er war lächerlich. Seine ganzen Reaktionen. Es war nur ein Heiltrank und Severus kannte den Plenus animi robur gut genug um auf den ersten Blick zu sehen, dass es sich tatsächlich darum handelte.

In dem Moment öffnete sich die Türe erneut und Albus Dumbledore trat mit angespanntem Gesicht ein. Seine Augen suchten sofort die von Severus und er schloss die Tür hinter sich, ohne den Slytherin aus den Augen zu lassen, während sein Blick sofort alle Schärfe verlor und weich und traurig wurde.

Severus brach den Blick als erster und sah wieder auf Black. Die Müdigkeit, die er bis jetzt erfolgreich bekämpft hatte, wurde immer erdrückender und er wusste, dass ihm der Animi robur helfen würde wach zu bleiben. Irgendwie hatte er das Gefühl, dass er dies brauchen würde, auch wenn die Verlockung, der Konfrontation mit Albus auf dem Weg zu gehen, bestand. Eine Konfrontation, die er fürchtete. Vor allem, weil der Gedanke daran jede kleine Flamme der Hoffnung sofort zertrat, in dem Moment, in dem er ihrer gewahr wurde.

Entschlossen griff er nach dem Becher in Blacks Hand. Er leerte ihn in einem Zug, bevor er seine Meinung wieder ändern konnte und verzog kaum den Mund ob dem bitteren Gebräu. In dem Moment, wo die Flüssigkeit seine Zunge benetzte, wurde der Schleier der Müdigkeit wie durch einen starken Windstoss weg geweht und er wurde wacher.

"Nun gut!" sagte die Heilerin und nahm ihm den Becher wieder ab. Der geschäftsmäßige Ausdruck war wieder in ihrem Gesicht zurückgekehrt. "Sollten Sie Hilfe brauchen, berühren Sie einfach die Kristallkugel auf dem Nachttisch, und einer von uns Heilern wird kommen." Sie deutete auf eine grünliche gläserne Kugel von etwa fünf Zentimeter Durchmesser auf dem kleinen Möbel neben seinem Bett. "Dann lasse ich Sie mit Ihrem Besuch alleine, Mi..." Sie warf einen Seitenblick auf Black, der ein schnaubendes Geräusch hören ließ. "Professor Snape."

Mit einem weiteren bösen Blick auf Black drehte sie sich um und verließ das Zimmer.

"Du hast Pech gehabt", sagte Black seufzend. "Hast den Stationsdrachen als Heilerin erwischt."

Um ehrlich zu sein, war Severus das komplett egal und Blacks Versuch in Humor scheiterte kläglich an ihm. Alles, was ihn interessierte war, warum er noch lebte. Sein Plan war idiotensicher gewesen. Es hatte nur eine Möglichkeit gegeben, das Gift zu überleben und er hätte nie erwartet, dass jemand darauf kommen würde. Und dann war da noch Albus und die unausweichliche Konversation, die sie haben würden. Er blickte wieder auf den Direktor, der noch immer in der Nähe der Tür stand und ihn stumm ansah.

Sirius, der selber bemerkt hatte, dass sein Witz nicht den gewünschten Erfolg hatte, räusperte sich verlegen.

Für einen Moment war es still, die Situation mehr als angespannt. Sirius warf dem noch immer still dastehenden Direktor einen Blick zu und erhob sich dann. "Ich glaube, ihr zwei habt einiges zu bereden. Ich geh dann lieber. Snape?"

Die Frage war freundlich, eine Aufforderung etwas zu sagen, wenn er Einwände hatte, doch Severus blieb stumm und starrte nur auf die grauen Ärmel seines Leinenshirts, das man ihm angezogen haben musste. Angewidert und beschämt verzog er die Lippen. Wie viele Leute wohl seinen Körper und all die Narben gesehen hatten? Seine Handschuhe waren verschwunden und er hatte einen guten Ausblick auf seine verunstalteten Hände.

Black seufzte, stand auf und ging zum Ausgang und riss Severus somit aus seinen wandernden Gedanken. Er sah gerade rechzeitig hoch um zu sehen, wie der Animagus dem Direktor kurz die Hand auf die Schulter legte und dann zur Tür hinaus verschwand und diese leise hinter sich schloss. Severus senkte erneut den Blick.

"Sie haben mir die Handschuhe weggenommen."

Eine runzlige Hand senkte sich auf die seinen, und bedeckte die Narben sanft. Severus fühlte sich erneut wie ein Feigling, weil er es nicht wagte hoch zu sehen und dem Direktor in die Augen zu blicken. Er wusste, was nun kommen würde. Entschuldigungen und Bedauern. Severus selbst hatte es dem Direktor vorgeworfen, dass er ihn nicht verstehen konnte, weil er ein Gewinner war, und genau aus diesem Grund wusste Severus, dass er diese Entschuldigung nicht wollte. Albus stand so hoch über ihm. Er war strahlend, heldenhaft und unerreichbar, wohingegen Severus selber ein gebrochener, beschmutzter Feigling war.

"Ich bin schon länger Lehrer als du lebst Severus", begann Albus mit ruhiger Stimme. Er machte eine Pause, wohl um zu sehen, ob Severus seinen Blick hob. Als er dies nicht tat seufzte der alte Zauberer leise und fuhr fort: "Jedes Jahr kommen neue Schüler zu uns. Kinder, die alle eines gemeinsam haben. Sie werden von Zuhause weg in eine neue Umgebung zu fremden Menschen geschickt. Für einige eine schmerzhafte Trennung und für andere eine Chance. Für uns Lehrer aber sind sie Schüler, kaum mehr. Individuen werden zu einer Masse. Wir kümmern uns um sie, natürlich, und helfen ihnen, wenn sie mit Problemen zu uns kommen, doch egal wie sehr wie sie mögen und uns ihnen gegenüber verantwortlich fühlen, die elterliche Liebe und Sorge können wir ihnen allen nicht geben.
Und dennoch kommen manchmal Kinder zu uns, die einem ins Auge stechen und tiefer den Weg ins Herz finden als andere."

Severus schluckte. "Kinder wie die Zwillinge, Black oder Potter."

Albus liess ein amüsiertes Geräusch hören. "Ja, das sind die schillernden Figuren, die man nicht übersehen kann, doch es sind nicht die, die mein Herz am meisten berühren. Diejenigen, die in ihrer Unscheinbarkeit nie auffallen, aber bewiesen haben, dass sie sich aller Widrigkeiten zum Trotz behaupten und überleben. Es sind diese Kinder, die das wahre Potential haben etwas sehr Grosses zu vollbringen. Diejenigen, die gewohnt sind zu kämpfen. Solche Kinder wie du warst, oder auch Remus, Neville und sogar Harry."

Severus sah endlich hoch und begegnete Albus' Blick. Malfoy hatte es ihm ja schon eingebläut, doch es von Albus zu hören tat doch weh. "Was heisst, dass ich nicht besser als die grössten Unbedachten, tollpatschige Feiglinge bin, die jemals Hogwarts betreten haben."

"Nein Severus. Das heisst es nicht. Wenn du tiefer schaust, dann siehst du den Mut, die Integrität und den Willen, sich allem zum Trotz treu zu bleiben, in jedem von euch. Ich gebe zu, dass die Versuchung für diese Kinder, die falschen Wege einzuschlagen viel grösser sind, als für manch anderen, aber ihre Wege zeichnen sich oft schon früh ab und die Kinder, welche in solch jungen Jahren den steinigen Weg stolz gehen und sich trotzdem treu bleiben und sich behaupten, werden zu den stärksten Charakteren, die es gibt."

Severus schnaubte und sein Gesicht verhärtete sich, als er endlich hoch sah und dem Blick des Direktors begegnete. "Ein Todesser zu werden ist ein wunderbares Zeichen an Charakterstärke. Ich wollte Rache, nichts weiter und ich war nie nobel oder edel."

"Ah, aber das sehe ich anders, lieber Severus. Du hast mehr Charakterstärke gezeigt als sie alle, denn du hast dich von einem der süßesten Gifte, der Macht, verführen lassen und hast dich von ihr trotzdem abgewandt. Hast ein gefährliches Schicksal dem einfachen Leben vorgezogen und es ist das, was mich immer an dir fasziniert hat und was ich bis heute bewundere. Es ist der Charakter, den ich sehe, wenn ich bei dir tiefer blicke. Hinter die Schale aus Bitterkeit, Zorn und oberflächlicher Gemeinheiten. Dies sind Eigenschaften, vorhanden trotz wenig Provokation und Danksagung, die dich in meinen Augen zu einem teuren Freund, vielleicht sogar meinem teuersten werden lassen, die mich so unendlich stolz auf dich machen. Welche dich zu einem noch grösseren strahlenden Gewinner machen, als ich es je sein könnte. Du magst viel sein, Severus Snape, aber du bist auf keinen Fall ein Verlierer."

Das hätte Severus ihm noch vor einem Jahr vielleicht abgekauft, doch Malfoy hatte ihm ganz effektiv das Gegenteil bewiesen. Er senkte den Blick erneut.

Der Direktor setzte sich auf seine Bettkante und drückte die Hände unter seinen sanft. "Egal was passiert ist, Severus. Du hast Dinge überwunden, an denen die meisten anderen gescheitert wären und das macht mich unendlich stolz. In dieser Beziehung bist du das wohl schillerndes Kind, das jemals den Weg in mein Herz gefunden hat."

Er hob mit seinem Zeigefinger Severus' Gesicht an und blickte ihm tief in die Augen. "Bitte lass nicht zu, dass dies dich jetzt zerstört. Es würde mir das Herz brechen dabei zusehen zu müssen."

Severus hatte die Augen des alten Mannes noch nie so gesehen. Ernst und traurig. So unendlich traurig und hilflos. Severus konnte die Zuneigung spüren, die in den Berührungen und in diesem Blick lagen. Sie füllten ihn mit Wärme und mit einem solch starken Schmerz, der seine vorherigen Gedanken, nicht mehr empfinden zu können, Lügen strafte. Es fühlte sich an, wie wenn er einen unglaublich wichtigen Wettbewerb nur durch Schummeln gewonnen hätte und der Anerkennung nicht wert wäre. Er konnte den Anblick von Albus' Augen nicht ertragen und blinzelte das Brennen in seinen eigenen zurück. Er schluckte schwer um einen sich plötzlich bildenden Kloss im Hals los zu werden und wandte das Gesicht wieder nach unten, weg von Albus' Berührung an seinen Augen.

"Wann kann ich nach Hause?" fragte er, eher um das Thema zu wechseln, als aus richtigem Interesse. Er wollte endlich Ruhe. Weg von allem, was ihn in seiner Gewalt hatte. Einfach nur Ruhe und die Chance nachzudenken.

Für einen Moment war es still. Zu still um nicht misstrauisch zu werden. Auch Dumbledore schien das zu merken. Mit einem Seufzen liess er seine Hände los, setzte sich auf den Stuhl neben seinem Bett und begann zu reden: "Du wärst beinahe gestorben, Severus. Wenn die Heiler auch nur einen der regulären Entgiftungstränke angewandt hätten, wärst du jetzt tot."

Das wusste Severus selber. Aus dem Grund hatte er ja dieses Gift gewählt. "Und warum lebe ich dann noch?" liess er sich zu der Frage hinreissen, die ihm seit dem Aufwachen ein Rätsel war.

"Glück, denke ich, und ein Risiko, das Poppy und ich beide bereit waren einzugehen. Es ist üblich, bei Vergiftungen, die Symptome mit einigen Breitbandtränken zu verlangsamen, bis man weiss, um was für ein Gift es sich handelt."

"Ich weiss das", antwortete Severus forsch.

Wieder seufzte der Direktor. "Ja, das ist mir klar und es ist das, was Poppy und ich auch erwartet haben. Genauso, dass du wirklich geplant hast diese Vergiftung ... nicht zu überleben." Seine Stimme drohte schon wieder zu brechen und er holte tief Luft, bevor er wieder mit starker Stimme fort fuhr. "Dann noch deine Bereitwilligkeit, den Trank, den sie dir deswegen geben wollte, so einfach anzunehmen, hat uns dazu gebracht, uns hier bei den Heilern durchzusetzen und auf solche Tränke zu verzichten."

Severus blickte auf den Direktor und hob spöttisch eine Augenbraue. "Und das haben die akzeptiert?"

Albus rang sich sogar den Hauch eines Lächelns ab. "Wie ich schon sagte, mein lieber Junge, bin ich schon lange Lehrer und viele der Heiler hier habe ich als Kinder gekannt, einige auch Poppy und die jüngeren haben ihr eigenes Wissen in Zaubertränke dank deinen Lektionen."

Mit einem verziehen des Mundes starrte Severus gerade aus. Wie weit ging es denn nun noch. Dass ihn ehemalige Schüler von ihm so sahen hatte er nie geplant.

Albus bemerkte seinen wechselnden Gemütsausdruck sofort und räusperte sich. "Das ist der Fluch, wenn man einer der Lehrer in der einzigen britischen Zaubererschule ist, fürchte ich. Tut mir leid, aber dich sterben zu lassen, ohne alles zu versuchen, konnte ich einfach nicht zulassen." Die Hand war für einen Moment lang wieder zurück auf seiner und Severus wehrte sich nicht dagegen. Dazu war er mental zu müde.

"Aber wieder zurück zum Thema. Poppy hat darauf bestanden, dass sie nur deinen Kreislauf und Atmung künstlich stabil hielten. Nur mit Zaubersprüchen natürlich, und dabei ganz auf alle Tränke verzichteten, bis das Gift isoliert war. Und natürlich war es genau das, deinen Kreislauf am Laufen zu halten, bis sich das Gift von selbst aus deinem System gearbeitet hat, was dir das Leben gerettet hat."

Dazu konnte Severus nichts sagen.

"Ich muss zugeben, dass wohl niemand damit gerechnet hätte, dass du, wenn du versuchst jemanden zu vergiften, es mit einer Blume machen würdest, die nur, wenn in Nicht-magischer Umgebung gewachsen, überhaupt giftig, und deren Wirkung so einfach zu heilen ist."

"Der Gedanke war, dass ihr entweder gar nicht dazwischen kommt, oder dann falsch - oder besser gesagt richtig -- auf eine Vergiftung reagiert", sagte er müde.

"Und es wäre dir beinahe geglückt, wobei die Tatsache, dass es für dich nötig wurde, es überhaupt zu versuchen, für mich das Schlimmste ist."

"Und nun?"

Albus schüttelte verloren den Kopf. "Ich weiss es nicht, Severus. Offensichtlich ist dir dein Leben nichts mehr wert und ich weiss nicht, wie ich es dir wieder sinnvoll erscheinen lassen soll."

Severus schnaubte bitter. Der grosse Albus Dumbledore würde bestimmt Mittel kennen um ihn von weiteren Selbstmordversuchen abzuhalten. Um ehrlich zu sein, wusste Severus im Moment auch nicht, ob er überhaupt noch einmal einen Versuch starten würde. Sicher, es gab einen kleinen Funken der Enttäuschung in ihm, dass er dieser Hölle einer Existenz nicht entronnen war, doch noch übermächtiger war die Apathie der ganzen Situation gegenüber. Sein Geist war zu müde, um darüber nachzudenken.

"Ich nehme an, dass sie mich noch ein bis zwei Tagen hier behalten, bis die Lähmungen alle verschwunden sind", sagte er um irgend etwas zu sagen, das die angespannte Stille füllte, welche begann sich zwischen ihnen beiden zu auszubreiten.

Der schmerzliche Ausdruck, der bei seinen Worten in Albus' Gesicht trat, hätte ihn alarmieren sollen, hätte diese Aufgabe nicht die nächsten Worte des Direktors gleich danach erfüllt. "Severus, ich habe versucht es zu verheimlichen, doch auch wenn sie keinen Beweis haben, vermuten die Heiler schon, was wirklich passiert ist. Auch haben sie die Narben an deinen Handgelenken bemerkt. Du hast versucht dich umzubringen, das ist ihnen klar. Mindestens zwei Mal. Du lebst in einer Schule, warst ein Professor und wirst es allem Anschein an wieder werden..."

"... und man wird nicht einen selbstmörderischen Lehrer unter die Schüler lassen", beendete Severus den Satz mit einem Flüstern. Die Luft schien ihm plötzlich weg zu bleiben und ein spitzer Stich traf ihn mitten ins Herz, als er sich alle Implikationen zusammen reimte. Man nahm ihm sein Zuhause.

"Bitte Severus", sagte Dumbledore mit einem flehenden Ton in der Stimme. Er fasste seine Hände fester. "Du brauchst Hilfe. Im Moment bist du vor dir selber nicht sicher. Die Heiler wollen versuchen dir zu helfen. Sie wollen, dass du, wenn du zurückkehrst, wieder Sinn im Leben siehst. Ich werde ihnen die vagen Umstände erklären müssen, dass sie nicht denken, dass du den Verstand verloren hast und sie besser verstehen."

Severus mochte unter Lucius und Voldemort seinen ganzen Stolz und Selbstachtung verloren haben, aber er war nicht dumm und erkannte die versteckte Mitteilung in den Worten des Direktors sofort und eine Welle der Panik brach über ihn herein. Dumbledore würde ihnen die ganze Schmach seiner Gefangenschaft erklären müssen und trotzdem würden sie ihn hier behalten, ob er einverstanden war oder nicht. Er wäre wieder ein Gefangener ohne eigenen Willen und Freiheit. "Nein!" Die Luft wurde noch dicker und er konnte nicht verhindern, dass seine Hände im Griff Dumbledores anfingen zu zittern. Ein Schauer fuhr durch seinen ganzen Körper und alles verschlingende Panik machte sich über ihm breit als sich sein Herzschlag beschleunigte.

"NEIN!" Das Beben in seinem Körper wurde heftiger und er musste alle Willenskraft aufbieten, nicht zu Hyperventilieren. "Bitte Albus. Lass das nicht zu. Nicht schon wieder!" Seine Stimme war beinahe hysterisch und hatte eine zu laute und hohe Tonlage angenommen.

Der Direktor beugte sich näher, griff ihn an den Schultern und zog ihn instinktiv in eine feste Umarmung. Severus, der normalerweise kein Mensch großer Berührungen war und nach seinen letzten Erlebnissen dachte, dass er nie mehr eine solche Nähe tolerieren könnte, fand die Nähe des alten Mannes alles andere als beruhigend und er fühlte sich nur noch mehr gefangen und fing schwach an sich zu wehren. "Schscht, Severus. Beruhige dich. Niemand wird dir wehtun. Wir wollen dir helfen. Ganz ruhig. Schscht", flüsterte Albus wieder und wieder.

Severus verstand den Sinn der Worte, die zu ihm gesprochen wurden kaum. Sein Geist war ein Meer puren Tumults und klare Gedanken waren kaum vorhanden. Nur eine übergrosse Panik, die ihn nach Atem kämpfen liess. Er musste hier weg. "LASS MICH LOS!" schrie er mit ungeheurer Kraftanstrengung und der Direktor lockerte tatsächlich den Griff.

Severus nutzte die Gelegenheit und schlug instinktiv gegen seine Angst. Er bekam das schmerzhafte Keuchen des alten Zauberers fast nicht mit, als er diesen traf und realisierte kaum, wie er aus dem Bett rollte. Als er auf dem Boden lag, die Tür in seinem Blickfeld, wurde der Fluchtinstinkt übermächtig und er wollte sich auf seine Beine rappeln. Doch diese gehorchten ihm nicht, bewegten sich kaum einen Zentimeter auf seinen geistigen Befehl und er konnte sie kaum fühlen. Er konnte sich nicht bewegen, konnte nicht weg. Die Luft wurde noch dicker und Severus konnte nicht mehr atmen. Verzweifelt schnappte er nach Luft. Schwarze Flecken erschienen vor seinem Gesichtsfeld, die bald zu einem dunklen Schleier wurden, die sein Bewusstsein in einen schwarzen Abgrund rissen


 

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