Von Mördern und Verrätern

 

 

Zurück

 

Zurück zur
Startseite




Kapitel 72



Titelgeschichte


Harry war im Zwiespalt extremster Gefühle. Voldemort war besiegt und er hatte wieder einmal überlebt. Er hatte es zuvor gar nicht gemerkt, doch irgend etwas in ihm hatte sich damit abgefunden gehabt, dass er diesen Krieg nicht lebend verlassen würde. Dass einer der zahlreichen Angriffe des dunklen Lords seine Aufgabe erfüllen würde. Natürlich hatte er kaum je ernsthaft solche Gedanken bewusst gefasst, und als Voldemort tot war, er mit seinen Freunde aber lebendig und gesund, kaum mehr als rohe Erleichterung zurückgeblieben. Das und Schuldbewusstsein Snape gegenüber.
Er hätte nie gedacht, dass er jemals für jemandes Tod verantwortlich sein könne, ohne das geringste Bedauern oder Schuld zu empfinden. Doch er hatte kein Bedauern darüber empfinden können, dass er dieses Monster Voldemort getötet hatte. Der offensichtlichste Grund dafür wäre für jeden Aussenstehenden wohl offensichtlich. Seine Eltern, die durch den Schwarzmagier getötet worden waren. Hermine, die ihn auch nach dem Kampf in einer ruhigen Minute behutsam darauf angesprochen hatte, in der Befürchtung, dass er sich in dieser Nacht vor Vorwürfen geplagt in den Schlaf weinen würde, weil er jemanden getötet hatte, hatte er auch genau diesen Grund genannt, warum er keine Probleme mit dem Tod eines, sowieso bereits seelenlosen Monsters, hatte.
Hermine hatte ihn erst zweifelnd angesehen, aber dann mit einem traurigen aber beruhigten Lächeln und einer engen Umarmung das Thema fallen gelassen.

Doch mit der Tatsache, dass Voldemort seine Eltern umgebracht hatte, hatte sich Harry schon lange abgefunden und der Schmerz darüber war zu weit weg, als dass er sich durch solch extreme Genugtuung oder selbst Gleichgültigkeit ausgewirkt hätte. Der hauptsächliche Grund, warum er nichts bereute, war Snape. Harry fühlte sich noch immer flau im Magen, wenn er sich an die Szene des sich unterwerfenden, gebrochenen Mannes auf dem Fussboden erinnerte. Und das Schlimmste war, dass er daran eine nicht unwesentliche Mitschuld trug. Er fühlte sich schuldig, so sehr, dass ihm fast schlecht wurde, wenn er daran dachte, Schuld gegenüber, was Snape wegen ihm hatte durchmachen müssen und noch mehr Schuld, weil es diese Erlebnisse des Zaubertränkemeisters waren, die verantwortlich waren, dass er die andere Schuld, jemanden getötet zu haben, so einfach wegsteckte. Es war einfach nicht Recht. Er sollte sich nicht so fühlen. Nicht, wenn es auf Kosten von Snape ging. Der gebrochene, ergebene Blick und die leise, hoffnungslose Stimme, als der Mann nach dem Kampf mit ihm geredet hatte, verfolgte ihn lange und in dieser Nacht hatte er sich lautlos in den Schlaf geweint.

In den Wochen nach dem Fall des dunklen Lords hatte die Zaubererwelt einfacher zurück zur Normalität gefunden, als er es gedacht hätte. Ironischerweise schien Voldemorts Präsents in der Schule immer deutlicher gewesen zu sein als im restlichen Zauberengland. Harry wusste nicht, woran das lag. War es, weil der Leiter und einige Mitglieder des geheimen Oppositionsordens hier lebten, oder weil hier unter den Kindern, mit den verschiedenen Häusern, familiären Hintergründen und Einflüssen von Freunden politische Ansichten gefestigt oder verändert wurden. Vielleicht auch nur, weil die Zeit in Hogwarts für Harry zu dem einzigen gedenkwürdigen Abschnitt seiner Kindheit geworden war, im Guten wie auch im Schlechten.

Wie dem auch sei, die Schüler hatten eine schwere Zeit hinter sich, in der man irgendwie wieder versuchte zum normalen Alltag zu finden. Zu deutlich waren die vereinzelten Lücken in den Slytherinbänken und das Misstrauen zwischen den Kindern von bewiesenen und vermuteten Anhängern von Voldemort und den ganzen anderen. Dumbledore hatte versucht die Wogen zu glätten und alle - wieder einmal - zur Einigkeit aufgerufen.

Aber trotzdem war nichts so wie es einmal gewesen war und würde das wohl für einige Zeit nicht mehr werden. Die Stimmung in den alten Hallen schwankte dauernd zwischen erleichterter Freude, Misstrauen und Vorsicht.

Harry hatte sich inzwischen daran gewöhnt und war vor allem dankbar, dass er - mit Hilfe einer sehr eindrücklichen Rede Dumbledores - nicht mehr für seine Rolle im Endkampf von allen Seiten bedrängt, auf die Schulter geklopft, angehimmelt oder bedroht wurde.

Der Morgen, der eine Welle des Schocks durch ganz Hogwarts und vor allem Harry jagen sollte, begann fast genau so wie der davor. Außer, dass Harry diesmal nicht durch einen Wecker oder einen Mitbewohner, der früher aufstand um Hausaufgaben in der letzten Minute zu erledigen, geweckt wurde, sondern durch einen leisen Aufschrei seines besten Freundes Ron im Bett nebenan. Sensibilisiert durch die letzten turbulenten und gefährlichen Jahre war Harry sofort hellwach, schnappte seinen Zauberstab, den er nie weiter als unter dem Kissen deponierte, entfachte durch ein leises Lumos einen Lichtkegel um dessen Spitze und leuchtete in das Bett neben seinem, bereit, sofort seinem Freund zu Hilfe zu eilen, sollte dies nötig sein. Doch nachdem der Lichtschein seines Zauberstabes auf den Rotschopf fiel, entspannte er sich wieder. Ron war gerade unter wüstem, geflüstertem Fluchen dabei, Krummbein von seiner Brust und Gesicht zu verscheuchen. Die Katze sprang mit einem gemächlichen Sprung von ihm herunter, setzte sich mit zuckender Schwanzspitze neben ihn und sah mit erhobenem Kopf und erhabenem Blick zu, wie der Attackierte wie eine Sprungfeder in eine sitzende Position schnellte, ein paar rote Haare aus dem Mund spuckte und sich mit dem Handrücken die Zunge und Lippen rieb. "Verfluchtes Biest. Bäh, das ist widerlich." Und erneut spuckte und würgte er.

Harry setzte sich an den Bettrand. "Alles okay, Ron?"

"Irgendwann bringe ich dieses Vieh noch um, ich schwöre es", jammerte Ron mit halb weinerlicher, halb wütender Stimme und spuckte noch ein letztes Mal ein Haar aus dem Mund.

Harry verkniff sich ein Lächeln, konnte es aber nicht verhindern, dass ihm ein paar Neckereien über die Lippen kamen. "Du musst halt im Schlaf den Mund zu behalten. Aber ich habe dir ja schon gesagt, dass du schnarchst. Jetzt hast du den Beweis."

"Pft. Ich schnarche nicht", funkelte Ron zurück.

"Hey, Was'n schon wieder los?"

"Schlaf weiter Seamus. Nur Hermines Katze, die uns weckte", rief Harry zurück.

Seamus drehte sich mit einem gemurrten, "...mal auf die Uhr schauen..." um und schlief gleich wieder ein.

Harry richtete darauf reflexartig den Blick auf seinen Wecker. Sechs Uhr dreissig, las er. Eine Viertelstunde bevor die pflichtbewusstesten Jungs aus ihrem Schlafsaal, sprich Dean und Neville, üblicherweise aufstanden.

"Kann Hermine nicht besser auf ihr... Hey, Harry schau mal, da ist ein Zettel."

Sofort war Harrys Aufmerksamkeit wieder bei seinem Freund, der mit spitzen Fingern ein gefaltetes Blatt Papier unter Krummbeins dünnem Halsband hervor zog und entfaltete.

"Sie schreibt, dass sie uns gleich unten sehen will und dass es sehr dringend sei", sagte Ron mit Blick auf den Zettel.

"Dann hat Hermine Krummbein geschickt?" Wieso schickte ihnen ihre Freundin eine Nachricht, wenn sie sie sowieso in einer Dreiviertelstunde im Aufenthaltsraum treffen würden. Sofort senkte sich eine böse Vorahnung wie ein dunkler Schleier über Harry. Vielleicht hatte ihn der Krieg und seine Rolle darin inzwischen wirklich paranoid gemacht, doch er konnte sich keinen harmlosen Grund vorstellen, warum Hermine sie sofort sehen wollte.

Als er sich selber aus seinen Gedanken riss, war Ron schon aufgestanden und kämpfte sich gerade in seine Hose. Harry warf die Decke zurück und zog sich ebenfalls schnell und so lautlos wie möglich an.

Der Aufenthaltsraum war so früh am Morgen noch weitgehend leer und die paar Fackeln, die schon von den Hauselfen entzündet worden waren, schafften es noch nicht, alle Schatten aus den Ecken zu vertreiben. An einem Tisch nahe dem brennenden Kamin sassen zwei Fünftklässler und schrieben eifrig auf ein Pergament, ein offenes Buch vor ihnen.

Sie entdeckten Hermine erst auf den zweiten Blick. Sie sass auf einem Sofa unter einer Fackel.

Hermine hatte ihre Schulrobe zwar schon komplett angezogen, doch sass ihr Kragen schief, die Krawatte locker und die Robe war falsch zugeköpft. Ihr Haar war eine wilde Masse, die sie nur unzureichend in ein Haargummi in ihrem Nacken hatte zwängen können und ihr darum einige wirre Strähnen ins Gesicht und in die Luft abstanden. Dass sie verstört aussah wäre eine glatte Untertreibung. Die sonst immer so gefasste Hermine sah aus, als hätte sie eben in ihrem Schlafsaal Besuch vom grossen Kraken erhalten. Ihre Augen waren weit geöffnet, sie schien sehr bleich und Harry bemerkte das Beben ihrer Faust, in der sie eine zerknitterte Zeitung hielt.

Hermine hatte es vor Monaten organisiert, dass sie eine besondere Frühausgabe des Tagespropheten erhielt. Harry hatte keine Ahnung, was in der Zeitung stehen konnte, doch es musste schlimm sein, wenn es seine Freundin so beeinflusste. War Voldemort doch nicht...? Nein, er war tot, Harry hatte ihn mit eigenen Augen sterben sehen.


Harry und Ron tauschten einen besorgten Blick und gingen dann zu Hermine hinüber und setzten sich zu ihren beiden Seiten auf das Sofa.

"Was ist los", fragte Ron ungewöhnlich sanft und legte ihr die Hand auf das Knie.

"Diese Kimmkorn...", fluchte Hermine leise und fuchtelte einmal mit dem zerknüllten Papier, als wolle sie eine schlechten Schlagzeilen so heraus schlagen.

Harry und Ron tauschten einen bedeutungsvollen Blick.

"Was hat sie denn wieder geschrieben, Hermine?" fragte Ron sachte. "Etwas über Harry?"

"Nein." Sie öffnete den Mund, als wolle sie etwas sagen, schloss ihn, öffnete ihn erneut und atmete dann, unfähig die richtigen Worte zu finden, hörbar aus. "Hier, lest selber."

Sie entfaltete das Papier und legte es offen auf ihren Schoss, damit beide Jungen einen guten Blick darauf werfen konnten. Ron reckte den Hals und betrachtete das Titelbild mit Harry.

Auf dem Titelblatt war ein grosses Foto abgebildet, von dem ihnen Severus Snape entgegen feixte, bevor er sich demonstrativ abwandte und ihnen die kalte Schulter zeigte.

Ehemaliger Lehrer, Todesser und Spion versucht Selbstmord zu begehen (Lesen Sie mehr auf Seite 5)

Hermine blätterte für sie auf die besagte Seite und beide, Ron und Harry, lasen sprachlos den Artikel.

Eine bedauernswerte Neuigkeit hat die Reporter des Tagespropheten gestern erreicht. Der frühere Zaubertränkelehrer von Hogwarts, Severus Snape, der nach dem Ende von Dem-der-nicht-genannt-werden-darf auch als früherer Todesser und späterer Spion unserer Seite bekannt wurde (wir berichteten), wurde gestern mit schlimmsten Vergiftungen in St.Mungos eingeliefert. Sein Zustand sei über einen längeren Zeitraum sehr kritisch gewesen, wurde uns von verlässlichen Quellen erzählt und nach unseren Informationen ist es nur dem professionellen Einschreiten unserer renommierten Heiler und Heilerinnen zu verdanken, dass er noch lebt. Die behandelnden Heiler des ehemaligen Professors versicherten dem Tagespropheten gegenüber, dass Mister Snape inzwischen ausser Lebensgefahr sei. Wir hatten das Glück, jemanden, der die Ereignisse mitverfolgen konnte, für ein Interview zu gewinnen.

Die besagte Heilerin, die anonym bleiben möchte, versicherte uns, dass es so gut wie unmöglich sei, dass ein versierter Zaubertränkemeister sich aus Versehen, oder als Opfer eines Verbrechens, mit der Muggelversion des gefleckten Schierlings vergiftet, so sei ein Selbstmord die einzige mögliche Erklärung, selbst wenn der amtierende Direktor von Hogwarts, Albus Dumbledore, der vor kurzem begnadigte Sirius Black, Madame Pomfrey, die Heilerin der Schule und die stellvertretende Direktorin, Professor McGonagall, die Mr. Snape eingeliefert hatten, nicht bestätigten, dass der frühere Todesser sich diese lebensgefährliche Vergiftung selber zugebracht hatte. Aber viel bezeichnender ist, dass die vier es auch nicht verneinten und dass keiner von ihnen für ein Interview bereit war.

Aber warum sollte sich ein Mann wie Severus Snape umbringen wollen, fragen sich wohl alle jüngeren Leser unter uns, die ihn von der Schule her kennen. Als Zaubertränkemeister hat er einen guten Ruf und seit bekannt wurde, dass er für unsere Seite spioniert hat, würde es wohl kaum mehr jemand wagen, ihm seine ehemalige Position als Todesser vorzuwerfen.

Die Antwort auf diese Frage ist wahrscheinlich sehr einfach. Auch wenn Severus Snape sich später für die richtige Seite entschied, musste er sicher mit seinem Mangel an Stärke in seiner Jugend hadern. Er hat den scheinbar einfachsten Weg ausgesucht, ohne Regeln und Gesetze, wo er machen konnte, was er wollte, ohne sich an die Gesetze unserer aufrichtigen Gesellschaft halten zu müssen. Danach hat er eingesehen, dass diese, von ihm gewählte, Seite nicht einfacher war, dass es auch dort Gesetze gab, die viel brutaler waren, als die unsrigen und sein Meister diese ohne jede Gnade durchsetzte.

Als junger Mann, fast noch ein Kind, hatte er einen Fehler begangen und war dann reumütig zu uns zurückgekehrt. Doch die Schuld für diesen Fehler musste den armen Mann bis zum heutigen Tag verfolgt haben und nun, da er keine Möglichkeit mehr hatte Abbitte zu leisten, blieb ihm nur noch der Tod.

Da Severus Snape - wahrscheinlich genau aus diesen Gründen - weiterhin selbstmordgefährdet bleiben wird, haben ihn die Verantwortlichen in St.Mungos in die geschlossene Abteilung verlegt. Der Tagesprophet hat versucht, ein exklusives Interview mit dem ehemaligen Todesser zu bekommen, doch die erfahrenen Heiler hielten es für besser, ihn zu diesem Zeitpunkt isoliert zu halten, damit er gesunden kann. Niemand darf ihn besuchen, weder Freunde noch Reporter. Die Heiler sind der Meinung, dass er den zusätzlichen Stress, den das mit sich bringen würde, im Moment nicht verkraften könne.

Oberheiler Angus Roberts hat uns informiert, dass das Ministerium eine einstweilige Verfügung erlassen hat, welche es den Heilern erlaubt, ihn auch gegen seinen Willen in Behandlung zu behalten. In regelmässigen Zeitabständen werden mehrere Heiler eine erneute Evaluierung von Mister Snapes Zustand durchführen und entscheiden, wann er wieder Besuch erhalten darf.

Natürlich werden wir Sie weiter auf dem Laufenden halten.

Für Sie immer dabei

Rita Kimmkorn


"Was zieht die sich denn nun wieder aus dem Ärmel. Das kann nicht stimmen. Nicht Snape." Rons Stimme zeigte Entrüstung, doch stieg seine Lautstärke nicht über ein Flüstern hinaus, ein klares Zeichen, dass er weniger selbstbewusst und sicher war, als er es aussehen lassen wollte.

Harry achtete nicht auf seinen Freund und starrte nur weiterhin auf den Artikel. Er hatte das Gefühl, als hätte ihm jemand in die Magengrube gehauen. Instinktiv wusste er, dass der Artikel mehr Wahrheit enthielt, als jeder Aussenstehende es für möglich halten würde.

"Snape, komm her!" befahl Malfoy in einer klaren, lauten Stimme. Ein Schauer fuhr durch Snapes ganzen Körper und er machte einen zögernden Schritt auf die beiden dunklen Zauberer zu.

"Severus Snape. Du bist unser. Komm her und knie vor deinem Meister nieder, oder du wirst es bereuen, das schwöre ich!"
Ein Schauder durchfuhr Snape. Er senkte den Blick, presste die Augen fest zusammen und biss sich so fest auf die Unterlippe, dass sie anfing zu bluten. Snape schien noch für eine weitere Sekunde zu kämpfen. Langsam machte er einige weitere Schritte, bis er nur noch wenige Meter von den Beiden entfernt war. Voldemort trat ebenfalls näher an den nun wieder unsichtbaren Schutzschirm heran. Diese Bewegung war alles, was es brauchte, um Snape heftig zusammenzuzucken zu lassen, bevor er sich auf den Boden fallen ließ und seine Stirne Voldemort zugewandt auf den Boden presste. Er zitterte am ganzen Körper in purer Panik.

Ja, er war überzeugt, dass sich Snape hatte umbringen wollen.
Malfoy und Voldemort hatten ihn gebrochen, seine Seele zerstört und nun blieb dem ehemaligen Spion in seinen Augen kein anderer Weg als seinen Körper seiner Seele nachzuschicken. Diese Erkenntnis allein war schon schlimm, doch nicht das Schlimmste und nicht der hauptsächliche Grund, warum Harry zumute war, als würde er sich jede Sekunde übergeben müssen.
"So wie die das schreibt, hört es sich an, als seien Snapes Taten als Spion nichts wert", hauchte Harry mit belegter Stimme.
"Denkt ihr, dass wir mit dem Brief daran mitschuldig waren?" sprach Hermine dieselben Gedanken mit gebrochenem Flüstern aus.
"Nein, Hermine. Sicher nicht. Du hast die Kimmkorn gelesen. Der muss aus einem anderen Grund ausgetickt sein, wenn es denn überhaupt stimmt, was die da schreiben. Immerhin wurde er rechtzeitig gerettet und kann auch wieder zaubern."
Ron versuchte optimistisch zu klingen, doch auch seine Stimme war belegt, als versuche er sich selber mehr zu versichern, als seine Freundin.

Harry wusste es besser. "Wir kamen nicht rechtzeitig", entfuhr es ihm fast lautlos, doch seine Freunde hatten ihn gehört.

"Was meinst du damit. Harry?" riss ihn Hermines besorgte Stimme aus seinen Gedanken.

Harry blickte auf und sah abwechselnd auf seine Freunde, die ihn geschockt ansehen. Zuerst wusste Harry nicht, warum, bis ihm eine Träne warm und kitzelnd über die Wange lief. "Wir kamen nicht rechtzeitig", flüsterte er noch einmal. Er hatte Snape versprochen, nicht zu sagen, was er in Malfoys Haus beobachtet hatte, und er würde sein Wort halten, doch dies musste er loswerden. Sie müssten ein Teil erfahren. Um Snapes Willen, um der Fairness Willen.

"Aber er hat überlebt und wurde fast komplett geheilt. Wenn man Moody oder auch Remus ansieht, kam er ganz gut weg, nicht?"

Rons Stimme war immer mehr hoffnungsvoll als zuversichtlich und Harry seufzte tief und schüttelte den Kopf. "Sein Körper vielleicht, doch sie haben seine Seele zerstört, Ron." Er blickte seinem besten Freund direkt in die Augen. "Sie haben seinen Willen gebrochen, als sie ihn gefoltert hatten."

Hermine atmete geschockt ein, doch Ron schüttelte nur den Kopf. "Woher willst du das wissen? Hat er es dir gesagt?"

Das Bild von Snape in Rons Kopf, kreiert über Jahre fast tyrannischem Schulunterricht, schien unkompatibel mit dem Bild, das ihm Harry vermitteln wollte und der jüngste Weasleyjunge biss sich auf die Unterlippe und runzelte die Stirn.

"Oh Harry", hauchte Hermine, nun auch Tränen in den Augen. "Was haben wir nur getan?"

"Wir sollten Dumbledore fragen, ob das alles überhaupt stimmt", versteifte sich Ron leise.

"Oh nein. Die anderen Schüler werden den Tagespropheten mit der regulären Ausgabe beliefert bekommen und dann werden sie es alle wissen. Das hat der Professor nicht verdient."

"Stehen die Heiler nicht unter so eine Art Schweigepflicht?" fragte Ron.

"Darum wird wohl der Name der Heilerin nicht erwähnt. Kimmkorn schert sich um nichts als ihre Schlagzeilen. Die Menschen sind ihr egal", sagte Hermine.

"Und selbst wenn sie die finden und zur Rechenschaft ziehen, wird es für den Professor zu spät sein. Jeder wird es bereits wissen."

Hermines Gesicht verhärtete sich und sie knüllte die Zeitung in ihrer Faust wieder zusammen und stand auf. "Kommt, wir gehen zu Professor Dumbledore. Er sollte dies hier sehen, bevor in der Grossen Halle all die anderen Ausgaben ankommen."

Die Hallen von Hogwarts waren noch verwaister als der Gemeinschaftsraum, da die meisten Schüler eh noch schliefen und vor allem, da noch für eine weitere Viertelstunde keine Schüler ausserhalb ihrer Räume erlaubt waren. Das Trio störte dies nicht. Sie fürchteten nicht, von Filch erwischt zu werden. Ihre Absichten würden sie durch Dumbledore schützen lassen und selbst wenn nicht, so erschien die Aussicht einer Strafarbeit in dem Moment als vernichtend unwichtig.

Sie waren gerade um die Ecke gebogen um den Korridor entlang zu gehen, wo die Tür zu Dumbledores Büro lag, als ihnen Remus und Sirius entgegenkamen.

"Was macht ihr denn hier?" fragte der Werwolf nicht unfreundlich, aber überrascht.

"Wir müssen zu Dumbledore", beantwortete Hermine seine Frage. Der Blick von Sirius blieb auf der zerknüllten Zeitung in ihrer Hand hängen und er seufzte tief. Remus' Augen wanderten auch zu dem belastenden Objekt und sein Blick verdüsterte sich. "Ich nehme an, dass dies die heutige Ausgabe ist?"

"Wir haben auch schon eine von ihnen lesen dürfen", warf Sirius mit offenem Sarkasmus und einem Verziehen der Lippen ein.

"Stimmt die Schlagzeile?" fragte Harry, ohne seine Frage zu beantworten. Er war gefangen zwischen Angst und Hoffnung. Eine Hoffnung, die durch das kurze, traurige Nicken Remus' zerschmettert wurden

"Professor Dumbledore hat mit den Seniormitgliedern des Ordens die letzte Stunde eine Notfallsitzung gehalten und wir sind gerade zurückgekommen."

Harry fragte nicht einmal, wie Dumbledore so früh zu einer Zeitung kam, aber irgendwie war er nicht überrascht.

"Was ist denn genau passiert?" fragte Ron mit gerunzelter Stirne.

"Nicht hier. Kommt." Remus fasste Hermine, die ihm am nächsten stand um die Schulter und führte sie in Richtung von Dumbledores Büro. Die anderen folgten ihnen mit einem Schritt Abstand.

"Dann hat Snape also wirklich versucht sich umzubringen?" entfuhr es Ron, sobald sich die Tür sich hinter ihnen geschlossen hatte.

Remus warf Sirius einen Blick zu und der ehemalige Sträfling nickte. "Ja, und er hat es Ernst gemeint. Wir hätten fast zu spät erkannt, dass wir ihn höchstens töten, wenn wir wie üblich auf die Vergiftung reagieren."

"Severus war schon immer unkonventionell, doch extrem brillant im Erforschen, Erfinden und Verändern von Zaubertränken sowie Flüchen", fügte Remus hinzu.

Hermine nickte. "Aber ich verstehe nicht, warum er sich mit dem gefleckten Schierling umbringen wollte. Ich dachte das geht hier gar nicht."

"Moment. Den Schierling? Ist das nicht das Kraut, das man zum Würzen von Kartoffeln braucht?" entfuhr es Ron. "Damit kann man sich doch nicht vergiften. Ist völlig harmlos. Mom hat den zu Hause Pfundweise herumliegen."

"Das ist der Zaubererschierling, Ron, nicht die Muggelsorte. Die ist hochgiftig und stinkt zu widerlich, als dass man damit irgendetwas würzen würde." Hermine wandte sich an die beiden Erwachsenen. "Aber ich dachte, dass der hier in der Zaubererumgebung seine Wirkung nicht beibehält, dass er noch empfindlicher auf Magie reagiert, als Elektrizität."

Remus seufzte. "Das dachte ich auch, aber scheinbar gibt es eine genau so alte wie schwierige Methode ihn zu ernten und zu konservieren, dass er selbst hier noch seine tödliche Wirkung entfacht. Kaum ein Zauberer kennt diese alte Methode, weil das Kraut aufgrund seiner gut erkennbaren Eigenschaften nicht als Gift taugt und da es nicht mit magischen Zutaten vermischt werden kann, auch für Zaubertränke ungeeignet ist. Warum Severus es überhaupt hatte, ist uns ein Rätsel. Professor McGonagall meint, dass er es eventuell für Experimente unter seinen Vorräten hatte."

In dem Moment flackerte das Feuer im Kamin grell grün und eine etwas verrusste McGonagall trat heraus, gefolgt von Madame Pomfrey und Hagrid.

"Harry, Hermine und Ron?" entwich es dem Halbriesen, als er sie sah, doch das übliche breite Lächeln, wenn er sie sah, fehlte diesmal.

Ihre Hauslehrerin erblickte sofort die Zeitung in Hermines Hand und ihr Gesichtsausdruck verdunkelte dich. "Ihr geht besser in die Grosse Halle. Professor Dumbledore wird bald auch ankommen und ich würde es begrüssen, wenn er sich in Ruhe auf die Rede einstellen kann, die er vor den Schülern halten wird."

"Ja", murmelte Hagrid mit belegter Stimme. "Dem Direktor geht es nich so gut. Nein, gar nich."

McGonagall brachte ihn mit einem harten Blick und einem zischenden Geräusch zum Schweigen. Der grosse Wildhüter senkte sofort den Kopf, murmelte ein, "Oh, entschuldige", und schniefte laut.

"Geht jetzt!" sagte die stellvertretende Direktorin knapp und ohne weitere Erklärung in Richtung der Teenager.

Harry blickte hilfesuchend zu seinem Paten. McGonagall war üblicherweise schon streng, doch eine solch brüske Vertreibung waren die Drei nicht gewohnt. Und was war mit Dumbledore? Sirius jedoch nickte der Gryffindor-Hauslehrerin zu und wandte sich dann an die Drei. "Kommt, sie hat Recht. Dumbledore wird beim Frühstück alles erklären."

Er begleitete sie aus dem Zimmer und die Treppe hinunter. "So, jetzt geht. Dumbledore hat den Rest des Stabes zusammengerufen, um sie zu informieren also seit nicht überrascht, wenn ihr auf jemanden trefft, doch ich glaube nicht, dass ihr eine Bestrafung zu befürchten habt. Dumbledore wird sich darum kümmern, wenn ich ihn unterrichte, warum ihr hier wart. Er blickte Harry in die Augen. "Seit... Er hat euch ja selber aufgetragen, zu ihm zu kommen, wenn es um solche Dinge geht." Bis später dann. Damit drehte er sich um, um wieder zu Dumbledores Büro zurück zu kehren.

Harry biss sich auf die Unterlippe. Wenn der Direktor nur vor Monaten schon diese Bereitwilligkeit und das Vertrauen gezeigt hätte, mit ihm zu reden. Aber er brauchte noch Gewissheit in einem anderen Punkt. "Warte!" rief er seinem Paten nach.

Sirius drehte sich noch einmal um.

"Es ist unsere Schuld, nicht?"

Von Sirius mehr als von jedem anderen hätte Harry erwartet, dass er sofort verneinen würde, doch dieser blickte ihn nur eine ganze Weile stumm und traurig an.

Dieser Blick genügte um Harrys Augen erneut brennen zu lassen.

"Geht in die Grosse Halle", sagte Sirius leise.

Harry nickte, unfähig um an dem Kloss in seinem Hals einen Laut vorbei zu bringen und sie drehten sich um, um niedergeschlagen den Anweisungen zu folgen.

"Einen Moment!" hielt sie Sirius jedoch zurück und sie drehten sich noch einmal um. Der Animagus seufzte. "Ihr habt einen Fehler gemacht. Einen schlimmen Fehler mit noch schlimmeren Konsequenzen. Aber das hat damals auch Severus. Er wird es irgendwann auch verstehen. Wichtig ist, dass man aus Fehlern lernt, egal wie gross sie gewesen sind. Es gibt viel, was auch ich im Zusammenhang mit Severus bedaure und ich vermute, dass ich kein unwesentlicher Mitgrund war, warum er seinen wohl grössten Fehler begangen hat. Einen Fehler, der damals Menschenleben gekostet hat, für die ich, wenn ich Recht habe, wovon ich in der Zwischenzeit überzeugt bin, Mitschuld trage. Aber Severus hat seinen Fehler eingesehen und hat mit dem Weg, den er schlussendlich einschlug, noch viel mehr Leben gerettet. Ich habe in den letzten Monaten gelernt, dass Severus Snape trotz seiner bösen Zunge und Gemeinheiten ein guter Mensch ist. Genau wie du es auch bist, Harry." Er zögerte und blickte auf Hermine und Ron. "Und ihr zwei, ohne deren Unterstützung er nicht einmal seine ersten Jahre hier überlebt hätte, ihr habt aus Unreife gehandelt, vielleicht sogar im ersten Moment aus Hass, aber nur, weil ihr dieses Gefühl mit all seinen Konsequenzen erst später begriffen habt. Ihr seid ihm in dem Aspekt nicht einmal unähnlich und um einiges die besseren Menschen als ich, der die Wahrheit erst mit einem Hammer in den Kopf gemeisselt bekommen musste, um sie zu erkennen. Vergesst nie, aber lasst es euch auch nicht erdrücken. Macht weiter und lernt daraus, das ist Genugtuung genug."

"Was meinte Hagrid vorhin, dass es Professor Dumbledore nicht gut ging?" fragte Hermine, nach einer Minute betretenem Schweigens.

Sirius schüttelte den Kopf. "Nichts", log er, änderte aber dann scheinbar seine Meinung, es ihnen doch zu sagen. Er seufzte noch einmal. "Das Ministerium hat aufgrund eines Ersuchens vom Oberheiler in St.Mungos eine einstweilige Verfügung erlassen. Scheinbar lief der erste Besuch vom Direktor nicht sehr gut und Snape hat sich fürchterlich aufgeregt und Dumbledore angegriffen. Das, zusammen mit seiner Todesservergangenheit, war für die wohl Grund genug, ihn als labil und daher gefährlich einzustufen. Auch wenn die das nie zugeben würden. Wenn ihr die fragt, dann ist alles zum Wohle des Patienten", spie er mit Verachtung. "Auf jeden Fall darf niemand zu ihm, ausser den engsten Familienangehörigen. Keine Freunde und niemand sonst, auch nicht Dumbledore. Und all seine engsten Verwandten sind nun mal ... nicht abkömmlich."

"Aber das geht doch gar nicht? Sie können das doch nicht einfach machen?" entfuhr er Hermine. "Er hat doch auch Rechte."

"Und wie sie das können. Warum denkst du, wurde ich nie von Remus oder Dumbledore in Askaban besucht?"

Das hatte sich Harry, wenn er ehrlich war, auch schon gefragt, aber das Missachten der grundlegendsten Menschenrechte in der Zaubererwelt erschien ihm abscheulich.

"Und was ist mit Remus?" fuhr der Animagus fort. "Ein Werwolf hat keine Kontrolle über sich, während der Transformation, für die er im übrigen auch nichts kann, und die einzige mögliche Kontrolle, der Wolfsbanntrank ist so teuer, dass ihn sich nur die wenigsten leisten können, weil sie keine Arbeit finden. Dafür zu sorgen, dass alle Werwölfe den erhalten, das ist dem Ministerium zu teuer, dafür nimmt man halt in Kauf, dass Leute gebissen und Werwölfe, die während siebenundneunzig Prozent ihres Daseins normale Menschen sind, hingerichtet werden, wie ein krankes Tier. Die Worte Zaubererministerium und Fairness passen nicht zusammen." Sirius machte eine wütende Handbewegung. Seine Worte waren immer giftiger geworden und er musste sich nun sichtlich zur Ruhe zwingen. Dieses Thema schien ihm - verständlicherweise, wenn man von seiner Situation im Gefängnis wusste - sehr nahe zu gehen.

"Und Dumbledore konnte die nicht umgehen? Ich meine, der ist doch so clever..."

Sirius blickte zu Ron und seine Augen wurden wieder trauriger. "Auch der Einfluss von Dumbledore hat seine Grenzen. Vor allem, wenn der bearbeitende Heiler und Bürokrat die Auffassung vertreten, sie müssten sich profilieren, indem sie sich gegen den grossen Dumbledore durchzusetzen vermochten. Dumbledore hat es versucht und in diesem Punkt zu scheitern war schwer für ihn." Sein Blick klärte sich wieder etwas. "Aber so wie ich Albus Dumbledore kenne, ist in der Sache noch nicht das letzte Wort gesprochen. Da mich damals alle sowieso für schuldig hielten, hat man es nie recht versucht. Bei Snape sieht die Sache anders aus. Dumbledore wird über kurz oder lang einen Weg finden."
Er zwang sich zu einem Lächeln. "Aber jetzt geht. Ich sage den Hauselfen, sie sollen euch schon etwas früher eine heisse Schokolade bringen. Ihr könnt die Zeit, bevor die anderen kommen nutzen um euch zu unterhalten." Er deutet mit dem Kopf zu der Zeitung und verschwand wieder die Treppe hinauf.


*******************

 

Kapitel 71

Kapitel 73


 

 

Review

Zurück