Von Mördern und Verrätern

 

 

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Kapitel 8: Ausser Kontrolle

Harry hatte sich nicht darauf konzentriert, wohin er lief. Eigentlich hatte er in seinen Schlafsaal gehen wollen, oder nach draussen zum See. Irgendwo, wo er allein sein und, bestmöglich etwas zertrümmern konnte. Er war so wütend, wie er es nie in seinem Leben für möglich gehalten hätte. Noch nicht einmal, wenn er von seinen Verwandten misshandelt wurde, fühlte er solch hilflosen Zorn; selbst Pettigrew, der seine Eltern verraten hatte, hatte er nicht so sehr gehasst, wie er jetzt Snape hasste. Diesmal hatte er den Mord mit ansehen müssen. Er war dabei gewesen, als sein Pate absolut sinnlos umgebracht worden war.

Es war merkwürdig, aber noch vor einer Stunde war er weinend zusammengebrochen. Jetzt fühlte er sich jedoch nur noch hohl. Alles schien in ihm gestorben zu sein. Genau wie Sirius. Sein Herz fühlte sich an, als wenn es sich zu einem harten, schweren Stein verformt hätte, der von innen gegen seine Brust drückte und bloss die Wut brannte noch immer heiss in ihm. Wut auf Snape, der Sirius getötet hatte, aber auch Wut über sich selbst, der im selben Saal gewesen war und doch nichts hatte tun können, und über Dumbledore, der die Anzeichen nicht erkannt hatte und nichts unternommen hatte, um Snape schon vorher aus dem Weg zu schaffen.

Irgendwo in sich wusste Harry, dass weder er und Dumbledore etwas dafür konnten, aber er wollte nicht darüber nachdenken. Er wollte jemandem die Schuld geben. Er wollte nach Möglichkeiten suchen, wie alles zu verhindern gewesen wäre. Jede Möglichkeit, die er fand schmerzte, und jeder neue Schmerz verstärkte seinen Hass, der die unerträgliche Trauer erstickt hatte. Zu diesem Zeitpunkt begrüsste Harry den Hass. Lieber hassen als leiden. Es war so viel einfacher, so viel genugtuender.

„Mr. Potter. Was tun Sie hier unten?“

Mit einem Ruck sah Harry auf und blickte geradewegs in die misstrauisch zusammengekniffenen Augen von Mr. Filch, dem Hauswart.

Harry sah sich um. Er befand sich in den Kerkern, geradewegs vor Snapes Quartier. Er hatte keine Ahnung, wie er hierhin gelangt war. Hatte er nicht nach draussen gewollt? Sein Blick schwenkte zu der dicken Holztür, in deren Mitte eine sich windende Schlange eingeschnitzt war und wieder umschloss ihn der Hass wie ein wärmender Mantel.

„Ich will zu Snape“, sagte er drohend.

Mr. Filch schüttelte energisch den Kopf. „Der Direktor hat das Zimmer abgeschlossen und ich wurde beauftragt, niemanden hinein oder hinaus zu lassen.“

„Und wie wollen Sie ihn da drin behalten, wenn er ausbrechen will?!“, schrie Harry ausser sich. „Wie konnte der Direktor denn bloss Sie mit Snapes Bewachung beauftragen? Sie beherrschen noch nicht einmal Magie. Aber es sollte mich nicht überraschen. Ich hab es ja gewusst, dass diese Schlange ungeschoren davonkommt.“

Die Augen des alten Mannes verengten sich zu schmalen Schlitzen und als er antwortete, war seine Stimme kaum mehr als ein giftiges Zischen. „Mr. Potter. Ich werde dafür sorgen, dass Sie für diese Frechheit bestraft werden. Ich lasse nicht zu, dass irgendein Schüler so mit mir redet. Professor Snape hat keinen Zauberstab und ein Schutzzauber hält jeden, der in dem Raum ist, gefangen, bis Dumbledore es ihm gestattet herauszukommen.“

Harry war das egal. Er wünschte sich er wäre zusammen mit dem Zaubertränkemeister in diesem Zimmer. Snape hatte Sirius getötet und Harry schwor sich, dass er nicht tatenlos zusehen würde, wie der Zaubertränkemeister ungestraft davonkam. In dieser Beziehung war Dumbledore zu weichherzig. Nein, wenn er den Mörder bestraft sehen wollte, dann musste er es selber machen. Ohne über die Konsequenzen nachzudenken, zog er seinen Zauberstab und richtete ihn auf einen überraschten Filch.

„Petrificus Totalus.“

Die Arme des Hausmeisters schnappten an seine Seiten und seine Beine klappten zusammen, bevor er langsam, steif wie ein Klotz nach hinten fiel und dort bewegungslos liegen blieb.

„Ich brauche nicht aus dem Zimmer rauszukommen, Filch. Ich will nur hinein. Alohomora!“

Die schwere Holztür sprang mit einem lauten Knarren auf und ohne Filch eines weiteren Blickes zu würdigen, oder auf die ihn anfauchende Mrs. Norris zu achten, betrat Harry das Zimmer.

Harry hatte noch nie zuvor eines der privaten Lehrerzimmer betreten, aber er interessierte sich nicht für den Raum, der mit Bücherrealen und antik ausschauenden Möbeln ausgestattet war.

Alles was ihn interessierte, war der, in dunkle Roben gehüllte Mann, der in einem der gepolsterten Sesseln sass und ihm mit gehobener Augenbraue, erstaunt entgegensah.

„Potter.“

Harry wusste nicht, was er erwartet hatte, aber kaum diese überhebliche Langeweile, die in Snapes Stimme lag. Dieser Mann hatte noch vor keiner Stunde seinen Paten umgebracht, und nun sass er da. Relaxed und selbstgefällig, als wäre überhaupt nichts passiert. Dies traf Harry wie ein Hammer. Snape bereute noch nicht einmal was er getan hatte. Kein Funken von Bedauern war in seinen Augen zu sehen. Im Gegenteil, als er Harry, der mühsam um Fassung rang, musterte, kräuselten sich seine Lippen zu einem leichten Lächeln.

„Hast du ein Problem, Potter?“

Wie eigenständig hob sich Harrys Arm und er richtete seinen Zauberstab auf den älteren Zauberer. „Stehen Sie auf, Snape. Ich will Sie nicht im Sitzen töten.“

Harry war ernsthaft entschlossen Sirius zu rächen. Er hatte einmal Gnade walten lassen, als er Pettigrew verschont hatte. Und es hatte nur zu noch grösserem Übel geführt. Diesmal würde er nicht zögern. Er würde Snape dasselbe antun, wie auch Sirius erfahren hatte. Auge um Auge, wie sein Onkel sagen würde. Er war entschlossen und zeigte nicht die geringste Schwäche. Sein Arm mit dem Zauberstab zitterte nicht und seine Stimme war scharf und drohend. Er hätte eigentlich erwartet, dass seine Drohung das hämische Grinsen von Snapes Gesicht wischen würde, aber nichts dergleichen geschah. Snape stand nur langsam, mit Bedacht auf und fixierte Harry für einen Moment, scheinbar äusserst amüsiert, bevor er den Kopf in den Nacken legte und laut loslachte.

Harry blinzelte verblüfft und unbewusst senkte sich sein Arm mit dem Zauberstab ein wenig. Snape lachte, er lachte laut und dröhnend. Da war keine Angst getötet zu werden und keine Wut ob der Drohung. Nur ein irres, schallendes Lachen.

Harry war für einen Moment so perplex, dass seine Verwirrung die Wut für einige Sekunden überdeckte. Aber nur einige Sekunden, bevor sie wieder da war, noch gesteigert von Snapes Gelächter.

„Hören Sie auf damit! Hören Sie verdammt noch mal auf zu lachen, Sie Bastard.“

Tatsächlich schien sich Snape ein wenig zu beruhigen und er sah ihn nur mit erhobenen Augenbrauen an. „Was ist denn los mit Ihnen, Mr. Potter? Waren Sie nicht immer einer der Schüler, die dachten ich hätte keinen Sinn für Humor?“

„Seien Sie endlich ruhig.“ Harry hob seinen Arm wieder und richtete seinen Zauberstab erneut auf den Zaubertrankmeister. Allerdings hatte er nun seine Kontrolle verloren und seine Hand zitterte leicht vor Wut.

„Sie sind irre!“, presste er schliesslich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, versuchend, seine zitternde Hand willentlich zum Stillsein zu zwingen.

„Bin ich das, Potter? Ist es so irre zu überleben? Ich lasse mir nichts mehr von Dumbledore vorschreiben. Genug von frechen Schülern und stinkenden Kerkern.“ Ein erneutes Grinsen zog sich über Snapes Gesicht und seine Augen funkelten gefährlich abwesend. In seinen Zügen lag etwas, was Harry noch nie zuvor an ihm gesehen hatte. Purer Wahnsinn.

Diese Erkenntnis nahm Harry vollkommen die Luft aus den Segeln. Snape war verrückt. Komplett durchgeknallt. Und er war zurück auf Voldemorts Seite. Der Zauberstab sank wieder ein wenig tiefer, als Harry Snape nur anstarren konnte.

Doch sein fassungsloses Gesicht schien Snape nur noch mehr zu erheitern. „Was ist los, Potter? Du siehst aus wie ein kleiner Junge, dessen Hund gestorben ist.“

Diese hämische Bemerkung war wohl das falscheste, dass Snape in diesem Moment hätte sagen können, denn mit einem hasserfüllten Aufschrei, sprang Harry auf ihn zu und packte ihn am Kragen. Der Zauberstab fiel scheppernd zu Boden. Harry wollte Blut sehen und er wollte fühlen wie Snape litt. Der Todesfluch war zu gut für dieses Monster.

Snape versuchte sich zu fangen, als er von der Wucht von Harrys Angriff einige Schritte rückwärts taumelte. Doch Harry war es ziemlich egal, ob sie beide umfielen, er holte bloss aus und hieb seine Faust so heftig er konnte nach Snape. Da er um einiges kleiner war als der Zaubertränkemeister, traf er ihn mit voller Wucht in die Magengrube und irgendwo registrierte er genugtuend das schmerzvolle Stöhnen, als sich der Körper des älteren Mannes leicht nach vorne beugte.

Harrys bewusstes Denken hatte sich jedoch zu dieser Zeit fast gänzlich ausgeschaltet und er schmetterte seine Faust wieder und wieder gegen seinen Gegner. So heftig war seine Attacke, dass Snape keine Zeit hatte sich zu sammeln und einen Gegenschlag zu zielen. Er taumelte nur und versuchte mit seinen Armen seinen schmerzenden Unterleib zu schützen. Mit einem wütenden Aufschrei holte Harry ein letztes Mal aus und schmetterte seine Faust gegen Snapes Gesicht. Der grosse Mann stolperte noch zwei Schritte rückwärts, seine Miene schmerzverzerrt und sein Blick glasig, bevor seine Beine nachgaben und er auf die Knie stürzte.

Harry genügte dies jedoch nicht und er machte sich daran, zu dem gefallenen Zauberer zu gehen um ihn tot zu prügeln, als plötzlich zwei starke Händen seine Oberarme packten und ihn zurückhielten.

„Lass mich los. Ich bringe diesen Bastard um!“, schrie er ausser sich, noch immer im Fieber des Angriffs.

„Harry, beruhige dich. Du kannst ihn nicht umbringen. Komm, mach dich nicht unglücklich.“

Die drängende, beruhigende Stimme des Direktors durchdrang schlussendlich den Nebel von Wut um Harry und er hörte auf, gegen die Hände, die ihn hielten, anzukämpfen.

Er sah verzweifelt zu Dumbledore auf, der hinter ihm stand und ihn noch immer festhielt. Wenn der Direktor doch nur verstehen würde. Snape musste ausgeschaltet werden. „Direktor, er hat Sirius umgebracht. Er ist...“

„Ich weiss, Harry“, beruhigte Dumbledore in einer sanften Stimme.

Ein hämisches Lachen, das in einem Husten endete, unterbrach die Beiden. „Welch hübsche Szene Albus. Du warst schon immer zu gutherzig. Zu schwach. Aber die Schwachen werden in diesem Krieg nicht überleben. Sie werden untergehen. Sie und diese ganze Schule. Alle werden untergehen. Alle...“

Wieder lächelte der Zaubertranklehrer nervös.

„Er ist vollkommen wahnsinnig geworden“, flüsterte Harry.

Mit sichtlicher Mühe und einem noch immer schmerzverzerrtem Gesicht rappelte sich der Zaubertränkemeister wieder auf. Ein schmaler Rinnsal von Blut lief aus seiner Nase und er wischte es abwesend mit dem Ärmel weg, wobei er das Blut allerdings nur noch mehr verschmierte. Mit einem Schlag verschwand sein Lächeln und machte einer düsteren, unheilverkündenden Miene Platz. „Ihr werdet alle untergehen. Voldemort wird siegen und euch alle verdammen. Doch ich werde dann nicht mehr bei euch sein.“

Harry sah zu Dumbledore hoch und sah in die traurigen Augen des Direktors, aus denen jeder Funke Lebensfreude verschwunden war. „Severus. Du weißt was dir bevorsteht. Deine Aktionen und deine jetzigen ruchlosen Worte werden dich vor Gericht bringen.“

„Na und?“ trotzte Snape.

„Du kennst die Verfügungen, die dir beim letzten Mal vor Gericht aufgelegt worden sind. Eine der Bedingungen, warum die Klage fallengelassen worden ist. Keine Unverzeihlichen Flüche, egal unter welchen Umständen, oder du kriegst sofort den Kuss der Dementoren.“

Harrys Augen weiteten sich entsetzt. Das hatte er nicht gewusst. Er fühlte gleichzeitig eine genugtuende Wärme in seinem Innern, als er dies hörte, wie auch einen Stich in seinem Herzen. Doch dieser Schmerz der Reue war nicht für Snape, sondern für Dumbledore, der aussah, als würde er die Trauer nur schwer unterdrücken. Wenn Snape hingerichtet würde, dann würde das den Direktor sehr hart treffen.

„Irgendetwas stimmt nicht mit dir, Severus. Der Mann, den ich kannte, ist nicht der Mann, der hier vor mir steht. Es bricht mir das Herz, mein Junge, aber ich kann dich diesmal nicht schützen. Nicht mehr. Es tut mir sehr leid, aber ich werde das Ministerium benachrichtigen müssen. Du wirst bis zu deiner Verhaftung hier in deinen Räumen eingesperrt bleiben.“

Harry glaubte, sich verhört zu haben. Dumbledore tat es wirklich. Er lieferte Snape dem Ministerium aus. Eigentlich hätte Harry darüber jubeln können. Snape würde bestraft werden. Wirklich bestraft, mit dem schlimmsten möglichen Urteil, das viel schrecklicher war als der Tod, aber die Trauer, die bei seinen Worten in Dumbledores Augen lag, dämpfte Harrys Freude beträchtlich.


 

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