O my soul

 

 

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Kapitel 9: Voldemorts Meister


"Severus?"

"Ich ... da gibt es jemanden, dem ich nicht vergeben habe. Ich dachte, ich hätte es, aber ..." Der Zaubertrankmeister seufzte und schüttelte den Kopf.

"Komm. Wir reden darüber, nachdem eure Medihexe einen Blick auf dich geworfen hat."


***



Als es Zeit war für das Abendessen, erbebte die Große Halle beinahe unter der Aufregung, die sich unter den Schülern breitgemacht hatte. Die Gerüchte darüber, was am Nachmittag passiert war, verbreiteten sich blitzschnell von Ohr zu Ohr. Nur wenige bemerkten - verfangen in Wut, Aufregung oder Ungläubigkeit - den Auslöser alldessen: Professor Severus Snapes mysteriöse Vergangenheit und die Art und Weise, auf welche sie enthüllt worden war.

Die Tatsache, dass Harry Potter und seine Freunde von Snapes früherer Zugehörigkeit und seiner Tätigkeit als Spion für Dumbledore wussten hatte nicht viel Einfluss auf die zahlreichen gängigen Theorien, wie jene, dass Severus ein Verräter war, oder ein Vampir mit gebrochenem Herzen, der sich aus Rache den Todessern angeschlossen hatte, oder ein gieriger Gestaltwandler, oder sogar der verkleidete Voldemort (zumindestens wurde einer von Voldemorts Körperteilen unter den wallenden Roben versteckt vermutet).

Jene, die behaupteten, dass ihr Zaubertranklehrer sich ins Positive verändert hatte, wurden ignoriert oder belächelt.

Dann verstummten schlagartig die Gespräche, und alle Köpfe wandten sich zum Eingang.

Ihr einst furchteinflößender Professor stand neben dem Muggel-Priester, und den Ausdruck auf seinem Gesicht hatte noch nie jemand an ihm gesehen. Seine Augen waren zu Boden gerichtet und seine Gesichtszüge hin- und hergerissen zwischen Resignation und Unbehagen.

Jedoch, überraschender als dies war seine Kleidung. Er sah dem Priester an seiner Seite nun sehr ähnlich; er trug die gleiche schwarze Tunika mit den weiten Ärmeln und den gleichen zylindrischen Hut mit dem über den Rücken herabhängenden Schleier.

Der Priester schien sich über die Reaktionen der Schüler zu amüsieren und machte sich auf den Weg zum Lehrertisch, mit Severus im Schlepptau, begleitet von einem Raunen und Flüstern.

Die Schüler waren nicht die einzigen, die über Severus ungewöhnliches Erscheinungsbild erschraken; auch seine Lehrerkollegen glotzten ihn an, alle außer Dumbledore, in dessen Büro Vater Nikolski und Severus eben erst eine Stunde damit verbracht hatten, die bevorstehende Aufklärung zu besprechen.

In dem Moment, als Vater Nikolski und Severus ihre Plätze einnahmen, stand der Direktor auf.

"Bevor wir mit dem Essen anfangen, müssen einige Dinge klargestellt werden", sagte Dumbledore. "Es wäre nicht Hogwarts, wenn Ihr mittlerweile nicht alle erfahren hättet, was heute Nachmittag während der Zaubertrankstunde passiert ist. Es ist richtig, dass Professor Snape ein Todesser war; es ist ebenso richtig, dass er dann ein Spion wurde und sein Leben wieder und wieder riskierte, um die Rasse der Zauberer zu beschützen. Er starb beinahe letzten Winter, wurde jedoch - Merlin sei Dank - von Vater Nikolski hier und seinen Mönchen gerettet und versorgt, bis er sich wieder erholt hatte." Der Direktor machte eine Pause. "Vater? Vielleicht können Sie den Kindern erzählen, was genau passiert ist."

Der Priester stand auf und verbeugte sich zunächst in Dumbledores Richtung, dann vor den Schülern. "Guten Abend, ihr Mädchen und Jungen. Dies ist meine erste Gelegenheit mit euch zu sprechen seit meiner Ankunft hier und ich freue mich sehr, euch von eurem Professor und seinem Aufenthalt in unserem Kloster zu erzählen. Als wir Severus fanden, fürchteten wir, dass er nicht durchkommen würde. Es war Gottes Wille, dass euer Professor überleben und an diese Schule zurückkehren sollte. Er hatte viele Wunden, auch solche, die wir nicht sofort erkennen konnten. Doch sie wurden schnell sichtbar. Ich begann sie zu behandeln, und sein Geist tauchte aus der Dunkelheit, die ihn verschlungen gehabt hatte, empor. Ihr seht es, ja? Er hat sich verändert. Er besitzt eine edle Seele, doch sie war beschlagen von Verwahrlosung, gleich Silber, das man nicht poliert."

In der Großen Halle herrschte absolutes Schweigen.

"Aber natürlich seid ihr hungrig, und ich rede schon wieder endlos. Hört eurem Professor zu, der euch etwas sagen möchte."

Der Zaubertrankmeister stand auf.

"Kinder, ich weiß, dass ... ich nie euer Lieblingslehrer in Hogwarts war", sagte er, mit seiner üblichen sanften Stimme, doch ihr fehlte die gewohnte tödliche Schärfe, die beinahe jeder Schüler schon einmal kennengelernt hatte. "Ihr hattet Recht in eurer Beurteilung meines Charakters und meiner Handlungen. Mildernde Umstände können mein grausames Verhalten euch gegenüber nicht entschuldigen." Er seufzte und fuhr fort, während die Schüler in wie vom Donner gerührt anstarrten. "Ich habe sowohl jene von euch lächerlich gemacht, die Probleme hatten, als auch jene, die sich auszeichneten. Ich war erbarmungslos unfair. Ich dachte wirklich dass das, was ich tat, notwendig war, um euch auf die unvermeidlichen Kämpfe, die euch erwarten werden, vorzubereiten. Wie auch immer, ich glaube jetzt, dass es euch mehr geholfen hätte, wäre ich behutsamer gewesen. Sanfte Worte steigern den Lernwillen. Ich -"

Er schien plötzlich den Faden verloren zu haben, und alle starrten ihn mit angehaltenem Atem an. Schließlich fuhr er fort.

"Von nun an möchte ich, dass ihr mich Bruder Severus nennt. Bevor ich das Kloster verließ, habe ich mein Gelübde als Mönch geleistet. Vater Nikolski dachte, dass es das Beste sei, wenn ihr es wüsstet. Solltet ihr irgendwelche Fragen haben, kommt zu mir. Ich hoffe, dass ... ich ein besserer Lehrer sein kann, ein besserer Mensch, als ich es einst war, und dass ihr nicht zögert, es mich wissen zu lassen, wenn ihr ein Problem habt. Ich verspreche, alles zu tun, um euch zu helfen."
Der Zaubertrankmeister sah aus, als könnte er keine Sekunde länger stehen; Vater Nikolski nahm ihn in die Arme und hielt ihn fest, dann küssten sie sich dreimal auf die Wangen und setzten sich.

"Ein kleines Essen ist vorbereitet", sagte Dumbledore.

Er klatschte in die Hände, und goldene Platten erschienen auf allen Tischen. An diesem Abend jedoch wurde mehr geredet als gegessen, und die Schüler schielten weiterhin auf den Lehrertisch, wo ihr Zaubertrankmeister damit beschäftigt war, alle Fragen zu beantworten, die von den Lehrern kamen.

"Ein Mönch, Severus?" sagte Lupin. "Ich muss sagen, das passt zu dir."

"Wie haben Sie das vor uns verbergen können?" fragte McGonagall, ehe Severus Lupin antworten konnte. "So eine lebensverändernde Entscheidung! Ich finde, wir hätten verdient, es zu wissen."

"Ich entschuldige mich, Minerva, es ist nur -"

"Er wollte es nicht ... wie nennen Sie es? An die große Glocke hängen", sagte Vater Nikolski. "Es ist nicht häufig, dass jemand als versteckter Mönch lebt, aber es kommt vor. In Severus´ Fall hatte es mit den Umständen zu tun und auch mit - er wird es abstreiten - Bescheidenheit."

McGonagalls Lippen zuckten und sie sagte: "Sie hatten zweifelsohne einen positiven Einfluss auf ihn."

"Nicht ich, sondern der Herr", sagte Nikolski.

"Ah, ja. Der Gott der Christen", sagte McGonagall. Sie betrachtete das Kreuz auf seiner Brust. "Ein sehr rührendes Beispiel von Selbstaufgabe."

"Lassen Sie uns trotzdem nicht vergessen, dass das Christentum nicht immer sehr milde mit jenen unter uns umgesprungen ist, die über das zweite Gesicht verfügen", mischte sich Trelawney ein und nippte an ihrem Kürbissaft.

"Schreckliche Fehler wurden sicherlich gemacht", sagte Pater Nikolski.

"Sie sind orthodox", sagte McGonagall. "Der Osten hat sich nicht durch solchen Wahnsinn wie Hexenverbrennungen ausgezeichnet."

"Wir haben uns auf unsere Art geirrt", entgegnete Nikolski. "Aber ich sehe, Professor McGonagall, dass Sie mit unserer Geschichte vertraut sind. Das ist sehr interessant."

"Oh, ich bin belesen, das ist alles."

"Ich muss mein Wissen über Muggel-Religionen auffrischen", sagte Lupin.

"Ich wusste nur wenig, bevor ich ins Kloster kam", antwortete Severus.

"Du hast große Fortschritte gemacht seitdem", lächelte Vater Nikolski.

"Vielleicht wird uns Severus irgendwann einmal erzählen, was ihn bewogen hat, ein Klosterbruder zu werden", mischte sich Dumbledore in die Unterhaltung ein. "Abgesehen von dem buchstäblichen Wunder, das geschehen ist. Ich bin ziemlich sicher, dies war nicht der einzige Auslöser."

"Als Albus uns erzählte, dass Sie das Dunkle Mal von Severus entfernt hatten, Vater Nikolski, waren wir ... nun, überwältigt ist nicht einmal das annähernd richtige Wort, um ehrlich zu sein", sagte McGonagall.

"Stellen Sie sich mein Gesicht vor, als ich sah, dass es nicht mehr da war", sagte Severus.

"Es war ein Segen des gnädigen Gottes", sagte Vater Nikolski.

"Wir werden Ihnen immer dankbar dafür sein, dass Sie Severus´ Leben gerettet haben", sagte Dumbledore. Seine blauen Augen strahlten hintern den Gläsern seiner Halbmondbrille. "Ich hoffe, Sie können noch geraume Zeit bei uns bleiben."

"Ich bleibe, bis die Gefahr vorbei ist."


***



Später am Abend korrigierte Severus Aufsätze in seinem Büro, als es an der Tür klopfte und eine Stimme sagte: "Professor ... Bruder Severus?"

Draco Malfoy.

Severus legte die Feder nieder. "Komm rein."

Der Slytherin betrat den Raum und schloss die Tür schnell hinter sich. Er sah bleich und verwirrt aus.

"Draco, ist irgendetwas nicht in Ordnung?" fragte Severus und stand auf. Er ging um seinen Tisch herum auf den Jungen zu. "Geht es dir gut?"

"Es tut mir Leid, Sir", sagte Malfoy. Er strich sein Haar mit einer unbeholfenen Handbewegung zurück und versuchte, Atem zu holen. "Ich-ich wollte nicht, dass mir jemand folgt -"

"Setz dich", sagte Severus und führte Malfoy zu einem Sessel. "Ruh dich einen Moment aus."

"Prof - Bruder Severus, ich muss Ihnen etwas sagen ..."

"Ja?"

"Ich habe eine Nachricht von meinem Vater erhalten. Nach den Vorkommnissen beim Abendessen haben die Hälfte der Slytherins Eulen an ihre Eltern geschickt, und mein Vater schrieb, ich solle mir keine Sorgen machen, es würde sich der Sache angenommen werden, und der Dunkle Lord habe einen Weg gefunden, wie er zu Ihnen kommen kann. Er sagte, sie hätten einen Agenten hier in Hogwarts, der Sie gefangen nehmen würde."

"Aha."

"Sir, was werden Sie machen?"

"Mir passiert nichts, Draco. Ich habe viele Freunde, die auf mich aufpassen."

Der Junge starrte ihn an, zögerte und fragte dann: "Hat es wehgetan, das Dunkle Mal zu entfernen?"

Severus saß auf der Tischkante. "Ich kann mich nicht genau erinnern, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass der Schmerz größer war als jener, als der Dunkle Lord es mir ins Fleisch brannte."

"Ich frage mich, ob ..." Malfoy schüttelte den Kopf und senkte den Blick.

"Hab keine Angst, dich mir anzuvertrauen."

"Es ist mein Vater. Ich bin nun fast alt genug."

"Wurde schon darüber gesprochen, ob du das Mal bekommen sollst?"

Malfoy zuckte die Achseln und sagte mit düsterer Stimme: "Vater hat immer erwartet, dass ich es würde, wenn die Zeit gekommen ist. Ich bin bald so alt wie er, als er ein Todesser wurde, also -"

"Du möchtest es nicht mehr."

"Ich habe meinem Vater nie den Gehorsam verweigert. Ich wollte ihm eine Freude machen. Nicht, dass es leicht gewesen wäre."

"Tief in seinem Herzen liebt er dich. Unglücklicherweise haben ihn manche seiner Entscheidungen zu einem harten Mann gemacht."

"Er liebt mich überhaupt nicht", sagte Malfoy. "Das habe ich bemerkt, nachdem Sie nach Hogwarts zurückgekehrt waren. Vorher waren Sie wie er. Und dann ... ich wusste nicht, was ich denken sollte. Auf einmal waren Sie so anders, nur wegen einer Muggelreligion. Ich konnte es nicht glauben ..."

"Darum die Kakerlaken-Prüfung", vermutete Severus, und ein schmales Lächeln spielte um seine Lippen.

"Und der vereiste Weg. Das tut mir Leid, Sir ... Bruder Severus."

"Das war nichts." Severus spähte zu dem Trank, der auf seinem Arbeitstisch brodelte. "Ich fürchte, ich muss noch etwas erledigen, Draco. Vielleicht können wir unser Gespräch morgen fortsetzen, wenn du willst. Wir können des Weiteren auch überlegen, wie wir den ... Plan deines Vaters vereiteln können, soweit er dich betrifft."

"Ja, Bruder."

"Pass auf beim Zurückgehen. Und versuch zu schlafen, Draco. Mach dir keine Sorgen."

"Ich werd´s versuchen. Passen Sie auch auf sich auf, Bruder Severus."

Nachdem der Junge die Tür hinter sich geschlossen hatte, eilte Severus zum Kessel; der Trank war fertig.

"Gott sei Dank, keine Sekunde zu früh", murmelte er und schöpfte etwas davon in einen Kelch. Dann verließ er sein Büro und machte sich auf den Weg zu Lupins Räumlichkeiten.

Kurz nachdem er gegangen war, erschien ein großer schwarzer Hund um die Ecke und ... glitt wie ein Geist durch die Mauer, die Severus´ Büro vom Gang trennte.


***



"Ah, Severus, oder sollte ich sagen, Bruder Severus", sagte Lupin. "Ich freue mich, dich zu sehen."

"Bleib sitzen", sagte Severus. "Hier, trink."

Der Werwolf würgte den Trank hinunter und schauderte. "Jedes Mal glaube ich, mich an den Geschmack gewöhnt zu haben. Ein unendlich kleiner Mangel natürlich, unnötig, das zu sagen ..." Er atmete aus. "Ich fühle mich schon viel besser, ich danke dir."

"Nicht notwendig. Ich werde dir morgen noch etwas bringen. Du siehst erschöpft aus, möchtest du eine Tasse Tee? Ich glaube, das würde dir gut tun."

Lupin begegnete Severus´ dunklem Blick und sagte: "Was haben sie in diesem Kloster mit dir gemacht, Severus? Ich hoffe du verzeihst mir meine grobe Ausdrucksweise, aber ich hätte nie gedacht, dass dich etwas in so kurzer Zeit so ... drastisch verändern könnte."

"Ich würde dir noch viel gröbere Worte verzeihen. In Wahrheit bin ich derjenige, der dich um Verzeihung bitten muss. Ich habe dein Geheimnis gelüftet und damit dein Leben zerstört. Was passiert ist, war nicht dein Fehler. Ich -"

"Uralte Geschichte. Ich hab dir damals nicht die Schuld gegeben, und tu es auch jetzt nicht. Außerdem habe ich nicht vergessen, wie dich James und Sirius behandelt haben. Ich hab sie nie davon abgehalten, oder? Dabei wusste ich, was es bedeutet, ein Außenseiter zu sein. Ich glaube wir haben alle zu gleichen Teilen dazu beigetragen, dass die Dinge sich so entwickelt haben."

"Ich danke dir für deine Großzügigkeit. Trotzdem, niemand von euch hat sich zum Dunklen Lord locken lassen."

"Das ist genauso uralte Geschichte, nicht wahr?"

Nach einem Moment nickte Severus. "Wenn Gott will, ist das so. Solange ich Ihm treu bin."

"Davon bin ich überzeugt. Wirklich, Severus, ich erkenne dich kaum wieder. Niemand tut das. Und das macht nicht nur der Hut."

Ein sanftes Lachen entkam dem Zaubertranklehrer, dann wurde seine Miene nachdenklich. "Ein Mann hat den Großteil seines Lebens im Grab verbracht. Mit jedem Jahr, das verging - so unmöglich es klingt - hat sich die Dunkelheit verdichtet, eine Dunkelheit, die so tief ist, dass sie schlussendlich alles verschlingt. Aber er will diese Dunkelheit, er sehnt sich nach ihr, gleichgültig wie kalt und unerträglich sie ist. Er hat sich selber in sein dunkles Grab eingeschlossen und ist überzeugt, dass nichts ihn berühren kann. Dann, eines Tages, gesellt sich jemand zu ihm, mitten in die Knochen und den Gestank ... Diese Person ist das Leben selbst, und sie ist gekommen um den Tod durch ihre bloße Anwesenheit zu zerstören."

Severus zog ein kleines Stück Holz aus seiner Tunika und vergrößerte es mit einem Wink seines Zauberstabs.

"Dies ist ein Symbol des Begräbnisses von Christus", sagte er und hielt es Lupin hin. "Der Mann, in Leinen gehüllt. Er besiegte die Leere des Todes, welcher die Abwesenheit von Gott darstellt, um der Menschheit Willen. Unsere Bereitschaft, Frieden zu finden ist die einzige Voraussetzung; das ist es, was wir Orthodoxen Synergie nennen, oder die Beziehung zwischen Gottes Taten und des Menschen Mitwirken." Er betrachtete das Symbol, küsste es, berührte es mit seiner Stirn und küsste es erneut. Dann verkleinerte er es wieder und steckte es zurück in die Tunika.

"Ich bin nicht sicher, ob ich es verstehe, aber ich sehe, wie sehr es sich auf dich ausgewirkt hat", sagte Lupin.

Severus seufzte. "Entschuldige, wenn ich ausschweifend geworden bin. Es ist nicht leicht zu erklären ... keine Worte passen wirklich. Es war, als hätte ich mein ganzes Leben lang aus einem nächtlichen Fenster geblickt und als hätte plötzlich ein Lichtblitz die Dunkelheit durchbohrt, und ich war geblendet, schlichtweg überwältigt ... eine unbeschreibliche Liebe hat mein Herz schmelzen lassen -" Seine Stimme versagte und er wendete sich von Lupin ab, der schweigend dasaß.

"Und so", fuhr Severus nach einigen Augenblicken fort, "ist es mein einziges Begehren, mit dieser Liebe verbunden zu bleiben. Ich weiß und glaube an die Liebe, die Gott für uns hat, und es steht geschrieben, `dies ist die Liebe Gottes; an Seine Gebote halten wir uns.´ Wir sollen nicht nur in Worten lieben, sondern auch in Taten; er, der keine Liebe kennt, kennt Gott nicht. Wie auch immer, die Veränderungen die du an mir bemerkst kommen nicht von mir, sondern von Ihm, der meine Mühen sieht und mir Gnade gewährt."

"Was ich so mitbekomme, beschweren sich deine Schüler nicht. Wie auch immer du diese deine Erfahrung nennst, die Früchte, die sie trägt, sind nicht zu verleugnen."

Lupin reichte Severus den Kelch.

"Am Ende seines Lebens erzählte einer der heiligen Väter der Wüste Seinen Jüngern, dass er noch nicht damit begonnen hatte, zu bereuen", sagte Severus. "Es wird spät, du musst dich ausruhen. Ich wünsche dir eine gute Nacht, Remus."

"Gute Nacht, Severus."

***



Er, der gnädig all deine Fragen beantwortet, der dein Leben von der Fäulnis befreit, der dich mit Gnade und Mitgefühl krönt, der dein Begehren mit guten Dingen erfüllt, Er wird deine Jugend erneuern, wie auch jene des Adlers ...

Severus unterbrach seine geistige Rezitation des Psalms und spähte aus einem der großen Fenster, die den Gang säumten. Der Mond war beinahe voll, und noch immer war er ruhig.

So mächtig wie die Höhe des Himmels über der Erde, so mächtig ist Seine Gnade an jene, die ihn verehren. Er, der weiß, woraus wir erschaffen, erinnert uns daran, dass wir nur Staub sind ...

Er hatte nichts zu fürchten. Nicht mehr.

Ich vertraue mich Deiner Gnade an; ich beuge mich Deinem Willen.

Severus setzte seinen Weg hinunter zu den Kerkern fort und betrat sein Büro. Er hatte es in solcher Eile verlassen, dass er nicht, wie gewöhnlich, seine Zaubertrankzutaten weggeräumt hatte. Sie waren noch immer über den Arbeitstisch verteilt.

Er sammelte die Phiolen auf, während seine Gedanken zur Mitternachtsanbetung wanderten. Vielleicht würde er zuerst die Lobpreisung des Herrn skandieren ...

So in Gedanken versunken bemerkte er nicht, dass eine Phiole nicht zu seinem persönlichen Vorrat gehörte.

Sekunden bevor er danach griff, warnte ihn etwas in seinem Geist vor der Abweichung, und dann berührten seine Fingerspitzen das Glas. Augenblicklich fühlte er sich, als würde sein Magen zusammengepresst, er wurde nach oben gerissen, und alles begann sich zu drehen.

Er fiel hart auf den Boden. Taubedecktes Gras durchnässte seine Tunika an den Knien, und er kämpfte gegen den plötzlich aufsteigenden Schwindel an.

Was ... ein Portschlüssel? Mitten aus Hogwarts heraus? Unmöglich -

"Nun, Severus. Wie reizend, dich wieder einmal vor mir kauern zu sehen."

Severus´ Herz begann so schnell zu schlagen, dass sein Blickfeld verschwamm.

Oh mein Gott, nein ...

Grobe Hände packten seinen Arm und rissen ihn auf die Füße.

"Hallo, Bruder", zischte ihm Lucius Malfoy ins Ohr. "Erinnerst du dich an uns?" Er stieß den ehemaligen Todesser vorwärts.

Severus nahm an, dass sie irgendwo tief im Verbotenen Wald waren, aber er konnte nicht völlig sicher sein. Einige Meter vor ihm stand Voldemort, und sie wurden von maskierten Todessern umringt.

Herr, hilf mir, hilf mir.

Der Dunkle Lord trat näher. "Nette Aufmachung, Severus. Aber ich kann nicht ganz nachvollziehen, warum du deine Todesserrobe gegen Muggelfetzen getauscht hast."

Voldemorts Anhänger kicherten.

Severus antwortete nicht. Er betete um Stärke und kämpfte mit sich, nicht zu zittern.

"Du weißt mittlerweile natürlich, dass manche Muggel-Legenden nicht einer gewissen Wahrheit entbehren. Und ich auch", sagte Voldemort. "Folglich bin ich nun mächtiger, als ich je zu träumen gewagt hätte. Es war lediglich eine Frage der Zeit, bis ich einen gleichgestellten Meister finden würde."

Severus riss die Augen auf. Er musste Voldemort missverstanden haben.

"So ist es, Severus. Ich, der Meister, war bereit, vor einem anderen zu knien. Nenn es einen ... Pakt zwischen Freunden."

"Wer", sagte Severus schließlich.

"Oh, ich glaube nicht, dass ich dir das wirklich sagen muss, nicht wahr? Ich nehme an, du bist ziemlich vertraut geworden mit dem Vater der Lügen." Er streichelte Severus´ Gesicht, und schlug ihn dann. "Der Prinz des Himmels." Wieder schlug er ihn. "Der Verräter." Schlag. "Hältst du mir die andere Wange auch hin, Severus? Willst du dich nicht wehren, nicht mal ein kleines bisschen?" Schlag. "Ich habe so sehr gehofft, ich könnte dich mit der Aussicht auf Wiederanschluss locken." Schlag.

Blut sickerte aus Severus´ Mundwinkel.


 

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