Schmerz der Verleugnung

 

 

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Kapitel 3: Vorsicht ist geboten

 

Die Gespräche verstummten, als die Beiden den Raum betraten. Dafür gab es drei Gründe: Snape sah ziemlich zornig aus, er hatte einen Neuen mitgebracht und der Neue sah aus, wie sein jüngeres Double.

Solon sah sich mit zusammengekniffenen Augen um. Warum hatte er sich nicht für Ravenclaw entschieden?

„Mr. Malfoy!“, hörte er Snape blaffen und er zuckte zusammen. Er kannte diesen Namen...

Ein großer silberblonder Junge mit eiskalten grauen Augen, folgte dieser Aufforderung. Er erhob sich aus einem der grünen Ledersessel und kam auf sie zu. Er warf die ganze Zeit interessierte Blicke zwischen ihm und dem Zaubertranklehrer hin und her.

„Zeigen Sie ihm alles!“, zischelte Snape seinem Schüler zu. „Ich habe noch zu tun!“ Ohne ein weiteres Wort zu sagen, wirbelte er herum und verschwand aus dem Gemeinschaftsraum. Die anwesenden Schüler starrten ihm wie vom Donner gerührt hinterher. Solon sah ihm ebenfalls nach, doch er fragte sich eher, wie er Snape am besten darauf ansprechen konnte, warum er ihm so ähnlich sah... ‚Oh Gott! Das klingt ja absolut idiotisch, hirnrissig...’ Seine Gedanken wurden von einem etwas überheblichen Räuspern unterbrochen. Langsam drehte sich Solon um und blickte dem jungen Malfoy ins Gesicht. Im Gemeinschaftsraum herrschte immer noch eine unnatürliche Stille.

„Was?“, fragte Solon ungehalten in die Runde. „Was starrt ihr mich so an? Hab ich was an der Nase oder so?“

„Es ist etwas ganz natürliches bei Schülern jemanden an zu starren, der dem Hauslehrer ziemlich ähnlich ist“, schnarrte Malfoy. Musste er denn genauso reden, wie sein Vater? Solon sah ihn direkt an und merkte, dass Malfoy ihn ziemlich genau musterte.

„Mein Name ist Solon Solores“, sagte er dann, um alle Zweifel über Bord zu werfen. Die Slytherins starrten ihn jedoch, bis auf Malfoy, immer noch an wie eine Erscheinung. Solon stöhnte entnervt auf.

„Nun hört auf mich anzustarren, als sei ich dieser Voldemort persönlich!“ Das wirkte. Einige Slytherins zuckten zusammen, andere bekamen einen leeren Blick und kehrten wieder zu ihren üblichen Beschäftigungen zurück. Solon atmete erleichtert auf.

„Und du...“, wandte er sich an Malfoy.

„Draco Malfoy“, sagte der Junge langsam. Irgendetwas gefiel Solon an dem Blick nicht. Er konnte ihn einfach nicht deuten. „Du solltest nicht gleich so viel Wind machen, wenn du hier auftauchst. Wir Slytherins mögen das nicht.“ Etwas merkwürdiges loderte in Dracos Augen auf. War es Macht?

„Und ich mag es nicht angegafft zu werden“, zischte Solon gleich einer Schlange. Draco brachte ein schiefes Lächeln zustande.

„Du gefällst mir“, sagte er. „Ich stelle dich den anderen vor und dann zeig ich dir alles, auch wenn ich eigentlich besseres zu tun habe.“ Draco wandte sich um und bedeutete ihm zu folgen. Was sollte das denn jetzt? Wollte der Kerl sich einschleimen? Das würde ein Malfoy nicht schaffen!

Während Draco ihm jeden einzelnen Siebtklässler vorstellte – unter ihnen zwei feiste dicke Dumpfbacken, mit dem Aussehen von Gorillas, die Solon sofort unter ‚abwertend’ stempelte – schweiften seine Gedanken ab. Er merkte gar nicht mehr, dass einige Slytherins ihn fast ehrfürchtig ansahen und andere wiederum ihn wie einen unerwünschten Rivalen musterten. Er dachte an den Tag, an dem er Lucius Malfoy getroffen hatte.

Solon hatte damals mit seiner Schwester Terra in der Stube gesessen – er versuchte ihr gerade das Lispeln abzugewöhnen – als sein Ziehvater mit einem Mann, dessen silberweiße Haare locker hinter ihm herwehten, eingetreten war. Solon brauchte damals nicht einmal das „Verschwinde!“ von seinem Vater zu hören. Er war schon eher aufgestanden und wollte sich mitsamt seiner Schwester an den beiden Männern – ohne sie eines Blickes zu würdigen – vorbeidrücken. Doch ein Stock hatte ihn zurückhalten. Er wäre damals fast gegen das Stück Holz geprallt, denn es war sehr plötzlich erschienen. Ganz langsam hatte er sich umgedreht und nach oben in die eiskalten Augen gesehen. Seine Schwester war schon längst nach draußen gerannt. Ein hinterhältiges Lächeln hatte sich auf dem Gesicht des Mannes gebildet.

„Du siehst ihm tatsächlich sehr ähnlich.“ Noch mehr Häme kehrte in sein Gesicht ein, als Solon mit einem ebenso durchdringenden und deutlich abgeneigten Blick zurückgestarrt hatte. „Und zwar ziemlich ähnlich.“ Solon hatte nichts gesagt – hatte nur dem Lachen gelauscht, in das die beiden Männer einstimmten. Dem hämischen hinterhältigen Lachen, was sich tief in sein Gedächtnis einbrannte. Malfoy hatte ihn, noch immer lachend, aus der Stube hinausgestoßen und ihn im Ungewissen gelassen. Nicht, dass er sich damals dazu herabgelassen hätte so jemanden auszufragen.

„Hörst du überhaupt zu?“, zischte eine verärgerte Stimme, die Solon sofort als die von Draco interpretierte. Er stand gerade vor dem letzten der Slytherins, Blaise Zabini. Und Draco hatte sich gerade über irgendetwas ausgelassen. Nur was, das wusste er nicht.

„Ich war kurz abwesend“, sagte Solon und gab sich nicht sonderlich Mühe schuldbewusst auszusehen.

„Ich habe dir gerade etwas über die ... Gryffindors erklärt.“ Das Wort ‚Gryffindor’ spie Malfoy regelrecht aus. Solon hob die Brauen. Auch Blaises Gesicht hatte sich verfinstert.

„Ach – ihr mögt sie nicht?“, fragte er fast hämisch.

„Nein, wie kommst du nur darauf“, setzte Draco sarkastisch entgegen. „Natürlich – sie sind mit ihrem heiligen Potter doch das Letzte.“ Abermals sah ihn Solon ungläubig an.

„Ich bild mir erst meine eigene Meinung“, sagte er herablassend. „Dürfte ich dann sehen, wo ich schlafen kann?“ Blaise starrte ihn mit aufgerissenen Augen an, während Dracos Lippen sich kräuselten. Anscheinend überlegte er, ob er etwas entgegensetzen sollte. Doch dann ließ er es lieber bleiben.

„Folge mir“, sagte er kurz angebunden. Er wirbelte herum und ging mit energischen Schritt auf eine Treppe zu. Solon folgte ihm – nicht ohne zu bemerken, dass Blaise ihn eher nachdenklich, als erschrocken oder gar furchtsam musterte. Doch er hatte keine Lust über diese Nichtigkeit nachzudenken. Draco war schon in den Gängen hinter der Treppe verschwunden. Solon eilte hinterher. Er wusste, dass er unhöflich war und sich gerade Feinde einhandelte, doch das störte ihn in dieser Situation nicht gerade. So etwas hatte ihn noch nie gestört.

Solon vermutete Draco hinter einer geöffneten Tür. Beim Reingehen konnte er ein Schildchen mit Aufschrift ‚Siebtklässler’ erhaschen, was ihm seine Vermutung sofort bestätigte.

Draco hockte vor einem Bett – anscheinend seines – und wühlte in seinem Koffer. Solon musterte ihn auch noch mal von hinten genauer. Seine silberblonden Haare waren schulterlang und fielen ihm ins Gesicht, das so aussah, als ob er angestrengt etwas zurückhalten wollte. Wahrscheinlich Wut gegen Solon, weil dieser die Frechheit besessen hatte ihm einfach ins Wort zu fallen.

Solon war sich sicher, dass Draco hier so eine Art Führungsperson darstellte.

„Dein Bett ist das, wo dein Koffer drauf liegt“, sagte Draco mit einem unfreundlichen Unterton. Er sah ihn nicht an, während er sprach und wühlte weiter in seinem Koffer.

Solon antwortete nicht und lief mit bedachten Schritten auf sein Bett zu, wobei er sich umschaute. In dem viereckigen dunklen Raum standen fünf Himmelbetten, die in silbergrünen Farben eine gewisse Erhabenheit aber auch Düsternis ausstrahlten. Die Wände funkelten etwas unter dem Licht der Fackeln, die den Schlafsaal ein wenig erhellten. Ein winziges Fenster gegenüber der Tür gewährte ihnen einen kleinen Blick nach draußen.

Solon ließ sich stöhnend auf sein Bett fallen. ‚So schwarz, wie meine Seele’, stellte er fest. ‚Wollte ich nicht lernen zu lachen?’

„Hast du irgendein Problem damit ein Slytherin zu sein, Solores?“ Die schnarrende Stimme Dracos befand sich ganz in der Nähe. Solon richtete sich auf und stützte sein Kinn auf seinen Händen ab. Der Malfoyjunge stand genau vor ihm und hatte die Arme verschränkt.

„Nun – man starrt mich an wie einen Flubberwurm, der soeben beschlossen hat zu sprechen – ist das Grund genug?“

Draco behielt seine defensive Haltung bei. „Du bist für meinen Geschmack etwas zu – ungehobelt. In Slytherin herrschen Regeln und die hast du zu beachten.“ Solon lächelte hinterhältig und nagelte Draco mit seinen Blicken fest – was dieser nicht gerade gut aufnahm. Man spürte regelrecht die schleichende Unsicherheit, die von dem Slytherin Besitz ergriff. Solon wusste es nicht, doch sonst war es Draco immer gewesen, der seine Gegenüber mit einem hämische Lächeln traktiert hatte.

„Ich nehme an, dass das deine Regeln sind, was?“

Malfoy wurde rot vor Zorn. „Du wagst es...“

„Lass es!“, unterbrach ihn Solon. „Mir ist es egal, wer hier das Sagen hat. Ich werde deine Autorität schon nicht untergraben. Hauptsache ihr haltet mich aus allem heraus und zwingt mich nicht bei irgend etwas mitzumachen – denn dann kann ich sehr ungemütlich werden.“ Das Funkeln in Solons Augen verriet Draco, dass er die Wahrheit sprach.

Er starrte Solon für einen kurzen Moment zornfunkelnd an und suchte anscheinend nach Worten. Der ruhige durchleuchtende Blick Solons ließ ihn jedoch keine finden. Er starrte Solon noch einmal durchdringend an – versuchte wahrscheinlich überlegener auszusehen – dann gab er es auf, wirbelte herum und verschwand aus dem Zimmer. Solon legte sich wieder auf sein Bett und schloss die Augen. Draco war nicht, wie sein Vater.

***



Solon fluchte über sich selbst, als er aus dem leeren Gemeinschaftsraum eilte, um in die große Halle zu gelangen. Hätte er sich doch nur mit Umziehen beeilt. Dann bräuchte er jetzt nicht verzweifelt nach einem Ausgang aus den düsteren Kerkern suchen.

Nebenbei zupfte er an seinem Slytherinumhang herum, dessen Ärmel viel zu lang und zu weit waren. Er sah aus, wie eine Fledermaus, wenn er den Arm hob. Da er jedoch damit beschäftigt war seinen Umhang zu richten, merkte er nicht, wohin er lief. Letztendlich wäre er fast gegen eine Mauer gestoßen.

„Verdammt“, murmelte Solon mit dem Fuß aufstampfend, wobei seine hergerichteten Ärmel wieder nach unten fielen und seine Hände verdeckten.

Er drehte sich um und lief den Gang zurück. Um diese Ärmel konnten sich die Hauselfen kümmern, wenn er vom Essen wieder kam.

Solon beschleunigte seine Schritte. Er war schon reichlich spät dran und außerdem machte ihn der Geruch von Schwefel und Moder fast wahnsinnig.

Als er wieder an seinem Ausgangspunkt angelangt war, beschloss er einen anderen Weg einzuschlagen – er wusste, dass er hoch musste. Vorhin hatte er die Treppe noch nicht gesehen, doch nun schien sie ihn regelrecht anzugrinsen. Vielleicht hatte ihm irgendjemand einen Streich gespielt.

Solon runzelte die Stirn und wollte gerade die Treppen zur frischen Luft erklimmen, als ein schneidiges „Mr. Solores!“ hinter ihm ertönte. Solon unterdrückte ein Stöhnen. Wie ungerecht konnte die Welt eigentlich noch sein? Er biss sich auf die Lippe, atmete tief durch und wandte sich dann um.

Severus Snape stand ihm mit verschränkten Armen und einem gefährlichen Gesichtsausdruck gegenüber. Seine Brauen hatten sich automatisch zusammen gezogen und seine Augen hatten sich zu Schlitzen verengt.

„Was zum Teufel suchen Sie noch hier unten?“, fragte sein Lehrer und beugte sich zu ihm herab. Da Solon diesen Gesichtsausdruck nur all zu gut kannte, wagte er lieber nicht etwas schnippisches zu erwidern. Stattdessen sagte er wahrheitsgetreu, doch nicht ohne einen genervten Unterton: „Ich habe mich verlaufen!“ Er wollte noch hinzusetzen, ob man das nicht sehe – doch das war besser nicht angebracht. Snapes Lippen kräuselten sich zu einem hämischen Lächeln.

„So, Sie haben sich also verlaufen – und wieso sind Sie nicht Ihren Mitschülern gefolgt, wenn Sie wissen, dass Sie sich noch nicht auskennen? Überheblichkeit?“

„Nein, Sir“, knirschte Solon verhalten ruhig. „Sie waren schon weg – es war niemand mehr da, dem ich hinterher rennen konnte.“ In seiner Stimme schwang deutlich Zorn mit. Wie ähnlich ihm dieser Mensch auch sah – er hasste es, wenn ihn jemand respektlos behandelte.

„Dann beeilen Sie sich das nächste Mal gefälligst, wenn Sie wissen, dass Sie erwartet werden! Ich frage mich, wie Sie eigentlich in mein Haus kommen konnten!“ Solon hob eine Braue.

„Sie urteilen recht schnell, Professor“, sagte er leise, doch gefährlich klingend.

„Und das nur zu Recht, Mr. Solores“, zischte Snape ebenso leise und mit einem noch hämischeren Gesichtsausdruck zurück. „Folgen Sie mir!“

Er wandte sich um und eilte die Treppe hoch. Solon folgte mit leerem Blick. ‚So, wie er mich behandelt, kann er nicht mein Vater sein’, dachte er immer noch zornig. ‚Er behandelt mich ja wie den letzten Dreck!’

Als sie endlich die große hell erleuchtete Eingangshalle erreichten, atmete Solon tief durch. Endlich frische Luft!

Snape eilte mit weiten Schritten voran und schenkte Solon kaum Beachtung. Er sah von hinten aus, wie ein übergroßes schwarzes Ungetüm – fast, wie ein Vampir.

Solon dachte eigentlich, dass er vor der großen Tür anhalten würde und ihm noch zynisch erklären würde, dass dahinter sich sein Ziel befand. Doch er tat es nicht. Er schritt mit energischer Miene drauf zu und schlug die Tür auf, die krachend gegen die Wand knallte. Das Stimmengewirr, was man erst beim Öffnen der Tür kurzeitig gehört hatte, verstummte schlagartig. Snape blieb kurz stehen und musterte jeden mit einem grimmigen Blick – was Solon die Zeit gab neben ihm aufzutauchen. Die Folge war, dass ein ersticktes Keuchen durch die Massen ging, da auch Solon giftige Blicke aussandte. Er suchte die Tische ab und machte seinen aus. Die Slytherinmeute schien zu feixen.

Die Stille hielt nicht lange an. Laute Gespräche setzten ein und alle schienen sich um den neuen Schüler zu handeln, der Snape so verdammt ähnlich sah. Solon war entnervt. Warum musste dieser Kerl ausgerechnet hier unterrichten?

Er folgte Snape vor den Lehrertisch und blieb neben seiner Schwester stehen, die daneben auf ihn wartete und die Schulkleidung der Gryffindors trug. Sie winkte ihm begeistert. Solon war so ungehalten, dass er ihr „Lass das gefälligst!“ zuzischte, woraufhin sie sofort die Hand senkte.

Snape schritt mit grimmiger Miene an ihnen vorbei und ließ sich auf den leeren Stuhl zwischen einem heruntergekommenen Lehrer und... Salena fallen. Diese sah Solon und nickte ihm kurz zu.

„Was machst du hier?“, fragte Solon seine kleine Schwester leise, während Dumbledore sich erhob und den Anwesenden erklärte, warum hier drei neue Personen anwesend waren. Solon hörte die besprochenen Worte von „Amerika“, „Studium“, „Krankheit“ und „Schulabschluss“, doch im wesentlichen interessierte er sich nicht dafür, da er es nun schon zum zweiten Mal hörte.

„Opa meint, dass ich mich ebenfalls hier hinstellen sollte, denn er will mich auch vorstellen“, antwortete sie mit schmollendem Unterton und trotzigen Augen. Sie hatte ihm wohl seine unfreundliche Behandlung übel genommen. Solon überhörte, dass sie Dumbledore Opa nannte und gab nur ein „Aha“ von sich.

Letztendlich gelangte Dumbledore in seiner Erzählung auch dazu Solon vorzustellen. Dessen Augen funkelten bösartig, als jeder ihn anstarrte, als wäre er ein Zierhund. Er bemerkte sehr wohl die Blicke, die zwischen ihm und der gewissen Person am Lehrertisch hin und her gingen. Er erhielt einen mäßigen, eher verwirrten Applaus. Dann wurde Terra vorgestellt. Die Kleine hüpfte während Dumbledores Erzählungen auf und ab und winkte aufgeregt. Sie erhielt verzückte Blicke und einen begeisterten Applaus. Bei Salena wirkte das Publikum eher erschrocken, da sie emotionslos nickte und sich wieder interessanteren Dingen an der Decke zuwandte.

Dann endlich konnten sie sich hinsetzen. Terra hüpfte zum Lehrertisch und ließ sich dort neben Salena nieder, die mit einem Wink ihres Zauberstabs einen Stuhl erschaffen hatte.

Solon setzte sich seufzend an den Slytherintisch. Wie gerne wäre er jetzt bei seinen Schwestern gewesen.

Das Essen erschien, doch Solon verspürte keinen richtigen Hunger. Draco, der neben ihm saß, aß schweigsam und richtete dann und wann ein paar Worte an die großen Gorillas, doch ihn missachtete er gänzlich. Solon war das nur zu Recht. Er stocherte in seinem Essen herum und lauschte den Gesprächen am Slytherintisch.

„Du glaubst gar nicht, wie schrecklich es ist, wenn man früh aufsteht und sein Schminkzeug nicht mehr findet“, kommentierte ein Mädchen ihm gegenüber. Es war Pansy Parkinson aus der siebenden Klasse. Eine derjenigen, die ihn angeglubscht hatte, wie ein Fisch. Ihr ‚Zuhörer’, Blaise Zabini, gab ein resignierendes „Hm“, von sich. „Wirklich schrecklich.“ Desinteressiert schnitt er sein Steak in kleine Stückchen, doch das schien dem Mädchen nicht aufzufallen.

„Und dann bin ich viel zu spät zum Unterricht gekommen – eine Katastrophe. Du weißt doch – in Verteidigung...“

„Ja, ja“, kam es ungehalten zurück. Solon musste schmunzeln. Blaise hatte sich gerade eine Klette eingefangen, die er nicht so schnell wieder los wurde. Pansy redete weiterhin fröhlich weiter über schreckliche Gryffindors und dämliche Hufflepuff sowie besserwisserische Ravenclaws. Blaise reagierte kaum auf ihre Reden.

„Warum hast du etwas gegen die anderen Häuser, Parkinson?“, fuhr Solon plötzlich dazwischen. Pansy erstarrte und auch Blaise sah auf. In seinen Augen glomm Dankbarkeit auf.

„Da... das ist doch offensichtlich“, stotterte sie, doch Solon konnte nichts offensichtliches heraushören.

„So?“, sagte er gefährlich leise. „Dann nenn mir doch die offensichtlichen Gründe beim Namen.“

„Potter!“, antwortete sie schrill klingend. „In Gryffindor ist Potter!“

„Ich denke nicht, dass das ein vernünftiger Grund ist.“ Seine Stimme klang gelangweilt.

„Sie sind selbstsichere, sich ins Rampenlicht rücken wollende Aufschneider!“

„Bis jetzt habe ich nichts davon gesehen, auch wenn ich erst einen Tag hier bin“, antwortete er mit gleicher Dessintresse, was das Mädchen anscheinend aus der Fassung brachte.

„Du.. was fällt dir überhaupt ein so mit mir zu reden?“, giftete sie.

„Nichts“, antwortete er emotionslos. Pansy wurde schon, wie Draco vorher, rot vor Zorn.

„Arroganter Scheißkerl!“ Mit diesen Worten stand sie abrupt auf und verließ die Große Halle. Viele Blicke der Slytherins folgten ihr.

Solon zuckte mit den Schultern und wandte sich wieder seinem Essen zu.

„Wüsste nicht, was ich ihr getan habe“, murmelte er zu sich selbst.

„Danke.“ Solon sah auf. Blaise lächelte ihn zaghaft an.

„Nichts zu danken“, antwortete Solon gleichgültig. „Sie ging mir auf die Nerven.“ Blaise nickte, doch schien er sich nicht an Solons abwehrender Haltung zu stören.

„Warum bist du extra nach England gekommen, um deine Schulausbildung zu wiederholen? In Amerika gibt es doch genug.“ Solon wollte angesichts seiner schlechten Laune entnervt aufstöhnen, doch er beherrschte sich noch rechtzeitig.

„Meine Stiefschwester ist die einzige, die mir geblieben ist“, sagte er. „Ich habe Anfangs bei ihr und ihren Eltern gelebt, doch als diese starben, hatten wir ein Problem“ – er nahm einen tiefen Schluck Kürbissaft, nur, um sich seine Worte noch einmal genau zurecht zu legen – „Sie wollte raus aus dem Land und weg von den Erinnerungen an ihre Eltern – deshalb zogen wir hier her – ich kam mit, da ich die ersten Wochen in meiner Schule verpasst hatte und keinen Bock verspürte dort noch einmal hinzugehen. Und nun bin ich hier.“ Er nahm sich einen weiteren Schluck Kürbissaft und hoffte innerlich, dass ihm der Slytherin glauben würde.

Zu seiner Erleichterung nickte er langsam.

„Ich wäre auch meiner Halbschwester gefolgt – wenn ich das könnte, dann...“ Er verstummte sofort, als er Solons interessierten Gesichtsausdruck sah. Die Hand mit dem Glas stoppte und sank langsam wieder auf den Tisch zurück.

„Was dann? Und warum?“ Solons Stimme klang fordernd. Er konnte sich nicht an einen Todesser Namens Zabini erinnern – zumindest hatte sein Vater nie so jemanden erwähnt.

„Vergiss es einfach!“ Solon sagte nichts. Er wollte ihn bestimmt nicht ausquetschen, denn er kannte den Jungen ja erst seit einer Stunde.

Nach dem Abendessen kämpfte sich Solon durch einen Strom schnatternder Menschen. Nicht wenige wichen ihm aus und betrachteten ihn von weitem ängstlich. Solon konnte über dieses Verhalten nur den Kopf schütteln. So schlimm sah er ja bestimmt nicht aus.

Im Slytherinsgemeinschaftsraum gesellte er sich nicht zu den anderen, die sich schwatzend auf den grünen Sessel und auf dem Boden niedergelassen hatten. Man konnte deutlich heraushören, wie sie sich über den jüngsten Vorfall unterhielten: Ein gewisses Wiesel hatte Draco geschlagen. Dadurch war eine gewaltige Häuserschlacht entstanden, was beiden gehörigen Punktabzug eingebracht hatte. Und nun ließen sie sich darüber aus, wie sie es diesem Wiesel heimzahlen konnten.

Solon rollte mit den Augen und verschwand im Schlafsaal. Er zog sich seinen Schlafanzug über, trank seinen Traumlostrank, den er sich zu Haus immer heimlich zubereitet hatte und den das Ministerium zum Glück nicht beschlagnahmt hatte, und fiel müde in sein Bett.

Er bemerkte nicht einmal mehr Blaise, der schon längst in seinem Bett lag und ihn heimlich beobachtete.

Ein leises ‚Tatred’ kam über dessen Lippen und es verhallte ungehört im Raum.

***



Die Schüler warfen ihm ängstliche Blicke zu, als er schneller als sonst aus der Großes Halle schritt. Er hatte das Gestaune und Gelache der kleinen Tatred nicht mehr ausgehalten. Ständig war sie aufgesprungen und hatte die Lehrer ausgefragt – ihn mit eingeschlossen. Von Severus bekam sie natürlich keine Antwort sondern nur ein gefährliches Knurren, doch das schien dieser dummen Göre nichts auszumachen.

Mit dem grimmigsten Gesichtsaudruck seit langem verschwand er in den Kerkern, nicht ohne einigen Hufflepuffs wegen ‚lauten Redens’ Punkte abzuziehen.

In seinen Gemächern angekommen sank Severus stöhnend auf einem der beiden Sessel zusammen, die vor dem Kamin standen. Er verbarg sein Gesicht mit seinen blassen Händen. Er hatte Solon genauso behandelt wie Potter... er hatte ihn abgewertet zu einem Gryffindor, obwohl er nach Slytherin ging. Warum?

Severus sah auf und betrachtete mit ausdruckslosen Augen den mit Pergamenten überladenen Schreibtisch. Nun hatte er endgültig seine Chance verspielt. Es gab kein Zurück mehr. Solon Tatred würde ihn bestimmt nicht mehr ansprechen und ihn dreist fragen, ob er nicht sein Vater wäre. Nicht, nachdem er ihn so behandelt hatte.

Doch er konnte nicht anders. Seine ganze ohnmächtige Wut steckte in ihm drin und wollte raus. Er erschrak. Gab er seinem Sohn die Schuld an Annes Tod? Verachtete er Mr. Tatred deswegen so sehr wie Potter? Schließlich wäre sie nicht gestorben, wenn sie nicht schwanger gewesen wäre.

Langsam schüttelte er den Kopf. Er behandelte Tatred nur so, weil dieser ganz offensichtlich überheblich war und seine Vorteile, ihm ähnlich zu sein, anscheinend sehr ausnutzte. Tatred musste Einhalt geboten werden. Und... er – war – nicht – sein – Sohn! Er hatte keinen Sohn!

‚Tief in dir gibst du ihm doch die Schuld an Annes Tod’, flüsterte die böse Stimme in ihm.

Und Severus antwortete nicht darauf.

 

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