Tortur

 

 

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Kapitel 20: Raubwürgerzungen


"Severus", begrüßte ihn der Alte mit überschwenglicher Herzlichkeit, "wie schön, dich zu sehen. Komm, setz dich."

Er komplimentierte den hageren jungen Mann zum Schreibtisch hinüber, reichte ihm eine Tasse köstlich duftenden Schwarztees, um die der Tränkemeister wie automatisch klamme Finger schloß, bevor ihm einfiel, daß er eigentlich Dumbledores wohlmeinende Genußmittelangebote nie annahm. Andererseits kam es auf einen weiteren Fauxpas nun wirklich nicht mehr an, daher murmelte er ein zerstreutes "Danke" und gestattete sich, die wundervolle Wärme in sich aufzunehmen.

Ob Catriona MacGillivray Tee mochte?

'Stop', befahl er sich aufgebracht. 'S-t-o-p!'

"Wie fühlst du dich, Severus?" erkundigte sich Dumbledore, dem die Geistesabwesenheit seines Tränkemeisters nicht verborgen geblieben war, freundlich. "Kann ich etwas für dich tun?"

"Ich schlage vor, du fragst mich direkt, ob der 'Trank der Gegenwärtigkeit' etwas genutzt hat", sagte Snape ungeduldig und mit bloßstellender Direktheit. Für Floskeln war er noch nie zu haben gewesen; um so weniger jetzt, da ihm die Zeit im Nacken saß und ihn unbarmherzig mit ihrem Verstreichen geißelte.

"Mich interessiert in erster Linie, wie du dich fühlst", wiederholte Dumbledore unbeeindruckt warm, aber in einem Ton der Bestimmtheit, der keinen Widerspruch duldete.

Snape versenkte seinen Blick schweigend in der Teetasse. Wieso glaubten alle, ihm wäre daran gelegen, sein Herz auszuschütten? Das hatte er früher nicht getan, und jetzt würde er gewiß nicht damit beginnen.
Dumbledores gräßlich wissender Blick entlockte ihm schließlich: "Mir geht es soweit gut. Einfache Zauber kann ich ausführen."

Zauber. Das war das Stichwort. Der Zauberstab, sein Zauberstab, den ihm der Alte seinerzeit als "Leihgabe" überlassen hatte.

"Mr. Ollivanders Wahl war wie üblich tadellos", sagte er leise. "Der Zauberstab ist… sehr gut geeignet für mich."

Abwesend strich er die Innentasche seiner Robe entlang, in der, wie er wußte, das exquisite Exemplar verstaut war.

"Vielen Dank fürs Mitbringen. Was bin ich dir schuldig?"

Albus Dumbledore schüttelte gutmütig das Haupt. Es sah dem Jungen so ähnlich, stets jegliche Freundlichkeit abzulehnen, um nur in ja niemandes Schuld zu stehen.

"Ich sagte doch bereits, ich würde dir den Zauberstab nur so lange als Leihgabe überlassen, bis du dir seiner Qualität sicher wärst. Da dies nun der Fall ist, geht er in deinen Besitz über."

Severus Snape hatte sich stets rühmen können, noch niemals etwas Außergewöhnliches als Geschenk erhalten oder ersehnt zu haben, daher überraschte ihn die flüchtige Freude, die ihn durchzuckte, daß Dumbledore wahrhaftig bereit zu sein schien, ihm den Zauberstab als Geschenk zu überlassen.
Bedauerlicherweise würde er es auf gar keinen Fall akzeptieren können; er stand schon hoch genug in der Schuld dieses Mannes.

"Laß mir den Betrag vom Gehalt abziehen, sobald ich meinen Dienst wieder antrete", sagte er darum schroff und erhob sich. 'Das heißt, wenn alles planmäßig verläuft und ich noch auf dem Posten willkommen bin', fügte er in Gedanken bitter hinzu, hütete sich aber wohlweislich, solche Worte auszusprechen, da sie unweigerlich verraten würden, wie sehr er noch immer befürchtete, auch in Hogwarts nicht mehr erwünscht zu sein.
"Ich würde es begrüßen, wenn du über meine 'Teilgenesung' nicht allzu viele Worte verlörest", bemerkte er im Gehen. "Aktuell bin ich zu beschäftigt, um 'wohlmeinende' Besuche zu empfangen."

"Gut", nickte Albus Dumbledore nachsichtig. Snape rauschte ohne ein weiteres Wort davon, und endlich gestattete sich der Alte einen Stoßseufzer, dessen Mißklang Fawkes, den Phönix, zu einem indignierten Triller veranlaßte.

Wie unendlich erleichtert war er gewesen zu hören, daß der 'Trank der Gegenwärtigkeit' Wirkung gezeigt hatte, aber Severus Snape schien noch verschlossener und kurz angebundener als sonst, und wenn die Weigerung, Näheres zu berichten auch nicht ungewöhnlich für den reservierten Zaubertrankmeister war, so beunruhigte es den Schulleiter doch zu hören, daß er geglaubt hatte, nach der Behandlung wäre alles schlagartig wieder in Ordnung.
Ein gutes Zeichen war Snapes schlechte Verfassung jedenfalls nicht, soviel stand fest.

Das Beste würde es sein, die Meinung der einzigen Person einzuholen, der der Tränkemeister im Moment nahestand - wenn man in diesem Zusammenhang überhaupt von Nähe sprechen konnte…
Soweit Dumbledore wußte, hatte es bisher niemanden gegeben, dem Snape Zutritt zu der hermetisch abgeriegelten Kammer seiner Emotionen und Gedanken gewährt hatte.

xoxoxox

Ein leichter Nieselregen hatte zu fallen begonnen, als Catriona MacGillivray nach Hogwarts zurückkehrte.
Sie schalt sich insgeheim für ihre Zurückhaltung, durch Kamine zu reisen; diese Art der Fortbewegung hätte ihr zumindest die Strecke vom Apparierplatz zum Schloß erspart; andererseits standen die Alternativen rußig oder naß zu werden einander in Unwillkommenheit in nichts nach, so daß die gewählte Art des Transportes kaum etwas zur Sache tat.

MacGillivray betrat das Schloß durch einen Seiteneingang und schüttelte die Myriaden winziger Tröpfchen aus dem wollenen Reiseumhang und ihrem feuchten Haar.
Gedankenverloren verzichtete sie auf einen Zauber und trocknete die Brille an ihrem Pulloversaum, bevor sie sich schwerbeladen in die Kerker aufmachte. Obwohl längst der Abend nahte, wäre es ihr nie in den Sinn gekommen, den Tränkemeister an einem anderen Ort als bei der Arbeit zu vermuten.

Als auf ihr forsches Klopfen an seiner Bürotür ein barsches "Herein" erscholl, das zweifelsohne den einzigen Zweck verfolgte, potentiellen Störenfrieden noch einmal nahezulegen, in sich zu gehen, ob wirklich die richtige Tür gewählt worden war, stahl sich ein belustigtes Lächeln auf Catrionas feingeschnittenes Gesicht.

"Ich komme vielleicht nicht ganz so ungelegen, wie du vermuten würdest", sagte sie neckend beim Eintreten und wuchtete die Tasche mit einiger Mühe auf seinen Schreibtisch, wobei es dem Tränkemeister gerade noch gelang, mit einem mehr gefluchten als gesprochenen Aufrufezauber eine Pergamentrolle in Sicherheit zu bringen, die andernfalls unter der Last zerquetscht worden wäre.

"Seit wann bist du so unachtsam?" schalt er mißgelaunt, und MacGillivray grinste amüsiert darüber, daß er sie wohl prinzipiell für nicht völlig unbegabt hielt.

Snapes Obsidianaugen huschten blitzschnell zwischen dem Florentiner, an dem er gearbeitet hatte und ihrer Erscheinung hin und her.

"Wieso benutzt du eigentlich keinen Gepäcktragezauber?" erkundigte er sich irritiert. "Ich meine mich zu entsinnen, daß du sonst recht freigiebig mit alltagserleichternder Magie umzugehen pflegst."

Ein zerstreuter Wink seines Zauberstabes verlangsamte die Reaktion im Florentiner, der er die volle Aufmerksamkeit zu schenken nicht mehr in der Lage war, doch sein Mißmut geriet in Gefahr, durch ihr süffisantes Lächeln besiegt zu werden, als sie spitz erwiderte: "Und ich meine mich zu entsinnen, daß Hogwarts' Tränkemeister wegen eines simplen 'Accio' ausgesprochen verletzt und beleidigt war. Es ist ohnehin schon schwierig, mit ihm auszukommen. Eine Stufe weiter ist selbst mir zu anstrengend."

Snape schüttelte entnervt den Kopf, während er errötend murmelte: "Das war etwas anderes."
Je länger er ihre Gegenwart spürte, desto mehr gewann ein Gefühl von Hingezogenheit die Oberhand.

"Hast du alles bekommen?" fragte er rasch und beschäftigte sich angestrengt mit dem Vorgang der Ölabscheidung aus Kamillenblüten, die neben ihm im Florentiner ablief, damit sie nicht sehen sollte, wie sehr ihn dies alles aufwühlte.

"Ambrosius Theriak ist wirklich außergewöhnlich gut sortiert", bemerkte sie und tat, als habe sie seine Frage nicht gehört. "Leider auch recht teuer, aber wir haben uns bei einer Tasse Tee auf einen fairen Preis geeinigt."

Snapes Augenbrauen kletterten ungläubig in die Höhe.

"Mir hat er noch nie Tee angeboten", entfuhr es ihm, bevor beide Gehirnhälften darüber übereinkommen konnten, daß eine solche von kindischem Neid inspirierte Bemerkung nicht dazu bestimmt war, laut geäußert zu werden.
Peinlich berührt blickte er hastig zu Boden, so daß ihm das Zucken um ihre Mundwinkel entging.

"Bei dir weiß er, daß sich Bestechungsmaßnahmen nicht auszahlen", entgegnete sie höchst diplomatisch. "Also wozu auch noch Tee verschwenden? Da zahlt er ja drauf."

Snape gab auf und gestattete der Belustigung, die ihn ergriff, sich in seinem blassen Gesicht widerzuspiegeln.
Eine patente Sicht der Dinge, das mußte man ihr lassen. Wahrscheinlich verlief das Denken des alten Fuchses wirklich in diesen Bahnen.

"Deine Mikrodestille aufzutreiben, hat schon mehr Spürsinn erfordert", fuhr MacGillivray fort und beförderte ein sorgsam gepolstertes Päckchen zutage.
"Ich verstehe nicht, wieso du eine große nicht einfach schrumpfst. Das mache ich in Brasilien nicht anders. Stell dir nur mal vor, wir müßten die ganzen Extras…"

"Wir sind nicht in Brasilien", erinnerte er sie schneidend, aber inzwischen hatte das Lächeln seine Augen erreicht und tanzte als unruhiges Licht in den dunklen Seen.
"Daher kann es sich Hogwarts leisten, eine tadellose Ausstattung bereitzuhalten."

MacGillivray widerstand nur mit Mühe der Versuchung, die umständlich erworbene Mikrodestille - ein Meisterwerk glasbläserischer Kunst - an der Wand zu zertrümmern.
Es blieb ihr ein Rätsel, wie es ihm mit so wenigen ausgewählten Worten immer wieder gelang, sie bis zur Weißglut zu erzürnen.
Vermutlich war es an der Zeit zu lernen, souveräner mit seinen Provokationen umzugehen.

Andererseits gefiel ihr das dünne Lächeln, das sich auf seinem viel zu ernsten Gesicht fast ein wenig unwillkommen zu fühlen schien, als wisse der Gastgeber nicht recht, wie er den Fremdling zu bewirten hätte, ungemein gut.

Zwar bemühte er sich, es mit Spott zu erfüllen, aber MacGillivray hatte sein Mienenspiel lange genug studiert, um sicher zu wissen, daß diese Art von Lächeln eine Rarität bei Severus Snape darstellte.
Er wirkte tatsächlich auf eine gänzlich ungekünstelte Art amüsiert, und es stand ihm gut.

"Auch Salep habe ich erstanden" - ein Säckchen wanderte auf den Tisch - "du willst doch nicht etwa Latwergen herstellen?"
Sie zwinkerte neckend mit schillernden Augen und hielt seinen gespielt-mißbilligenden Blick fest, bis der belustigte Zug, den dunkle Wolken kurz verdunkelt hatte, in seine ausdrucksvollen Augen zurückkehrte.

Ungeachtet dessen inspizierte Snape ihre Einkäufe mit einer an Haarspalterei grenzenden Pedanterie, doch Catriona, die sich schon gegen mindestens einen Rüffel gewappnet hatte, wurde angenehm enttäuscht.

"Alles in Ordnung", sagte Snape trocken, nachdem er die Inspektion beendet hatte und begann, die Drogen behutsam von Hand an ihre jeweiligen Plätze im Vorratsschrank einzusortieren.
Die schicksalsergebene Präzision, mit der er dabei zu Werke ging, zerriß MacGillivray schier das Herz.
Er wagte nicht, einen so komplexen Sortierzauber durchzuführen - wie sehr er offenbar noch immer eingeschränkt war, hatte sie bis dato ganz offensichtlich verkannt.

Wortlos trat sie zu ihm und half ihm mit einer unspektakulären Selbstverständlichkeit, die seine instinktive Ablehnung im Keim erstickte.

Als zu guter Letzt auch der Mekkabalsam seinen Weg in die Vorräte gefunden hatte, hielt Snape inne und sah sie ernst an.

"Ich... muß mich bedanken", sagte er holprig. "Du hast alles zu meiner Zufriedenheit erstanden."

"Du musst gar nichts", korrigierte ihn die rothaarige Schottin bestimmt. "Aber es freut mich, wenn ich in deinem Sinne gekauft habe", fügte sie versöhnlich hinzu.

Snape wurde eine Spur blasser. Er hatte keine Vorstellung, warum er ihr das folgende gestand, aber es fühlte sich vollkommen richtig an und in keiner Weise kompromittierend.
"Du hast mir einen großen Gefallen getan", sagte er leise. "In die Winkelgasse zu gehen, ist für mich… recht unerfreulich."

MacGillivray strich ihm mit der sanftesten aller Berührungen über die Schulter. 'Unerfreulich' war gewiß eine typische Snapesche Untertreibung - mit Sicherheit haßte er die Menschenansammlungen auf der Straße und in den Läden, die ihn, dem Stille und Abgeschiedenheit ein Lebenselixier zu sein schienen, verunsicherten und peinigten.

"Es war mir ein Vergnügen", sagte sie warm, und das entsprach absolut der Wahrheit. Lange schon hatte sie sich nicht mehr so gut unterhalten wie beim Feilschen und Ausfindigmachen der besten Waren und Händler.

Sie wandte sich ihrer Tasche zu und entnahm ihr eine wohlverpackte Schachtel.
"Ich möchte dir dies geben."

Er hob sichtlich überrascht den Kopf, zögerte, das Päckchen anzunehmen. "Noch eine Mikrodestille?" fragte er trocken, um seine Verlegenheit zu überspielen.

"Öffne es doch einfach", schlug MacGillivray leichthin vor, aber sie mußte ein Lächeln unterdrücken. Scherze von Severus Snape kamen völlig unerwartet und selten, aber stets im passenden Moment, so daß das Gegenüber zunächst Zeit benötigte, um den subtilen Humor dahinter auszumachen.

"Ich dachte, sie wären dir vielleicht nützlich", sagte sie, als er das braune Packpapier mit zwei exakten Schnitten entfernt hatte und sich auf seinem schmalen Gesicht Erstaunen und Beschämung mit unterdrückter, ungläubiger Freude und Befangenheit in rasendem Tempo abwechselten.

Snape rang sichtlich um Fassung. In dem Kästchen befanden sich gut dreißig Skrupel kostbarer Raubwürgerzungen.
Die seinigen waren in dem mißglückten Versuch zu zaubern erst kürzlich auf den Fußboden gefallen und hatten dabei zweifelsohne bedeutenden Schaden genommen, wenn sie nicht gar unbrauchbar geworden waren.

Daß sie ausgerechnet daran gedacht hatte, erfüllte ihn mit einer so übermächtigen Ehrfurcht, daß ihm vor Rührung die Hände zu zittern begannen. Hastig stellte er darum die Schachtel ab und verhakte die eisigen Finger ineinander.

"Das war… sehr aufmerksam von dir", brachte er heiser hervor. Zum ersten Mal schwankte sein Gewissen bedrohlich zwischen instinktiver Ablehnung und dem Herzenswunsch, diese unersetzliche Zutat behalten zu können.

"Ich kann das nicht" - begann er aus einem lang etablierten Automatismus heraus, doch sie trat plötzlich ganz nahe zu ihm und sagte forsch: "Natürlich kannst du, Severus. Es ist ein Geschenk und kompromittiert dich in keiner Weise. Ein Geschenk, weißt du, bedeutet" -

"Man mag mich für einen sozialen Analphabeten halten", bemerkte er kühl, "aber ich weiß entgegen anders lautender Gerüchte durchaus, was ein Geschenk ist."

MacGillivray beäugte ihn mit schiefgelegtem Kopf wie ein verwunderter Kanarienvogel. Hatte sie eben einen weiteren, flüchtigen Blick auf den raffinierten Humor des Tränkemeisters erhascht?

Snape holte tief Atem. Ihr Einfühlungsvermögen erfüllte ihn mit sentimentaler Freude, und ohne daß er sich dessen bewußt geworden wäre, war der innere Kampf bereits ohne sein aktives Zutun entschieden worden.

"Meinen aufrichtigen Dank."

Seine Stimme klang selbst in den eigenen Ohren brüchig, und als sich MacGillivrays warme, biegsame Gestalt ganz selbstverständlich an seinen ewig unterkühlten, ausgezehrten Körper schmiegte, erschien es ihm unmöglich, nicht die Arme um sie zu schließen.

Mehrere Minuten standen sie so ineinander verschlungen, fern der Welt, die sie umgab und nahmen die Eigenheiten des anderen mit allen Sinnen in sich auf.
Ihr weiches, regenfeuchtes Haar roch nach Eisenkraut, während von ihrer Robe ein aromatischer Duft nach Diptam ausging, der ihn gleichzeitig verwirrte und unwiderstehlich anzog.
Ausgerechnet Diptam, die Pflanze, die so reich an ätherischem Öl war, daß in manchen Sommern die heiße Mittagssonne genügte, das Öl zu entzünden, das daraufhin verbrannte, ohne daß die Pflanze durch das Feuer Schaden nahm. Ein passendes Bild.

Ihre sanfte, kräftige Hand streichelte seine verkrampften Schultern, und er erkannte entsetzt das zweitschlimmste Gefühl gleich nach Liebe, das ihn zu überwältigen drohte: Begehren.

MacGillivray genoß die seltsame Nähe; sie nahm sich zurück, strich ihm mit freundlicher Beharrlichkeit über die die knochigen Schultern, spürte dem Abbild seines Körpers unter den ungezählten Schichten schweren Stoffes nach und atmete tief den würzigen Duft von Kräutern, Feuer und Mineralien, der von ihm ausging.

Es stand außer Frage; sie ersehnte das Zusammensein mit ihm, und die nicht greifbare, unendlich starke mentale Brücke zwischen ihnen erneuerte sich in der Verbindung ihrer Lippen zu einem Kuß, der weder Beginn noch Ende kannte.
Gerade, als sie bereit war, alle Barrieren, die ihr als Schutz hatten dienen sollen, für die Verbindung mit ihm niederzureißen, löste er sich mit verschleierten Augen von ihr und sagte rauh: "Genug. Es wäre… ein Fehler, glaube mir."

Wenn nur ein Fünkchen der Halbherzigkeit, die die Worte kaum trug, herauszuhören war, verlor er noch den Rest Glaubwürdigkeit, durchzuckte es den Tränkemeister.

Sie betrachtete ihn ernst, einen seltsam bedauernden Ausdruck in den blaugrünen Augen.
"Ich respektiere deine Überzeugung", sagte sie gedehnt, als sie sicher war, jedes Quentchen Enttäuschung aus ihrer Stimme verbannt zu haben. "Obwohl ich glaube, daß du auf dem Holzweg bist."

Snape fixierte angestrengt die Schachtel Raubwürgerzungen. Wie sollte er ihr erklären, daß er es sich nicht erlauben konnte, so mächtige Gefühle wie Vertrauen oder gar Liebe zuzulassen? Sie machten ihn verwundbar, gefährdeten seine Position als Spion und brachten auch sie in höchstem Maße in Gefahr, da Voldemort keine Sekunde zögern würde, sie als Druckmittel einzusetzen, sollte er je davon erfahren und dies für nötig erachten.

"Du verstehst nicht", sagte Snape mit einer Bekümmerung, die Verzweiflung bedrohlich nahekam. "Ich werde niemanden einem solchen Risiko aussetzen. Du weißt nicht, wozu der Dunkle Lord fähig ist."

Catriona MacGillivray nahm sich Zeit, darauf zu antworten; er sollte nicht den Eindruck gewinnen, sie nähme seine Bedenken auf die leichte Schulter.
Natürlich hatte sie geahnt, daß seine schwierige Doppelrolle als Todesser und Lehrer einen Teil seiner Reserviertheit bedingte, und seine Sorge, durch sie an seiner Seite angreifbar zu werden, war absolut real; andererseits, waren es gewisse Dinge nicht wert, daß man etwas für sie riskierte? Konnte er sich denn wirklich stets zurücknehmen, seine Wünsche unterdrücken und jedes Aufkeimen von Zufriedenheit mit Pech und Schwefel ersticken? Genügte es, ein sogenanntes höheres Ziel vor Augen zu haben, um sich immer wieder gnadenlos selbst zu negieren?

"Du bist von außergewöhnlicher Willensstärke", sagte sie leise, "aber hin und wieder braucht jeder ein kleines bißchen Glück. Sogar du. Sogar ich."

Sie erneuerte die Umarmung wortlos, voll zuversichtlicher Unbefangenheit, und Snape, der stocksteif erstarrt stand, vermochte dem berauschenden Gefühl von Geborgenheit, das der Kontakt mit ihrem fremd-vertrauten Körper versprach, nicht mehr zu widerstehen.

Seine kalten Hände umklammerten sie in entfesselter Leidenschaft, folgten den sanften Linien ihrer Gestalt, erkundeten sie, erwärmten sich an der Glut ihres Verlangens.
MacGillivrays energisch-sanfte Finger tanzten durch sein langes Haar, flogen über die unzähligen Knöpfe seines schwarzen Gehrocks, verloren sich in den makellosen Falten seines gestärkten weißen Hemdes.

Sie hielt sekundenlang inne; mitgerissen von Emotionen hatten sie es versäumt, die Tür gegen ungebetene Besucher zu versiegeln.
Snape sprach einen zerstreuten Verschlußzauber, während sie mit einem charismatischen Lächeln in den jetzt meergrünen Augen ein Regal in ein Sofa verwandelte, das breit genug war, ihnen bequem Platz zu bieten.

Etwas wie peinliche Verlegenheit huschte über sein hageres Gesicht, und das Gefühl, gerade eine unverzeihlichen Fehler zu begehen, schob sich in sein Bewußtsein, aber unter ihren Berührungen verlor es an Bedeutung, bis nicht mehr von ihm blieb, als eine vage Erinnerung.
MacGillivrays betörende Nähe begann, ihn zu berauschen; er wollte nicht dagegen ankämpfen, wollte sich nicht wehren, wünschte sich, es einfach geschehen zu lassen. Nur nach ihr verlangte es ihn, er erwiderte ihre Nähe, spürte ihre glatte, wundervoll warme, samtige Haut, versank berückt im Taumel ihrer betörenden Anziehung, und sie gaben sich einander hin in einer einzigartigen Verschmelzung aus Seelenverwandtschaft, brennender Leidenschaft und ungekannter Exaltation.

xoxoxox

"Bereust du unsere personifizierte Inkonsequenz?" erkundigte sich MacGillivray halb neckend, halb ernsthaft und strich sich eine Locke aus den Augen.

Sie hielten sich weder umschlungen, noch gab es klischeebeladene Liebkosungen; das intensive mentale Band versicherte sie der gegenseitigen überwältigenden Anziehung und schuf eine Intimität, die durch keine Körperlichkeit der Welt hervorzurufen gewesen wäre.

"Ja und nein", erwiderte Snape nach einiger Zeit besonnenen Nachdenkens und richtete sich auf.
Nun, da ihr beider Verlangen fürs Erste gestillt war, erschien ihm die Umgebung seines Büros für reichlich ungeeignet, das Zusammensein auf diese Weise fortzuführen.
Gleich über seinem Kopf gab es ein Bord mit zur Mazeration eingelegtem Wasserschierling, gegenüber stand eine Soxhletapparatur, die ihren Platz eigentlich im hinteren Laborbereich einnahm, und in seiner derzeitigen Position befand er sich Aug in Aug mit einem in Formalin eingelegten, dreiköpfigen Pfeilgiftfrosch, dessen Anblick selbst ihm momentan ein wenig grotesk vorkam.

MacGillivray fuhr behende in ihre Kleider. Ein lässiger Wink ihres Zauberstabes ließ das transformierte Regal wieder erstehen.
Mit verschränkten Armen beobachtete sie fasziniert das Gewandungsritual des Tränkemeisters, der nicht eher zufrieden schien, bis jedes Kleidungsstück akkurat ausgerichtet war und die lange Robe in exakten, wie abgemessenen Falten lag.

Sie trat zu ihm, aber gerade, als sie ihm spöttisch ein imaginäres Staubkörnchen von dem untadeligen Schwarz fegen wollte, klopfte es an der Tür.
Sie bremste die Bewegung geschickt, wandelte sie zu einem eleganten Armschwung und trat demonstrativ einen Schritt zurück, für ihn Zeichen und Sicherheit, die Versiegelung freizugeben.

"Severus, ist Catriona bei dir? - Oh, dich habe ich gesucht."

Remus Lupin spähte an Snapes hagerer Gestalt vorbei und lächelte so arglos, daß MacGillivray einen irritiert-hilflosen Blick mit dem Tränkemeister tauschte, bevor sie sich nach dem Grund des Besuches erkundigte.

"Albus Dumbledore möchte dich sprechen", erklärte Lupin freundlich und dann, in einem schlechten Versuch, seine Neugier, aber auch sein Mitgefühl zu verbergen: "Severus, darf ich fragen, wie du dich fühlst?"

Snape durchbohrte ihn mit einem hochmütigen Blick.
"Du möchtest gewiß erfahren, ob ich noch immer ein Zaubererkrüppel bin", sagte er eisig. "Tu mir den Gefallen und verschone mich in diesem Falle mit Euphemismen. Außerdem sollte dich der Direktor doch schon informiert haben", setzte er herablassend hinzu.

Lupin, der unter Snapes Zynismus förmlich zusammengezuckt war, bemühte sich um einen neutralen Ton, als er sagte: "Sicher hat mir Albus erzählt, daß deine Zauberkräfte zurückkehren, aber du hast nicht zugehört. Ich wollte wissen, wie es dir geht."


Ein höchst unangenehmes Gefühl von Déjà vu drängte sich in Snapes Bewußtsein. Hatte ihn nicht Dumbledore dasselbe gefragt, und er hatte es schon einmal mißinterpretiert? Was wollte der Schulleiter überhaupt von Catriona MacGillivray?
Allein der Gedanke an sie ließ Funken wohliger Wärme durch seinen Körper tanzen. Sofort verbot er sich dieses angenehme Gefühl, sah verstockt zur Seite und murmelte: "Kein Grund zur Besorgnis, ich bin in Ordnung."

Sowohl Lupin als auch MacGillivray grinsten vielsagend, und ersterer beeilte sich zu sagen: "Ausgezeichnet. Albus erwartet uns nämlich alle in einer Stunde zum Abendessen."

Die Stirn des Tränkemeisters legte sich in unheilverkündende Falten.
"Richte doch freundlicherweise dem Direktor aus, daß ich zu beschäftigt bin, um an sozialen Veranstaltungen teilzunehmen", sagte er mit an Arroganz grenzender Schärfe, ergriff die Soxhletapparatur und brachte sie ins Labor.

"Nun übertreiben Sie aber", schaltete sich MacGillivray ein, die ihm unaufgefordert gefolgt war. Sie hätte nicht sagen können, was sie veranlaßte, den Meister der Zaubertränke in Gegenwart eines Dritten zu siezen; in jedem Fall war er ihr dankbar; ein Quentchen Hochmut wich aus seinem stechenden Blick, als sich ihre Augen trafen, und sie spürte seine Zustimmung. Was geschehen war, betraf niemanden sonst; Diskretion war von höchstem Wert.

"Zum Essen sollte immer Zeit sein", dozierte sie altklug, "obwohl ich natürlich weiß, daß Sie gern die Arbeit vorschieben."

"Im Gegensatz zu anderen Personen kann ich über mangelnde Auslastung nicht klagen", gab Snape bissig zurück, unterschätzte aber einmal mehr ihre Schlagfertigkeit, mit der sie parierte: "Stimmt. Es ist ja auch viel angenehmer, die Nächte auf der Krankenstation zu verbringen mit einer Muggelinfusion im Arm."

Heilige Ayahuasca und neunfacher Schierlingsbecher! Madam Pomfrey aufzusuchen hätte er um ein Haar wieder vergessen , und obgleich die sanftmütige Art der Heilerin entsprechende Schlüsse erschwerte, war Snape sehr wohl über andere Charakterzüge der Dame orientiert, die immer dann zum Tragen kamen, wenn ein Patient besonders renitenten Ungehorsam an den Tag legte.

"In der Tat gefällt es mir dort recht gut", schoß er zurück, "aber Sie haben Recht. Heute werde ich lieber Ihnen den Abend vergällen. Wann und wo, Lupin?"

Der Angeredete schüttelte ungläubig den Kopf, sagte jedoch voller Nachsicht: "Im Nebenraum der großen Halle. In einer Stunde."
Er unterließ es wohlweislich, den Tränkemeister auf seine Unaufmerksamkeit hinzuweisen, aber Snape - übersensibel - vermeinte, einen vorwurfsvollen Unterton herausgehört zu haben. Sollte Lupin Ort und Zeit bereits genannt haben? Wenn er ehrlich zu sich selbst war, etwas, das er in der letzten Zeit nach Möglichkeit vermied, verdiente sein aktueller Geisteszustand die Bezeichnung Konzentration in keinem Falle.
Ein winziger Moment der Ablenkung genügte, um MacGillivrays warme, sanft-bestimmte Hände wieder auf der Haut zu spüren, reichte aus, um in der Erinnerung an ihre Augen zu ertrinken.

"Ich sehe Sie nachher, Professor", zerriß ihr angenehmer schottischer Akzent seine sich verspinnenden Gedankenfäden.
Beim Gehen trafen sich ihre Blicke für den Moment eines Lidschlages, und in dem flüchtigen Aneinandervorbeigleiten lag eine verborgene, suggestive Intimität, die selbst aufmerksamen Beobachtern entgehen mußte.


Vielen Dank an J.K. Rowling für die Erfindung dieser inspirierenden Charaktere.

Wie immer freue ich mich sehr über Meinungen und Kommentare!

***
Übrigens: Eine Soxhletapparatur dient der Extraktion von zumeist getrockneten Pflanzen (Drogen) mittels geeigneter Lösungsmittel.
Die sogenannte Florentiner Flasche wurde früher bei der Gewinnung ätherischer Öle nachgeschaltet, um das entstehende Öl aufzufangen und abtrennen zu können. Heute nutzen die Muggelpharmazeuten eher eine Apparatur nach Arzneibuch.
Bei Skrupeln handelt es sich um alte Apothekergewichte. Ein Skrupel entspricht in etwa 1,3 Gramm. Wer also keine Skrupel hatte, konnte nicht vernünftig wiegen.
Und Mekkabalsam gibt es wirklich. ;-)
***



 

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