Tortur

 

 

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Kapitel 21: Das Angebot



"Wie geht es ihm wirklich?" hakte Remus Lupin nach, sobald sie die Kerker verlassen hatten.

Catriona MacGillivray trug ein Gesicht zur Schau, das in Unergründlichkeit nur noch von Severus Snapes erstarrten Masken übertroffen wurde.

"Ich denke, er fühlt sich etwas besser", gab sie zur Antwort, als sie ein eindrucksvolles Gemälde passierten, auf dem sich wilde Jäger eine blutige Schlacht lieferten. "Was nicht heißt, daß alles vergessen ist", fügte sie mahnend hinzu und dachte sorgenvoll an seine Gewohnheit, Mahlzeiten auszulassen.

"Du magst ihn", stellte Lupin plötzlich sachlich fest. Noch ehe sie Einwände erheben konnte, blieb er für einen Moment stehen, sah sie voll an und sagte langsam: "Das ist gut. Er weiß nicht, wie es ist, um seiner selbst willen geschätzt zu werden."

Der traurige Ausdruck seiner goldenen Augen rührte und bedrückte sie gleichermaßen. Lupins Einfühlungsvermögen überraschte sie stets von neuem. In jedem Ordensmitglied sah Severus Snape nur eine Person mehr, die etwas von ihm erwartete, und selbst Dumbledore, der sich stets bemüht hatte, dem verschlossenen jungen Mann ein Vertrauter und Freund zu sein, hatte spätestens seit dem Desaster mit Azkaban kaum mehr den Status eines Mentors. Daß ihn der Alte ins Herz geschlossen hatte, würde Snape niemals geglaubt haben, selbst wenn er seine Gedanken gekannt hätte.
Er stand auf ewig in Dumbledores Schuld, und mit Gläubigern war man nicht Freund.

Catriona, die für den Weg die Brille abgenommen hatte, versteckte die Augen rasch wieder hinter den Gläsern, als Albus Dumbledore sie hereinbat. Zu deutlich, meinte sie, müßten die Überbleibsel ihrer Grübeleien noch darin sichtbar sein.

"Guten Abend, meine Liebe. Krokant? Oder lieber Krötenaugen?"
Der Alte deutete mit liebenswürdigem Augenzwinkern auf seine Süßigkeitenbox.

"Weder noch, vielen Dank", lächelte MacGillivray gequält und reichte die Pralinen an Remus Lupin weiter.
Sie fragte sich, wie jemand von Dumbledores Weisheit Krötenaugen, widerlich glubschäugige Geleebaisers, erstens mögen und zweitens auch noch Gästen anbieten konnte.

"Hagrid hat sie vorbeigebracht", sagte der Schuldirektor, aber es lag keine Entschuldigung darin oder ein sonstiges Zeichen von Illoyalität, aus dem der Schluß zu ziehen gewesen wäre, daß er die Backkünste des Wildhüters nicht allerhöchst schätzte.

"Ich habe mit Professor Snape gesprochen", schickte er voraus. "Sie hatten Erfolg, Miß MacGillivray."

"Ich würde sagen, der 'Trank der Gegenwärtigkeit' hat einige Blockaden gelöst", korrigierte die Schottin mit einer Bestimmtheit, die trotz des freundlichen Tones an Ablehnung grenzte. "Es wäre ein Fehler zu glauben, daß nun alles ist wie früher."

"Ich möchte Sie etwas fragen", sagte Dumbledore, ohne auf ihren provokativen Satz einzugehen. "Professor Snape erscheint mir zerstreut und eher besorgter als zuvor. Hat er Ihnen gegenüber etwas Derartiges erwähnt?"

MacGillivray log, ohne eine Miene zu verziehen.
"Gar nichts. Sicherlich erwarten Sie jedoch nicht, daß ein Becher Zaubertrank unzählige Monate in Azkaban ungeschehen macht."

Lupin sah jäh auf, befremdet durch die Schärfe in ihrer sonst eher neutralen oder spottenden Stimme.

"Wie könnte ich", sagte Dumbledore ernst. Bekümmerung trübte den wachen Blick seiner kornblumenblauen Augen, und das Eingeständnis bitterer Schuld zog darin einsam seine Bahn.
"Nehmen Sie noch Veränderungen an dem Trank vor, der für die Werwölfe bestimmt ist?" wechselte er unvermittelt das Thema.

MacGillivray seufzte vernehmlich.
"Wenn ich ehrlich sein soll, stehen wir noch immer vor dem Problem, den Trank vor dem großen Tag nicht testen zu können", gestand sie unfroh. "Inzwischen sind wir tatsächlich zu dem einvernehmlichen Schluß gelangt, daß es bedeutend das Gewissen erleichtern würde, wenn wir einen Test durchgeführt hätten. Aber leider…"

Sie seufzte abermals und hob in einem Eingeständnis von Ratlosigkeit die Hände. "Vorschläge oder gute Ideen bitte an mich."

Ein winziges Lächeln huschte über ihr aristokratisches Gesicht, und Lupin fragte sich, ob sie ahnte, wie ähnlich ihr Mienenspiel dem des Tränkemeisters war.

Eine Weile herrschte ein bedeutungsschweres Schweigen, das durch Albus Dumbledore schließlich gebrochen wurde.

"Lassen Sie uns doch zunächst zum Abendessen übergehen", sagte er weise und erhob sich. "Ein hungriger Magen ist kein guter Ratgeber."

xoxoxox

Minerva McGonagall, die Hauslehrerin Gryffindors, erwartete sie bereits im Nebenraum der Großen Halle.

"Guten Abend", grüßte MacGillivray höflich, aber distanziert genug, um etwas wie eine gläserne Mauer zwischen ihnen bestehen zu lassen. Dumbledore hatte wohl "vergessen" zu erwähnen, daß seine Stellvertreterin auch geladen sein würde, denn dies bedeutete trotz aller anderslautender Behauptungen puren Streß für Severus Snape.

"Guten Abend." McGonagall ignorierte den Ton und strich sich umständlich die Robe glatt. "Ich hatte gehofft, Sie würden Professor Snape mitbringen."

Natürlich. MacGillivray schnaubte leise.

"Das ist mir geschuldet", schaltete sich Albus Dumbledore ein in der Absicht, die Spannung zwischen den Frauen zu mildern. "Ich wollte erst allein mit Catriona und Remus hier sprechen."

"Nun" - Die Lehrerin für Verwandlungen unterbrach sich und wandte den Kopf zur Tür, die sich nach einem ungeduldigen Klopfen schwerfällig öffnete.

Hogwarts' Meister der Zaubertränke kam herein in einem Wirbel schwarzen Stoffes und setzte sich ungebeten auf den von allen Anwesenden am weitesten entfernten Stuhl. Um seiner Distanz noch deutlicher Ausdruck zu verleihen, verschränkte der die Arme vor der Brust und starrte grußlos und finster in die Runde.

Wenngleich er weniger schlecht aussah, als noch vor einigen Wochen, so wirkte er doch angespannt und auf eine seltsame Weise gleichzeitig agitiert und erschöpft.

Minerva McGonagalls Anwesenheit nötigte ihm ein grimmiges Stirnrunzeln ab, aber offenbar genügte der Unmut nicht, daß er aufgestanden und gegangen wäre.

"Die Professoren Sprout und Sinistra haben mich ersucht, Sie zu fragen, ob Sie es wohl einrichten könnten, ihnen Gehör zu schenken. Es geht um Ihre Stunden", fiel sie denn auch rücksichtslos mit der Tür ins Haus, und Severus Snapes ohnehin wenig gefälliger Blick verhärtete sich weiter.

"Ich bin derzeit überaus beschäftigt", sagte er schroff, erinnerte sich jedoch gerade noch rechtzeitig, daß es immerhin um seine eigentliche Beschäftigung ging und er damit im Grunde kein Recht hatte, die Konsultation abzulehnen.
"Allerdings", quetschte er eingedenk dessen bitter durch die Zähne (Dumbledore und Lupin tauschten einen besorgten Blick, während MacGillivray zusehends gereizter wurde.), "habe ich zufällig morgen um acht Uhr einen Termin frei."

Auf Catrionas feingeschnittenem Gesicht spiegelte sich sekundenlang überraschtes Mißfallen, dann kehrte der unverbindliche Ausdruck, mit dem sie ihren Ärger tarnte, wieder in die jetzt stahlblauen Augen zurück.

Ihm waren die Hände gebunden, das sah sie ein, aber wieso, in Merlins Namen, übten die anderen nicht ein wenig Rücksicht? Was konnte schon so wichtig sein, daß es nicht warten konnte, bis der Tränkemeister offiziell seinen Dienst wieder antrat?

Erwartungsgemäß hatte ihm dieser taktlose Überfall noch den letzen Rest des ohnehin spärlichen Appetits verleidet; Severus Snape stocherte lustlos in seiner Mahlzeit, bis er schließlich desinteressiert das Besteck beiseite legte und den Teller demonstrativ von sich schob.

MacGillivray kämpfte den eigenen Ärger trotzig nieder. Sein Wohlergehen lag ihr zwar in einer besonderen, recht eigennützigen Weise am Herzen, aber es erzürnte sie ohnegleichen, daß nun, da Snape in den Augen der anderen offensichtlich wieder zur Tagesordnung übergegangen war, sie ihre Achtsamkeit ihm gegenüber gleich zusammen mit der ohnehin überflüssigen Rücksicht abgelegt hatten.

Der Rest des Abendessens verlief ereignislos, unterbrochen nur durch kleine Anekdoten Albus Dumbledores, die aber nicht dazu gereichten, die Stimmung des Tränkemeisters zu heben.

Im Gegenteil. Eine steile Falte erschien auf seinem verkniffenen Gesicht, und noch ehe der Alte zur nächsten Pointe übergehen konnte, schob Snape seinen Stuhl mit vernehmlicher Vehemenz zurück und stand abrupt auf.

"Wenn Sie mich entschuldigen wollen", sagte er mit schneidender Höflichkeit, nahm sich Zeit, jeden einzelnen mit einem dolchstoßähnlichen Blick zu durchbohren (am Ende der Runde würde hoffentlich der Schwindel verebbt sein) und machte dann ohne ein weiteres Wort kehrt (annehmbar) und verließ den Raum.

Die hastigen Schritte, die ihm folgten und nur dem harmoniesüchtigen Werwolf gehören konnten, steigerten seine Rage, so daß er herumwirbelte (jetzt nur nicht stürzen) und aufgebracht rief: "Lupin! Was ist?"

Der Angeredete hob in gespielter Abwehr die Hände. "Wenn du mich verfluchst, wirst du das nie erfahren", sagte er leichthin und trug ein wissendes Lächeln zur Schau, das Snape bald schmerzlich, bald angenehm an Catriona MacGillivray erinnerte.

"Was könntest du mir schon bieten?" entfuhr es ihm geringschätziger, als er es eigentlich beabsichtigt hatte.
Lupin hatte sich ihm gegenüber bemerkenswert zivil verhalten, hatte sogar den Versuch unternommen, ihm beizustehen, als es ihm außerordentlich schlecht gegangen war…

"Ich meine, Madam Pomfrey erwartet mich", korrigierte er sich heiser und mied angestrengt Lupins Blick.

Dieser rieb sich nervös die Hände an seiner schäbigen Robe, die noch abgewetzter wirkte als die Strickjacke, die er sonst zu tragen pflegte. Wenn er es nicht besser gewußt hätte, würde er dies für eine Entschuldigung genommen haben, aber Severus Snape pflegte sich nicht zu entschuldigen.
Zu schade, daß so viel mehr auf dem Spiel stand, als alte Animositäten zwischen ehemaligen Schulkameraden.
Wirklich jammerschade. Lupin bedauerte bereits, den Einfall überhaupt gehabt zu haben. Nun konnte er ihn nicht mehr guten Gewissens vor dem Tränkemeister geheimhalten.

"Hör zu, Severus", sagte er und gab sich keine Mühe, den gereizten Ton in der Stimme zu verhehlen, "ich biete dir möglicherweise die Chance, einen Einblick in die Wirkweise deines 'Werwolftrankes' zu erlangen."

Snape war plötzlich sehr ernst geworden. Er musterte Lupin mit einem lauernden, neugierigen Blick, sagte jedoch mit einer jegliches Interesse leugnenden Kälte: "Ich höre."

Remus Lupin zog scharf den Atem ein. Er wirkte mit einem Mal noch abgerissener als sonst, und eine nervöse Zunge fuhr mehrmals über seine Lippen, bevor er begann: "Wie du vielleicht nicht weißt" (Snape runzelte bedrohlich die Stirn.) "macht sich der nahende Vollmond bereits Tage vorher bei… uns… bemerkbar. Es beginnt subtil mit… Überempfindlichkeiten, steigert sich zu… seltsamen Träumen und schließlich zu, nun, sagen wir, doch recht wölfischen Gelüsten."

Die Demütigung, solche persönlichen, entwürdigenden Details seiner Verwandlung einem anderen Menschen, noch dazu ausgerechnet dem kalten, stets vollkommen überlegen wirkenden Tränkemeister zu offenbaren, trieb Lupin eine brennende Schamesröte ins Gesicht.
Es kostete ihn sichtlich Kraft, weiterzusprechen.

"Wenn nun also jemand den Trank am letzten oder vorletzten Tag vor der Transformation zu sich nähme", er holte abermals tief Atem und vollendete: "… bekämst du vielleicht erste Hinweise."

"Das setzt allerdings voraus", bemerkte Snape sehr ruhig und fixierte sein Gegenüber wie die Schlange das sprichwörtliche Kaninchen, "daß die betreffende Person keinen Wolfsbann zu sich genommen hat."

Lupin hielt dem forschenden Blick der nachtschwarzen Augen mutig stand, und seine Stimme klang belegt, als er entgegnete: "Ich werde, eingedenk dessen, auf den Trank verzichten."

Snape glaubte minutenlang, sich verhört zu haben. Lupin - auf den Wolfsbann verzichten - aus freien Stücken, obwohl die Vollmonde das personifizierte Grauen für ihn darstellten, nur, um sich als Testkandidat für einen experimentellen, nicht ungefährlichen Trank zur Verfügung zu stellen?
Eigentlich ausgeschlossen, und dennoch stand der Werwolf hier vor ihm, und es schien ihm mehr als ernst damit zu sein.
Solche Scham und ja, auch Furcht, ließen sich nicht spielen.

Davon abgesehen war die Idee unter den gegebenen Umständen brillant - näher konnten sie einem echten Test zu gegebener Zeit nicht kommen, und selbst, wenn sich keine nützlichen Hinweise ergaben, so blieb ihm immer noch der schwache Trost, alles versucht zu haben.

Sorgsam darum bemüht, weder Überraschung noch Anerkennung zu zeigen, sagte Snape: "Das ist ein hehrer Vorschlag, Lupin, aber bist du sicher, daß du so ein Opfer für die 'große Sache'" - er tränkte die Worte mit beißendem Sarkasmus - " wirklich erbringen willst? Ich werde nämlich dein Angebot nicht ach-so-ehrenvoll aus ethischen Gründen ablehnen, da ich bedauerlicherweise tatsächlich keinen anderen Weg sehe. Aber da ich weiß, was Opfer bedeuten - soll ich gehen und so tun, als hättest du mich nie von der Idee unterrichtet?"

Die kalte Berechnung, mit der er das sagte, trieb Lupin den Schweiß auf die Stirn, und eine Zornesader schwoll an seiner Schläfe. Dafür hatte er sich nun herabgelassen, sich erniedrigt und gedemütigt?
Nichts, aber auch gar nichts ließ erkennen, daß ihm, Snape, sein Angebot wichtig, das Opfer, das er sich durchgerungen hatte zu erbringen, wertvoll war - er stand einfach nur da, ein spöttisches Lächeln in den kalten Augen und wartete.

"Dein geringschätziges, kleingeistiges Mißtrauen kränkt mich", zwang sich Lupin, so ruhig wie möglich zu sagen, aber er bebte am ganzen Körper, und es bereitete ihm sichtliche Mühe, ohne Zittern zu sprechen.
"Glaubst du, ich würde ein solches Angebot machen, wenn es mir nicht ernst wäre?"
'Dabei hättest du es verdient, wenn ich mich jetzt zurückzöge', fügte er in Gedanken hinzu und seufzte lautlos.

Der Tränkemeister ignorierte den vorwurfsvollen, anklagenden Blick und äußerte schroff: "Ich mußte fragen. Nicht jeder versteht unter Ehrgefühl dasselbe."

Er wandte sich ab, zog die Robe schützend um die mageren, spitzen Schultern (Madam Pomfrey würde die helle Freude an ihm haben und ihn noch bis in alle Ewigkeit mit Muggelinfusionen quälen.) und ließ Lupin einfach stehen.
Nach einigen Schritten hielt er inne, blickte zurück und zwängte ein kurzes "Danke, Lupin" durch kaum geöffnete, bleiche Lippen.

xoxoxox

Kaum war Lupin außer Sichtweite, gestattete sich Snape, die Hände für einen Moment an der kalten, glatten Wand abzustützen.
Er hatte wieder so viele Mahlzeiten ausfallen lassen, daß ihn sein wehleidiger Körper mit Doppelbildern und einer zittrigen, watteähnlichen Schwäche strafte; hinzu kam die Verwirrung, die jeder Gedankenhauch an Catriona MacGillivray hinterließ, und Lupins ebenso selbstloses wie großherziges Angebot trug nicht gerade dazu bei, seinem Seelenfrieden ein Stück näherzukommen.

Hatte er anfangs noch mehr, um Catriona zu ärgern, denn in der wirklichen Absicht, die Behauptung in die Tat umzusetzen, mit Lupin als Testperson gedroht, so war er im Laufe der Zeit völlig von der Idee abgewichen, ohne im Nachhinein recht sagen zu können, warum.

Natürlich hatte Lupin Recht gehabt; er, Snape, wußte nichts von den pikanten Details einer Transformation, hatte unverzeihlicherweise auch nichts wissen wollen und damit zugelassen, daß der gräßliche Vorfall aus seiner Schulzeit sogar jetzt noch sein Denken und Handeln bestimmte.

In seinem Zorn, aus lauter verbohrter Angst und daraus resultierendem Desinteresse nicht selbst auf diese Möglichkeit der Erprobung gekommen zu sein, tröstete ihn nur das Wissen, daß Catriona MacGillivray offenbar auch nicht an die Zeit vor der Verwandlung gedacht hatte.
Welch seltsamer Wesenszug, das eigene Versagen durch dieselbe Unterlassung eines anderen als weniger schändlich zu empfinden.

Der Geist eines Lächelns stahl sich in Snapes Obsidianaugen. Er beschleunigte den Schritt, so daß Madam Pomfrey erschreckt hochfuhr, als die Tür zur Krankenstation mit einem Knall aufflog und der Meister der Zaubertränke geschmeidig hindurchtrat.

"Sie wünschten, mich zu sehen", sagte er mit jener spöttischen Liebenswürdigkeit, die die Heilerin längst als solche erkannte und daher nur nachsichtig auf ein Bett deutete.
"Nehmen Sie Platz, Professor. Wann haben Sie die letzte Mahlzeit zu sich genommen?"

Sie zückte den Zauberstab, um ihren Patienten zu untersuchen, der sich widerwillig und stocksteif auf der äußersten Kante der Liege niedergelassen hatte und jetzt wie einstudiert log: "Vor etwa einer halben Stunde."

"Kaffee, Tee und sonstige Genußmittel zählen selbstverständlich nicht dazu", bemerkte Poppy Pomfrey tadelnd, aber gerade noch trocken genug, um Snape ein schwerverständliches "Ich erinnere mich nicht" zu entlocken.

Sie verzichtete darauf, die Hände zu ringen, wie sie es bei Schülern gern einmal tat, um ihren Worten die nötige Theatralik zu verleihen oder ihn mit wohlmeinenden Rügen zu überhäufen.
Eine leichte Berührung an seiner Schulter, ein mitfühlend-bedauernder Blick, der ihm ausgesprochenes Unbehagen bereitete, dann hieß sie ihn, die Kleidung abzulegen und schloß die Infusion an seinen knochigen Arm.

"Bedarfsdeckend wäre, wenn Sie regelmäßig äßen", sagte sie leise und strich ihm sacht über die eisige Hand. "Es wäre Ihnen dann auch weniger übel und schwindlig."

Snape, der die Augen gegen einen leichten Brechreiz geschlossen hatte, nickte kaum merklich.
Kaum, daß er versuchte, sein Bewußtsein zu entspannen und an nichts zu denken, überflutete ihn ein Strom aus wirren Bildern, die ihm zunehmend Angst einzuflößen begannen, da er ihrer nur unzureichend Herr zu werden vermochte.

Erfahrungsgemäß dauerte die Übelkeit selten länger als eine Stunde, so daß er es schließlich wagte, die Augen wieder zu öffnen.
In der Stille des Lazaretts beruhigte sich sein fliegender Atem, aber obwohl er am liebsten vor Erschöpfung geweint hätte, fand er keinen Schlaf.
Was mochten Sprout und Sinistra von ihm wollen? Er hatte keine Zeit, mußte Rückstände aufholen, bereit sein für die Präsentation, bereit, seinen Posten als vollwertiger Spion wieder einnehmen…
Warum träumte er Erinnerungen seiner Mutter? Wie sollte er jemals seinen Geist wieder verschließen, wenn er nicht einmal schlafen konnte?
Was, wenn die Anwendung des Trankes an Remus Lupin keine Ergebnisse brachte? Und was, wenn er ihm schadete?

Snape horchte in sich hinein; sollte er "ethische Bedenken" haben? Üblicherweise stellte sich ihm eine solche Frage nicht; er war alles andere als zimperlich und pflegte die Resultate seiner Experimente grundsätzlich an sich selbst zu testen; daher erschien ihm das Konzept der besorgten Einwände reichlich kleingeistig. Ergebnisse erforderten nun einmal Risikobereitschaft und Einsatz, obschon er sich durchaus bemühte, eine gewisse Vorhersagbarkeit der Wirkungen zu gewährleisten.

Seine Gedanken schweiften ab, und mit einem Male ertappte er sich bei dem Wunsch, Catriona MacGillivray nahe zu sein. Ihre Gegenwart wühlte ihn auf und schenkte ihm gleichzeitig eine tiefe, seelentröstende Geborgenheit, nach der er sich gerade jetzt unsagbar sehnte.

Bei Merlins Bart - er würde vor Voldemort nackt und schutzlos dastehen, wenn er sich nicht bald zusammennahm und die zuverlässige Kontrolle über seinen Geist zurückerlangte.
Im Grunde hatte das Desaster längst begonnen; auf keinen Fall durfte er sich noch mehr gehen lassen.
Als Spion in den Reihen des Dunklen Lords standen ihm keine Vergnügungen zu und schon gar nicht Zufriedenheit oder Momente erfüllten Glücks.

Ungeachtet aller gefaßten Vorsätze verspottete ihn sein Bewußtsein jedoch erbarmungslos mit Bildern der rothaarigen Schottin, und irgendwann fiel er darüber in einen unruhigen, flachen Schlummer.



 

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