Tortur

 

 

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Kapitel 22: Zwistigkeiten



Am folgenden Morgen begab sich der Tränkemeister lange vor acht Uhr in sein Büro. Poppy Pomfrey hatte ihn auf eigenen Wunsch sofort von der Infusion befreit, und er war mehr aus der Krankenstation geflohen denn gegangen. Glücklicherweise begegnete ihm auf den langen Korridoren niemand.

Snape stürzte eine Tasse Kaffee achtlos hinunter, bevor er begann, alle Aufzeichnungen, die er während der Entwicklung des Werwolftrankes minutiös angefertigt hatte, gewissenhaft auf Unstimmigkeiten zu prüfen.
Jäher Schrecken durchzuckte ihn, als er die Darlegungen zu Haltbarkeit und Aufbrauchsfrist überflog. Sicherheitshalber würde er den Trank frisch brauen müssen. Theoretisch ergaben sich zwar keinerlei Hinweise auf eine schnelle Verderblichkeit, aber er dachte nicht daran, auch nur ein unnötiges Risiko einzugehen.

Vielleicht konnte Catriona ja…
'Halt!' befahl er sich so barsch, daß es ihn selbst überraschte. 'MacGillivray bleibt aus dem Spiel.'

Er fuhr sich frustriert durch die langen Haare, verschwendete einen flüchtigen Gedanken an das letzte Bad und blickte ungeduldig zur Uhr. Wenn sie nicht schon von vornherein alle Chancen, ihn in wenigstens einigermaßen gnädiger Laune anzutreffen, verspielen wollten, taten sie gut daran, pünktlich zu erscheinen.

Eine Minute nach acht sah Snape sämtliche Vorurteile bestätigt, und das Klopfen um exakt acht Uhr zehn entlockte ihm ein erbostes Schnauben, bevor er, ohne nachzudenken, einen gereizten Zauber sprach, der die Tür krachend aufspringen ließ, so daß Pomona Sprout und ihre Kollegin, Teleri Sinistra, erschreckt zurückwichen, um dann mit ausgesuchter Vorsicht die Köpfe in sein Büro zu strecken.

Severus Snape lächelte anerkennend und machte, höchst zufrieden mit sich selbst, eine mentale Notiz, von nun an mit diesem Zauber unwillkommene Gäste zu begrüßen.

"Bitte, treten Sie doch ein", sagte er spöttisch und deutete eine hämische Verbeugung an. "Keine Sorge, Beschußzauber beherrsche ich noch nicht."
Er nahm Platz und ignorierte den betretenen Blick, den sich die Besucherinnen, die zweifellos von seiner "Krankheit" wußten, scheinbar verstohlen zuwarfen.
"Schön übrigens, daß Sie es noch einrichten konnten, vorbeizuschauen."

Dieses Mal wechselten irritierte und verständnislose Blicke die Besitzer. Sprout und Sinistra hatten den Tränkemeister monatelang nicht zu Gesicht bekommen, und die bleiche, schrecklich magere Gestalt am Schreibtisch sprach zwar mit der messerscharfen Zunge Severus Snapes, erschien ihnen aber sonst ganz und gar bemitleidenswert - eine Eigenschaft, die sie früher niemals mit dem düsteren Zaubertrankmeister assoziiert hätten.

"Wir suchen Sie so selten auf, daß wir uns erst über die Lokalisation Ihres Büros klarwerden mußten", scherzte Teleri Sinistra und lächelte milde. Sie war von athletischer Statur und wirkte durch ihr langes, dunkles Haar, das sie unveränderlich zu einem akkuraten Bauernzopf geflochten trug, seltsam alterslos.

Sprouts Grinsen ärgerte Snape leidenschaftlich, der nicht ohne Grund vermutete, auf den Arm genommen zu werden.

"Wie Sie sicher wissen, habe ich die Vertretung als Hauslehrerin Slytherins übernommen", sagte Sinistra nun, ohne sich mit unnötigen Floskeln aufzuhalten, obwohl auch sie entsetzt war über den Anblick des jungen Kollegen.

"Und jetzt wollen Sie sich beschweren, daß das Haus Ihnen nicht vertraut?" höhnte Snape und wirkte in Pomona Sprouts Augen, die ihn vorsichtig von der Seite musterte, besonders mitgenommen, da sie Gesundheit unweigerlich an ihren eigenen barocken Formen zu messen pflegte.

"Aber nein", widersprach Sinistra verwundert. "Vertrauen erwirbt man sich in einem langwierigen Prozeß. Dies von Ihrem Haus jetzt schon zu erwarten, wäre töricht und verfrüht. Ich bin vielmehr gekommen, um Ihnen zu gratulieren. Die Schüler gehorchen, als hätten sie Sie vor sich. Und sie fragen nach Ihnen, möchten wissen" -

"Genug!" unterbrach sie Snape aufgebracht. "Ich habe keine sentimentale Seite, die sich über solche Rührseligkeiten freuen würde. Wenn Sie keine Klagen haben, verschwenden Sie meine Zeit."
'…noch mehr, als ohnehin schon', fügte er stumm hinzu und blitzte sie aus nachtschwarzen Augen wütend an.

Sinistra starrte ihn an, ganz offensichtlich überrannt von soviel rüder Impertinenz, aber Pomona Sprout hieb in dieselbe Kerbe, als sie sich zu Wort meldete: "Wie schade, Severus, ich wollte Ihnen gerade von Neville Longbottoms Fortschritten berichten. Es hätte mich auch gewundert, wenn bei ihm der Knoten nicht bald geplatzt wäre. So gut in Kräuterkunde und so schlecht in Zaubertränke, nun, auch Harry Potter konnte seine Noten bemerkenswert steigern."

Snape, der bei der Nennung der Namen entnervt die Augen verdreht hatte, schnaubte jetzt deutlich abfällig und zischte: "Was nicht verwunderlich ist, wenn man das Niveau so weit senkt, daß noch der letzte Dummkopf ein Ohnegleichen erzielen kann."

"Das ist eine Unterstellung!" empörte sich die Kräuterkundelehrerin, und ihr gutmütiges, rundes Gesicht war feuerrot vor Erregung. Hatte sie anfangs noch Mitgefühl für den ewig zynischen Tränkemeister empfunden, so überwog nun blanker Groll.
"Wenn Ihnen meine Vertretung nicht zusagt, übernehmen Sie die Stunden am besten wieder selbst", schmetterte sie ihm entgegen. Dabei war es ihr nur recht, daß sein bleiches Gesicht noch weißer wurde.

Snape faltete froststarre Hände auf dem Tisch ineinander und entgegnete mit unterkühltem, bitterem Nachdruck: "Das werde ich, nur keine Sorge."

Ein pelziges Gefühl begann, sich von den Füßen aufwärts in seinem Körper zu verbreiten, aber seine leeren Onyxaugen verrieten nichts.

Sprout und Sinistra erhoben sich, offenbar davon überzeugt, sich auf sinnloser Mission zu befinden.
"Wirklich schade, Severus", bemerkte letztere beim Hinausgehen. "Sie können stolz sein auf Ihre Schüler und begegnen jedem, der Sie loben will, mit tödlichem Gift."

Snape hörte wohl die Worte, aber inzwischen hatte die Taubheit seine Hände erreicht, und ein rastloses Schwindelgefühl verzerrte sein Gesichtsfeld. Irgendwo fiel eine Tür dröhnend ins Schloß.
Er vergrub den Kopf in den eisigen Fingern und schloß die Augen.

Plötzlich war sie da - die fremde Präsenz in seinem Bewußtsein, sekundenlang nur, drängend, gewalttätig, ungebeten, und Snape erstarrte vor Entsetzen. So etwas war noch nie vorgekommen; bisher hatte er jegliche Angriffe mit Bravour abgewehrt ('Jede? Denk an die Dementoren', zischelte sein Gewissen hämisch.); er bemühte sich, seinen Geist zu verschließen, doch da war der Spuk längst vorbei, und eine weiche Stimme mit schottischem Akzent sagte leise: "Severus, komm zu dir."

Catriona MacGillivray stand dicht bei ihm, streichelte unendlich sanft sein Haar und führte ihm, als sie hinreichend sicher sein konnte, er würde sich nicht verschlucken, einen tönernen Becher an die farblosen Lippen.

"Stärkungselixier mit Galgant", erklärte sie kurz, und ein erleichtertes Lächeln huschte über ihr besorgtes Gesicht, als er angewidert den Mund verzog.

"Völlig verwässert - wozu soll das gut sein?!" spie er indigniert, vermochte jedoch nicht zu verhindern, daß ein Schauder seinen malträtierten Körper durchlief.

"Das Elixier ist verdünnt, vollkommen richtig", bestätigte MacGillivray kühl. "Ich möchte dir und mir ersparen, daß du es in voller Stärke erbrichst."

Sie trat hinter ihn und zwang ihn mit beharrlicher Sanftheit, den Kopf gegen sie zu lehnen. Snape wehrte sich nicht; der Schwindel ließ bereits nach; was blieb, war die Furcht.

"Besten Dank! Was macht dich glauben, ich würde das 'Galgantbräu' nicht vertragen?" fragte er scharf, nur um sie zu provozieren und um sich von dem Vorfall abzulenken.

Ihre Nähe beruhigte und tröstete ihn; er wünschte sich, ihr sagen zu können, was geschehen war, aber wie sollte er etwas beschreiben, das er selbst nicht verstand und sich daher größte Mühe gab, es zu verdrängen?

"Eingebung", erwiderte sie spitz und dann, sehr viel ernster: "Die Seele, Severus, ernährt sich von dem, worüber sie sich freut. - Da versuche ich, ein wenig Nektar bereitzustellen." - Sie lächelte schon wieder. - "Für den Körper bist du zuständig."

Ihre Finger in seinem Haar, auf seinen Schultern, seinem Nacken…
Was, wenn sie Recht hatte und er so erschöpft war, daß die vermeintliche fremde Präsenz in seinem Bewußtsein nichts anderes gewesen war, als ein Produkt seiner überhungerten Phantasie?
Aber nein, dies war so erschütternd real gewesen, daß er sich im Gegenteil eher fragen mußte, ob sein Unwohlsein nicht als Begleiterscheinung von der Vergewaltigung seines Geistes herrührte.

"Haben dich Sprout und Sinistra so geärgert?" erkundigte sich Catriona MacGillivray halb zärtlich, halb spöttelnd.
Ihre Hände ruhten auf seinen verkrampften, spitzen Schultern und hinterließen eine prickelnde Wärme selbst durch die unzähligen Lagen schweren Stoffes.

Snape machte eine abwehrende Geste, die ihr zeigen sollte, daß es das Thema nicht wert war, näher erörtert zu werden.
Tatsächlich zog er keine Befriedigung aus der Information, daß sich sein Haus, obschon viele Monate seinem strengen Einfluß entzogen, noch immer einigermaßen (denn er bezweifelte, daß ihm kleinere Verfehlungen gemeldet worden wären; dafür waren die Vertretungen zu nachgiebig) vorbildlich benahm. An Schulbelange zu denken, verdüsterte seine meist ohnehin schon dunkle Stimmung nur noch weiter.

"Ich habe beschlossen, den Trank frisch herzustellen", sagte er plötzlich und entzog sich abrupt MacGillivrays wunderbar tröstenden Händen.

"Es bleibt kaum mehr als eine Woche", gab die Schottin zu bedenken. "Ich muß dich hoffentlich nicht erinnern, daß ich bereit bin, dir zu helfen, wann immer du es wünschst."

Er nickte so zögerlich, daß sie es für geraten hielt hinzuzufügen: "Aber zur Gedächtnisauffrischung: Aufdrängen werde ich mich nicht."

Der Schatten eines winzigen Lächelns erhellte sekundenlang seine dunklen Augen. Wenn er nur sehen könnte, wie gut ihm ein wenig positive Offenheit zu Gesichte stand.

"Aber bevor wir die Aufgabenverteilung diskutieren", sagte MacGillivray in einem Tonfall, der ihm raten sollte, sich Widerspruch gut zu überlegen, "gehen wir frühstücken."

"Ich frühstücke nicht", entgegnete Snape mehr aus Gewohnheit, denn aus gezielter Rebellion, aber sie grinste herausfordernd und wedelte ungeduldig mit der linken Hand.
"Heute schon", lächelte sie sanft, öffnete die Tür und hielt sie ihm galant auf, so daß er sich widerstrebend in sein Schicksal fügte.
Hätte sie auch nur angedeutet, daß er regelmäßige Mahlzeiten zu sich nehmen sollte; er würde sich rundweg geweigert haben. Aber ihrer scharfsinnigen, diplomatischen Beharrlichkeit hatte er nichts entgegenzusetzen.

In ihrer Gesellschaft gelang es ihm, über den Kaffee hinauszukommen, ohne gleich Übelkeit zu verspüren, und der Toast, den er genußlos und aus rein rationellen Erwägungen verspeiste, wurde von seinem launischen Magen schlichtweg ignoriert. Ein gutes Zeichen.

Auf dem Rückweg in die Kerker begegneten sie Remus Lupin, der grau und gereizt aussah.
'Verwandlungskrank', schoß es MacGillivray durch den Kopf.

"Warte, Remus", rief sie ihm nach, ohne dem verkniffenen Blick ihres nicht minder mitgenommenen Begleiters Beachtung zu schenken.
Snapes peinlichst auf Diskretion besonnene Natur fühlte sich bereits durch das harmlose Zusammentreffen mit Lupin bedroht, der möglicherweise falsche Schlüsse aus ihrem gemeinsamen Weg ziehen würde.
'Richtige Schlüsse', höhnte sein Gewissen, und er mußte gewaltsam dem Drang widerstehen, die Hände auf die Ohren zu pressen.

"Du hast dir noch keinen Wolfsbann abgeholt", sagte MacGillivray gerade, aber Snape schnappte nur noch das Wort "Wolfsbann" auf und fuhr jäh zusammen.
Catriona konnte nicht wissen, daß Lupin…

"Danke", nickte dieser geistesgegenwärtig. Seine goldenen Augen, die jetzt seltsam stumpf wirkten, suchten Snapes Blick. "Vielleicht später."
Nichts stand in den dunklen Tunneln, die wie kosmische Schwarze Löcher ins Nirgendwo zu führen schienen.
Er wandte sich ab und beeilte sich, fortzukommen.

"Was war das denn?" Auf MacGillivrays ebenmäßiger Stirn erschien eine mißtrauische Falte. Sie rieb sich die Augen hinter der eleganten Brille und sah den Tränkemeister prüfend von der Seite an.

Minutenlang rang Snape mit sich, dann öffnete er die Bürotür, bat sie herein und versiegelte sie hinter ihr.
"Lupin hat sich als Proband für den Trank angeboten", informierte er sie leise. "Es gibt gewisse Frühzeichen, die mir eventuell bereits einen Eindruck von der vollen Wirkung vermitteln werden."

"Hast du abgelehnt?"

Schweigen.

"Du hast akzeptiert?" MacGillivray schien ganz und gar nicht entsetzt, eher schicksalsergeben, als hätte sie so etwas kommen sehen.
"Das erklärt natürlich einiges."
Sie strich sich die stets widerspenstige Locke aus den Augen und zwirbelte nachdenklich eine der Glasperlenketten, die sie um die Handgelenke geschlungen trug.
"Der Einfall ist genial."

"Unter den gegebenen Umständen", wandte Snape ein und fuhr verdrossen fort: "Aber weder du noch ich können die Lorbeeren dafür beanspruchen. Es war allein Lupins Idee."

"Hmm", machte MacGillivray nachdenklich. "Ich war nicht sicher, ob er dieses Opfer bereit sein würde zu bringen", sagte sie langsam.

Dies brachte ihr einen verwundert-empörten Blick des Tränkemeisters ein. Snape hob ironisch die Brauen.
"Du willst gewiß nicht behaupten, dir wäre der Einfall zuerst gekommen", schnarrte er ungläubig, "und nur aus Rücksicht auf Lupin hättest du nicht davon berichtet."

Sie seufzte ergeben und zuckte die Achseln.
"Ich konnte unmöglich Lupin in eine so kompromittierende Lage bringen", erklärte sie sachlich. "Hätte ich meine Idee allen kundgetan, wäre es ihm aus lauter Pflichtbewußtsein unmöglich gewesen, abzulehnen."

"Das ist deine Meinung", gab Snape mit einer Stimme zurück, die vor Kälte klirrte.
Er war merklich blasser geworden, wandte sich ab und schleuderte ein grimmiges "Inflamare!" auf die Holzscheite unter dem nächstgelegenen Kessel, doch der Zauber mißlang, und der Tränkemeister, der stets größten Wert auf eine gewählte Ausdrucksweise legte, fluchte erbittert.

Daß MacGillivray das Feuer mit einem einzigen Wink ihres Zauberstabes entfachte, goß nur noch Öl auf die lodernde Flamme seines Zorns.
Er warf eine Handvoll getrockneter Krötendrüsen mit solchem Ungestüm in den Kessel, daß einige unter der Wucht des Aufpralls zurücksprangen und sofort in der Hitze verglühten.

Ehe sich das Schauspiel mit dem drastisch reaktionsfreudigeren Diptamelixier wiederholen konnte, trat MacGillivray zu ihm und legte ihre Hand auf seine. Mit sanfter Gewalt hinderte sie seine eisstarren Finger daran, die Flasche stattdessen auf dem Boden zu zerschmettern.
Er gestattete sich für die Dauer eines Atemzugs, ihre zärtliche Berührung in sich aufzunehmen, aber sofort überwogen sein verletzter Stolz und die herbe Enttäuschung darüber, daß sie Remus Lupins Wohl über seines gestellt und ihm damit schlichtweg die einzige Lösung für sein Problem verschwiegen hatte.

Er machte sich unwirsch los und zischte: "Die Krötendrüsen verkohlen."
Sie dämpfte unbeeindruckt die Flammen.

"Weshalb bist du so verärgert?" erkundigte sie sich, obgleich sie bereits ahnte, daß es nicht die beste Idee gewesen war, den empfindlichen Tränkemeister ihre Meinung bezüglich Lupins Opferbereitschaft wissen zu lassen.

Als er nichts erwiderte, versuchte sie zu erklären: "Severus, ich habe nicht in Kauf genommen, daß du unvorbereitet dorthin gehen mußt, obwohl es eine Testmöglichkeit gibt. Ich konnte sie nur nicht vorschlagen. Remus hätte sich doch in jedem Fall angeboten. Was liegt denn näher?"

Severus Snape war zu verletzt, um einer vernünftigen Argumentation zugänglich zu sein. Er arbeitete verbissen an seinem Kessel, sagte die ganze Zeit kein einziges Wort, und als er schließlich sprach, war es nur, um ihr mit ätzender Höflichkeit nahezulegen, sein Labor auf der Stelle zu verlassen.

MacGillivray gehorchte, um ihn nicht weiter zu provozieren, aber Trotz, Bitternis und enragierte Enttäuschung schnürten ihr die Kehle zu, als sie gemessenen Schrittes die Kerker verließ.

xoxoxox

Der Weg führte sie schnurstracks zu Remus Lupins Quartier. Mit ihm würde man doch vernünftig reden können.

Der Werwolf erhob sich schwerfällig auf ihr Klopfen, um die Tür zu öffnen, aber sein düsteres Gesicht erhellte sich, als er die Besucherin erkannte.

"Was für eine angenehme Überraschung", lächelte er sichtlich erfreut, so daß es MacGillivray warm ums Herz wurde. "Seid ihr schon mit allem, fertig?"

Sie ließ sich auf einen Sessel sinken, zog ihre lange Robe zurecht und holte vernehmlich Atem.
"Ich weiß von deinem Angebot", sagte sie direkt. "Das ist sehr ehrenvoll von dir."

Lupin errötete; es war ihm äußerst unangenehm, auf dieses Thema angesprochen zu werden, um so mehr, wenn man ihn auch noch für seine Selbstlosigkeit bewunderte. Snape hatte es ihr
also mitgeteilt.

"Du bist meiner Frage ausgewichen", beharrte er. "Sonst hast du doch von früh bis spät mit Severus gearbeitet. Mir schien, ihr hättet euch zusammengerauft."

"Zusammenraufen ist ein Wort, das ich partout nicht ausstehen kann", informierte ihn MacGillivray unwillig. "Das klingt zu sehr nach Kompromiß. Außerdem trügt der Schein. Und außerdem", setzte sie verdrießlich hinzu, "habe ich dich gar nicht für so neugierig gehalten."

Lupins goldene Augen schimmerten belustigt. Noch vor kurzem hätte ihn eine solche Bemerkung der "arroganten Ravenclaw" zutiefst beschämt; inzwischen sah er hinter die Fassade und erkannte, wann sie es böse meinte.
"Hättest du mich aufgesucht, wenn es nicht dein Wunsch gewesen wäre zu reden?" gab er in einer passablen Imitation der Sprechweise Severus Snapes zurück und starrte sie unbeweglich an.

MacGillivray lachte ihr befreiendes, glockenhelles Lachen.
"Gute Menschenkenntnis."

Sie schlug ein Bein über das andere, drapierte die dunkelblaue Robe darüber und blickte sinnend in die schwelende Glut in Lupins Kamin.
Unwillkürlich kehrten ihre Gedanken zu Snapes mißglücktem Feuerzauber vor wenigen Stunden zurück. Er hatte entsetzlich ausgesehen: beschämt, derangiert, wütend, und wenn sie jetzt daran dachte, dauerte sie sein Leid. Hatte er nicht allen Grund, zornig und gekränkt zu sein? Sie hatte ihm die wohl wichtigste Information vorenthalten - es tat überhaupt nichts zur Sache, daß sie einen anderen schützen wollte und ohnehin fest damit rechnete, daß dieser selbst auf den Einfall kam; er, Snape, fühlte sich von ihr verraten, ausgerechnet von ihr, der er gerade erst begonnen hatte, ein winziges Quentchen Vertrauen zu schenken.
Ihre Entscheidung war gleichzeitig richtig und falsch gewesen, schloß sie frustriert; so etwas lernte man an keiner Hochschule, aber nun war daran nichts mehr zu ändern. Pragmatismus.

Mit etwas Glück würde sich der Zaubertrankmeister bis zum Abend beruhigen - wer das glaubte…! Noch bevor sich der Gedanke gänzlich formiert hatte, verwarf sie ihn auch schon wieder energisch. Eher würde im brasilianischen Regenwald Schnee fallen.

Dies lenkte ihr Denken zurück in praktische Bahnen. Es wurde höchste Zeit, daß sie sich informierte, wie das Projekt in Brasilien ohne ihre Aufsicht und Leitung vorankam. Wenn auch die Flamelstiftung große Stücke auf Albus Dumbledore hielt und es ihm zu Gefallen für sie ermöglicht hatte, ihre Arbeit außerplanmäßig zu unterbrechen, so hieß das jedoch lediglich, daß sie für eine bestimmte Zeit nicht vor Ort sein mußte. Zwischenberichte hatten selbstverständlich weiterhin pünktlich zu erfolgen und zwar von ihr persönlich.

"Ich habe soeben entschieden, daß ich doch nicht aus dem Nähkästchen plaudern möchte", sagte sie beinahe entschuldigend und erhob sich. "Hast du schon eine Verabredung zum Abendessen?"
Ihr Stolz verbot ihr, Severus Snape in Betracht zu ziehen; dabei überkam sie ein drängendes Gefühl ungestillter Sehnsucht, wenn sie nur flüchtig an ihn dachte. Allein, es diente keinem Zweck, sich anzubiedern; am besten ließ sie ihm Zeit und tat gar nichts.




 

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