Tortur

 

 

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Kapitel 23: Schnee im brasilianischen Regenwald



Severus Snape verkorkte die letzte Flasche eines fiebersenkenden Trankes, den er für die Krankenstation angefertigt hatte und brachte mit penibler Sorgfalt die Etiketten an, auf denen in seiner verschnörkelten, akkuraten Handschrift all jene Angaben zu finden waren, auf die er bei seinen eigenen Vorräten bisher verzichtet hatte. Es war ihm ein persönlicher Stolz, alle Details ohne Notizen im Gedächtnis zu behalten.

Erst seit seiner Haft hatte er begonnen, winzige Sicherungsaufzeichnungen zu hinterlegen; zu oft spielte ihm die Konzentration Streiche, foppte und narrte ihn mit Erinnerungslücken und hinterlistigen Falschinformationen.

Ein abgespannter Blick zur Uhr zeigte weit nach Mitternacht - wieder einmal zu spät, um Madam Pomfrey aufzusuchen. Snape konnte nicht behaupten, daß er dies sonderlich bedauerte; er zog sein Quartier der Krankenstation bei weitem vor.

Inzwischen war er so ausgelaugt, daß er sich auf dem Weg dorthin beim Schlurfen ertappte, er, der solche Nachlässigkeiten aus tiefster Seele verabscheute.
Das Bad würde bis zum Folgetag warten müssen; es erschien ihm schon utopisch, überhaupt die Kleider abzulegen.
Nach Robe und Stiefeln gab er abgekämpft auf und ließ sich, ohne einen weiteren Gedanken an irgend etwas zu verschwenden, zu Tode erschöpft auf sein Bett sinken.

xoxoxox

Albus Dumbledore schwante nichts Gutes, als am Morgen die einzige Antwort auf sein Klopfen an Snapes Bürotür ein ausgesprochen ruppiges "Ich bin beschäftigt!" blieb.
Nachdem der Tränkemeister dem gemeinsamen Frühstück abermals ferngeblieben war und selbst Madam Pomfrey, die sich ungeladen dazugesellt hatte, kundtat, sie sei in großer Sorge um ihn, obwohl sie für gewöhnlich ihre Belange allein zu klären pflegte, hatte sich der Schuldirektor sofort in die Kerker aufgemacht.
Daß auch Catriona MacGillivray nicht erschienen war, verwunderte ihn weniger; sie arbeitete bisweilen bis spät in die Nacht, ging früh in Snapes Labor und nahm dann Frühstück und Mittagessen zusammen ein, während für Snape beides ausfiel.

"Severus, muß ich durch die Tür mit dir reden?" rief Dumbledore laut genug, um einen vibrierenden Widerhall in den Gängen zu erzeugen, der in seiner Intensität Snapes Bestreben nach Diskretion auf den Plan rief.
Die Riegel sprangen quietschend beiseite. Dichte grünliche Schwaden umschlossen den Alten, während er sich langsam bis ins hintere Labor vorarbeitete.

Der Meister der Zaubertränke stand zwischen einem Kessel, unter dem ein gewaltiges Feuer loderte und von dem der Rauch elliptisch aufstieg und einer Kolonnendestillationsapparatur, die er mit Argusaugen kritisch überwachte.
Von Zeit zu Zeit gab er dem Löffel, einen hektischen Wink, der daraufhin selbsttätig die Richtung wechselte, so daß aus den Ellipsen Kreise wurden, während er selbst mit spitzen Fingern eine der Kolonne nachgeschaltete Spinne, ein Glasgebilde mit mehreren Vertiefungen zum Auffangen der verschiedenen Fraktionen, ein Kölbchen weiterdrehte.

Selbst die wabernden Nebel konnten nicht über Snapes schlechte Verfassung hinwegtäuschen. Die Robe schlotterte an seinem ausgemergelten Körper, sein langes, schwarzes Haar, strähnig durch Feuchtigkeit und Rauch, hob sich bizarr von der weißen Haut seines hohlwangigen Gesichtes ab, und seine brennenden dunklen Augen verliehen ihm einen gehetzten, übermüdeten Zug.

Es tat Dumbledore in der Seele weh, mitanzusehen, wie der Tränkemeister drei Tätigkeiten gleichzeitig ausführte (denn neben ihm auf dem Tischchen hatte er noch eine Mikrodestille ausgemacht, deren Temperatur ebenfalls peinlich genau überwacht werden wollte).
Er arbeitete nicht mit der für ihn typischen, souveränen Eleganz, die gewöhnlich jede seiner Bewegungen begleitete; vielmehr wirkte er unruhig, gejagt, getrieben durch eine unsichtbare Macht.

"Warum läßt du dir nicht von Miß MacGillivray helfen?"
Dem Schulleiter gelang das Kunststück, jegliches Bedauern oder gar Mitgefühl aus seiner Stimme fernzuhalten.

Snape zuckte verstockt die mageren Schultern. "Ich ziehe es vor, allein zu arbeiten", sagte er ausweichend.
Der Löffel im Kessel wechselte erneut die Richtung, und eine Handvoll getrockneten Bittersüßen Nachtschattens fand ihren Weg in die zischende Flüssigkeit.
Fast gleichzeitig wanderte die Spinne einen Kolben weiter. Wasserklares Destillat tropfte hinein.
Das Kölbchen wurde von der Mikrodestille abgekoppelt. Snapes Hände zitterten so, daß er befürchten mußte, das Glas zu zerbrechen.

Er sehnte sich danach, die Augen zu schließen, den schmerzenden Kopf an Catrionas Schulter zu lehnen - Augenblick, hatte sie ihn nicht auf das Hinterlistigste verraten? Wie verwirrt und ohne jeden Stolz konnte jemand sein, der dies vergaß?!

Apropos… um ein Haar hätte er die Spinne nicht weitergedreht, und alle Arbeit wäre umsonst gewesen. Nicht auszudenken, wie er durch einen solch dummen Fehler noch weiter in Verzug geraten wäre.
Wenn er nur besser geschlafen hätte; die letzte Nacht war grauenvoll gewesen, alptraumgeplagt, aus denen das Erwachen bisweilen ganz und gar unmöglich erschien.

Wieso stand der Direktor immer noch da?
"Ich mache keine Schauvorführung", hörte er sich mit einer Stimme sagen, die vor Ironie troff.
Für gewöhnlich pflegte er den Schulleiter von seinem bissigen Zynismus auszusparen, teils aus pflichtbewußter Höflichkeit, teils aus einem grimmigen Respekt heraus. Snape hätte nicht sagen können, warum er gerade jetzt eine Ausnahme machte. Leid tat sie ihm trotz allem nicht.

Die Kolonnendestillation zu seiner Rechten kam zum Ende. Er unterbrach den Hitzezauber und begann, die einzelnen Fraktionen aus den Vertiefungen der Spinne in kleine Phiolen zu überführen.

Der Wunsch, sich einen Moment zu setzen, auszuruhen, nahm immer groteskere Formen an. Snape malte sich aus, wie es wäre, ihm nachzugeben, aber dann würde er den Kessel nicht mehr im Blick haben; die Destillate reinigte man am besten auf, solange sie noch heiß waren und… richtig, Dumbledore! Er würde es womöglich fertigbringen, ihn auf der Stelle ins Lazarett zu verbannen, wenn ihm auch nur der Funke eines Zweifels kam, daß er, Snape, anders als vollkommen sicher seine Aufgaben erfüllte.

Wenn ihm nur nicht so schwindlig wäre. Der Tränkemeister versuchte, mit verschleiertem Blick Belladonnatinktur abzumessen, aber die Tropfen verschwammen vor seinen Augen, so daß er zähneknirschend und widerstrebend Dumbledore bat, bis neun zu zählen.
Seine Schwäche so zum Markte zu tragen, war zwar schändlich und in jedem Falle unverzeihlich, aber immer noch einem Neubeginn vorzuziehen, jetzt, da seine Tage noch weniger Stunden zu haben schienen, um all die Pflichten zu erfüllen und er in den kläglichen Nächten von Alpträumen geplagt wurde.

Das kraftvolle "Arrestro momentum" aus Dumbledores Mund kam gänzlich unerwartet. Der Alte lächelte milde und gebot Snape, Platz zu nehmen.
"Deinen Reaktionen wird nichts geschehen."

Der Zaubertrankmeister blinzelte irritiert, bevor er scheinbar gleichgültig gehorchte (zumindest verebbte der Schwindel soweit, daß er wieder einigermaßen klar sehen konnte), ließ es sich jedoch nicht nehmen, dabei zu fauchen: "Vielen Dank, aber ich bin durchaus über die Eigenschaften eines Arretierzaubers orientiert."

Wenn er etwas aus tiefster Seele verabscheute (neben Unpünktlichkeit, Disziplinlosigkeit und Dumbledores Süßigkeiten), dann war es, gönnerhaft behandelt zu werden, im besonderen von Leuten wie dem Direktor, die auf alles eine Antwort zu wissen schienen.

"Ich lege dir dringend nahe, wieder mit Miß MacGillivray zu arbeiten", sagte der Alte übertrieben freundlich, ohne von Snapes verschnupftem Gesichtsausdruck Notiz zu nehmen.

"Und ich pflege meine Aufgaben nicht zu delegieren", entgegnete der Tränkemeister hochmütig und starrte unbeweglich auf den in der Zeit fixierten Kessel.

Albus Dumbledore zwirbelte gedankenverloren eine Strähne seines silbernen Bartes zwischen den Fingern und betrachtete sein junges Gegenüber mit unendlich gütigen, blauen Augen.
"Ich bitte dich darum", sagte er weich.

Snapes schmale, blasse Lippen verzogen sich in verächtlicher Bitterkeit. Der Peitschenhieb, ausgeführt durch eine samtene Hand, blieb doch ein Hieb.
Dumbledores leutselige Bitten - natürlich einzig zu seinem Besten, wie er ihm kategorisch versichern würde - hätten verlogener nicht sein können; für Snape waren sie nichts anderes als sprichwörtliche Wölfe im Schafspelz: Befehle als Bitten getarnt, die er niemals abschlagen konnte.
Die Hilflosigkeit, ihm derart ausgeliefert zu sein, erbitterte ihn; er vergrub die Hände in den Falten seiner Robe, preßte den Mund trotzig zusammen und zuckte eigensinnig die Schultern.
"Wie du wünschst", zwängte er durch kaum geöffnete Zähne, aber in seinen Augen brannten Enttäuschung und eine Unversöhnlichkeit, die Dumbledore erschreckte.

"Ich schicke Catriona zu dir" offerierte er ungeachtet dessen mit ausgesuchter Liebenswürdigkeit, stand auf und hob zum Abschied die Zeitarretierung wieder auf.

xoxoxox

Snapes Zorn war unbändig. Der Kessel entging nur durch den glücklichen Umstand der mutwilligen Zerstörung, daß der Ansatz zuviel Zeit gekostet hatte, um unnötigerweise innerhalb von Sekunden vernichtet zu werden.
Stattdessen ergriff er wild die gut erreichbare Mikrodestille und schmetterte sie in blindwütiger Raserei in den Kamin, wo sie in Myriaden feinster Splitter zerschellte.

Ein bebendes "Reparo!", das erfolglos blieb, ein um so aufgebrachteres Schwenken des Zauberstabes, dann war plötzlich MacGillivray da, die abfällig mit der Zunge schnalzte, ihm die jetzt wieder unversehrte Apparatur in die zitternde Hand drückte und über den Rand ihrer Brille hinweg kühl betonte: "Solltest du es vorziehen, dir selbst eine neue aus der Winkelgasse zu beschaffen, so empfehle ich Ferula Chironas Feine Glaswaren. Andernfalls nimm diese hier."

Seine Finger umschlossen hilflos das Glas; sie verspottete ihn, aber Jähzorn und Unbeherrschtheit hatten ihn erst in diese peinliche Lage gebracht, und wenn er zu aufgewühlt war, ein simples 'Reparo' zustande zu bringen, um sich aus der Bredouille selber zu befreien, geschah ihm der Spott ganz recht.

"Ich bin auf Dumbledores Wunsch hier", informierte MacGillivray frostig und sah in seinem Büro umher, als sähe sie es zum ersten Mal.
Er sollte nicht spüren, wie sehr es ihr leidtat, ihn verletzt zu haben; sie bedauerte aus tiefster Seele, daß Dumbledore ihm nun auch noch zum zweiten Mal befohlen hatte, sich von ihr helfen zu lassen; ein schwerer Schlag für einen so stolzen, stets auf Unabhängigkeit bedachten Mann. Gewiß, dem Direktor lag Snapes Wohlergehen am Herzen; ihr hatte er erklärt, er wirke geschwächt und habe Assistenz unbedingt nötig, aber um welchen Preis? Hatte der Alte versucht, seinem Tränkemeister klarzumachen, daß eine Möglichkeit immer Rückzug darstellte?
Sie bezweifelte es. Natürlich würde Snape diese Option überhaupt nicht als solche angesehen haben und eher noch trotziger bis an die äußersten Grenzen seiner Kraft gehen, aber mußte man ihm nicht wenigstens ein einziges Mal sagen, daß er auch noch geschätzt und geachtet werden würde, wenn er die Aufgabe ablehnte?

Ein wahres Dilemma. MacGillivrays Augen verrieten längst etwas von den Emotionen, die durch ihren Körper brausten, und Snape, der ihren Blick als Mitleid verkannte, ruckte barsch mit dem Kopf, so daß ihm die schwarzen Strähnen, klebrig vom Dampf, in die Stirn fielen.
Eine unwillige Geste seiner Hand schob sie zurück, und er bestätigte eisig: "So ist es. Aber da mir der Wunsch des Direktors Befehl sein muß, kannst du ebensogut mit dem 'Scheckentod' beginnen."

Scheckentod? Das konnte doch nicht sein Ernst sein so kurz vor dem großen Tag. MacGillivray gab sich keine Mühe, ihr ungläubiges Gesicht zu verbergen.

"Unser Wildhüter, Hagrid, bat um eine baldige Lieferung für seine Pflanzungen", entgegnete Snape unbewegt, aber in seinen Augen tanzte Spott wie ein heimtückisches Irrlicht, bereit, jeden, der zu lange hinsah, auf ewig in die Sümpfe, dem sicheren Verderben zuzuführen.

"Wie du willst." Sie legte die Brille ab, schnallte achselzuckend den Utensiliengürtel um und feuerte einen Kessel an.
Wenn er glaubte, sie auf diese kindische Art erniedrigen zu können, so war er auf dem Holzweg. Der Schaden fiel allein ihm zu, aber vielleicht gefiel er sich in der Rolle des Märtyrers.

Kaum, daß sich der Gedanke in ihren Geist gestohlen hatte, bereute sie ihn auch schon wieder.
Er war ebenso stur, trotzig und willensstark wie sie selbst - von Zeit zu Zeit ließen sich einige Dummheiten einfach nicht vermeiden, wollte man nicht doch nachgeben müssen.

"Solltest du wider Erwarten entscheiden, daß ich vielleicht doch eine noch dringlichere Aufgabe erledigen soll", sagte sie lächelnd, "laß es mich ruhig wissen."

Snape tat, als habe er sie nicht gehört, obwohl er sich insgeheim über seinen unbedachten Trotz ärgerte, mit dem er sich nicht nur lächerlich gemacht, sondern der ihm auch kein bißchen geholfen hatte.
Natürlich hatte sie ihn durchschaut; der 'Schneckentod' konnte sogar von Hagrid aus warten bis zum nächsten Frühjahr; ausgesprochen rücksichtsvoll von ihr, ihm nicht auch noch unter die Nase zu reiben, daß eine Schneckenplage in diesen Breitengraden selten den Herbst überdauerte.

Hin und wieder, gestand er sich zögerlich ein, war es vielleicht nicht nötig, mit ihr streiten?
Unwillkürlich schob sich die Erinnerung an ihre letzte Verbindung vor sein geistiges Auge; in Wahrheit fühlte er sich so sehr zu ihr hingezogen, daß es ihn unbändig erschreckte; er ersehnte sie, wünschte sich nur einen Moment des selbstvergessenen Glücks zurück, das er mit ihr erlebt hatte.

Der Tränkemeister schüttelte energisch den Kopf, aber die Gespinste aus Tagträumen und unvergänglicher Sehnsucht ließen sich nicht widerstandslos verscheuchen. Inmitten der silbrigen Fäden pirouettierte ihr egoistischer Verrat mit aufmerksamkeitsheischender Beharrlichkeit, wurde aber von den Fluten seiner aufgewirbelten Gedanken überspült.

"Gut!" sagte er schließlich gereizt und trat so dicht neben sie, daß MacGillivray unwillkürlich einen Schritt zurückwich.
"Vergiß den 'Schneckentod' und nimm dir stattdessen Madam Pomfreys Blutstillelixier vor."
'…wer weiß, ob es nicht schon bald benötigt wird', fügte er wortlos hinzu und lächelte ein sprödes, galgenhumoriges Lächeln, das Catrionas instinktives Aufbegehren wie Eis über einem glühenden Kessel schmelzen ließ.
Ungeachtet dessen konnte sie sich einen bissigen Kommentar nicht verkneifen, doch Snape, der sich in die Aufzeichnungen über den Werwolftrank vergraben hatte, zog es vor, sie komplett zu ignorieren.
Zweimal an einem Tag nachzugeben (Die Niederlage gegen Dumbledore zählte nicht; gegen dessen Befehle war er machtlos.), überstieg eindeutig den Bereich des Möglichen.

xoxoxox

Am späten Abend, als Snape alle Vorbereitungen getroffen hatte, um den Werwolftrank am folgenden Morgen zu brauen und ihn dann Lupin zu verabreichen, wandte er sich Catriona MacGillivray zu, die eben ihren letzten Trank in bauchige Flaschen füllte.

Sie hatten den ganzen Tag allenfalls in scharfen Sticheleien kommuniziert, und Snape, der sonst keine Gelegenheit verstreichen ließ zu zeigen, daß er das Schwert seiner Zunge meisterlich zu führen wußte, beschloß, sich etwas Ruhe zu gönnen. Ihr permanenter Zweikampf erschöpfte ihn und begann, anstelle ihm Anregung und Inspiration zu sein, unnötig Kraftreserven aufzubrauchen.

"Deine Assistenz war… sinnvoll", sagte er zögernd und blickte beinahe verlegen an ihr vorbei auf einen Pausbäckigen Waldolm, der in grünlicher Lösung schwamm.

MacGillivray lächelte verhalten. Sie glitt zu ihm hinüber und streifte dabei so sacht seine kalte, rauhe Hand, daß er die Berührung mehr als surrealen Widerhall wahrnahm, denn als echten Kontakt.

"Wenn du morgen Zeit hättest", begann der Tränkemeister langsam, "wäre es mir recht, du kämst um sieben."

Ein Grinsen huschte über ihre aristokratischen Züge, das Snape für ihre Reaktion auf die frühe Stunde hielt.
Gerade, als er bitterböse spotten wollte, lächelte sie beunruhigend freimütig und sagte: "Lieber halb sieben, sonst müssen wir uns beim Frühstück so beeilen."

Die Belustigung überkam ihn mit ungewohntem Überschwang. Er ließ es zu, daß sich die Heiterkeit in seine unergründlichen Augen stahl und bemerkte mit gespieltem Ernst: "Du weißt doch, daß ich nicht frühstücke."

"Und du weißt", gab sie neckend zurück, "daß du extra für mich eine Ausnahme machst."

Irrte er sich, oder spiegelte sich eine laszive Zuneigung in ihren betörenden Augen?
Ihr kupfernes Haar wirkte bald kastanienfarben, bald mahagoni, und Snape fragte sich sekundenlang, ob das Farbspiel allein dem schlechten Licht in seinem Labor geschuldet sein konnte.
Unmöglich, dem überwältigenden, einzigartigen Gefühl von Sehnsucht und Verlangen nicht nachzugeben. Ausgeschlossen, sich ihrem kapriziösen, feindosierten Charme zu verschließen, ausgeschlossen…
Sie hatte seine Sinne mit einer Meisterschaft verwirrt, die ihn gleichzeitig erschreckte und faszinierte.

Ihre wundervolle Nähe ließ ihn vergessen; ihr Haar war weich wie Seide; sie schmeckte nach Mentha aquatica mit einem Hauch von Oleander - sollte ihm das Herz stehenbleiben, gewiß nicht davon.
Snape erinnerte sich kaum, daß sie sein Büro verlassen und sich in sein Quartier begeben hatten; jede ihrer Berührungen hinterließ winzige Supernovae auf seiner kalten, glatten Haut; utopisch, sich von ihr zu lösen, schmerzlich, auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden; verrückt zu glauben, sich einer solchen Macht entziehen zu können.

Er umklammerte sie mit dem obsessiven Wahnsinn eines Berauschten, und MacGillivray, deren Sehnsucht nicht minder gewesen war, erwiderte seine Nähe in unverkrampfter, genußvoller Selbstverständlichkeit, versank im Gleichklang ihrer erregten Herzschläge, tauchte mit ihm ein in die Welt synchronen Erlebens, bis sie ihre vereinigten Körper nur noch als Ganzes wahrnahmen und es wirklich keinen vorstellbaren Grund mehr gab, sie jemals wieder zu entzweien.

Auch, als die erste Euphorie abgeklungen war, lösten sie sich kaum voneinander, zu sehr das Gefühl, ein unsichtbares Band zu zerreißen, zu übermächtig das Bedürfnis, dem anderen nahe zu sein… zu knisternd präsent noch die erotische Spannung, die wie irisierende Fünkchen schierer Leidenschaft aus MacGillivrays jetzt jadegrünen Augen sprühte und von Snapes schwarzen Pupillen unwiederbringlich angezogen und reflektiert wurde.

Sich hingeben, ihr seidige Haut spüren, eins sein mit ihren Gedanken… nichts anderes hatte mehr eine Bedeutung, wenn er mit ihr zusammen war.
Er begehrte sie, ersehnte sie mit jeder Faser seines verhungerten Körpers und ohnehin mit dem gesamten Geist.

Nannte man das Liebe? War es das, was Eileen Prince zumindest am Anfang für den Muggel Tobias Snape empfunden hatte?

Er riß sich gewaltsam von dem Gedanken los; auf keinen Fall würde er sich dies verderben lassen, und als wüßte MacGillivray, was ihn quälte, strich sie ihm sanft durchs Haar und begann, mit beharrlicher Zärtlichkeit, die Umrisse seiner spitzen Schlüsselbeine nachzuzeichnen.
Er schauderte; das Gefühl war gleichzeitig unangenehm und prickelnd willkommen.

Catriona lächelte amüsiert; der verschlossene Tränkemeister war außergewöhnlich: beherrscht und kontrolliert, fordernd, unter den vielen Lagen schweren Stoffes unsagbar verletzlich und voller verborgener Leidenschaft.
Kaum jemals zuvor hatte sie so tief, so unverbrüchlich empfunden; er bedeutete ihr mehr, als sie beschreiben konnte, und dennoch wagte sie nicht, an Liebe zu denken. Zu unwiederbringlich, zu endgültig, wenn er das Gefühl nicht teilte.

Seine feingliedrigen Hände - inzwischen von arktischem Eis zu den Wassern schottischer Lochs aufgetaut - zogen sie an sich, erforschten sie neu, wanderten ihren Rücken in der Mulde der Wirbelsäule entlang, so daß sie eine wohlige Gänsehaut überlief.
Sie schmiegte sich an ihn, ertrank in seinem hungrigen Kuß, verschmolz mit seinem mageren, zerbrechlichen Körper, bis selbst ihre erhitzten Atemzüge eins wurden und sie sich im lusttrunkenen Taumel euphorischer Empfindungen verloren.

xoxoxox

"Ich kann nicht sagen, daß du mir nichts bedeutest", bemerkte MacGillivray in einer eigentlich für Snape typischen Untertreibung, als sie Äonen später atemlos und bebend in die bewußte Welt zurückkehrten.
Noch immer bestand keine Veranlassung, ihre exaltierten, von einem feinen Film glasklarer Transpiration bedeckten Leiber mehr als unbedingt bequem zu trennen.

Der Tränkemeister zog sie enger an sich - eine überschwenglichere Geste hätte sie sich von einem so reservierten, ernsten, geradezu berührungsphobischen Menschen wie Severus Snape nicht wünschen können.

Er schien es auf eine seltsame, temporäre Art aufgegeben zu haben, seine Hingezogenheit und sein Verlangen nach ihr mit rücksichtsloser Gewalt in ein Verlies zu sperren, aus dem es kein Entrinnen gab.
Beinahe wirkte er entspannt und zufrieden im Zusammensein mit ihr. MacGillivrays Lippen kräuselten sich unwillkürlich in einem vergnüglichen Lächeln.
Sie fühlte sich augenblicklich phantastisch und suchte instinktiv, die spröde, unterkühlte Nähe seiner abgezehrten Gestalt erneut zu erwärmen.

In Snapes nachtschwarzen Augen blitzte etwas, das Catriona, hätte sie es nicht besser gewußt, als eine Spur von Frivolität identifiziert hätte.

"Ich dachte gar nicht, daß du soviel Vergnügen an Inkonsequenz findest", sagte er so ernst, daß sie einen vollen Atemzug benötigte, um zu begreifen, daß er sie aufzog.

"Dann sind wir uns ja immerhin darin einig", gab sie herausfordernd zurück und bemühte sich redlich, seinen unverschämten, kalten Ausdruck zu kopieren.

Sie fixierten sich mehrere Minuten lang, so dicht aneinandergeschmiegt, daß sein blasses Gesicht selbst vor Catrionas kurzsichtigen Augen zu verschwimmen begann.
"Gleichstand", platzte sie schließlich lachend heraus, versetzte ihm einen Nasenstüber und wandte den tränenden Blick zur anderen Seite.

"Wohl kaum", versetzte Snape trocken, überrascht, aber nicht verblüfft durch soviel Unverfrorenheit. "Du hast nachgegeben."
Er rieb sich demonstrativ die Nase.

Das Gefühl, sie so nahe bei sich zu spüren, tat unendlich wohl. Zum ersten Mal seit Jahren graute ihm nicht vor dem Schlaf; sie nahm sein ganzes Bewußtsein in Anspruch, gab ihm einen seltsamen Frieden, der von Dauer nicht sein konnte und dennoch einen herrlich dämpfenden Mantel über den Strudel seines aufgewühlten Denkens breitete.


 

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