Tortur

 

 

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Kapitel 24: Die Generalprobe



"Warum bist du noch hier?" Die Frauenstimme klang traurig mit einer Mischung aus Unverständnis und Bedauern.

"Weil ich niemand bin, der beim ersten Problem davonläuft", erwiderte die Angeredete ungeduldig und schob sich mit einer nachlässigen Bewegung eine unordentliche Strähne seidigschwarzen Haares aus den Augen.

Eileen Prince war nie eine Schönheit gewesen, aber sie hatte es verstanden, sich mit einer Aura aristokratischer Unnahbarkeit zu umgeben, die ihr ein gewisses Maß an Besonderheit verlieh.
Was ihr an Attraktivität fehlte, hatte sie durch einen messerscharfen Verstand und eine nicht minder fähige Zunge teilweise kompensiert, obgleich es nicht wenige gab, die sich vor ihrer schonungslosen Direktheit fürchteten. Sie war eine begabte Hexe, die seit "diesem Unfall", wie ihre Tante, an die sich Severus Snape beim besten Willen nicht erinnerte, die Heirat mit seinem Vater, Tobias Snape nannte, ihr immenses Potential ungenutzt brachliegen ließ und der unablässigen Verderbnis aussetzte.

"Erstes Problem", schnaubte die Tante abfällig und stemmte entrüstet die Hände in die Hüften. Sie hängte ihre Besuche bei der Nichte nie an die große Glocke; immerhin hatte ihr Bruder das Mädchen des Hauses verwiesen, weil es darauf bestanden hatte, mit diesem Mann zu gehen, der nicht nur ein Muggel, sondern auch noch so gut wie mittellos war.

Mara Prince richtete irritiert den Zauberstab auf die enge, schmuddelige Küche, die daraufhin innerhalb von Sekunden aufgeräumt und blank aussah.
"Schon besser", murmelte sie zufrieden. "Wirklich, Eileen, ein kleines 'Purificare' von Zeit zu Zeit…"

"Ich reinige von Hand", sagte die Jüngere stolz. "Tobias" -

"Verschon mich", lachte ihre Tante in gespieltem Entsetzen. "Vielleicht schlägst du ihm mal vor, die Hausarbeit zu übernehmen, wenn er nicht will, daß du zauberst - was an sich schon den Tatbestand eines Frevels erfüllt."

Eileens Züge verhärteten sich. Natürlich hatte ihr eine solche Bemerkung schon selbst auf der Zunge gelegen, aber aus Loyalität und Liebe zu ihrem Mann hatte sie sie nie laut geäußert, und die Wahrheit aus dem Mund eines anderen zu hören, tat weh.

"Tobias arbeitet den ganzen Tag", sagte sie darum kühl und wandte sich ab. Trotzdem reichte es kaum zum Leben.

"Du und dein elender Stolz."
Mit einem Seufzer stellte die Tante das Abendessen zusammen, um der Nichte das Kochen nach Muggelart zu ersparen.
Eileen wirkte in der letzten Zeit besonders mürrisch und verschlossen, aber sie war nicht bereit, wenigstens einen Teil ihrer offensichtlichen Sorgen preiszugeben.
Sturheit und unnachgiebige Dickköpfigkeit vererbten sich mit erstaunlich vorhersagbarer Präzision, überlegte Mara Prince und dachte an ihren Bruder, Eileens Vater.

"Bei Merlin, was ist denn so schwer daran, einen Fehler zuzugeben?" drängte sie die Nichte, deren Blick noch immer an dem ausgetretenen Fußboden klebte. "Ich bin sicher, daß" -

"Was soll das denn?" fuhr die jüngere Frau plötzlich auf und funkelte ihre Tante zornig an. "Ich kann keinen 'Fehler' eingestehen, weil es keinen einzugestehen gibt. Ich liebe ihn und er mich. Schluß jetzt damit!"

Sie marschierte ins Wohnzimmer, das diese Bezeichnung in seiner vollgestopften Enge kaum verdiente und ließ sich in den einzigen abgewetzten Sessel fallen.
Alles so anders als früher, als…daheim.

Die Haustür ging, und ein drahtiger junger Mann mit lackschwarzem, pomadisiertem Haar stand in Ermangelung eines Korridors direkt im Zimmer.
Er war in einen schmutzigen Overall gekleidet, die Hände braun von Öl und schmierig, in den stechenden Augen einen Ausdruck aufrührerischen Draufgängertums, der Mara Prince ein kühles, beinahe herablassendes Lächeln abnötigte.

Das verkniffene Gesicht ihrer Nicht erhellte sich jedoch wie durch Magie, die, obgleich in diesem Haus unerwünscht, einen geheimen Weg hinein gefunden zu haben schien.
Sie erhob sich mit einer Geschmeidigkeit, die Mara ihren kantigen Bewegungen nicht zugetraut hätte und ließ sich von dem Neuankömmling mit einem triumphierenden Lächeln in die Arme schließen.

"Alles in Ordnung?" Er zog sie besitzergreifend an sich, so daß seine Hände Flecken auf ihrem hellen Musselinkleid hinterließen, musterte den Gast über ihren Kopf hinweg einen Moment lang unbewegt, bevor er seine Aufmerksamkeit wieder seiner Frau zuwandte, die, so schien es Mara Prince, seine Nähe mit einer seltsamen Duldsamkeit halb ertrug, halb genoß.

"Bleibst du zum Essen?" erkundigte sich Tobias Snape schließlich, nicht einmal unhöflich, vielmehr gleichgültig, während er in die Küche stiefelte, um sich mit großem Aufwand die Hände zu schrubben.

'Besser nicht', bedeutete ihr Eileen, aber Mara Prince hätte ohnehin abgelehnt.

Dies war das letzte Mal in einer langen Zeit, daß sie die Nichte sah. Eileen begann, sie zu meiden, gab vor, zu beschäftigt zu sein, um sie zu treffen.
Es war die winzige Anzeige im Tagespropheten, aus der sie schließlich eines kalten Januarmorgens von der Existenz ihres Großneffen erfuhr.

xoxoxox

Severus Snape erwachte zögerlich, widerstrebend und mit Kopfschmerzen, die jedem Alraunenwein in noch so großer Menge spotteten.
Der Traum war so real gewesen, daß er unwillkürlich den Zauberstab entzündete, um sicherzugehen, daß er sich noch in Hogwarts und nicht etwa in Spinners End, dem jämmerlichen Haus seiner Eltern, befand.
Allein der Gedanke daran verstärkte das Kopfweh und jagte ihm einen heftigen Schauer über den Rücken.

Catriona MacGillivray, die nie desorientiert zu erwachen schien, ganz gleich, wo sie sich befand, langte lautlos nach dem eigenen Zauberstab, fing das aufgerufene Fläschchen trotz der spärlichen Beleuchtung geschickt und reichte es ihm noch immer ohne ein überflüssiges Wort.

'Curatio Micraniae'. Snape stürzte die Flüssigkeit eilends hinunter; bedeutungslos, daß sie von seinem Zustand eigentlich nichts wissen konnte, wunderbar beruhigend, so umsorgt zu werden.

Der hämmernde Schmerz ließ fast augenblicklich nach. Snape rieb sich die Augen. Neben ihm lächelte MacGillivray erleichtert und strich ihm sacht über die Schultern.
Das feste mentale Band zwischen ihnen ermöglichte es ihr, seine Träume mitzuempfinden, wann immer sie eine bestimmte Intensität erreichten; allein, sie verstand nicht zur Genüge, wieso ihn Erinnerungen an seine Mutter über alle Maßen aufwühlten.

"Nicht an, sondern von", korrigierte er sie geduldig. "Sie hat mir niemals von diesen Dingen erzählt. - Es scheint, das Zusammensein mit dir hat eine… besondere Wirkung auf mich."

Sein säuerliches Lächeln sandte Wellen sonnigen Wohlbehagens durch ihre Brust, und die ganze Eigenart der Szenerie entlockte ihr ein breites Grinsen.
Sie befand sich in Severus Snapes Quartier, lag völlig entspannt und zufrieden neben ihm - sie hatte die Nacht mit dem verschlossenen Zaubertrankmeister verbracht, der in all seinem grausam-spöttischen Sarkasmus so verletzlich und trostsuchend wirkte, der sogar begonnen hatte, ihr ein ganz klein wenig zu vertrauen.

Es überraschte sie, wie gut ihr die Vorstellung gefiel, die berauschende Zweisamkeit der Nacht fortzusetzen, und das eigenartige Licht in seinen Obsidianaugen verriet ihr, daß er ihre Gedanken kannte und allem Anschein nach teilte.

Im Nachhinein beglückwünschte sich Catriona für den Moment der Zurückhaltung, denn er verzog die Lippen zu einem bald anzüglichen, bald spöttischen Lächeln und stellte fest: "Es ist halb sieben. Entweder… dies oder Frühstück."

Die Schottin blinzelte amüsiert. Noch eine Facette, die sie ihm nie und nimmer zugetraut hätte.
Sie bedachte ihn mit einem besonders tiefen Blick aus schillernden, malachitgrünen Augen und entgegnete rauchig: "Wenn das so ist - natürlich Frühstück!"

Sein verblüfft-enttäuschter Gesichtsausdruck erheiterte sie noch mehr, so daß sie ihn prustend umarmte, bevor sie sich elegant erhob und die Kleider anlegte.
Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätten sie in beidem geschwelgt - schön nacheinander und mit wohldosiertem Genuß, aber er hatte natürlich Recht, sie war nicht zu seinem Vergnügen hier, und sie dachte gar nicht daran, ihm einen weiteren Grund für das Auslassen von Mahlzeiten zu liefern, ganz gleich wie verlockend dieser auch sein mochte.

Nach dem Frühstück, das Snape trotz aller aufgetafelter Köstlichkeiten (die von ihm allerdings ohnehin nur mit einem mißtrauisch-scheelen Blick bedacht worden waren) und obwohl MacGillivrays Kaffeebecher noch gut gefüllt war, um punkt sieben Uhr beendete, begaben sich beide in seltener Eintracht (Catriona ließ den Kaffee neben sich herschweben; sie hatte den Vorfall nicht für würdig befunden, Anlaß eines erneuten Streites zu werden) in Snapes Labor und begannen den Werwolftrank.

Sie sprachen kaum. Ebenso wie der reservierte Tränkemeister schätzte es MacGillivray, in konzentrierter Ruhe zu arbeiten; jeder Handgriff schien aufeinander abgestimmt, natürlich perfekt, kein bißchen einstudiert.

Snape hielt sich penibel an seine Aufzeichnungen; auf gar keinen Fall wollte er es riskieren, jetzt einen Fehler zu begehen, obschon er alle Schritte und Zutaten selbstverständlich auswendig wußte. Insgeheim wurmte es ihn, daß MacGillivray ebenfalls keinen Blick auf sein Pergament warf. Entweder verfügte sie über eine weitaus bessere Konzentration als er - was, wenn er es recht bedachte, in seinem desolaten Zustand auch kein Wunder war, oder sie war deutlich weniger kurzsichtig, als sie einen glauben machen wollte.

Um die Mittagszeit neigte der Tränkemeister den Kopf, blickte gefällig über den Kessel, in dem der frische Werwolftrank noch heiß simmerte und strich sich abwesend lange Strähnen aus den Augen.

"Hol mir Lupin her!" befahl er in einem Ton, den man gut und gern als unfreundlich bezeichnen konnte.
Wirklich wölbte MacGillivray spöttische Brauen, schürzte die Lippen und sagte glatt: "Wie du befielst, großer Meister. Soll ich mich eventuell auch noch verneigen?"

Snapes Augen ruhten für den Bruchteil einer Sekunde auf ihr; ein irritiertes Flackern, dann löschte er die Glut unter dem Kessel und sagte mit einem Anflug gnädiger Herablassung: "Nicht nötig."

Sie ballte die Fäuste und verließ gemessenen Schrittes und hoch erhobenen Hauptes das Büro. Die ganze Gewalt ihrer Wut entlud sich an der Tür, die so wuchtig ins Schloß krachte, daß selbst Snape, der sich ohne Eitelkeit rühmen konnte, selbst ein wenig vom Türenknallen zu verstehen, erschreckt zusammenfuhr und einen Moment ehrfurchtsvoll verharrte, bevor er seine Beschäftigung wieder aufnahm.

xoxoxox

Remus Lupin öffnete die Tür einen Spaltbreit und streckte mißtrauisch den Kopf hindurch, um zu sehen, wer es wagte, ihn so kurz vor der Verwandlung zu stören.
Ohne den dämpfenden Einfluß des Wolfsbanns quälten ihn sämtliche Vorboten der Transformation mit unbarmherzigem Nachdruck. Die Gliedmaßen waren steif wie bei einem alten Mann und schmerzten; es brannte in allen Eingeweiden, Licht reizte die blutunterlaufenen Augen, und Halluzinationen verwirrten seine bewußte Wahrnehmung.

Am schlimmsten empfand er jedoch die zunehmende Veränderung seines Wesens; er wurde roh und ungezügelt, gierig und lüstern nach Dingen, die er sich sonst nicht einmal vorzustellen pflegte, aus Angst, Attacken übermächtigen Ekels hilflos ausgeliefert zu sein.

"Catriona." Ein müdes Lächeln huschte über sein graues Gesicht. "Das ist kein guter Zeitpunkt für einen Freundschaftsbesuch."

"Ist es auch nicht", sagte sie rasch, damit er ihre Besorgnis nicht bemerken sollte. "Professor Snape schickt mich. Es ist Zeit."

"Oh." Lupin schluckte. Vergeßlichkeit und eine rücksichtslose Ignoranz aller um ihn her ablaufenden Vorgänge gehörten ebenfalls zu den Symptomen. Aber nun erinnerte er sich - er selbst hatte den ach-so-hehren Vorschlag gemacht, und daß er sich dessen nicht mehr entsonnen hatte, entbehrte nicht einer gewissen Ironie.

"Ich komme", murmelte er beschämt, trat ohne sich noch einmal umzusehen, auf den Flur hinaus und folgte MacGillivray schlurfenden Schrittes. Seine ganze Erscheinung spiegelte Trotz, Abwehr und eine sonderbare Reizbarkeit wider - ein krasser Gegensatz zu seinem sonstigen harmonisch-sanftmütigen Naturell.

Die Veränderung war so offensichtlich, daß sie mit etwas Glück tatsächlich brauchbare Ergebnisse erzielen würden.
MacGillivray schüttelte den unwillkommenen Gedanken an Schuld energisch ab. Sie alle mußten Opfer bringen in diesem Kampf, das hatte sie von Snape gelernt. Konnte es da so verwerflich sein, ein wissenschaftliches Interesse an der Sache zu haben?

Nicht zum ersten Mal, seit sie den Zaubertrankmeister näher kennengelernt hatte, drängte sich ihr die Frage auf, ob es für sie überhaupt einen Rückweg nach Brasilien gab.
Konnte sie guten Gewissens in ihr altes Leben zurückkehren und vorgeben, der Kampf beträfe sie nicht, während Menschen, die ihr etwas bedeuteten ('Sehr viel bedeuten', korrigierte sie ihr Gewissen nachdrücklich.) ihr Leben riskierten?
Andererseits, in Hogwarts war sie zu nichts nütze, und selbst wenn es einen Lehrauftrag für sie gegeben hätte - das Letzte, was sie wollte, war vor einer Bande von im besten Falle desinteressierten Schülern zu stehen und ihr Potential zu verschwenden.
In dieser Hinsicht deckte sich ihre Ansicht vollkommen mit der des Tränkemeisters, doch er war, im Gegensatz zu ihr, hier gefangen.

Sie wiegte nachdenklich das Haupt und schob die Grübeleien zunächst beiseite. Sie hatten Severus Snapes Büro erreicht.

"Lupin." Der Tränkemeister bedeutete ihm mit einer unwirschen Kopfbewegung, Platz zu nehmen und schöpfte weinrote Flüssigkeit mit größter Sorgfalt in einen irdenen Becher. Anstelle ihn jedoch Lupin in die Hand zu geben, placierte er das Gefäß auf seinem Schreibtisch, entrollte ein frisches Pergament und zückte die Feder.

"So, wenn du jetzt die Freundlichkeit hättest, Angaben zu machen zu subjektiven physischen und psychischen Veränderungen…", forderte er so barsch, daß es nicht nur den Angeredeten, sondern auch Catriona eiskalt überlief.
Welchen Grund gab es für ihn, dem armen Lupin auch noch mit solch rüdem Verhalten zu begegnen?
Snape wirkte bitter und aus keiner Catriona ersichtlichen Ursache besonders zynisch und feindselig.

Lupin zögerte, fuhr sich mit der Zunge nervös über trockene Lippen. Er mußte gewaltsam dem Drang widerstehen, aufzuspringen, wahllos etwas zu packen und zu zerschlagen.
Die Haut kribbelte, als liefen Tausende von Ameisen auf ihm entlang, und Lupin kratzte sich ausgiebig und ohne Schamgefühl.

"Juckreiz", bemerkte der Tränkemeister eisig und notierte das Wort in seiner prägnanten, akkuraten Handschrift.
Den verletzten Blick des Werwolfs ignorierte er vollkommen, aber das angestrengte Meiden MacGillivrays besorgter, forschender Augen zeugte von etwas, das Schuldbewußtsein recht nahe kam.

Mit feuerrotem Gesicht und unruhig zuckenden Lidern zählte Lupin die Anzeichen der nahenden Transformation auf, wobei Snapes Feder wie durch Zauberhand absolut lautlos über das Pergament glitt.

"Wenn das alles ist…", sagte er schließlich aufgeräumt und gab den Worten eine Betonung, die keine Zweifel an der beabsichtigten Zweideutigkeit ließen. "Zum Wohl."

Er drückte Lupin den Becher in die schweißfeuchte Hand. Die unverhohlene, kalte Neugier, mit der er ihn beobachtete, ließ Lupin wünschen, sich nie dazu bereiterklärt zu haben. Zu spät.
Er leerte das Gefäß bis auf den letzten Tropfen. Das Gebräu schmeckte wesentlich angenehmer als der Wolfsbann; nach der Wirkung zu schließen, die es augenblicklich auf ihn hatte, war ein nicht unbedeutender Bestandteil Alkohol.
Seltsam, sollten das Halluzinationen sein… er sah Snape taumeln, konnte sich aber nicht entschließen, einzugreifen oder sonst etwas zu unternehmen.
Jemand rief etwas, dann saß plötzlich Catriona MacGillivray bei ihm, sprach mit ihm, protokollierte, und ihn überkam ein unbeschreibliches Gefühl von euphorischem Draufgängertum…

xoxoxox

Im selben Moment, als Lupin den Werwolftrank zu sich nahm, verschwamm Severus Snapes bewußte Wahrnehmung. Es war, als hätte man ihn schlagartig unter eine tausendfach potentere Yaxévariante gesetzt; seine ohnehin im Alarmzustand befindlichen mentalen Barrieren verformten sich wie Knetmasse in der Mittagssonne. Er strauchelte… ein verwaschenes Bild einer zutiefst besorgten Frau… Remus Lupin - seltsam starr und entrückt - das Experiment!

"Schreib auf, Catriona", hörte er sich durch eine Blase geistiger Klarheit rufen, bevor die Nebel undurchdringlich wurden. Jemand drang in seinen Geist ein… unmöglich, sich zu wehren, zu widerstehen…

Der kleine schwarzhaarige Junge konnte höchstens fünf oder sechs Jahre alt sein, aber in seinem schmalen Gesicht, in dem die dunklen Augen viel zu riesig wirkten, lag ein solch martialischer Ernst, daß sich Betrachter unwillkürlich fragen mußten, ob sie nicht einem Illusionszauber aufgesessen waren und sie eigentlich einen vom Leben enttäuschten Erwachsenen vor sich hatten.

Er saß auf dem Knie eines noch recht jungen, adlernasigen Mannes, der nach Haarfarbe und Gesichtszügen nur sein Vater sein konnte.
"Sieh her", sagte der Ältere gerade mit einer Stimme, in der die geduldige Sanftmut völlig fremd wirkte, da sich sein Sohn nur an überwiegend harsche Töne erinnerte.
"Du ziehst den Draht hier durch… so… jetzt kommt der Clou - wie befreist du das Herz, ohne die Schlinge aufzubiegen?"

Mit geschickter Hand hatte er ein Vexier geschaffen, in dem ein drahtenes Herz scheinbar unlösbar durch eine Stange gefangengehalten wurde.

Der Junge besah sich das Gebilde einen Moment lang konzentriert, bevor er ein Wort benutzte, das sein Vater nicht kannte und die zwei Teile getrennt voneinander in den Händen hielt.
"So", sagte er ernsthaft und schenkte dem Erwachsenen eines seiner seltenen Lächeln.

Daß seine Lösung falsch gewesen war, spürte er sofort. Tobias Snapes sonnengebräunte Züge überfroren jäh zu blankem Eis, in seine Augen trat eine eigenartige, halb enttäuschte, halb verletzte Unversöhnlichkeit, die sein Sohn in diesem Ausmaß noch nie bei ihm gesehen hatte.

"Dein Vater meint so", schaltete sich die hagere, jetzt etwas gehetzt wirkende Frau um Beschwichtigung bemüht ein, die sich bisher im Hintergrund gehalten hatte und die Severus Snape als seine Mutter erkannte.
Mit einem blitzschnellen Zauber hatte sie das Vexier wieder zusammengefügt und demonstrierte ihm in Zeitlupe die erforderlichen Bewegungen, um das Herz ohne Magie zu befreien.

Der kleine Junge nickte langsam, aber der Zorn seines Vaters schien keineswegs besänftigt. Er durchbohrte ihn schweigend mit einem jener Blicke, die schlimmer waren, als körperliche Züchtigung, einem Blick, der dem Kind in aller Deutlichkeit klarmachen sollte, wie enttäuscht er von ihm war.

Tobias Snape setzte ihn von seinem Knie auf die splittrige Holzbank, ergriff die Lederjacke, die schon als Jugendlicher sein ganzer Stolz gewesen war und verließ ohne ein einziges Wort das heruntergekommene Haus.

In Snape, dem Beobachter, verkrampfte sich etwas, als er den Blick des Jungen auffing. Völlig verständnislos war er damals gewesen, hatte überhaupt nicht begriffen, wie er seinen Vater, dessen Anerkennung er sich von ganzem Herzen wünschte, wieder einmal so bitter enttäuscht haben konnte.

"Du hast ihm den Spaß verdorben", erklärte Eileen Prince mit sanftem Vorwurf und legte ihm einen Arm um die mageren Schultern. Das Kind versteifte sich; zärtliche Berührungen seiner Mutter gab es spärlich, so daß es mit ihnen nichts rechtes anzufangen wußte. "Ich habe dir doch erklärt, daß wir eine Fähigkeit besitzen, die er nicht hat."

"Die Zauberkraft", warf das Kind ein und starrte noch immer wie gebannt auf das getrennte Vexier.

"Richtig", bestätigte sie. Ihre Finger streichelten nachdenklich sein glattes schwarzes Haar.
"Aus Rücksicht und Höflichkeit wollten wir doch nicht in seiner Gegenwart zaubern."

Sie hatte auch sonst kaum gezaubert, zumindest nicht, bis die Kluft in ihrer Beziehung so unüberwindbar tief geworden war, daß ihr alles egal zu werden begann. Aber selbst dann…

Snape erinnerte sich in allen Einzelheiten an der Vorfall mit dem Vexier, auch an seine Reaktion, die schon frühzeitig etwas über seine spätere Persönlichkeit verriet.

Der Junge schluckte mehrmals, preßte die Lippen zu einem schmalen Strich aufeinander und zuckte trotzig die Schultern.
"Unser Weg ist aber genauso richtig", sagte er leise und blickte hastig zur Seite, damit seine Mutter die enttäuschten Tränen in seinen Obsidianaugen nicht sehen sollte.


 

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