Teil 1
Gut. Ihr habt es geschafft. Ich werde alles aufschreiben. Nein, nicht freiwillig. Natürlich war das nicht meine Idee. Und wenn ich damit fertig bin, werde ich alles verbrennen. Es ist nicht meine Art, so etwas verfängliches aufzuheben. Es könnte mir irgendwann das Genick brechen. Vielleicht würde es mir aber auch irgendwann das Leben retten. Das weiß ich jetzt natürlich noch nicht. In die Zukunft zu schauen sollte man lieber Dilettanten überlassen. Das ist nichts für echte Zauberer. Außerdem weiß ich, wie meine Zukunft aussieht. Es ist ganz einfach. Es geht noch eins, zwei Jahre weiter wie jetzt. Und dann wird entweder Voldemort oder das Ministerium mich umbringen. Ich bin zu gefährlich geworden. Ich habe zulange auf beiden Seiten gestanden. Und das bekommt niemandem zu gut. Also. Ich soll das jetzt alles aufschreiben. Alles. Von Anfang an..
***
"Papa?" Der Schlag kommt hart und unerwartet. Der kleine Junge, vielleicht sechs, sieben Jahre alt liegt auf dem Boden. Die Schläge prasseln immer weiter auf ihn ein. "Papa.." Die Stimme wird immer leiser, die Bewegungen immer langsamer.
Irgendwann wird er in Ohnmacht fallen. Aber darauf nimmt er natürlich keine Rücksicht. "Du hast mich enttäuscht. Du bist es nicht wert, mein Sohn zu sein!" Wieder Schläge, auf den Kopf, auf die Beine, den Bauch. Dorthin, wo sie am wirkungsvollsten sind, am schmerzhaftesten. Auf den Kopf, um in Ohnmacht zu fallen. Auf die Beine, um ihn am Wegrennen zu hindern. Das tut er nämlich gerne. Weglaufen, fort von allem. Auf den Bauch, um ihn am Essen zu hindern. Ein Mann aus dieser Familie hat gertenschlank zu sein. Genauso wie er.
Stolz steht Septimus Snape über seinem Sohn und schaut auf ihn herab. Seine schwarzen Haare sind glänzend und seine Augen blitzen vor Zorn. Jahre später wird sein Sohn ihn so ansehen und dann zuschlagen. Aber das weiß Septimus jetzt noch nicht. Er ist wütend, sehr wütend, auf diesen kleinen Jungen, in den er so viele Hoffnungen gesetzt hatte. Und jetzt hat er das Gefühl, dass sie alle enttäuscht worden sind. Er schaut voller Hass auf das Kind. "Was gebe ich mich überhaupt mit dir ab? Hast du der Familie nicht schon genug Schande gebracht? Sieh dir nur einmal deine Mutter an!"
Seine Mutter. Die wundervollste Frau der Welt. Gestorben. Wegen ihm. Alles ist seine Schuld. Das weiß der Kleine. Es ist ihm oft genug gesagt worden. Immer wieder. Er ist das schlechteste, was es auf dieser Welt gibt. Er hat es nicht verdient, überhaupt zu leben. Aber er muss seinem Vater Freude machen. Oder wenigstens seine Erwartungen erfüllen.
"Ich verlange nichts unmögliches!" Nein. Natürlich nicht. Wenn er sich nur ein bisschen Mühe geben würde... schließlich ist auch der Vater ein mächtiger Zauberer. Das waren alle Männer aus seiner Familie. Sie waren alle mächtig. Und sie sind alle früh gestorben. Umgebracht worden. Das Ministerium hat schon immer gerne dafür gesorgt, dass Zauberer, die auf der falschen Seite standen, ausgelöscht wurden. Aber das weiß der Kleine noch nicht. Er wird noch etwas Zeit haben, um es heraus zu finden. Schließlich wird sein ganzes Leben später darum kreisen. Aber auch das weiß er noch nicht. Er legt den Kopf schützen unter die Arme, damit die Schläge etwas gedämpft sind und damit sein Vater die Tränen nicht sieht. Er würde ihn nur noch mehr schlagen. Schließlich hören die Schläge auf. "Was gebe ich mich überhaupt mit dir ab? Du bist es doch nicht wert." Dann schlägt eine Tür zu, verschließt das Licht und er weiß, dass er wieder einen Tag im Dunkeln sitzen wird.
Langsam richtet er sich auf. Schlingt seine Arme um seine Brust und beginnt, ganz langsam zu weinen. "Mama..", flüstert er in die Dunkelheit. Dann rafft er sich auf. Er wird nicht mehr weinen. Niemals mehr. Er wird seinen Vater stolz machen und seine Familie zu Ruhm führen. Das schwört er sich.
***
Lächelnd schaue ich auf meinen Arm. In meiner Haut sind immer noch die Narben von damals, viele Narben. Auf der Haut und im Gedächtnis. Ich werde das niemals vergessen, niemals. Mein Schwur von damals ist schon längst vergessen, vergangen. Meiner Familie? Ich komme direkt im Stammbaum nach meinem Vater. Vater? Was für ein Wort. Als wäre er irgendwann einmal Vater gewesen. Er war es niemals. Er ist schon lange tot, zu lange, als dass sein Geist mir jetzt noch Schaden anrichten könnte. Ich bin über ihn hinweg. Ich schäme mich nicht mehr für meine Familie. Mein Vater hat mich geformt, damals, und es wird für alle Zeit vorhalten. Ich habe die Vorlieben, die ein Mann aus meiner Familie haben muss. Ich habe die Vorzüge, aber auch die Nachteile. Ich sehe eben typisch Snape-mäßig aus. Meine Vorfahren sahen alle so aus. Schwarze Haare, schwarze Augen. Schneeweiße Haut. Groß. Dünn. Letzteres habe ich meinem Vater zu verdanken. Er hat mir die Lust aufs Essen gründlich verdorben, und das wird mich niemals verlassen. Essen ist unnötig, lediglich eine Zeitverschwendung. Nur das nötigste, niemals mehr. Kein Genuss. Vor Schokolade graust es mir, Süßigkeiten verachte ich. Es habe nur ein einziges Mal in meinem Leben Schokolade gegessen, mit dem Erfolg, dass mein Vater mich halbtot schlug. Ein Snape isst keine Schokolade. Weiß der Teufel warum...
***
Als er aus dem Zug steigt, sind seine Augen aufgeregt. Seine Gesichtszüge sind genauso kalt wie immer. Keine Regung zeigen. Er ist vielen Leuten deswegen unheimlich. "Ein ganzer Snape!", flüstern sie. Sein Vater ist stolz darauf. Und heute, heute wird er die Gelegenheit haben, ihn noch stolzer auf ihn zu machen. Er ist endlich in Hogwarts. Er ist der erste Snape, der diese Schule besucht. Normalerweise geht seine Familie nach Durmstrang. Aber das Ministerium beobachtet sein Vater, weshalb er Severus nach Hogwarts geschickt hatte. Fürs Image. Der Junge war entsetzt. Aber natürlich fügte er sich den Anordnungen seines Vaters. Wie alle Kinder.
Um ihn herum johlen die Älteren, die Jüngern sind sehr aufgeregt. Die Boote bringen sie über den See, Professor McGongall führt sie in den Saal. Sie ist ihm unsympathisch. Sehr sogar. Er hofft, nicht viel mit ihr zu tun haben zu müssen. Dann kommt die Prozedur mit dem Sprechenden Hut. "Severus Snape".
Er geht nach vorne, setzt sich auf den Stuhl und bekommt den Hut aufgesetzt.
"Ach, schau an. Ein Snape. Ihr seid ja auch neu hier."
Innerlich droht er dem Hut mit sämtlichen Strafen, von verbrennen bis verfluchen, damit er das Gequatsche endlich sein lässt.
"Oh, oh. Du bist mächtig. Sei gefälligst vorsichtig. SLYTHERIN!"
Endlich! Er reißt sich den Hut vom Kopf und geht an den Slytherin-Tisch, wo er mit Jubel empfangen wird. Vor ihm ist schon ein anderer Junge nach Slytherin geschickt worden. Groß, strahlend blond mit blauen Augen. Ein Malfoy. Sein Vater hat ihm geraten, ihm zu gehorchen. Aber das will Severus nicht. Er mag den Blonden nicht. Abschätzig taxieren sie einander. Die Auswahlprozedur geht weiter. Die anderen Schüler sind ihm unsympathisch. Aber das ist ihm egal. Er will hier keine Freundschaft, sondern Lernerfolg. Sonst verbindet ihn nichts mit Hogwarts. Gar nichts.
***
Ich hätte damals nicht gedacht, dass ich irgendwann wieder nach Hogwarts gehen werden und dort wohnen würde, ohne Schüler zu sein. Professor? Nein, danke. Ich hasste meine Lehrer. Ich war gut, sehr gut. Die Schule fiel mir immer sehr, sehr leicht. Aber selber Lehrer zu werden... Nein. Nicht für Geld und gute Worte. Ich hätte mir aus beidem nichts gemacht. Es war eine reine Notlösung. Irgendwas muss man ja machen. Irgendwie muss man Geld verdienen. Ich hätte eine andere Stelle suchen können. Aber mit meiner Vergangenheit? Nein. Mich hätte keiner gewollt. Selbst Dumbledore muss es Überwindung gekostet haben, jemanden wie mich einzustellen. Wer will schon einen ehemaligen Death Eater? Aber er hat ein Händchen für Problemfälle. Außerdem bin ich sehr praktisch. Ich kann ihm etwas verschaffen, das sonst keiner hat. Es sind meine Informationen, die mich wertvoll machen. Wertvoller als alles andere. Aber wer einen Werwolf einstellt, kann auch einen Death Eater einstellen. Glückstreffer, für mich. Manchmal habe sogar ich Glück. Aber nur ein bisschen. Mehr hätte ich nicht verdient.
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