Eine Nacht auf der Krankenstation - Kapitel 2

 

 

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Kapitel 2
 


Severus lag einfach da, starrte an die Decke, sich scheinbar nicht bewusst, dass Lily neben ihm sass. Aber sie wollte ihn nicht unter Druck setzen. Gott allein wusste, was er durchgemacht hatte – wenn er es ihr erzählen wollte, dann würde er dies. Wenn nicht, gut, zumindest hatte sie dann versucht, ihm zu helfen. Sie blickte ihn einfach geduldig an.

Schlussendlich seufzte Severus tief und blickte Lily zum ersten Mal, seit er begonnen hatte zu erzählen, direkt an. 

„Du musst verstehen,“ sagte er. „Das ist zu mindest teilweise mein Fehler. Wenn ich nicht nach London gegangen wäre, hätte Vater nicht überreagiert. Ich hätte wissen müssen, dass es enden würde wie.... wie es tat.“ Er schwieg wieder, gab Lily Zeit, zu protestieren.

„Snape, um Gottes Willen, hör auf zu sagen, dass es Dein Fehler ist! Du hast nichts illegales getan, das weist Du!“ 

Er lachte höhnisch. „Illegal. Nicht vor dem Gesetz, nein. Aber ich wusste sehr gut, dass Vater Sachen dieser Art verboten hat, aus dem Haus zu schleichen um nach Muggel-London zu gehen, und solche Sachen. Aber habe ich seine Wünsche respektiert? Nein.“

Lily rollte die Augen. Nur Minuten zuvor schien er so verletzlich, ganz und gar nicht wie der Severus Snape, den sie kannte. Und nun? Er verteidigte seinen Vater und beschuldigte sich selbst. Aber andererseits, vielleicht kannte er nichts anderes, oder? Anstelle ärgerlich zu werden, entschied sich Lily einmal mehr zu versuchen ruhig und angemessen zu bleiben. 

„Vielleicht hast Du seinem Willen nicht gehorcht, Snape. Was ist falsch daran? Denkst Du, dass ich immer das tue, was meine Eltern von mir verlangen? Ich habe auch schon Befehle nicht befolgt. Aber meine Eltern schlagen oder verfluchen mich deswegen nie. Ich bekomme Hausarrest oder sie streichen mein Taschengeld. Das ist alles.“

Sie sah erste Anzeichen von Zweifel auf Severus’s Gesicht. Gut. 

„Nun hör genau zu, Snape. Ich werde Dir jetzt etwas erzählen, was ich weder James noch Sirius oder sonst wem erzählt habe.“ Sie machte eine Pause. „Als ich zehn Jahre alt war, machte ich meinen Vater sehr ärgerlich. Lass uns sagen, ich benahm mich nicht wie Daddy’s süsses, kleines Mädchen. Na ja, er gab mir eine Ohrfeige. Nicht hart; Ich starrte ihn nur an – und er starrte zurück. Ich habe nicht einmal geweint. Aber er tat es. In der nächsten nahm er mich in den Arm und bat um Vergebung.“

Sie wartete auf Severus’s Reaktion. Er starrte stumm auf die Bettdecke vor ihm, sah aus Liliy’s Sicht sehr traurig aus. 

„Vater hat nie wieder eine Hand gegen mich erhoben.“ beendete sie. 

„Verstehst Du, Severus? Ich vergöttere meine Eltern nicht – sie sind bloss Menschen. Mit menschlichen Fehlern und Launen. Aber auch mit menschlichen Gefühlen, wie Liebe und den Wunsch ihre Kinder zu beschützen. Nur wenn diese Gefühle nicht mehr existieren, werden Menschen zu Monster.“ 

Severus schluchzte wieder. 

„Ich wünschte, mein Vater würde mich nur einmal so in den Arm nehmen.“ sagte er leise. „ Weist Du, ich denke, dass er mich vor langer Zeit einmal geliebt hat. Das war als meine Mutter noch lebte. Aber nach ihrem Tod wurde es jedes Jahr schlimmer.“ Er machte eine Pause. 

Lily traute sich nicht, etwas zu sagen, in der Angst, dass er dann wieder in diese Slytherin-Art fallen könnte. Er brauchte es, mit jemandem reden zu können und sie war die Einzige, die da war. Daher schenkte sie ihm ein kleines, aufmunterndes Lächeln und wartete.

„Mein Bruder war immer Vater’s Gold-Junge. Stolz, übertrieben Selbstbewusst und - am wichtigsten – sehr empfänglich für die dunklen Künste.“ Severus bemerkte, dass Lily die Stirn runzelte. 

„Ja, ich weis. Auch ich bin dafür bekannt,“ fuhr er mit einem halben Lächeln fort, dass so schnell wie es gekommen war, auch schon wieder verschwand. „Ich denke, es ist interessant – sehr sogar um ehrlich zu sein. Aber nur bis zu einem gewissen Punkt. Ich glaube nicht an dieses Reinblüter-Getue, an das Vater und Derron glauben. Das selbe gilt für die Muggel-Sachen. Sie habe viele tolle Bücher zum Beispiel, oder Musik. Deshalb bin ich kein Muggel-Liebhaber, merk Dir das. Ich wäre ansonsten nicht nach Slytherin gekommen, wie Du sicher schon bemerkt hast, das ich bin.“ 

Lily konnte ein leichtes Nicken nicht unterdrücken. Snape war ihr und ihren Freunden gegenüber immer sehr gemein gewesen.

„Unglücklicherweise,“ fuhr er fort. „ Sah mein Vater niemals meine Faszination für das Dunkle. Im Gegenteil, er wollte jegliches Interesse an der Muggel-Welt auslöschen. Aber wie oftmals bei verbotenen Dingen, machte er diese nur noch interessanter.“ 

Wieder stoppte er und schloss seine Augen, offensichtlich durchlebte er nochmals, wohin ihn die Entscheidung, gegen die Regeln seines Vaters zu verstossen, gebracht hatte. 

„Wie an Heilig Abend?“ fragte Lily vorsichtig, um ihn nicht zu unterbrechen, jetzt wo sie so weit gekommen waren. 

„Ja,“ sagte er. „Genau wie an Heilig Abend. Vater war ausser sich vor Zorn. Ich schätze, das war der Auslöser. Aber nachdem er mich in den Keller gezerrt hatte, war der erste Zorn verflogen; er wurde plötzlich sehr beherrscht. Nicht mehr länger launenhaft und emotional, sondern kalt und berechnend. Niemals in meinem Leben, habe ich mich so sehr vor ihm gefürchtet, wie in diesem Augenblick.“ 

Er unterbrach kurz und schloss einmal mehr, kurz die Augen. Als er weiterfuhr, war seine Stimme kaum mehr als ein Flüstern. 

„Er, er zog mir meine Kleidung aus. Alles.“ Er hörte auf, als er den Schrecken auf Lily’s Gesicht erwachen sah. 

„Dies ist der Anfang einer alten Bestrafung,“ erklärte er. „Nicht eine sexuelle Handlung.“ 

Sie schien erleichtert. Aber nicht für lange, da Severus weiterfuhr. 

„Ich hatte zu viel Angst um mich zu bewegen. Auch nicht als Derron mir einen belebenden Zaubertank zu trinken gab. Wie ich später bemerkte, war dies, damit ich nicht das Bewusstsein verlieren würde.“

Wieder stoppte er. Die Erinnerungen überwältigten ihn, aber er fuhr fort. 

******************Rückblende*********************** 

„Nun, Severus, lass mich Dir etwas über Vertrauen erzählen. Zu Vertrauen heisst, sich auf jemanden verlassen zu können. Sich auf jemandes Vertrauen und Gehorsam verlassen zu können. In den meisten Fällen wird Vertrauen erworben, aber in einer Familie ist es normal, wegen der festen Bande die zwischen den Familienmitgliedern bestehen, sie wissen, dass sie auf einander zählen können. Und deshalb, wenn jemand aus der Reihe tanzt, tun die anderen Mitglieder ihr Möglichstes um ihn wieder auf den richtigen Weg zu bringen.“ 

Mr. Snape blickte seinen Sohn kalt an. 

„Crucio,“ flüsterte er. 

„Aber Du siehst, Severus,“ fuhr Mr. Snape fort, während sich sein Opfer vor Schmerzen zu seinen Füssen wand. „Manchmal reichen nette Worte einfach nicht aus, um dies zu erreichen.“ er hob den Fluch auf und beobachtete, wie sich Severus wieder in eine sitzende Position kämpfte.

„Manchmal muss die Familie zu etwas überzeugenderen Mitteln greifen.“ 

Langsam richtete er seinen Zauberstab wieder auf Severus. 

„Contundo!“ 

Der plötzliche Schmerzensschrei des Jungen übertönte das splitternde Geräusch seines zu Bruch gehenden Knies. Severus umklammerte sein linkes Bein und biss die Zähne zusammen, um nicht zu schreien. 

„Gegen alle Wahrscheinlichkeit hoffe ich, dass Du wieder auf den richtigen Weg zurückfindest, Severus. Das Du den Grund verstehst. Ich versuchte mein Bestes, um Dich von diesen grenzenlos minderwertigen Muggels, dem Abschaum der Erde, fern zu halten. Aber hast Du gehorcht? Verstehst Du mein harte Arbeit oder erkennst Du sie an? Nein. Mein eigener Sohn wendet sich gegen diejenigen, die ihm am nächsten stehen.“ Er blickte auf Severus, der immer noch leicht stöhnte. 

„Contundo!“ 

Das zweite Knie gab nach. 

****************Ende der Rückblende******************** 

„Vater benützte mich als Versuchsobjekt für einige Schmerzflüche. Er war sehr kalt, während er es tat. Wie jemand der Schach spielt, immer den nächsten Spielzug berechnend.“ schluchzte Severus. 

„Er, er brach meine Arme und Beine. Nicht wie jemand, der Dich mit einem Stock schlägt. Nicht annähernd. Eher wie eine unsichtbare Hand, die nach ihrem Opfer greift, schlagend und schlussendlich zerstörend. Er tat es ganz langsam. Knochen für Knochen.“ Severus schloss seine Augen, aber Lily konnte sehen, wie ein paar Tränen seine Wangen hinunter liefen. 

„Es schien Stunden zu dauern. Immer wieder erklärte er mir, welche Enttäuschung ich für ihn sei. Das dies sein letzter Versuch wäre, mir Anstand beizubringen.“ 

*****************Rückblende************************ 

Mr. Snape beugte sich über den nackten und von Krämpfen geschüttelten Körper, der sein Sohn war. Blut rann aus Mund und Nase des Jungen, was ihn ab und zu husten liess. Aber noch immer, all seine Angst bekämpfend, hatte Severus nicht um Gnade gebettelt. 

Das blieb seinem Vater nicht verborgen. 

„Du überraschst mich, Severus. Es scheint, dass Du doch nicht so schwach bist wie ich dachte. Sag mir,“ er beugte sich über seinen Sohn. „hab ich meinen Standpunkt klar gemacht? Hm?“ 

Severus starrte vor sich hin, unfähig irgendetwas wahrzunehmen.

„Ja, Vater.“ murmelte er. „Das hast Du.“ 

Mr. Snape wandte sich seinem Erstgeborenen zu. „Was denkst Du, Derron?“ 

Der junge Mann zuckte mit den Schultern, begutachtete Severus mit einem bösen Grinsen. 

„Nun ja,“ fuhr Mr. Snape fort. „Ich will nicht, dass Du meine Absichten falsch deutest, Severus.“ Er kniete sich neben ihn und strich ihm sanft durch die Haare, während Severus mit einem unsicheren Lächeln in die Augen seines Vaters blickte. „Und es freut mich, dass Du mir zustimmst,“ flüsterte Mr. Snape Severus zu. „Ich bin sicher, Du verstehst.“ Er machte eine Pause, während er Severus’s Blick standhielt, bevor er wieder zu seiner kalten Art wechselte. „Crucio!“ 

****************Ende der Rückblende******************* 

„An das, was danach geschah, kann ich mich kaum erinnern.“ sagte er, seine Stimme zitterte bei der Erinnerung daran. „Nur daran, dass er einmal meine Verletzungen prüfte, um zu sehen, wie ernst sie waren. Dann verliessen mich Derron und er.“ Er schloss seine Augen und liess die Tränen sein Gesicht benetzen. 

„Es war so kalt dort drin, so kalt.“ flüsterte Severus. 

<Es ist so kalt hier...> 

„Und die Schmerzen. Die Schmerzen.“ 

<und es tut so weh> 

„Jedes Mal, wenn er kam, bat ich ihn, mich rauszulassen –„ 

<Ich wollte keine Schande für Dich sein.> 

<Lass mich raus.> 

„Aber er blickte mich nur an und schickte einige Hauselfen, damit die aufpassten, dass ich nicht starb... Eine ganze Woche verstrich bis er mich raus liess.“

Da hat er sich also die Lungenentzündung geholt, dachte Lily. 

Sie starrte auf den wimmernden und weinenden Jungen vor ihr. Ganz und gar nicht der Slytherin, der immer mit James und Sirius kämpfte; der das auf das Schlimmste versuchte Gryffindor Ärger zu bereiten. Welcher Teil von ihm war Fassade, welcher war echt? Sie war sich nicht sicher ob Severus selbst die Antwort kannte.

Sie streichelte sanft seinen Arm. „Mach Dir keine Sorgen, Severus. Der Direktor wird dafür sorgen, dass Dir Dein Vater nie wieder weh tut.“ 

Da schreckte Severus vor ihr zurück. 

„Nein! Niemand darf es erfahren. Niemand!“ 

„Aber Severus! Er hat Dich beinahe umgebracht. Du musst-„ 

„Nein! Bitte Lily, sag es keinem! Bitte!“ er flehte sie fast an. 

„Mach Dir keine Sorgen um mich. Ich werde überleben.“ 

Sie starrte ihn ungläubig an. 

„Aber warum, Severus. Warum willst Du ihn immer noch beschützen, obschon er nie so etwas für Dich getan hat?“ 

Er starrte auf den Boden, seine Augen wirkten seltsam glasig. 

„Du würdest meine Familie ruinieren,“ sagte er leise. „Sieh, mein Vater hatte in einem Recht: Eine Familie hält zusammen – zumindest in einer Weise. Nebenbei würde so eine Aktion als Schwäche ausgelegt. Und ich habe all diese Jahre so hart daran gearbeitet, nicht ein Schwächling zu sein.“ 

„Severus, niemand der bei vollem Verstand ist, würde Dich Schwach nennen. Nicht nach dem, was Du ertragen hast. Nicht viele wären so mutig gewesen.“ 

„Mut.“ er schnaubte. „Mut ist etwas für Gryffindors. Wenn ich nicht im Stande bin selbst zu überleben, dann habe ich kein Recht zu leben.“ Er sagte dies in einem Ton, der klar machte, dass die Diskussion beendet war. 

Lily seufzte. Normalerweise hätte sie nicht schon aufgegeben, aber Severus war nicht in der Verfassung zu argumentieren – so stark er sich auch geben mag. In dieser Nacht hatte sie ihn näher an einem Zusammenbruch erlebt, als je zuvor. Jetzt wo sie darüber nachdachte, sie hätte nie gedacht, dass er zusammenbrechen könnte.

Deshalb nickte sie nur in Einverständnis. 

„Aber pass auf, Severus.“ sagte sie. „Du bewegst Dich auf sehr dünnem Eis. Wenn Du nicht aufpasst, wirst Du eines Tages auf der gleichen Seite wie Dein Vater stehen.“ 

Er lachte sie spöttisch an. „Niemals. Nie in meinem ganzen Leben!“ 

Sie rollte ihre Augen. Mit Severus umzugehen, war sehr ermüdend. 

„Nie ist eine sehr lange Zeit. Du bist jetzt schon sehr geschickt darin, Deine wahren Gefühle zu verbergen-“ 

„Meine Gefühle? Hah!“ er lachte kurz, gefolgt von husten. 

„Wann, in den letzten paar Jahren,“ fügte er flüsternd hinzu, einen undeutbaren Ausdruck auf seinem Gesicht. „Wann hat sich jemals irgend jemand um meine Gefühle geschert?“ 

„Ich tue es,“ sagte Lily einfach. Zumindest jetzt. In diesem Moment konnte sie hinter seine Abwehr sehen. Für einmal erhaschte sie einen Blick auf den Jungen hinter der Maske und was sie sah machte ihr Angst. Seine Augen, normalerweise hasserfüllt oder jeder Emotion beraubt, zeigten Leid und Qualen in einer unbegrenzten Tiefe.

Aber der Moment ging vorbei und Severus’s Abwehr war wieder hergestellt. 

Lily drehte sich um und ging zu ihrem Bett. 

„Lily – ich meine Evans -“ fragte er ein bisschen scheu – scheu? Severus? 

Sie lächelte. „Du kannst Lily sagen, wenn es mir erlaubt ist, Dich Severus zu nennen.“ Hatten wir diese Nacht nicht schon unsere Vornamen benutzt? 

„Sicher, darfst Du. Also, Lily, ähm, danke fürs zuhören.“ Sie hätte schwören können, dass er ein wenig rot wurde. Aber vielleicht war es nur eine Auswirkung des Fiebers. 

„Gute Nacht, Severus. Versuche etwas zu schlafen.“ 

„Du auch.“ 


 Kapitel 1

 

 

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