Kinder der Nacht

 

 

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Kapitel 10: Heimkehr 

 

Als Christine in dieser Nacht in ihre Wohnung zurückkehrte, wurde sie noch immer von einer Wärme und Zufriedenheit durchströmt, die verdächtig an Glück erinnerten. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie sich das Letzte Mal so durch und durch frei und von allen Sorgen losgelöst gefühlt hatte. Es war kaum zu glauben, es erschien ihr durch und durch unwirklich und doch war es geschehen. Vielleicht hatte sie es bereits in dem Moment geahnt, in dem sie beschlossen hatte, auf die Lichtung zurückzukehren .

Oliver war nur wenige Minuten nach Ende der Versammlung zusammen mit Evan aufgebrochen . Das Ziel seines Auftrags hatte er ihr nicht genannt, nur, dass er eine Reise würde machen müssen und mit seiner Rückkehr frühestens in drei Tagen gerechnet werden konnte . Es war nicht das erste Mal, dass er aufgrund seiner Loyalität zu Lord Voldemort über einen längeren Zeitraum unterwegs war. Christine selbst hatte auch ohne ihren Ehemann bereits an solchen "Säuberungsaktionen" teilgenommen, wusste also nur zu genau, dass es sich höchstwahrscheinlich um ein Mordkommando handelte . Erfahrungsgemäß war es ein dreckiger und gefährlicher Job, doch sie ertappte sich dabei, dass sie mit den Gedanken nicht bei Oliver sondern bei Severus war.

Wie hatte er es in seinem gegenwärtigen Zustand, noch dazu unter Einfluss des Schlaftrankes, den sie ihm am Abend zuvor eingeflößt hatte, schaffen können, rechtzeitig zu dem Treffen zu erscheinen? Die Selbstbeherrschung die er gegenüber dem Dunklen Lord an den Tag gelegt hatte, war wirklich bemerkenswert. Hätte sie nicht mit eigenen Augen gesehen, wie schlecht es ihm noch wenige Stunden zuvor gegangen war, sie hätte nicht einmal vermutet, dass irgendetwas nicht in Ordnung war.

Je näher sie Severus kam, desto fremder wurde er ihr. Er war bei weitem die komplexeste Persönlichkeit, die sie jemals kennen gelernt hatte In einem Augenblick war er verletzlich wie ein kleines Kind, im nächsten war er so stolz und unnahbar wie Voldemort selbst, ganz der Junge, den sie aus ihrer gemeinsamen Schulzeit in Erinnerung hatte.
Und doch fühlte sie sich zu ihm hingezogen, vielleicht weil sie in seiner Zerrissenheit sich selbst wiedererkannte.

Oder konnte sie etwa behaupten, dass sie mit sich selbst im Reinen war? Sie, die das Dunkle Mal trug, die sich vom Licht losgesagt hatte, um fortan der Finsternis anzugehören - und alles nur, weil sie zu schwach gewesen war, ihren eigenen Weg zu gehen, zuerst, weil sie es nicht gewagt hatte, sich ihren Eltern zu widersetzen, später, weil sie Oliver nicht hatte verlieren wollen. Irgendwie hatte sie immer geglaubt, dass sie ihm Dankbarkeit schuldete, dafür, dass er, der großartige Oliver Lestrange sich mit der kleinen, unscheinbaren Christine Nightfall abgab. So begeistert, so glücklich war sie gewesen, endlich beachtet und miteinbezogen zu werden, dass sie nicht mehr nach richtig oder falsch, nach Recht oder Unrecht gefragt hatte.

Als sie an diesem Abend in ihre verlassene Wohnung in dem tristen Vorort von London zurückkam, ahnte sie bereits, dass nichts mehr so sein würde wie zuvor.
Sie hatten eine unsichtbare Grenze überschritten und nun gab es kein Zurück mehr. Und diesmal war es ganz allein ihre Entscheidung gewesen. Sie wusste nicht genau, warum sie auf die Lichtung zurückgekehrt war. Es musste wohl so eine Art Eingebung gewesen sein, eine Ahnung, dass er noch dort war - und dass er auf sie wartete.

"Wo bist du gewesen?" Die Stimme kam aus dem Nichts. Sie war schneidend und kalt. Christine strengte ihre Augen an, um in der Dunkelheit des Flures etwas erkennen zu können. Natürlich wusste sie nur zu genau, wer ihr da gegenüberstand, doch sie brauchte eine letzte Gewissheit, etwas, das ihr sagte, das nicht alles nur ein böser Traum war.

Doch alle Hoffnung war vergeblich. Vor ihr baute sich Olivers Gestalt auf, schwer atmend und mit gefährlich glitzernden Augen. Er machte sich nicht einmal die Mühe Licht zu machen, bevor er seine Frau an den Haaren packte und ihren Kopf nach hinten riss. Sie wand sich verzweifelt unter ihm, versuchte sich zu befreien, doch er war stärker und schließlich gab sie es auf und wartete, was nun kommen würde.

"Wo bist du gewesen?", zischte er.
"N ... nirgends.." Sie spürte, wie ihr der kalte Schweiß ausbrach. Wie viel wusste - ahnte er?
"Du lügst?" Er verstärkte seinen Griff und Christine winselte vor Schmerzen.
"Oliver ... bitte ..."
Doch alles Flehen war nutzlos. Sie kannte Oliver schon zu lange um nicht zu wissen, wie unberechenbar er sein konnte, wenn sein Jähzorn einmal entfacht worden war.
"Ich hab's doch geahnt ! Du betrügst mich, nicht wahr? Sag es ruhig, du kleine Schlampe, gib es ruhig zu."
"Oliver, dass ist nicht ..."
"Sei still!" Schließlich verlor er auch noch das letzte bisschen Selbstbeherrschung und begann unkontrolliert herumzubrüllen, ohne sich auch nur einen Deut darum zu scheren, was die Nachbarn denken würden.
"Du hast gedacht, ich würde es sowieso nicht merken, jetzt wo ich weg bin. Dachtest, ich wäre mit Rosier gegangen. Ha! So einfach werde ich es dir nicht machen. Also, wer ist es?"
Er riss ihren Kopf noch weiter nach hinten, so, dass sie fürchtete, ihr Rückgrat könnte jeden Moment brechen.
"Bitte ...", keuchte sie, "bitte lass mich los !"
"Wer ist es? Verdammt, sag mir seinen Namen und ich schwöre dir, ich werde ihn umbringen!"
"Ich ...ich habe nicht ..." Mehr brachte sie nicht hervor. In dieser Haltung war es ihr schlicht unmöglich zu sprechen, eine Tatsache, die schließlich auch Oliver einsehen musste, der sie unvermittelt freigab.
Christine starrte zu Boden und rieb sich den schmerzenden Nacken, während ihre Gedanken rasten. Eines stand fest: Die Wahrheit kam nicht in Frage. Sie zweifelte nicht einen Moment daran, dass er dazu in der Lage wäre, Severus zu töten. Was er mit ihr machen würde, wusste sie nicht, aber es spielte im Endeffekt auch gar keine Rolle.

"Sag es mir!"
Sie versuchte, so gelassen wie möglich zu klingen, als sie zu sprechen anhob: "Oliver, ich weiß, dass du mir nicht glauben wirst, aber es gibt keinen anderen. Es stimmt, ich bin gerade erst nach Hause zurückgekommen, aber nicht, weil ich mich mit einem Mann getroffen habe, sondern weil ich heute während der Versammlung meine Kette verloren habe."
Oliver sah sie misstrauisch an, sagte aber nichts - noch nicht.
Christine nutzte sein Schweigen, um fortzufahren.
"Deshalb bin ich zurück auf die Lichtung appariert, um nachzusehen, ob ich sie vielleicht wiederfinden könnte. Es war meine Lieblingskette, du weißt schon, die goldene mit den beiden Schlangenköpfen, die du mir zur unserer Verlobung geschenkt hast." Mit einem Mal war es so einfach zu lügen, die Worte sprudelten ihr geradezu aus dem Mund. Kein Stottern, keine Denkpausen, kein Zittern in ihrer Stimme.
Ihr Zuhörer schien nachdenklich geworden zu sein, zumindest schwieg er noch immer und auch sein Atem schien sich beruhigt zu haben.
"Und ...", sagte er schließlich "Hast du die Kette gefunden?"
"Ja, zum Glück." Ihr Versuch eines Lächelns misslang zwar, aber da es im Flur nach wie vor dunkel war, machte dies ohnehin keinen großen Unterschied.
Da schien Oliver plötzlich einen Einfall zu haben. Er runzelte die Brauen, wie er es immer tat, wenn ihm etwas wichtiges durch den Kopf ging und fragte schließlich mit einem scharfen Unterton in der Stimme : "Wo hast du sie denn?"

"Hier." Christine griff zielsicher in einer der Taschen ihrer Todesserrobe und zog etwas hervor, dass er nicht erkennen konnte.
"Lumos", murmelte er und erkannte in ihrer Hand die Kette mit den beiden Schlangenköpfen, die sich gegenseitig auffraßen.
Er war einigermaßen verdutzt, als er feststellte, dass der Verschluss tatsächlich kaputt zu sein schien und es somit auch durchaus möglich war, dass sie die Kette verloren hatte.

Christine hielt den Atem an. Nun würde es sich entscheiden. Würde er ihren Worten Glauben schenken, dann waren sie gerettet, zumindest für den Moment. Was geschehen würde, falls er es nicht tun würde, daran wagte sie nicht einmal zu denken.

"Nun ja", begann er langsam, "für dieses eine Mal will ich dir noch glauben. Allerdings wirst du verstehen müssen, dass ich - sagen wir, etwas besorgt bin. Wie du ja weißt, werden Evan und ich eine längere Reise unternehmen. Ich denke, es wäre nicht gut für dich, wenn du solange alleine hier bleiben müsstest."
Sie schluckte. Was wollte er damit sagen?
"Sicherlich ist es nur zu deinem Besten, wenn du für ein paar Tage zu deinen Eltern fahren wirst. Ich bin mir sicher, sie werden sich über deinen Besuch freuen." Olivers Stimme klang boshaft.

Oh nein, ihre Eltern würden sich ganz und gar nicht über den Besuch ihrer einzigen Tochter freuen. Schon ihre Kindheit hatte sie in der Obhut verschiedener Kindermädchen und Hauselfen, jedoch nur sehr selten zusammen mit Vater oder Mutter verbracht.
Die Nightfalls verstanden sich als Mitglieder der besseren Gesellschaft und fühlten sich somit den oberen Zehntausend der Zauberwelt zugehörig. Sie unternahmen weite Reisen, gaben große Gesellschaften und leisteten sich so unnötige Statussymbole wie eine Yacht in Whitby oder ein Strandhaus auf Tahiti. In ihrer Welt aus Glanz und Glitter war kein Platz für ein Kind gewesen und es verging kein Zusammentreffen, an dem sie ihr das nicht deutlich zu spüren gaben.

Die Jahre in Hogwarts hatte sie als Befreiung empfunden, weg von der künstlichen Realität, in der sich ihre Eltern bewegten. Natürlich waren sie zu Anhängern Voldemorts geworden, als dieser zu immer größerer Macht aufstieg. Ihre Zustimmung drückten sie in Form von Geldspenden, jedoch nie mit Taten aus. Das lag unter ihrer Würde. Auch Oliver Lestrange war nicht wirklich der Ehemann gewesen, den sie sich für ihre Tochter vorgestellt hatten, doch die Aussicht, Christine nach Ende ihrer Schulzeit noch länger zuhause behalten zu müssen hatte sie schließlich überzeugt, der Verbindung ihren Segen zu geben.

Entgegen aller Erwartungen verstand sich Oliver mit den Nightfalls ausgesprochen gut, besser als sie selbst es jemals getan hatte. Sie wurden häufig eingeladen, erwiderten diese Einladungen jedoch nie. Für Zauberer, die so hochgestellt und angesehen waren wie Christines Eltern war es undenkbar, in eine simple Wohnung in einem Vorort von London zu kommen und sei es auch, um die eigene Tochter zu besuchen.
Trotzdem mischten sie sich nicht mehr in ihre Lebensweise an, was aber wohl vor allem Olivers Verdienst war, gepaart mit der Tatsache, dass es ihnen schlichtweg egal war.
Am zufriedensten waren sie fraglos, wenn man ihnen einfach ihre Ruhe ließ.
Ein Besuch ihrer Tochter würde ganz und gar nicht in dieses Schema passen.
Genau das versuchte Christine nun auch ihrem Mann zu erklären:

"Oliver, du weißt so gut wie ich, dass ihnen das nicht gefallen wird."
"Sie sind deine Eltern und schließlich sind es nur ein paar Tage. Nicht einmal eine Woche. Ich bin mir sicher, dass sie es überleben werden."
"Sie werden niemals zustimmen."

"Nun, wir werden sehen."

 

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