Abseits, Foul und andere Katastrophen 2

 

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Kapitel 2: Der Entschluss


Die einzige Lichtquelle im ganzen Raum war eine fast gänzlich herab gebrannte Kerze, deren weißes Wachs stetig auf das dunkle Holz des kostbaren Schreibtisches tropfte und dort bereits einen beachtlichen Fleck erzeugt hatte. Träge flossen die Tropfen an dem weiß schimmernden Körper der Kerze hinunter, hinterließen eine heiße Spur und waren kalt, sobald sie die Nähe der orange-roten Flamme verlassen hatten.

Severus Snape saß an seinem Schreibtisch, hatte den Blick gedankenverloren auf die im sanften Luftzug der Kerker tanzende Flamme gerichtet und hielt in seiner rechten Hand einen kleinen, schwarzen Bilderrahmen, in dem ein altes, jedoch immer noch makelloses Foto steckte.

Es zeigte eine Gruppe von jungen Männern in weinroten Fußballtrikots, die sich zu einem Mannschaftsbild zusammengestellt hatten und verschwörerisch in die Kamera lächelten. Sie hatten sich gegenseitig die Arme auf die Schultern gelegt und an der Nähe, die sie unübersehbar zueinander suchten, konnte man erkennen, dass diese Männer mehr waren als eine einfache Mannschaft. Sie waren Freunde. Vertraute.

Insgesamt waren sie genau 11, ohne Trainer, Co-Trainer und Mannschaftsarzt gezählt, die auf dem Foto nicht zu sehen waren. Die Stürmer oben im Bild, in der Mitte die Mittelfeldspieler und ganz unten die Abwehr zusammen mit dem Torwart, der auf dem schlammigen Rasen lag und einen schwarz-weißen Fußball fest in den Händen hielt.

In der Mitte von ihnen, deutlich an der schwarzen Armbinde zu erkennen, auf der in ebenfalls roten Lettern "Spielführer" zu lesen war, stand der Kapitän der Mannschaft. Stand er selbst. Severus Snape mit knapp dreißig Jahren. Die schwarzen, schulterlangen Haare zu einem festen Zopf zusammengebunden und einen silbernen Pokal in der Hand. Rechts neben ihm stand Christian. Die schwarzen Locken durch den Regen und das vergangene Spiel ganz zerzaust, ein warmes Lächeln um die Lippen und beide Arme um die Hüfte seines Kapitäns geschlungen.

Verrückter Kerl…, schoss es Snape durch den Kopf und wieder einmal wusste er nicht, ob dieses brennende Gefühl in seinem Inneren Wut oder doch eher Trauer war.

Auf dem Bild regnete es. Wie immer, wenn sie gespielt oder trainiert hatten. Der Regen hatte irgendwie schon dazu gehört und auch heute, wenn der Professor für Zaubertränke mit seinen Kollegen trainierte oder spielte, regnete es. War das ein Zeichen? Vorherbestimmung?

Snape warf einen kurzen Blick auf die schwere Standuhr, deren dunkles Ticken die ganze Zeit wie ein monotones Hintergrundgeräusch durch den Raum hallte. Ein Uhr. Eindeutig Zeit zum Schlafen, doch immer noch kreisten seine Gedanken in einem einzigen Chaos durch seinen Kopf. Schienen einfach nicht zur Ruhe kommen zu können.

Mit einem lauten Fluchen schmiss er den Rahmen samt Bild an die gegenüber liegende Wand, an der das Glas klirrend zersprang und schließlich in vielen, einzelnen Scherben auf dem Boden lag. Das Foto mitten drin. Resignierend legte der Meister der Zaubertränke seine Arme auf den Tisch und ließ seinen Kopf sinken.

Wieso konnte nicht einfach alles sein wie vorher? Wieso hatten die Erinnerungen an Christian und den FC Claret Crystal nicht einfach irgendwo in den hintersten Schubladen seines Kopfes bleiben können? Wieso mussten sie zurückkehren, konnten ihn nicht mehr los lassen?

Langsam hob Snape wieder den Kopf und suchte mit seinen schwarzen Augen die Scherben auf dem kalten Steinboden, die bis vor wenigen Minuten noch ein Bilderrahmen gewesen waren. Das Foto lag, leicht mitgenommen, mitten drin in diesem kleinen Berg aus funkelnden Kristallstückchen. Die glatte Oberfläche des Bildes, so konnte Snape erkennen, war ebenfalls zerkratzt.

Er schloss kurz die Augen, seufzte leise und erhob sich schließlich langsam aus seinem Stuhl. Es half doch alles nichts! Die Erinnerungen waren da und Snape spürte, dass er sie dieses Mal nicht mehr so einfach verdrängen konnte. Es war, als hätte man ihn an eine Aufgabe erinnert, vor der er zuvor davon gelaufen war. Die darauf wartete, erledigt zu werden. Er war es ihnen schuldig. Er war es ihm schuldig. Er war es sich schuldig.

Er hob das Foto aus dem Haufen Scherben, die durch das flackernde Licht der Kerze rötlich schimmerten, und ließ diese mit einem kurzen Wink seiner rechten Hand verschwinden. Mit einer weiteren Handbewegung behob er die kleinen Schäden an dem Foto, zauberte es in einen neuen Rahmen und stellte es mir einem letzten Blick auf sich und Christian zurück auf den Schreibtisch.

Sein Blick ruhte einige Sekunden auf dem Foto, während seine Gedanken sich immer noch wie wild in seinem Kopf drehten. Wo sollte er sie finden? Er wusste nicht, ob sie immer noch dort wohnten, wo sie es vor Jahren getan hatten und ob sie ihn überhaupt sehen wollten. Immerhin war er damals einfach aus ihrem Leben verschwunden. Ohne ein letztes Wort. Ohne sich noch einmal umzudrehen. Er hatte die anderen, und vor allem Christian, im Stich gelassen. Sich nie mehr nach ihnen erkundigt.

Wieder musste der sonst so gefasste Meister der Zaubertränke seufzen. Es war falsch gewesen, damals einfach zu gehen. Das wusste er jetzt.

Klasse!, schaltete sich gleich die leise Stimme in seinem Kopf ein. Jetzt weißt du es und was bringt es dir? Glaubst du nicht, dass es jetzt zu spät ist?

Ein eigenartiges Gefühl zuckte durch den Körper des schwarzhaarigen Zauberers. War es zu spät? Hatte er die Chance verpasst?

Er musste es versuchen! Wahrscheinlich wollten sie nichts mehr mit ihm zu tun haben, aber er musste es wenigstens versuchen!

Die ganzen Jahre hatte er keinen einzigen Gedanken an die Mannschaft verschwendet, doch nun, ganz plötzlich, ließ dieses Gefühl, dass er etwas gut zu machen hatte, nicht mehr von ihm ab und zwang ihn dazu, zu handeln.

Der Meister der Zaubertränke wusste selbst nicht, was in ihn gefahren war. Normalerweise wäre ihm das alles egal gewesen, aber irgendetwas zwang ihn dazu, diesen Schritt zu gehen. Zu gehen, bevor es wirklich zu spät war.

Mit einem letzten Nicken zu dem Bild, welches nun wieder unversehrt auf seinem Schreibtisch stand, löschte er die kleine Flamme der Kerze, drehte sich um und machte sich auf den Weg ins Schlafzimmer.

Er kannte nur einen Ort, an dem er wenigstens einen von ihnen finden könnte und den würde er morgen aufsuchen. Morgen, gleich nach dem Unterricht!

Wenige Minuten später lag Severus Snape in seinem Bett, lauschte dem Gewitter außerhalb der Mauern von Hogwarts und schlief erst spät in der Nacht ein. Immer wieder bildete sich der gleiche Gedanke in seinem Kopf:

Würde er sie finden und würden sie ihm verzeihen können?

***


Der neue Morgen brach herein, wie der letzte Tag verschwunden war: Mit dem dunklen Donnergrollen eines Gewitters und den rauschenden Regentropfen, die monoton gegen die hohen Fenster der Großen Halle schlugen.

Dieser Herbst war wirklich verregnet und es sah nicht danach aus, als würde dieses Wetter sich in absehbarer Zeit stark ändern. Die Eulen, die in die Halle geflogen kamen um die morgendliche Post vorbei zu bringen, waren völlig durchnässt und zerzaust und ihre Besitzer mussten sich erst einmal um die armen Tiere kümmern, bevor sie ihren Rückflug antreten konnten.

Um diese Zeit war die Große Halle voll besetzt und der Unterricht würde bald beginnen. Alle Lehrer waren an diesem Morgen anwesend und wie gewöhnlich saßen sie an dem langen Tisch am Ende der Halle, von wo aus sie einen kompletten Überblick über die Schülerschaft von Hogwarts hatten.
Sie unterhielten sich lachend miteinander und nur Severus Snape, Meister der Zaubertränke und Hauslehrer von Slytherin, saß, scheinbar völlig in Gedanken versunken, an seinem Platz zwischen Minerva McGonagall und Remus Lupin. Sein Blick schien auf irgendeinen Punkt auf seinem Teller gerichtet zu sein und mit seinem silbernen Messer durchlöcherte er ein Etwas aus Teig, das vor nicht allzu langer Zeit mal ein Brötchen gewesen war, nun aber mehr einem Haufen beigen, zerfetzten Papier ähnelte.

Remus Lupin und Minerva McGonagall beobachteten das seltsame Verhalten ihres düsteren Kollegen schon eine ganze Zeit und warfen sich immer wieder fragende, aber auch besorgte, Blicke zu. Schließlich räusperte sich die stellvertretende Direktorin, die es scheinbar nicht mehr mit ansehen konnte, wie ihr Kollege auch die letzten Fetzten des Brötchens pulverisierte.

"Ähm… Severus?"

Der Meister der Zaubertränke blickte nicht auf und hielt in seiner Tätigkeit auch nicht inne. Lediglich ein gemurmeltes "Hm?" zeugte davon, dass er seine Kollegin gehört hatte. Diese warf Remus Lupin einen fragenden Blick zu, der ihr jedoch aufmunternd zunickte.

Sie räusperte sich.

"Ist… alles in Ordnung? Du wirkst so… abwesend…"

Die Bewegungen des Messers hielten für eine Sekunde still, bevor es, scheinbar noch energischer als zuvor, einem der letzten noch halbwegs heilen Stückchen des Brötchens auf den Leib rückte.

Snape sagte nichts.

Minerva warf einen weiteren fragenden Blick zu ihrem Kollegen, dessen Augen sich für einen Moment fragend, aber auch entschlossen, zusammen zogen. Lupin nahm einen schnellen Schluck seines süßen Früchtetees und blickte seinen Kollegen für Zaubertränke abschätzend von der Seite an.

"Minerva hat Recht, Severus. Mit dir stimmt doch etwas nicht! Seit gestern Abend bist du so komisch! Was ist los?"

Nachdem Snape die ganze Zeit über kaum eine Regung von sich gegeben hatte rechnete Lupin mit allem, nur nicht mit der Reaktion, die nun folgte. Sein düsterer Kollegen schmiss mit einem lauten Klirren das Messer auf seinen Teller, drehte seinen Kopf ruckartig in Lupins Richtung und bedachte diesen mit einem brennenden Blick.

Remus schluckte. Irgendetwas lief hier gerade gewaltig schief!

Auch Minerva hob, verwundert über die Reaktion ihres Hauslehrerkollegen, eine Augenbraue, sagte jedoch nichts.

"Nichts ist mit mir los, verstanden!", zischte Snape Lupin mit leiser Stimme an und die Lehrer in ihrer Umgebung, einschließlich des Direktors, Albus Dumbledore, verstummten und blickten fragend in ihre Richtung.

Remus Lupin wirkte für einen Augenblick ehrlich überrumpelt, doch schnell bekam sein Gesicht diesen entschlossenen Gesichtsausdruck zurück, den er immer hatte, wenn er sein Ziel unbedingt erreichen wollte. Nicht weniger bissig antwortete er: "Ach ja? Das sieht man!"

Noch ein letztes Mal bedachte Snape seinen Kollegen mit einem brennenden Blick, stand schließlich ruckartig auf und verließ die Halle mit wehender Robe, die wie eine schwarze Welle um seinen schlanken Körper tanzte.

Seine Kollegen blickten ihm fragend nach. Auch viele der Schüler unterbrachen ihre Unterhaltung und blickten ihrem Professor für Zaubertränke mit großen Augen hinterher. Was war am Lehrertisch geschehen? Viele von ihnen blickten fragend zu ihrem Direktor, doch dieser schaute seinem Lehrer ebenso verwundert nach wie alle anderen Lehrer und widmete sich schließlich, leicht kopfschüttelnd und die Stirn runzelnd, wieder seinem Frühstück.

Er wusste, dass man Severus, wenn er so eine Laune hatte, erst einmal ein wenig in Ruhe lassen musste. Reden hatte jetzt keinen Sinn und würde die Sache nur noch schlimmer machen.

Minerva McGonagall und Remus Lupin warfen sich noch einen letzten verwunderten, aber auch in ihrer Vermutung bestätigten, Blick zu und widmeten sich schließlich ebenfalls wieder ihrem Frühstück. Sie würden mit ihrem Kollegen reden. Später, wenn dieser sich wieder halbwegs beruhigt hatte. Diese Reaktion von ihm hatte ihnen nur gezeigt, dass mit Severus Snape wirklich etwas nicht stimmte und dass er Hilfe brauchte. Zwar würde dies keine leichte Aufgabe werden, aber sie kannten ihren Kollegen gut genug um das zu wissen und aufgeben würden sie deswegen sicherlich nicht.


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