Abseits, Foul und andere Katastrophen 2

 

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Kapitel 4: Ein Stückchen Vergangenheit


Leichter Nebel hing über den Straßen Londons. Menschen hasteten durch die Gegend, suchten Schutz vor dem Unwetter und beeilten sich, so schnell wie möglich wieder nach Hause zu kommen oder in eines der unzähligen, kleinen Cafés, die in diesem äußeren Teil der britischen Hauptstadt üblich waren. Die schwarzen Taxis rasten durch die nassen Straßen, Wasser spritzte nach allen Seiten und ein stetiges Donnergrollen erfüllte den dunkelgrauen Himmel. Obwohl es erst später Nachmittag war hatte man das Gefühl, der Tag neige sich schon bald dem Ende und es konnte nicht mehr lange dauern, bis die dunklen, eisernen Straßenlaternen, die von einer längst vergangenen Zeit erzählten, ihr blass-weißes Licht auf die Straßen werfen würden. Eine dunkle Gestalt, in einen schwarzen, schweren Umhang gehüllt, dessen tiefe Kapuze sie weit über das Gesicht gezogen hatte, bahnte sich ihren Weg durch den Regen und warf nur selten einen flüchtigen Blick in eines der kleinen Cafés, an denen sie schnellen Schrittes vorbei ging. Ab und zu warfen ihr Passanten, die ihren Weg kreuzten, neugierige, aber auch misstrauische Blicke hinterher, wenn der Saum des Umhanges sie berührte. Die Gestalt kümmerte sich nicht weiter darum, sondern setzte ihren Weg fort. Ihr Schritte führten sie an einem kleinen Park vorbei, die Themse entlang und schließlich blieb sie stehen, den Blick auf die andere Straßenseite gerichtet. Regen prasselte auf den schwarzen, schweren Stoff hinab, der sich immer mehr mit Wasser voll sog und immer schwerer wurde. Gegenüber, etwas abseits von den Wohnungshäusern und umgeben von einigen Baumreihen, war ein Fußballplatz, der seine besten Tagen scheinbar schon seit längerer Zeit hinter sich hatte. Die hohen Flutlichtmasten ragten bedrohlich in die Höhe, die knorrigen, kaum noch mit Laub bedeckten Bäume rauschten leise und im Hintergrund war deutlich das Schlagen von Wellen zu hören, wenn sie gegen die kleine Küste stürmten und krachend gegen die dicken, uralten Mauern der Stadt schlugen. Direkt hinter dem Platz war ein Stück der Themse, das wusste die Gestalt noch. Langsam hob sie ihre Hände und zog die Kapuze vom Kopf. Regen tropfte das Gesicht des schwarzhaarigen Mannes hinunter und schon nach wenigen Sekunden waren seine Haare völlig nass, doch er störte sich nicht daran. Den Blick immer noch auf die gegenüberliegende Straßenseite gerichtete ließ er ihn langsam über den ihm so vertrauten, aber nun so verwahrlosten Platz gleiten. Was war hier geschehen? Spielte man keinen Fußball mehr? War die Zeit vorbei, als hier die Mannschaften gegeneinander antraten und die Tribünen, nun verlassen und heruntergekommen, voller Zuschauer waren, die laut jubelten und kreischten? Langsam kam Bewegung in den Körper von Severus Snape und er überquerte die Straße. Ein Taxi, das er gar nicht beachtet hatte, fuhr laut hupend und mit quietschenden Reifen an ihm vorbei, doch viel zu sehr war er gefangen von dem Anblick des verlassenen Stadions, als sich um so etwas Unwichtiges wie ein Taxi, das ihn beinahe überfahren hätte, zu kümmern. Auf der andere Seite angekommen hielt er erneut inne. Ein silberner Blitz zuckte über den Himmel und ein tiefes Donnergrollen ließ ihn leicht zusammen zucken. Seine Hände schlossen sich fest um die eiskalten, silbernen Metallstangen, die das Spielfeld von dem Gehweg abgrenzten und erst die Kälte, die durch seine Finger bis hin zu seinem Herzen zu ziehen schien, war es, die den Schwarzhaarigen aus seiner Trance holte. Kurz schüttelte er den Kopf, als sei er gerade aus einem Traum aufgeschreckt, und blickte sich um. Die Tribünen waren verlassen, der Rasen ähnelte mehr einer Grube aus Schlamm mit ein wenig grün dazwischen und die Tore hatten auch schon bessere Zeiten erlebt. Die Netze bestanden nur noch aus Fetzen und die Farbe war von den Pfosten schon so weit abgeblättert, dass man kaum noch erkennen konnte, dass diese einmal weiß gewesen waren. Dieses Stadion wurde nicht mehr benutzt. Seit Jahren schon nicht mehr. Mit einem eigenartigen Gefühl von Schwere im Körper löste Snape seine Hände von der kalten Stange, schlüpfte mit einer fließenden Bewegung unter der Stange durch und spürte das erste Mal seit Jahren wieder den so vertrauten Rasen unter den Füßen. Ein lautes Quietschen ließ ihn den Blick nach rechts wenden. Über dem hohen Torbogen, der einmal der beeindruckende Eingang des Stadions gewesen war, tanzte das schwere, eiserne Schild im Wind hin und her, denn es war nur noch an einer Seite befestigt. Mit der Zeit hatte die Witterung die Schrift verblassen lassen und nur noch mit Mühe waren die Worte, die einmal in weinroten Lettern auf dem Schild gestanden hatten, zu lesen:

"FC Claret Crystal"
Ohne es verhindern zu können rann eine einzelne Träne die bleiche Wange des Zaubertränkemeisters von Hogwarts hinab und er wandte schnell den Blick ab. Er wollte das alles nicht mehr sehen! Niemals hatte er erwartet, dass er dieses Stadion, in dem er so viel erlebt hatte, das ein Teil seiner Vergangenheit war, nun so verlassen und heruntergekommen vorfinden würde. Wann war es geschehen? Wann hatte man aufgehört hier zu spielen? War es an diesem Abend vor Jahren das letzte Spiel gewesen, das diese Flutlichter erleuchtet hatten? War es das letzte Mal gewesen, dass die Menschen jubelnd auf den Tribünen gesessen und ihre Mannschaft angefeuert hatten? War damals alles zu Grunde gegangen? Ohne es selbst zu realisieren ging der Schwarzhaarige einmal über den gesamten Platz. Sein Blick glitt dabei über jedes einzelne Detail des Stadions, das er so gut in Erinnerung hatte, als wäre er gestern zum letzten Mal hier gewesen. Der schlammig-nasse Rasen unter seinen Stiefeln gab bei jedem Schritt eigenartige Geräusche von sich und schien ihn doch irgendwie willkommen zu heißen. Sein Blick blieb an dem großen Tor ihm gegenüber hängen. Unten, kaum zu sehen, neben dem rechten Pfosten, lag ein Fußball. Das schwarz-weiße Leder war rissig und schien an vielen Stellen schon fast abzugehen. Ohne weiter darüber nachzudenken näherte sich Snape dem Fußball und blickte sich kurz um. Hier war niemand. Er war alleine. Auf der nun weiter entfernten Straße fuhren noch immer die Autos und Busse durch die hohen Wasserpfützen, Passanten eilten über die Gehwege und dennoch schien keiner Notiz von ihm zu nehmen. Da er ohnehin schon völlig durchnässt war würde es nichts mehr ausmachen, wenn er jetzt den Umhang auszog. Nur einen Schuss. Mehr wollte er nicht. Mit langsamen Bewegungen, weil sein Verstand immer noch protestierte und ihn fragte, ob er denn noch ganz dicht sei, zog er schließlich den schweren Umhang aus, hängte ihn an die Spitze des rostigen Pfostens und spürte direkt den Regen und die Kälte, die durch sein Hemd zogen. Ohne groß noch einmal darüber nachzudenken nahm Snape den Ball, entfernte sich etwas vom Tor und stellte sich auf den Elfmeter-Punkt. War er denn von allen guten Geistern verlassen? Es regnete wie aus Eimern, er stand hier draußen, mitten im Matsch auf einem verwahrlosten Spielfeld und wollte einen zerfetzten Ball ins Tor schießen. Einfach so. Als hätte er nichts Besseres zu tun. Wieso nur war er auf einmal so verdammt sentimental? Es war ein Stadion, nicht mehr. Ein Bauwerk, das seine besten Tage hinter sich hatte und nun nicht mehr war als ein bisschen matschiger Rasen umgeben von Tribünen… Innerlich schüttelte Snape über sich selbst den Kopf, aber dennoch gelang es ihm nicht, einfach wieder zu gehen. Seinen Umhang zu nehmen und einfach wieder nach Hogwarts zurück zu kehren. Stattdessen blieb er hier, schaute das Tor mit konzentriertem Blick an und machte sich bereit. Als hätte jemand einen Schalter umgelegt hörte er plötzlich wieder das Jubeln der Fans, die Rufe seiner Mannschaft und die Kommentare des Stadionsprechers. Er war wieder dort. Jahre zuvor. Alles hing von ihm ab. Sieg oder Niederlage. Gewinn oder Verlust. Jubel oder Enttäuschung. Wie berauscht fühlt er sich und nahm Anlauf. Er musste treffen. Von diesem Schuss hing alles ab. Er musste diesen Elfmeter verwandeln, durfte nicht versagen. Der grelle Pfiff des Schiedsrichters ertönte und er schoss… schoss, wie noch nie zuvor in seinem Leben…
***
Severus Snape hatte seine Umwelt völlig vergessen. Für ihn existierten nur noch das Tor und der Ball. Immer wieder spielte er den Ball ein wenig umher, umspielte imaginäre Gegner und schoss schließlich mit aller Kraft, die er aufbringen konnte, ins Tor. Kaum einer seiner Schüsse verfehlte sein Ziel. Im Gegenteil. Je länger er spielte, desto präziser schienen sie zu werden. Er legte die ganze Wut, die ganze Verzweiflung, die ganze Trauer, die er mit einem Mal spürte wie eine heiße Flamme, die sich von innen heraus durch seinen Körper brannte, in seine Schüsse und dementsprechend hart waren diese auch. Das Netz schien unter der Wucht seiner Schüsse zu ächzen, das dunkle Donnergrollen und der rauschende Regen linderte seine Wut nicht. Er war blind für seine Umwelt und völlig versunken in dieses Gefühl von brennender Wut, so dass er nicht bemerkte, wie eine weitere Gestalt langsam, fast zögernd, auf ihn zukam. Sie nahm, wie er zuvor, den direkten Weg über das Spielfeld und näherte sich immer mehr dem düsteren Mann, der da mit so viel Wut ein Tor nach dem anderen schoss. Bei der zweiten Gestalt handelte es sich ebenfalls um einen Mann, der nicht mehr trug als ein dunkelblaues Hemd und eine schwarze Hose. Der Regen lief sein Gesicht hinab und mit vor Unglauben geweiteten Augen starrte er Severus Snape an. Einige Meter hinter diesem blieb er stehen und wagte es kaum zu atmen. War er es wirklich? Konnte es sein, dass er zurückgekehrt war? Oder spielte ihm seine Phantasie nur einen bösen Streich und wollte ihn ein weiteres Mal zum Narren halten? So oft hatte er schon geglaubt ihn hier zu sehen, doch immer, wenn er diesem Bild zu nahe kam, löste es sich auf und stellte sich als einen makaberen Scherz seiner Phantasie heraus. Mit jedem Mal war er innerlich ein bisschen mehr gestorben und er wusste, dass es falsch gewesen war, wieder einmal einer Einbildung zu folgen. Aber er hatte nicht anders gekonnt. Diese Art, wie der schwarzhaarige Mann sich bewegte, schoss, lief… Das alles hatte sich so stark in sein Gedächtnis eingebrannt, dass er es unmöglich verwechseln konnte. Er musste es sein! Musste einfach! Der Schwarzhaarige hatten seinen stillen Beobachter immer noch nicht bemerkte. Ein besonders lauter Blitz schien irgendwo in der Nähe eingeschlagen zu haben und erst jetzt hielt Snape inne. Er atmete schwer, war durchnässt bis auf die Knochen und ziemlich dreckig, doch das kümmerte ihn wenig. War er nun kurz davor, wahnsinnig zu werden? Mit einem Laut, der sich anhörte wie eine Mischung aus einem Schluchzen und einem hohlen Lachen, schoss er den weiß-schwarzen Ball ein letztes Mal in das zerfetzte Netz des Tores und erschrak. Hinter ihm stand jemand. War er wirklich so in Rage gewesen, dass er nicht bemerkt hatte, wie jemand sich ihm genähert hatte? Mit einem leichten Schlucken hielt er inne. Wer war das? Und was wollte er von ihm? Sollte Snape sich einfach umdrehen, einen seiner berüchtigten Schülerblicke aufsetzen und diesen Jemand, der es gewagt hatte sich ihm ungemerkt zu nähern, ordentlich zusammen falten? Snape hatte es aufgegeben sich zu fragen, ob er mittlerweile verrückt geworden war, denn irgendwie ließ sein Verhalten keine andere Schlussfolgerung zu. Er drehte sich nicht um und jagte diesen Eindringling zum Teufel. Stattdessen blieb er regungslos stehen, starrte das Tor vor sich an und wartete darauf, dass der Andere etwas unternahm. Es vergingen einige Minuten und Severus Snape wollte sich schon wortlos umdrehen und verschwinden, als er hinter sich eine leise, ihm allzu vertraute, Stimme flüstern hörte: "Severus?"

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