Abseits, Foul und andere Katastrophen 2

 

 

Kapitel 5: Julian

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Severus Snape glaubte, sein Herz würde stehen bleiben. Von einer Sekunde auf die nächste schien alles viel langsamer zu sein als noch zuvor. Der Regen schien nur noch träge zu fallen, das monotone Geräusch der Autos war dumpf geworden und die gesamte Zeit schien still zu stehen.

Diese Stimme…

Nein, das kann nicht sein!, war der einzige Gedanke, zu dem der Meister der Zaubertränke momentan im Stande war. Er kannte diese Stimme nur zu gut. Hatte sie so oft gehört.

"Severus?"

Mit diesem einen Wort, so voller Angst, aber auch voller Hoffnung ausgesprochen, schien die Zeit wieder in ihre normalen Bahnen zurück zu kehren und alle Erinnerungen, die Snape mit dieser Stimme in Verbindung brachte, stürzten in einer einzigen Welle auf ihn ein. Seine Knie drohten unter ihm nachzugeben und er spürte, wie ein Zittern durch seinen ganzen Körper fuhr.

Langsam, ohne sich überhaupt sicher zu sein, dass er das Richtige tat, drehte Snape sich um…

…und bereute es im nächsten Augenblick.

Er hatte sich kaum verändert.

Das kurze, braune Haar stand ihm wie immer strubbelig vom Kopf ab und gab ihm etwas Jugendliches, Rebellisches. Das Gesicht war wie eh und je so fein, dass es ein wenig weiblich wirkte und die smaragdgrünen Augen blickten ihn so fragend, so voller Hoffnung an, als wäre er selbst eine Erscheinung aus einer längst vergangenen Zeit.

Im Grunde war er es ja auch.

"Julian", flüsterte Snape mit leiser, leicht rauer Stimme. Seinen Blick immer noch fest auf seinen Gegenüber gerichtet war er zu nicht mehr im Stande und in seinem Kopf zogen die Erinnerungen mit atemberaubender Geschwindigkeit an ihm vorbei.

Julian, wie er mit Leib und Seele den linken Verteidiger spielte.

Julian, wie er lachte, wenn er sich mit dem Gegner erbittert um einen Ball stritt.

Julian, wie er sie alle nach einer Niederlage immer wieder aufbaute und ein Lächeln auf ihre Gesichter zauberte.

Julian, wie er das letzte Foto von ihnen geschossen hatte…

Er hatte bis jetzt versucht dagegen anzukämpfen, doch nun, wo er so unverändert vor ihm stand, den Arm verzweifelt in seine Richtung ausstreckte und zögerlich, mit einem sanften "Severus!" auf den Lippen, einen ängstlichen Schritt in seine Richtung machte, da nahm diese Welle aus Erinnerungen den schwarzhaarigen Zauberer einfach mit sich und seine Knie gaben nach.

Mit einem letzten, leisen "Julian!" sackte er langsam auf den schlammigen Boden und ehe er überhaupt wusste, was geschah, war Julian auf ihn zugestürzt, hatte ihn aufgefangen und zusammen waren sie schließlich auf dem Boden gelandet.

Julian hatte Snape in eine feste Umarmung gezogen und hielt sich an ihm fest wie ein Ertrinkender an einem rettenden Stück Holz. Er hatte sein Gesicht auf Snapes' Schulter gelegt und ein leises Schluchzen war zu hören. Immer wieder flüsterte er: "Severus, du bist es wirklich!" und drückte den Schwarzhaarigen dabei nur noch näher an sich.

Snape, der im ersten Moment nicht wusste was hier geschah, hatte sich langsam wieder gesammelt und schloss nun seinerseits ebenfalls die Arme um den zitternden Körper vor sich.
Er spürte die Wärme, die von Julian ausging, aber auch seinen Schmerz und seine Trauer, die mit einem Mal aus ihm heraus zu brechen schien. Sanft fuhr er dem Braunhaarigen über den Rücken.

Wieso er das alles tat und warum innerhalb von Stunden sein ganzes Leben so auf den Kopf gestellt worden war, wusste er nicht.

Die ganzen Jahre über hatte er sie alle vergessen und jetzt, nach so langer Zeit, kamen die Erinnerungen, und mit ihnen der Schmerz zurück.

Er hatte versucht dagegen anzukämpfen, seine Maske zu wahren und sie erneut in den letzten Winkel seines Geistes zu verdrängen, doch diesen Kampf hatte er verloren. Von dem Augenblick an, als die Erinnerungen zurückgekehrt waren, hatte er verloren.

"Shhhht, Julian. Beruhig dich, ich bin ja da!"

War das wirklich wahr? Kniete er hier wirklich mit Julian auf dem Boden, unterdrückte mit aller Macht die Gefühle, die sich brennend einen Weg nach oben suchten und strich seinem alten Freund und Mannschaftskollegen beruhigend über den Rücken?

Das immer leiser werdende Schluchzen an seinem Hals bestätigte ihm, dass es kein Traum, keine Illusion war und dass das alles hier wirklich passierte. Ein leichtes Lächeln bildete sich um die Mundwinkel des Schwarzhaarigen, ohne, dass er es verhindern konnte.

Noch ein letztes Mal strich er dem Kleineren über den Rücken, packte diesen schließlich sanft an den Schultern und schob ihn wenige Zentimeter von sich weg, sodass sie sich ins Gesicht blicken konnten.

Julians' Augen waren rötlich vom Weinen und eine glitzernde Spur von Tränen, die sich mit dem Regen verbanden, war auf beiden Wangen zu sehen. Severus lächelte sanft, als er diese mit seinen Daumen wegwischte.

"Weine nicht, Julian. Nicht wegen mir. Ich habe deine Trauer nicht verdient!", flüsterte er leise und merkte selbst, wie brüchig seine Stimme klang. Das Ganze nahm ihn doch mehr mit, als er sich selbst eingestehen wollte und auch in diesem Moment konnte.

Julian versuchte ein Lächeln, was aufgrund seines von Trauer, aber auch von Hoffnung gezeichnetem Gesicht ein wenig schief ging und Severus konnte nicht anders, als über diesen Versuch zu lachen.

Ja, das erste Mal seit langer, langer Zeit lachte er wieder und dieses dunkle Lachen war es, was Julian schließlich ein wirkliches Lächeln auf das Gesicht zauberte. Sie hockten hier inmitten eines schlammigen Fußballfeldes, über ihnen donnerte das Gewitter und es regnete immer noch wie aus Eimern, aber beide lächelten und umarmten sich ein weiteres Mal.

"Du bist es wirklich", sprach Julian und seine Stimme bekam langsam wieder diesen jugendlichen Unterton, den Severus so gut in Erinnerung hatte. Wie ein kleiner Junge, dem ein besonders guter Streich gelungen war und der nun stolz seinen Freunden erzählte, was er angestellt hatte.

"Ja", erwiderte Severus, "ich bin es wirklich."

Noch einige Minuten verharrten sie in ihrer Umarmung und erst, als ihre Kleider so nass waren, dass eine beklemmende Kälte von ihren Körpern Besitz ergriff, erhoben sich beide und schauten sich an.

Julian grinste immer noch und Snape hob belustigt eine Augenbraue.

Der Braunhaarige war es, der schließlich nach der bleichen Hand des Zaubertränkemeisters griff, ihn mit den Worten "Du bist ja ganz nass!" hinter sich her zog und gemeinsam verließen sie das Stadion.

Der Severus konnte nur den Kopf schütteln und ließ sich widerstandslos mitziehen. Den Versuch, eine Erklärung für alles zu finden hatte er aufgegeben und irgendwie fühlte es sich richtig an, was hier gerade geschah.

Das warum war unwichtig, es zählte nur die Tatsache, dass es geschah. Ein Teil seiner Vergangenheit war erneut zur Gegenwart geworden und alte Wege, die er schon längst vergessen hatte, lagen nun wieder vor ihm.

Es würde nicht leicht werden, dieser Illusion brauchte er sich gar nicht erst hinzugeben, und wie viel er von diesem Weg gehen würde, wusste der Zaubertränkemeister nicht, doch im Moment zählten nur die Schritte, die sie gemeinsam über den Rasen gingen und damit die Vergangenheit wieder zum Leben erweckten.

Nichts erinnerte mehr an das Schauspiel, welches sich hier vor wenigen Minuten abgespielt hatte, außer ein halb kaputter Ball, der verlassen im löchrigen Netzt des Tores lag und ein durchnässter, schwarzer Umhang, der schaurig im kalten Wind des Herbstes tanzte und von einem Mann erzählte, der zurück gekehrt war.



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