Blutsbande - Kapitel 10: Anathema Consanguiniti

 

 

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Kapitel 10: Anathema Consanguiniti



Als sie am anderen Morgen erwachte, wusste Emily erst einmal gar nicht, wo sie sich befand. Sie lag in einem ziemlich großen Bett - das definitiv nicht ihres war. Seltsam…
Und dieser Geruch, der den Kissen anhaftete, den kannte sie doch auch schon. Herb und irgendwie ganz wundervoll - dass war zweifellos…

"Du lieber Himmel!" Emily fuhr kerzengerade auf. Das durfte doch nicht wahr sein! Nahmen denn die Peinlichkeiten nie ein Ende?

Anscheinend nicht, denn im nächsten Moment wurde die Tür geöffnet.
"Guten Morgen, Miss McElwood", sagte Snape und streckte den Kopf ins Zimmer. "Endlich ausgeschlafen?"

Emily wurde tiefrot und zog sich die Decke bis hinauf ans Kinn, was eigentlich gar nicht notwendig war, denn sie war vollständig angezogen. "Wie komme ich… ich meine, und wo haben Sie…"

"Die Nacht verbracht? Wo denn wohl, drüben natürlich", entgegnete er kühl. "Ihnen ist nichts… passiert, falls es das ist, was Sie beunruhigt."

Emily wurde noch verlegener. "Ich wollte damit auch nicht… ich bin wohl gestern eingeschlafen, es tut mir leid!"

"Muß es nicht", meinte Snape, einen Hauch freundlicher. Er beschloß, ihr nicht zu erzählen, dass er da etwas nachgeholfen hatte. "Zumindest hat der Trank aber bestens funktioniert, Sie haben geschlafen, wie ein Stein."

Und Emily merkte, dass sie sich so munter und ausgeruht fühlte, wie schon seit Monaten nicht mehr. "Ähhh… dürfte ich vielleicht kurz Ihr Badezimmer benutzen?"; fragte sie dann schüchtern.

Snape seufzte und unterdrückte seinen aufkommenden Ärger. "Fühlen Sie sich ganz wie zuhause", entgegnete er knapp und wies auf eine weitere Tür. "Dort entlang."

Schnell kletterte sie aus dem Bett und wandte sich in die angegebene Richtung.
Wenn ihr die ganze Angelegenheit nicht so peinlich gewesen wäre, hätte sie es komisch finden können. Wahrscheinlich war sie die erste Schülerin überhaupt, der es vergönnt war, einen Blick in Snapes Badezimmer zu werfen.
‚Und mit ziemlicher Sicherheit auch die einzige, die je in seinem Bett übernachtet hat', überlegte sie weiter. ‚Himmel, hoffentlich erfährt das niemand!'

Das Bad selbst war kalt und ungemütlich und Emily beeilte sich. Sie wusch sich das Gesicht mit kaltem Wasser und versuchte dann, ihre verfilzten Haare mit den Fingern etwas zu entwirren.
Das Ergebnis war zwar alles andere als zufriedenstellend, doch nach einem Blick in den Spiegel stellte sie zu ihrer Freude fest, dass sie heute etwas besser aussah. Die Schatten unter den Augen waren nicht mehr ganz so dunkel und auf den Wangen hatte sie tatsächlich einen Hauch Farbe.

‚Was eine ruhige Nacht so alles ausmachen kann', wunderte sie sich und ging wieder hinaus. Duschen würde sie im Gemeinschaftsbad der Gryffindors,

"Das ging ja erstaunlich schnell", knurrte Snape, als sie wieder auftauchte. "Ich dachte immer, alle Mädchen würden morgens zwei Stunden lang brauchen, um sich zurechtzumachen."

"Jedem seine Vorurteile", gab sie schlagfertig zurück - und hätte sich im nächsten Moment am liebsten auf die Zunge gebissen. Snape schien sowieso schon mit seiner Geduld am Ende, was musste sie ihn dann noch reizen? Daß sie auch nie den Mund halten konnte!

Doch Snape schien im Augenblick keine Lust auf einen Schlagabtausch zu haben.
"Dann raus mit Ihnen", knurrte er lediglich, doch seine Augen hatten gefährlich angefangen zu funkeln. "Und bevor ich es vergesse: Sie haben die Nacht im Krankenflügel verbracht, ist das klar?"

"Vollkommen", entgegnete sie. "Ich bin ja nicht blöd!" Emily durchquerte schnellstens sein Büro und öffnete die Tür zum Gang. Doch dann drehte sie sich noch einmal um. "Danke, Professor", sagte sie leise. "Sie haben mir wirklich geholfen - und es tut mir leid, dass Sie wegen mir eine so unbequeme Nacht gehabt haben."

"Ich habe schon wesentlich Schlimmeres erlebt", gab er knapp zurück. "Und hören Sie endlich auf, sich andauernd zu entschuldigen, das passt nicht zu Ihnen!" Er hielt kurz inne und die Andeutung eines Lächelns spielte um seine Mundwinkel. "Jetzt gehen Sie schon - und falls Sie immer noch Interesse haben, ich beginne heute Abend mit den Vorbereitungen des neuen Projektes…"

"Sehr gerne!" Emily strahlte. "Sie haben mir noch gar nicht gesagt, worum es dabei eigentlich geht…" Sie war voller Begeisterung.

Jetzt lächelte Snape tatsächlich. "Dann werden Sie sich bis heute Abend gedulden müssen. Und wenn Sie mich jetzt BITTE entschuldigen würden?"

Kopfschüttelnd sah er ihr nach, als sie die Tür hinter sich geschlossen hatte.
‚Ein Mädchen, das sich an Zaubertränken hell begeistern kann', wunderte er sich. ‚Man lernt wohl nie aus…'



***



Emily rannte die Treppen hinauf zum Gryffindorturm. Sie hatte keine Ahnung, wie spät es eigentlich war, doch im Schulhaus war noch alles still.

"Passwort?", erkundigte sich die fette Dame verschlafen, als Emily ganz außer Atem vor ihrem Bild zum Stehen kam.

"Tempora mutantur nos et mutamur in illis."

"Wie wahr", nuschelte Gryffindor-Wächterin und ließ das Bild zur Seite schwingen.
Emily schlüpfte durch die Öffnung und fragte sich wieder einmal, wie es Neville fertigbrachte, sich diesen Satz zu merken.
Schnell lief sie in den Mädchenschlafraum, wo alles gerade begann, wach zu werden.

"Wo kommst du denn her?", fragte Lavander erstaunt. "Und vor allem, wo bist du die ganze Nacht gewesen?"

"Im Krankenflügel", entgegnete Emily. "Der Trank von Snape hatte eine ‚umwerfende' Wirkung, deshalb hat er mich zur Sicherheit bei Madame Pomfrey abgeliefert."
‚Von wegen ich und eine miserable Lügnerin', dachte sie.

"Hat er denn wenigstens funktioniert?" Hermine musterte Emily, die heute um einiges erholter wirkte.

"Und wie, ich hab die ganze Nacht durchgeschlafen - und nichts geträumt!"
Emily kramte frische Wäsche aus ihrem Schrank und beschloß, dass ihr völlig zerknülltes Obergewand selbst für ihre Verhältnisse etwas zu schlampig aussah.

"Hast du eigentlich nur solche Sachen?", erkundigte sich Parvati, als Emily ein nahezu identisches schwarzes langes Flatterkleid zutage förderte.

"Wieso?" Emily fand, dass es eigentlich keine besondere Rolle spielte, was sie anzog.

"Ich meine ja nur…", sagte Parvati gedehnt. "Besonders vorteilhaft ist es nämlich nicht gerade…"

Emily würdigte sie keiner Antwort und verzog sich ins Bad. Doch die großen Spiegel darin zeigten ihr mitleidlos, dass Parvati es sogar noch höflich ausgedrückt hatte, sie sah aus wie eine zerdrückte Vogelscheuche.
‚Wenn schon', dachte sie. ‚Wen interessiert es schließlich, wie ich aussehe?'
Dann gönnte sie sich eine ausgiebige, heiße Dusche, die ihre Lebensgeister endgültig aufweckte.
‚Vielleicht hat Parvati ja Recht…', überlegte sie zögernd, doch dann schob sie diesen Gedanken schnell wieder beiseite. Sie hatte sich wirklich mit anderen Problemen herumzuschlagen.
Wenigstens ging sie aber daran, ihr langes Haar einmal gründlich auszubürsten, das ihr jetzt in nassen Strähnen bis auf die Taille fiel.
‚Unpraktisch, ich sollte sie eigentlich abschneiden', dachte sie nicht zum ersten Mal, doch das hatte sie einfach noch nicht übers Herz gebracht. Als Kompromiss flocht sie es zu einem schweren Zopf, damit es nicht sofort wieder so verfilzte.

"Neue Frisur?" Lavander kam gerade ins Bad. "Sieht hübsch aus", fand sie.

"Danke", lächelte Emily. Das hatte ihr schon lange niemand mehr gesagt - und sie musste zugeben, dass sie sich ein bisschen darüber freute.
Die Eitelkeit stirbt anscheinend zu allerletzt', dachte sie sarkastisch.

Mittlerweile waren auch die restlichen Mädchen eingetroffen und verwendeten viel Zeit darauf, sich möglichst attraktiv herzurichten.
‚Aha, anscheinend haben wir heute schon wieder eine Mayflower-Stunde', vermutete Emily, die sich noch nicht die Mühe gemacht hatte, ihren Stundenplan auswendig zu lernen.

***



Beim Frühstück musste sie noch einmal genau berichten, was letzte Nacht passiert war. Emily erzählte seelenruhig die bereinigte Fassung, die ihr auch jeder glaubte - und alle bestätigten ihr, dass der Trank ihr offensichtlich sehr gut bekommen wäre.

"Was genau ist denn eigentlich Schuld an deinen Träumen?", fragte Hermine dann.

"Ein Vincireo", entfuhr es Emily unüberlegt.

"Hmmmm…", machte Hermine nur. "Und diesen Zauber kann man brechen? Das wusste ich gar nicht."

Emily verfluchte sich für ihre Unaufmerksamkeit. "Der Trank hat die Wirkung stark abgeschwächt, nicht gebrochen", meinte sie dann.

"Aha", meinte Hermine daraufhin. "Na ja, Hauptsache ist ja wohl, dass es dir besser geht!" Doch sie überlegte bereits, wann sie heute tagsüber einen Besuch in der Bibliothek unterbringen könnte.

Emily kramte währenddessen ihren Stundenplan hervor. Zuerst Arithmantik, das was erträglich. Doch dann stand Verteidigung gegen die dunklen Künste auf dem Programm - was ja leider zu erwarten gewesen war.
Emily seufzte. Nachdem, was sie gestern in Snapes Buch gelesen hatte, musste sie sich dringend auf die unverzeihlichen Flüche konzentrieren. Und der schöne Narzissus würde ihr dabei keine Hilfe sein. Doch vielleicht war ja aus Snape mehr herauszuholen?
Sie warf einen schnellen Blick zum Lehrertisch. Professor Snape sah man nicht an, dass er eine schlaflose Nacht hinter sich hatte, doch er schien tief in Gedanken versunken. Plötzlich schaute er auf, ihre Blicke trafen sich - und Emily hätte schwören können, dass er wieder diese Andeutung eines Lächelns um den Mund gehabt hatte.
‚Bestens, er hat einigermaßen gute Laune' dachte sie. ‚Dann kann ich ihm heute wahrscheinlich auch ein paar Fragen stellen, ohne dass er gleich in die Luft geht...'

Ein gewaltiges Rauschen, das plötzlich die Große Halle erfüllte, lenkte sie ab. Die Post war angekommen.

Ron bekam ein ziemlich großes Päckchen direkt auf seinen Teller geklatscht, so dass der Haferbrei in alle Richtungen davonspritzte.
"Mom hat anscheinend die Artikel aus dem Tagespropheten geschickt", vermutete er und wischte sich ein paar Spritzer aus dem Gesicht. "Mensch, das müssen ja Unmengen sein!"

"Laß mal sehen", verlangte Harry.

"Doch nicht hier, das muß Emily ja nicht unbedingt mitkriegen", flüsterte Hermine, doch Emily war mit ihrer eigenen Post beschäftigt. Sie hatte einen ganzen Stapel Briefe erhalten, den sie jedoch achtlos beiseite legte. Bis auf einen, den sie sofort öffnete und voller Interesse zu lesen schien.

"Von deiner Familie?", fragte Harry und Emily nickte.

"Hab ja genügend davon - und meistens schreiben sie ziemlich langweiliges Zeugs. Bis auf meine Großmutter…" Sie las weiter.

"Ich kriege nie Post von meiner Familie", meinte Harry.

"Sei froh", entgegnete Emily kurzangebunden. Anscheinend wollte sie nicht weiter gestört werden.

"Tschuldigung, dass ich überhaupt gefragt habe", gab Harry etwas beleidigt zurück, doch Emily nahm ihn nicht weiter zur Kenntnis, sondern las konzentriert weiter.

Hermine hatte indessen keine persönliche Post bekommen, sondern nur den Tagespropheten, den sie noch immer abonniert hatte.

‚Wieder neue, schreckliche Todesfälle'

prangte die dicke Überschrift auf der ersten Seite.

"Das häuft sich aber in letzter Zeit", stellte Hermine verwundert fest und begann, den Leitartikel zu lesen:

‚Wie soeben bekannt wurde, haben sich erneut mysteriöse Todesfälle zugetragen. Schauplatz ist diesmal das Dorf Whipplethorne, wo sämtliche Mitglieder der Familie Hawkening gestern in den frühen Morgenstunden tot aufgefunden worden sind. Nach ersten Ermittlungen des Zaubereiministeriums sind die Hawkenings Opfer der unverzeihlichen Flüche geworden.
Von den Tätern fehlt jede Spur, auch ein erkennbares Motiv liegt nicht vor.
Laut Aussagen der Nachbarn waren die Hawkenings sehr beliebt und hatten keinerlei Feinde…….'


"Das ist ja grässlich", meinte Ron, der über ihre die Schulter gebeugt mitgelesen hatte.

"Allerdings", stimmte Hermine zu. "Vor allem, weil langsam keine Woche mehr vergeht, in der nicht wieder so etwas passiert. Selbst Muggel sollen schon unter den Opfern sein."

"Die unverzeihlichen Flüche…", sagte Ron gedehnt. "Irgendwie erinnert mich das an Emily …"

"Nicht nur dich! Irgendjemand muß da eine riesengroße Wut auf den Rest der Menschheit haben, schlägt grausam zu - und hinterlässt keinerlei Spuren."

"Der Cruciatus auf weite Entfernung… was, wenn das auch mit Avada Kedavra funktioniert? Und wenn alle Opfer auf diese Weise umgebracht werden?"

"Genau das frage ich mich auch", meinte Hermine. "Und ich werde den Verdacht nicht los, dass Emily irgendetwas damit zu tun hat."

"Du meinst doch nicht etwa, dass sie…" Ron schaute ungläubig drein.

"Nein, natürlich war sie es nicht! Aber es ist doch sehr eigenartig, dass auch sie Opfer eines Cruciatus-Angriffes wurde, den sich niemand erklären kann."

"Sollen wir sie direkt mal fragen?", schlug Ron vor, doch Hermine winkte ab.
"Sinnlos, genauso gut könntest du versuchen, von der Haferbreischüssel ein paar Antworten zu bekommen! Wir müssen da schon selber sehen, wie wir etwas herausfinden."

Harry hatte ihrer flüsternd geführten Unterhaltung bisher schweigend zugehört.
"Ich denke, sie ist in größter Gefahr", meinte er jetzt. "Wahrscheinlich größer, als sie selbst es auch nur ahnt."

"Ich bin mir nicht sicher", überlegte Hermine. "Und ich habe da einen ganz bestimmten Verdacht. Die Sache mit dem Vincireo… ich habe davon schon mal gehört. Laßt mich erst in der Bibliothek was nachschlagen, wenn ich nämlich richtig liege, gehen wir alle von völlig falschen Voraussetzungen aus…" Und mehr war vorläufig nicht aus ihr herauszubringen.

"Habt ihr heute keine Lust auf Arithmantik, oder was", ließ sich Seamus vernehmen. "Wir sollten uns langsam beeilen, Professor Vector hat's auch nicht so gerne, wenn man zu spät kommt!"

"Arithmantik ist so ziemlich das letzte, was mich jetzt interessiert", murmelte Ron. "Das hier ist viel spannender!" Doch er setzte sich gehorsam in Marsch und machte sich mit den anderen zusammen auf den Weg zum Unterricht.



***



Emilys für ihre Verhältnisse gute Laune hielt genau solange an, bis Verteidigung gegen die dunklen Künste unmittelbar bevorstand.
Sie war in Arithmantik zwar keine große Leuchte, doch wenigstens hatte Gryffindor die Stunde ohne Punkteabzüge überstanden.

Als sie jetzt jedoch Professor Mayflowers Klassenzimmer betraten, trug Emily wieder ihre gelangweilt-spöttische Miene zur Schau, die nichts Gutes verhieß.
‚Ein falsches Wort, und Mayflower würden wieder die Fetzen um die Ohren fliegen', schien dieser Gesichtsausdruck zu bedeuten.
Wenigstens setzte sie sich heute in die letzte Bank, wie beinahe alle Mädchen erleichtert zur Kenntnis nahmen.

"Und was machst du heute mit ihm", erkundigte sich Harry gespannt, der neben ihr saß.

"Nichts", entgegnete Emily knapp. "Jedenfalls, solange er mich mit seinen schwachsinnigen Sprüchen verschont."

"Soviel Intelligenz traue ich ihm aber nicht zu", kicherte Harry und freute sich, dass er Emily damit ein kleines Lächeln hatte entlocken können.

"Emily, sei einfach ganz du selbst", meinte Ron mit breitem Grinsen. "Würde mich echt interessieren, wo bei Mayflower die Schmerzgrenze liegt!"

Eigentlich wollte Emily ihre Ruhe haben und sich nicht weiter mit diesem aufgeblasenen Trottel, der Mayflower in ihren Augen nun einmal war, auseinandersetzen, doch kaum war er im Klassenzimmer erschienen, rückte sie sofort wieder in den Mittelpunkt seiner Aufmerksamkeit.

"Ich sehe, Mr. Potter und Miss McElwood haben sich nebeneinander gesetzt", säuselte er. "Zwei Berühmtheiten nebeneinander; ich sage ja immer: Gleich und gleich gesellt sich gern!"

"Wie kommt er bloß immer drauf, dass ich so berühmt wäre", fragte Emily, der Verzweiflung nahe.

"Wahrscheinlich wegen deiner Familie", vermutete Harry und Emily wurde weiß vor Zorn.
"Noch so eine diesbezügliche Bemerkung von ihm und der kann was erleben", fauchte sie. "Auf einen Rausschmiß mehr oder weniger kommts mir jetzt weiß Gott auch nicht mehr an…"

"Ähhh, Emily", ließ sich Ron vernehmen. "Was ich dich schon die ganze Zeit fragen wollte: Warum bist du eigentlich überall geflogen?"

Emily maß ihn mit einem unergründlichen Blick. Die Antwort darauf war nämlich gar nicht so einfach. "Mehr oder weniger wohl deshalb, weil ich allen Lehrern auf die Nerven gefallen bin", entschloß sie sich zu einem Kompromiss, der zumindest halbwegs der Wahrheit entsprach.

"Aber Miss McElwood, warum sitzen Sie denn heute so weit hinten?", unterbrach Mayflower die geflüsterte Unterhaltung. "Nicht, dass Sie in der letzten Bank noch etwas verpassen…"

"Ich hab leider meine Sonnenbrille vergessen", versetzte Emily zuckersüß. "Und zu viel Strahlen vertrage ich einfach nicht!"

Beifälliges Gekicher.

Mayflower schien einen Moment lang irritiert, dann lächelte er sein 1000 Megawatt-Lächeln. "Aber gegen empfindliche Augen gibt es eine ganz ausgezeichnete Salbe…"

Alles grölte ungeniert los, selbst der weibliche Fanclub.

Narcissus beschloß deshalb, die Angelegenheit nicht weiter zu eruieren. "Dann wollen wir beginnen", meinte er. "Nachdem ich also den Troll in seiner stinkenden Höhle aufgespürt hatte…"

Emily machte es sich auf ihrem Stuhl bequem. "Weckt mich, wenn's vorbei ist," bat sie, "ich nehme jetzt besser ne Auszeit."

‚Schade', dachte Ron. ‚Ohne Emilys Kommentare kann man hier wirklich nur noch einschlafen.'



***



Zumindest waren die anderen Mädchen diesmal gnädiger gestimmt, als Emily ihren verehrten Narcissus für den Rest der Stunde völlig in Ruhe ließ. Allerdings konnten sie es anstellen wie sie wollten, Mayflower bedachte keine von ihnen mit soviel Freundlichkeit wie Emily.

"Würde mich auch irgendwie interessieren, woran das liegt", meinte Harry nach der Stunde, als Lavander das zur Sprache brachte.

"Ich habe extra für ihn meinen schönen neuen roten Umhang angezogen - und er hat es nicht einmal bemerkt!" Lavander verstand die Welt nicht mehr.

"Vielleicht macht er sich nichts aus rot", spottete Ron. "Vielleicht ist es auch so, dass man aussehen muß wie Emily, damit er einen toll findet."

Lavander setzte zu einer empörten Antwort an, wurde aber von Hermine unterbrochen.

"Es liegt wohl eher an Emilys Familie", vermutete sie. "Mayflower hat - wie damals Lockheard auch - anscheinend einen Faible für alles, was auch nur halbwegs nach Berühmtheit riecht."

Lavander überlegte. "Das wäre zumindest mal eine Erklärung", gab sie zu.

"Als ob es so toll wäre, eine solche Familie zu haben", sagte Emily mißmutig. "Ich kann doch schließlich auch nichts dafür!"

"Meine Urgroßmutter hat damals irgendwann den Merlin-Orden erhalten", jubelte Parvati. "Darauf ist meine Familie heute noch stolz. Meint ihr, das würde Narcissus interessieren?"

Lavander machte beinahe ein neidisches Gesicht, doch alle anderen brachen in Gelächter aus.

"Parvati, ich verleihe dir hiermit einen Orden für besondere Verdienste als treuester Fan!" Ron konnte sich kaum noch halten vor Lachen. "Wenn ihn DAS nicht beeindruckt, dann weiß ich nicht mehr…"

Die Gruppe hatte mittlerweile die Große Halle erreicht, wo das Mittagessen wartete.

"Du dämlicher Vollidiot", fauchte Parvati zurück. "Was verstehst du denn schon von so überwältigenden Männern wie Mayflower…"

"Zehn Punkte Abzug für Gryffindor!" Snape, der gerade an ihnen vorbeikam, blieb stehen. "Ihr Vokabular ist wirklich an Primitivität kaum noch zu unterbieten, Miss Patil."

"Der legt garantiert keinen Wert auf einen Mayflower-Fanorden", kicherte Ron, als sie außer Hörweite waren.

"Es wäre interessant zu sehen, was passieren würde, wenn du Miss Twinkletwo in den höchsten Tönen loben würdest - und ich dich dafür auch einen dämlichen Vollidioten nennen würde", kicherte Emily.

"Wetten, dass er mir dafür dann mindestens zwanzig Punkte anziehen würde?"

"Probiers bloß nicht aus!" Lavander schien Emily beinahe alles zuzutrauen.

"Keine Sorge", beruhigte sie Emily. "So interessant ist das nun auch wieder nicht."
Doch sie ärgerte sich schon wieder etwas. Den Rüffel von Snape hatte Parvati weiß Gott nicht für den ‚dämlichen Vollidioten' bekommen, sondern vielmehr, weil sie von Mayflower so lautstark geschwärmt hatte. Und Snape haßte Mayflower, weil die Twinkletwo nur Augen für ihn hatte…

‚Was soll's, kann mir ja egal sein, wenn Snape sich zum Affen macht', dachte sie dann.

"Wo steckt eigentlich Hermine?" Ron sah sich suchend um.

"Sie wollte noch schnell in die Bibliothek", meinte Harry.

"Klar, da findet man sie im Zweifelsfall ja immer." Ron begann, sich den Teller vollzuladen. "Toll, Brathähnchen, mein Lieblingsessen", schmatzte er.

"In Durmstrang war das immer ungenießbar", meinte Emily und langte ebenfalls herzhaft zu.

"Wie wars denn überhaupt so in Durmstrang?" Es kam selten genug vor, dass Emily freiwillig etwas von sich erzählte, deshalb wollte Harry die Gelegenheit ausnützen.

"Ziemlich übel", berichtete Emily. "Kalt, ungemütlich und alle waren der Ansicht, dass man den schwarzen Künsten viel mehr Aufmerksamkeit schenken sollte. Und das Essen war eine Katastrophe", schloß sie.

"Und was hast du angestellt, dass sie dich dort rausgeschmissen haben?" Diese Frage interessierte Ron nach wie vor brennend.

"Ooooch…", machte Emily. "Der Anlaß war wohl eines Mittags das Brathähnchen…," sie warf einen Blick auf ihren Teller "deshalb komme ich überhaupt drauf."

"Jetzt erzähl schon!" Ron rutschte ungeduldig auf seinem Stuhl herum.

Emily lächelte ein wenig. "Es gibt da so einen Zauber, mit dem man toten Gegenständen eine Stimme verleihen kann", begann sie. "Und das, zusammen mit dem Vingardium Leviosa… na ja, es gab also mal wieder dieses eklige Brathuhn." Jetzt hörten alle gespannt zu.
"Und ich habe die Portion auf Karkaroffs Teller sich in der echt widerlichen Pfefferminzsoße aufrichten und so was Ähnliches sagen lassen, wie ‚Diese Soße ist zum Kotzen, Sie sollten endlich den Koch rausschmeißen, Herr Direktor'"

Alles grinste.
"Und wegen so etwas fliegt man in Durmstrang raus?", wunderte sich Ron. "So schlimm ist das ja nun auch wieder nicht."

"Das alleine wohl nicht", stimmte Emily zu. "Aber ich hatte mich vorher schon ziemlich… hmmm… beliebt bei allen Lehrern gemacht. Karkaroff schien echt froh zu sein, mich deswegen endlich loswerden zu können."

"Früher oder später wirst du's hier auch noch schaffen", versetzte Parvati etwas spitz. "Legst du's eigentlich drauf an, oder warum machst du das?"

Emily senkte den Blick. "Ich kann halt meine Klappe nicht halten", meinte sie wieder einmal. "Es ist hier schon viel besser - und ich gebe mir ja auch alle Mühe, aber manchmal rutscht mir halt so was raus."
Das war auch nur die halbe Wahrheit, doch den Rest brauchte niemand zu erfahren. Emily wusste es selbst nicht mit absoluter Sicherheit, doch sie hatte einen Verdacht. Und der erinnerte sie wieder an ihr Problem. Schweigend aß sie weiter; der seltene Moment, in dem ihr Panzer ein wenig aufgetaut war, war vorüber.

Harry wollte noch etwas zu ihr sagen, doch in diesem Moment erschien endlich Hermine. Sie trug ein dickes Buch unter dem Arm und wirkte ziemlich aufgeregt.

"Ich muß unbedingt gleich nachher mit euch reden", flüsterte sie Ron und Harry zu.

"Gleich nachher haben wir Muggelkunde…", meinte Ron.

"Vergiß es, Muggelkunde kann warten. Ich hab was Unglaubliches entdeckt!"

"Über Emily?" Die Neugier der beiden Jungen war geweckt.

"Allerdings", nickte Hermine und nahm sich ein Stück Huhn. "Ich glaube, ich habe herausgefunden, was mit ihr los ist, zumindest passt dann alles zusammen. Von wegen Vincireo-Band, wenn es nur das wäre!"

"Ich weiß nicht mal, was ein Vincireo-Band überhaupt ist", meinte Harry. "Und wenn es eh nicht zutrifft, was ist es denn dann, worunter sie zu leiden hat?"

"Anathema Consanguiniti", sagte Hermine leise, und als die beiden sie nur verständnislos anstarrten, setzte sie noch hinzu: "Der Fluch der Blutsbande."


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