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Kapitel 6: Abschiede

 

Harry wagte es, einen sehr leisen und erleichterten Seufzer zu tun. Zumindest hatte es nicht noch mehr Blutvergießen in dieser letzten Erinnerung gegeben und auch wenn es nicht wirklich schön gewesen war, so war es doch genaugenommen auch nicht besonders schlimm gewesen. - Er wußte, wie es war, wenn man wie ein notwendiges Übel, etwas unangenehmes, behandelt wurde, hatte er es, um ganz genau zu sein, selbst jahrelang mitgemacht. Andererseits war er nie von seiner eigenen Mutter so behandelt worden.

Auch die nächste Szene war eine ihm bekannte. Hunderte von Kindern rannten an einer scharlachroten Dampflok entlang. Das Schild über dem verwitterten Eisendurchgang sagte: Plattform 9 ¾ und nur wenige Meter links davon versuchte ein sehr aufgewühlter Severus Snape mit seinen Eltern Schritt zu halten, die ehrfurchtgebietend den Bahnsteig entlang schritten, einen dunklen, hölzernen Schrankkoffer träge hinter sich herschwebend. Die zwei Erwachsenen hatten eine Gruppe respekteinflößender Hexen und Zauberer erreicht, alle gekleidet in schlichte, doch offensichtlich erstklassige Roben.
"Was für eine Freude, Sie hier zu treffen", sagte gerade eine der Frauen mit tiefer, irgendwie erotischer Stimme, als der Junge schließlich die beiden anderen eingeholt hatte. Sein Gesicht war vom Laufen leicht gerötet, dennoch tat er sein bestes, die stolze Haltung seines Vaters nachzuahmen.
"Das ist also Ihr Sohn", fuhr die Frau fort, nachdem sie seine Mutter besitzergreifend umarmt und seinem Vater die Hand hingestreckt hatte, die dieser genommen und nonchalant geküßt hatte. Sie beugte sich ein wenig vor, so daß ihr langes silberblondes Haar beinahe den kleinen Jungen berührte, und brachte mit Hilfe von zwei ihrer stark beringten Finger das Gesicht des Jungen dazu sie anzusehen.
"Sie hätten ihm wirklich mal die Haare schneiden können, oder möchten Sie nicht, daß die Leute sein Gesicht sehen?"
Damit ließ sie ihn los und schnippte gebieterisch mit ihren Fingern nach jemandem hinter ihnen. Sofort tauchte ein Jugendlicher mit schulterlangem, flachsblondem Haar auf, verbeugte sich elegant vor den Anwesenden der Gruppe und sah sie danach erwartungsvoll an.
"Das ist unser Sohn Lucius. Lucius, dies ist..." Sie richtete ihren Blick fragend auf Snape Senior, der mit pompösen Lächeln antwortete: "Severus."
"Dies hier ist Severus Snape. Es ist sein erstes Jahr in Hogwarts und dein Vater und ich, wir würden es sehr begrüßen, wenn du ein Auge auf ihn haben würdest."
"Selbstverständlich Mutter."
Seine Stimme war ruhig und ebenmäßig und zeigte an, daß er die schlimmste Phase der Pubertät bereits hinter sich gelassen hatte. Sein seidiges Haar umrahmte ein frisches Gesicht und enthüllt, als er den dunkelhaarigen Jungen vor sich aufmunternd anlächelte, eine Reihe strahlend weißer Zähne.
"Na, dann sehen wir mal zu, daß wir deinen Koffer in den Zug kriegen, oder?" Er zog einen beeindruckenden Zauberstab hervor, so schwarz wie die Nacht und mindestens 13 Zoll lang, und begann den Schrankkoffer in Richtung des wartenden Zuges zu manövrieren. Sein neuer Schützling folgte ihm unsicher.
"Also schicken sie dich doch nach Hogwarts." Lucius Malfoy warf dem Knaben einen neugierigen Blick zu, als sie den Zug betraten und den Koffer verstauten.
"Was meinst du?" Der Blick des anderen war ebenso neugierig.
"Na, du weißt schon, mit deinem Vater, der nach Durmstrang gegangen ist..." Er ließ den Satz unbeendet, offensichtlich amüsiert über den verwirrten Gesichtsausdruck des Jüngeren.
"Persönlich denke ich, daß du es hier besser getroffen hast. Durmstrang ist dem hören nach der kälteste Ort auf Erden. Keine vernünftige Beleuchtung, geschweige denn Heizung, dann die exzessiven körperlichen Betätigungen..." Er machte eine dramatische Pause und beugte sich zu dem anderen Jungen hinunter und flüsterte ihm ins Ohr: "Und sie benutzen noch immer Flüche und Schläge, anstelle von Nachsitzen, um Vergehen zu bestrafen."
Offenbar hatte er eine stärkere Reaktion erwartet, denn als der Junge ihn, ohne auch nur geringfügig zusammenzuzucken, anstarrte, zuckte er mit den Schultern und fuhr fort.
"Natürlich haben wir in Hogwarts den Nachteil, daß wir einen verrückten, muggelliebenden Schulleiter haben. Ich nehme an, daß dein Vater dir zumindest von Dumbledore berichtet hat?"
"Er hat den Namen ein- oder zweimal erwähnt", antwortete der kleinere Junge und sah auf seine Schuhe, um die Augen des andren zu meiden. Als andere Schüler plötzlich an ihnen entlang rannten, lachend und einander im Gang hinterher jagend, drückte er sich an die nächste Wand mit einem Ausdruck kaum verhohlener Panik im Gesicht.
"Du bist nicht an so viele Leute gewöhnt, stimmt's?"
Die Stimme von Lucius Malfoy hörte sich nun um einiges freundlicher an als zuvor, als er einen schützenden Arm um die Schultern des zitternden Kindes legte, und er geleitete ihn hinaus auf den Bahnsteig, wo ihre Eltern sich noch immer miteinander unterhielten.
"Es ist alles verstaut, Mutter", informierte er die hochgewachsene, blonde Frau, den dunkelhaarigen Jungen noch immer an sich gedrückt und der Gruppe ein ausdrucksvolles Lächeln schenkend.
"Er wird während der Fahrt in unserem Abteil bleiben. Ich denke, es wird Crabbe, Goyle und Avery wohl kaum stören."
Überall um sie herum begannen die Eltern ihre Kinder in eine mehr oder weniger feste Umarmung zu ziehen. Letzte Ratschläge wurden erteilt, letzte Ermahnungen ausgesprochen, vermutlich wohl zum hundertsten Mal.
"Nun, dann denke ich, ist wohl alles geregelt."
Lucius wurde herzlich von seiner Mutter umarmt, auf die Wange geküßt und die Spur des Lippenstiftes wurde umgehend wieder aus dem Gesicht gewischt.
"Schon wieder Zeit sich zu verabschieden. Die Ferien gehen immer so schnell vorbei."
Sie drückte noch einmal seine Hand, ehe sie einen Schritt zur Seite machte und Vater und Sohn die Möglichkeit gab, sich kurz die Hand zu schütteln. Der gegenwärtige Lord Malfoy war ein großer, breiter Mann mit braunem Lockenhaar und einem angenehmen Lächeln. Ohne Zweifel hatte Lucius das Aussehen seiner Mutter geerbt.
"Schick uns morgen eine Eule um uns zu sagen, wie die Reise verlaufen ist. Und natürlich auch über die interessanten Neuzugänge in Slytherin."
Er nickte in Richtung des jüngeren Kindes, klopfte seinem Sohn auf die Schulter und drehte sich um, um seiner Frau den Arm anzubieten. Die Snapes hatten bereits den Rückweg angetreten und gingen in Richtung Ausgang, wobei sie sich angeregt miteinander unterhielten. Sie hatten sich gegenseitig die Arme um die Hüften gelegt und sahen für alle Welt aus, wie ein frisch verliebtes Paar.
Ihr Sohn starrte ihnen eine Weile ungläubig nach, so als würde er darauf warten, daß sie sich zumindest noch einmal zu ihm umdrehten, um zu winken. Sie taten nichts dergleichen.
"Komm schon, es ist Zeit, sich auf den Weg zu machen", trieb in Lucius über die Schulter hinweg an, als er den Zug bestieg. Der jüngere Knabe schien ihn nicht zu hören, wischte sich stumme Tränen aus den Augen und strich sich eine schwarze Haarsträhne aus dem Gesicht.
"Hey, Adlernase! Willst du hier bleiben?"
Letztendlich drehte er sich um und ging auf die einzige halbwegs vertraute Person zu, die sich noch auf dem Bahnsteig befand. Als er in den Waggon kletterte, versetzte ihm der ältere einen liebevollen Knuff gegen die Schulter.
"Sei nicht traurig. So weit ich das beurteilen kann, kann es für dich nur noch besser werden."
Sie lächelten einander zum ersten Mal an und machten sich Seite an Seite auf den Weg zu ihrem Abteil.

Dieser Lucius Malfoy war nicht im geringsten wie der kaltherzige, sadistische Mann, dem Harry zu seinem Mißfallen mehrere Male über den Weg gelaufen war. Er schien ehrlich zu sein, anstelle von berechnend, und in seinen Augen schimmerte mildes Interesse für den anderen Jungen.
Aber es war auch nicht einfach zu glauben, daß dieser unsichere Junge, mit seinen sanften, schwarzen Augen, sich später in den am meisten gehaßten Lehrer von Hogwarts verwandeln würde.

Offensichtlich war einige Zeit verstrichen, denn der junge Snape saß nun bequem am Fenster und betrachtete die Landschaft, die draußen vorbei rauschte, während er sich gedankenverloren eine Bertie Bott´s Bohne in den Mund schob. Eine halbe Sekunde später verzog er das Gesicht, einen angewiderten Ausdruck darauf.
"Was für einen Geschmack hast du erwischt?" fragte ihn einer der älteren Jungen schadenfroh. Er sah ein wenig bullig aus und hatte eindeutig etwas zuviel Gewicht für seine Größe.
"Keine Ahnung", antwortete Snape langsam und mit nachdenklicher Stimme. "Ich weiß nur, daß ich froh bin, daß ich so etwas vorher noch nie habe essen müssen."
Sein Kommentar wurde mit einem Auflachen belohnt und er wagte es, den anderen ein schelmisches Lächeln zuzuwerfen. Sein Blick blieb für eine Weile an Lucius Malfoy hängen, bis der andere offen zurück starrte.
"Irgend ein Problem?" fragte er mit einem gestellt pikierten Gesicht.
"Nein, nicht wirklich." Snape sah ihn noch immer an. "Ich habe mich nur gefragt, warum du eigentlich so nett zu mir bist."
Zwei der anderen Jungen fingen an zu kichern, aber Lucius brachte sie mit einer ungeduldigen Geste zum Schweigen.
"Du bist es nicht wirklich gewöhnt, daß man freundlich zu dir ist, oder?"
Snape antwortete nicht, aber er wich auch nicht dem Blick des anderen aus.
"Also", fuhr Lucius fort, "als erstes hat mich meine Mutter dazu aufgefordert. Und man muß schließlich immer ein guter Junge sein, und darauf hören, was einem die Mutter sagt, stimmt's nicht Goyle?"
Der bullige Junge, der Snape nach der Geschmacksrichtung seiner Bohne gefragt hatte, wurde knallrot im Gesicht und versuchte etwas nicht existierenden Staub von seinem Umhang zu wischen.
"Zweitens", zählte Malfoy weiter auf, "ist es wirklich schön, für eine Weile so etwas wie einen kleinen Bruder zu haben, um ihm Dinge zu erklären, die für mich bereits selbstverständlich sind. Einer meiner Cousins hat das für mich auch getan, als ich zum ersten Mal nach Hogwarts gekommen bin und ich bin froh, daß ich das nun für dich machen kann. Nachdem Julian gestorben ist, dachte ich nicht, dass ich dazu jemals die Chance hätte."
Damit begann er an einem likörgefüllten Zauberstab zu lutschen und aus dem Fenster zu starren.
Es gab eine kleine Pause und ein unangenehmes Schweigen breitete sich im Abteil aus.
"Julian.... war dein Bruder?" fand Snape schließlich den Mut zu fragen. Lucius nickte wortlos. Dann, plötzlich, holte er tief Luft, lächelte Snape kurz an und sagte fröhlich:
"Er war ein cleverer kleiner Junge. Und niedlich war er auch. Dunkle, lockige Haare, wie mein Vater. Bedauerlicherweise war er magisch so unbegabt wie eine Teekanne, also haben sie ihn verbrannt als er sieben war."
Sein Lächeln schien nun gezwungen zu sein und er zerrte so fest an dem Likörzaubertstab, dass er in der Mitte durchbrach. Snape starrte ihn ungläubig an.
"Er wurde verbrannt?" Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, seine Augen baten still um eine Erklärung, irgendeine Erklärung.
"Ja, verbrannt", antwortete Lucius, seine Augen auf die entzweigebrochene Süßigkeit in seiner Hand gerichtet. "Das ist es, was reinblütige Familien mit den weniger begabten Kindern tun: sie beseitigen sie. Julian hatte die Möglichkeit, sich aus dem Feuer zu zaubern. Vater und ich hatten ihn lange genug genau dafür trainiert. Aber er konnte es nicht. Also starb er."
Seine Augen waren nun, wo er Snape wieder ansah, kalt.
"Dein Vater hat eine andere Methode verwendet, wie ich gehört habe."
Der kleinere Junge sah wieder aus dem Fenster, sein Gesicht hinter einer Gardine aus schwarzem Haar versteckt.
"Du brauchst dich nicht zu schämen. Es ist genau das selbe bei jedem von uns", tröstete ihn einer der anderen Jungen, eine Hand auf Snapes Schulter gelegt. "Du solltest stolz sein, denn du bist derjenige, der es überlebt hat. Du bist einer der starken."
Draußen wurde es immer dunkler und die Lichter gingen an. Die Abteiltür öffnete sich und ein älterer Junge mit rotem Haar, schob seinen Kopf hindurch.
"Wir werden in Kürze unser Ziel erreichen. Ihr solltet euch langsam fertig machen."
Ohne eine Antwort abzuwarten schloß er die Tür mit einem Scheppern wieder und ging zum nächsten Abteil weiter.

"Das war Dad", flüsterte Ron irgendwo hinter Harry. Natürlich. Der rothaarige Junge war ihm bekannt vorgekommen, obwohl sie ihn nur für ein paar Sekunden gesehen hatten.
Offenbar hatte auch Mr. Weasley sich selbst erkannt. Er hatte einen verwirrten Gesichtsausdruck, so als versuche er sich zu entsinnen, warum er sich an diesen Moment, in seinem scheinbar letzten Jahr in Hogwarts, nicht erinnern konnte. Vielleicht war er aber auch nur noch immer schockiert von dem Konzept der Reinblütigkeit, das vorgab, wenig begabte Kinder zu eliminieren. Harry auf jeden Fall war es.

 

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