Engel der Hölle

 

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Kapitel 13


"Guten Tag, Professor Dumbledore!"
"Guten Tag, Mister Fudge."
"Ähm... Was wollen Sie hier?"
"Nun, heute ist der 15. Tag, nicht wahr?"
"Ja... schon... Haben Sie unsere Eule nicht bekommen?"
"Nein." Es war eine Lüge, und zudem verschwieg Dumbledore die Tatsache, dass er wenig vorher eine andere Eule aus Askaban bekommen hatte.
Fudge wand sich unter Dumbledores fragendem Blick. "Das ist mir äußerst unangenehm, Professor Dumbledore, aber ich fürchte, Sie sind umsonst hergekommen. Die Hinrichtung wurde verschoben."
"So?" fragte der alte Zauberer erstaunt. "Und wie kommt das?"
Der Minister setzte ein Lächeln auf, das gütig aussehen sollte, aber nur falsch und verschlagen wirkte. "Nun ja", schleimte er, "wir haben beschlossen, Severus Snape noch eine Chance zu geben. Beziehungsweise Ihnen. Vielleicht finden Sie ja doch noch etwas Entscheidendes heraus, wenn wir Ihnen etwas mehr Zeit lassen, nicht wahr?"
"Oh, wie überaus freundlich von Ihnen!" sagte Dumbledore in anerkennendem Tonfall.
"Aber ich bitte Sie", buckelte Fudge mit einem hüstelnden kleinen Lachen, "wofür halten Sie mich? Ich bin ja kein Unmensch, und dem Ministerium liegt es fern, jemandem ohne ausreichende Beweise irgendwie zu nahe zu treten."
"Ah... in der Tat."

Dumbledore wusste sehr genau den wahren Grund für diesen Aufschub: Sie hatten des Gefangenen, der heute sterben (nein, Schlimmeres) sollte, nicht rechtzeitig habhaft werden können! Albus Dumbledores Blick fiel auf das schreckliche Gerüst. Severus sollte dort stehen. Heute. Doch das Gerüst stand da, leer, wie ein Siegeszeichen.

"Das ist mir alles sehr unangenehm. Nun sind Sie den weiten Weg hergekommen, und all diese Leute... äh, wer sind sie? Und ganz umsonst." Fudges geheuchelte Entschuldigungen nahmen kein Ende.
"Machen Sie sich darüber keine Gedanken", winkte Dumbledore ab, "ich bin ja froh und dankbar für die zusätzliche Zeit, die Sie mir verschaffen! Was diese Leute angeht, es sind nur ein paar interessierte Zuschauer, das übliche. Sie wissen ja, wie das ist. Jede Hinrichtung zieht Gaffer an. Keine schöne Erscheinung, aber eine Tatsache. Ich persönlich halte nichts von solchen Leuten, und darum tut es mir auch nicht leid, dass sie den Weg umsonst gemacht haben."
Fudge grinste schief: "Ooooh... oh ja! Wie Recht Sie haben! Wirklich abstoßend, ein solches Verhalten. Ja ja... Hm, nun da Sie schon einmal hier sind, dürfen meine Leute ein paar Erfrischungen herumreichen, bevor Sie sich auf den Heimweg machen? Man soll Askaban ja nicht nachsagen können, dass hier jemand Hunger oder Durst leiden muss, nicht wahr?" Er lachte gekünstelt, und Dumbledore fragte sich, ob dem Minister der Zynismus seiner letzten Worte überhaupt aufgegangen war.
"Ja, bitte", sagte er, "eine kleine Pause würde uns gut tun, bevor wir die nächste Schiffsreise antreten." Er musste Zeit gewinnen. Er konnte doch nicht abreisen, ohne irgendetwas über Severus herausgefunden zu haben.

Minerva McGonagall war die einzige, die die plötzliche Regung in Albus Dumbledores Gesicht bemerkte. Ganz kurz nur, war da ein Ausdruck höchsten Erstaunens und größter Erregung zu sehen gewesen. Gleich darauf war das Gesicht des alten Zauberers wieder ruhig und beherrscht.
Langsam schlenderte er zu McGonagall herüber, wechselte wie zufällig ein paar Worte mit ihr. "Minerva!" zischte er, nahe an ihrem Ohr. "Ich habe Severus gesehen! Ich bin überzeugt, dass er es war! Ich habe sein Gesicht gesehen, ganz kurz nur, da drüben, hinter der Seitentür da. Ich muss der Sache nachgehen. Meinst du, du kannst Fudge irgendwie ablenken?"
"Nein", antwortete Professor McGonagall mit ungerührtem Gesicht.
Dumbledore glaubte sich verhört zu haben. "Wie? Du willst mir nicht helfen, zu..."
"Umgekehrt wird ein Schuh draus", flüsterte McGonagall mit unbewegter Miene, "dein Verschwinden würde sofort auffallen, Albus. Fudge behält dich die ganze Zeit im Auge. Aber auf mich und die anderen Gäste achtet er nicht. Und außerdem..." Sie huschte, nach einem Seitenblick auf Fudge, hinter eine Säule, und zischte zu Dumbledore hinüber: "Außerdem kann ich leichter als du durch die Gänge schleichen. Ich gehe. Lenk du ihn ab! Schinde Zeit raus!"
Albus Dumbledore sah eine wohlbekannte Bewegung im Schatten der Säule und beobachtete, wie eine graugetigerte Katze, von allen anderen unbemerkt, aus dem Saal huschte. "Mr Fudge", wandte er sich an den Minister, "sehen Sie mal, da drüben steht Miss Kimmkorn vom Tagespropheten! Wo sie schon einmal hier ist, wäre sie sicher dankbar für ein ausführliches Interview mit dem Zaubereiminister höchstpersönlich. Bestimmt wird es sie interessieren zu hören, welch gnädigen Aufschub Sie Severus Snape gewährt haben."
Fudge glättete eilig seine Haare mit der Hand und schritt hinüber zu der Reporterin. Der war erst einmal für eine Weile beschäftigt.

***



Severus drückte sich eng an die Wand. Es war ein großes Wagnis gewesen, sich an der Tür zur Hinrichtungshalle blicken zu lassen. Nur einen winzigen Augenblick konnte er riskieren, und er hoffte inständig, dass Dumbledore ihn bemerkt hatte. Und dass niemand sonst ihn gesehen hatte. Bange Minuten vergingen, und nichts geschah. Severus fragte sich, ob er einen weiteren Versuch wagen sollte, oder aber zusehen, dass er hier weg kam.
Da berührte ihn etwas am Bein. Severus´ Herz setzte einen Moment lang aus. Er schloss die Augen, hielt den Atem an und erwartete so die grausamen Schläge, die sicher gleich folgen würden. Als kein Schmerz in irgendeiner Form kam, öffnete er langsam wieder die Augen und blickte vorsichtig nach unten. Eine Katze strich an seinem Bein entlang.

"Minerva!" Diese Katze hätte Snape aus tausenden heraus erkannt! Mit einer raschen Bewegung bückte er sich, hob die Katze hoch und vergrub sein Gesicht in dem weichen Fell. Die Katze machte sich steif, und er ließ sie herunter. Sie schüttelte sich leicht und sah ihn indigniert an. Er blickte verlegen zurück. Natürlich wäre er so nie mit der menschlichen Gestalt von Professor McGonagall umgegangen, und normalerweise auch nicht mit ihrer Animagus-Form!
So unterschiedlich die beiden Lehrkräfte auch sein mochten (schon allein durch die Tatsache, Hauslehrer von Slytherin und von Gryffindor zu sein, also quasi natürliche "Nahrungskonkurrenten"), aber eines hatten sie gemeinsam: Sie zeigten nicht gern überschwängliche Gefühle, und sie gehörten eindeutig nicht zu den Menschen, die bei einer Begrüßung in ausgiebiges Knuddeln verfallen! Aber es hatte Severus einfach so überkommen. Es war so unglaublich, jemanden von zuhause zu sehen!

Die Katze verformte ihren hochaufgerichteten Schwanz zu einem Fragezeichen.
"Ja, kommen Sie", sagte Severus, "ich habe Ihnen viel zu zeigen." Er ging ein Stück tiefer in den Gang hinein, und Lys löste sich aus dem Schatten einer Nische. Die beiden Damen hatten keine Zeit, sich lange über die Anwesenheit der jeweils anderen zu wundern. Sie nahmen es kommentarlos hin, dass Severus sie einander vorstellte: "Minerva: Lys. Lys: Minerva." Zu dritt begannen sie ihre Wanderung durch die verschlungenen Eingeweide von Askaban. Wieder hinunter in die Hölle der Entseelten. Die Welt musste endlich erfahren, was hier geschah!

Sie waren kurz vor dem Ziel. Es war alles glatt gegangen. Zu glatt irgendwie. Auf dem ganzen Weg in die Tiefe mussten sie keinem einzigen Suchtrupp ausweichen. Schon standen sie vor der Weggabelung und bogen rechts ab. McGonagall schüttelte auf dem Weg durch den glitschigen Tunnel mehrmals angewidert ihre Pfötchen. Doch "angewidert" war kein Ausdruck für das, was sie empfand, als sie das Gewölbe betrat und nach und nach realisierte, was hier geschah! Severus zeigte ihr alles, die angeketteten, blicklosen Menschen, den Seziertisch, das Feuer, die furchtbaren Laufräder mit den verzweifelt auf der Stelle fliehenden Sklaven. Das Fell der Katze sträubte sich bei diesem Anblick.
Lys, die schweigend dabei gestanden hatte, rannte plötzlich los und zerrte an Snapes Umhang. "Lauf! Um Himmels willen, lauf! Es ist eine Falle!"
Er wirbelte herum und sah mehrere Auroren aus dem hintersten Teil des Gewölbes hervorbrechen. Aus dem normalerweise unbenutzten Teil, der einmal sein Versteck hatte sein sollen.
"Hab ich´s dir nicht gesagt?" hörte er den einen seinem Kollegen zurufen. "Der Kerl hat das Zombielager entdeckt! Ein Grund mehr, ihn schnellstens zu erledigen! Er weiß zuviel! Nehmt den Dementor mit! Seele raus und fertig, gleich hier unten! Bis zu denen da oben darf er erst gar nicht mehr kommen!"

Die Panik verlieh Snape ungeahnte Kräfte. Er rannte schneller, als er je in seinem Leben gerannt war, schlitterte durch den Tunnel, vor dem Lys auf ihn wartete und blieb kurz schwer atmend stehen. Gerade als er die Treppe nach oben nehmen wollte, hörte er Stimmen von dort: "He! Wie kommt denn hier ´ne Katze hin?"
"Scheißegal! Lass das Vieh und lauf weiter! Die brauchen da unten Verstärkung!"
Lys und Severus sahen sich mit schreckgeweiteten Augen an. Hinter ihnen, im rechten Gang, Auroren und mindestens ein Dementor, die rasch näher kamen. Auf der Treppe nach oben, ein weiterer Suchtrupp. Links eine Höhle voller Dementoren. Lys zeigte mit ausgestrecktem Arm auf den mittleren Gang: "Da rein!"
Severus machte ein paar Schritte in den dunklen Tunnel hinein und wandte sich nach ihr um. Lys schüttelte heftig und mit einem Ausdruck des Grauens den Kopf: "Ich kann da nicht rein. Lauf! Da rein! Los!" Schon hörte er die schnellen Schritte seiner Verfolger durch die Pfütze im anderen Tunnel platschen. Er rannte ein Stück weiter, versank selbst auch in seinem Tunnel bis zu den Knöcheln in einem undefinierbaren Morast, und blieb ein letztes Mal stehen. "Lys!" Verzweifelt drehte er sich nach ihr um, doch sie war nicht mehr zu sehen. Er musste sie ihrem Schicksal überlassen, wenn er noch irgendeine Chance haben wollte, zu leben und die Verbrechen von Askaban aufzudecken.
Severus Snape rannte, bis er den Tunnel hinter sich gelassen hatte und in dem letzten, dem geheimsten Gewölbe von Askaban stand. Er war allein. Ganz allein.

Kapitel 12

Kapitel 14

 

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