Engel der Hölle

 

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Kapitel 18


Hogwarts. Was für ein Gefühl: Zuhause! Ein tiefes Wohlbehagen durchströmte Severus beim Anblick der Türme und Zinnen des Schlosses. Hatte er sich hier jemals so zuhause gefühlt wie heute? Einerseits war es die einzige Heimat, die er je gehabt hatte, seit er seine Eltern verloren hatte. Aber er war dort nie glücklich gewesen. Was war er denn gewesen, in Hogwarts? Ein unbeliebter Schüler, später ein unbeliebter Lehrer. Welch eine Karriere! Es war ein Ort, mit dem er Schmerz verband, Verachtung, Spott, Hass. Und immer wieder Schuldzuweisungen. Grausame Schuldzuweisungen von seinen Mitmenschen. Und die allergrausamsten von einem unerbittlichen Mann namens Severus Snape.

Aber es war andererseits auch der Ort, wo er sich sicher fühlte vor dem, was noch schlimmer war in seinem Leben: Voldemort und die Todesser. Es war der Ort, wo der einzige Mensch lebte, der ihn je verstanden hatte: Albus Dumbledore. Ja, wirklich der einzige, der ihn verstanden hatte, denn auch sich selbst, Severus Snape, konnte er nicht wirklich dazuzählen. Es war, trotz allem, ein Ort der Geborgenheit. In gewissen, engen Grenzen. Und an diesem Ort gab es einen ganz speziellen Platz, der nur ihm allein gehörte. Seine Kerker, sein Reich. Der Ort, wo er sich seiner Arbeit widmen konnte, dem einzigen, was ihm wirklich Freude machte. Wo er unbeobachtet sein konnte, durchatmen, seine Tür zumachen. Wo er vielleicht nicht glücklich war, aber doch ungestört unglücklich sein durfte. Ohne dadurch anderen ein Ärgernis zu sein oder Anlass zu einem schlechten Gewissen, ohne Spott zu erregen oder auch Mitleid.

"He, brrrrrrr!" machte Albus Dumbledore, wie zu einem Pferd. Lachend hielt er Snape am Arm fest. "Langsam! Du ziehst wie ein Gaul, der heim in den Stall will. Aber vergiss bitte nicht, dass du ein schonungsbedürftiger Kranker bist, also geh bitte anständig langsam!"
Snape schnaubte verächtlich und riss sich los. Er fühlte soviel Energie in sich, wie lange nicht mehr. Mit weit ausholenden Schritten betrat er das Schloss und durchquerte mit wehendem Umhang die Eingangshalle. Er zog erstaunte Blicke von den Schülern auf sich, doch er selbst würdigte sie keines Blickes. Stur geradeaus, dem Ziel entgegen: runter in die Kerker! Er wollte jetzt keine Gesellschaft und klammerte sich an den Glauben aus Kindertagen: "Wenn ich euch nicht sehe, seht ihr mich auch nicht." Die Schüler glotzten mit offenem Mund der vorbeiwehenden schwarzen Gestalt und dem mühsam hinterher schnaufenden Schuldirektor nach. "W...war das nicht... Professor Snape?"
"Eindeutig, würde ich sagen."
"He, wusstet ihr das nicht? Er kommt zurück, ja. Sieht aus wie immer, oder? Kaum zu glauben, dass er so viel durchgemacht hat."
"Wenn ich ihn so sehe, kommt es mir vor wie gestern."
"Na, wenn ich ihn so sehe, glaube ich, der Unterricht wird auch wie damals. Au weia!"

***



"So, Albus, und wie geht es jetzt weiter? Du wirst wohl kaum den neuen Tränkelehrer mitten im Schuljahr entlassen, nur weil ich wieder da bin. Wirst du mich als Kuriosität hier behalten? Der Held von Askaban, Besichtigung von 8 bis 16 Uhr, Fütterungszeit: 12 Uhr mittags?" Albus Dumbledore warf Snape einen vorwurfsvollen Blick zu, doch dieser schien seinen Sarkasmus zu genießen, so wie er da auf seinem Bett saß und die Beine baumeln ließ, das altbekannte Glitzern in den Augen. Severus grinste, weil Albus sich so schön über seinen Spruch erschreckt hatte und fügte hinzu: "Schreib bitte auch eine Warnung dazu: VORSICHT, BISSIG!"

"Na, dir geht´s offensichtlich gut, sobald du deine Einmachgläser wiedersiehst!" sagte Dumbledore kopfschüttelnd, "Severus, Severus..." Es lag soviel Wärme und Zuneigung in seiner Stimme. Severus wusste, er durfte hier reden, wie er wollte, und würde angenommen sein, so wie er war. Wenigstens von diesem einen Menschen. Niemand würde ihn mehr schlagen, für das, was er dachte oder sagte. Das war es wohl, was "zuhause sein" bedeutete: Er durfte einfach er selbst sein. Und er hatte richtig Lust, er selbst zu sein. Das war neu.

Albus fand, dass er nun dran war, seinerseits Severus ein wenig zu ärgern. "Nein, ich werde ganz bestimmt keinen neuen Tränkelehrer wegen dir entlassen", sagte er, und nach einer langen Kunstpause, "weil es keinen gibt."
Severus sah ihn höchst erstaunt an. "Ich habe keinen neuen Zaubertränke-Lehrer eingestellt", erklärte Dumbledore, "denn mein alter wurde nie entlassen."
"Ja, aber", protestierte Snape, "du hast nicht im Ernst die Schüler so viele Wochen ohne Unterricht gelassen?"
"Nein, das nicht. Madam Pomfrey hat ihnen ein paar Dinge über Heiltränke beigebracht, und Professor Sprout hat sich redlich bemüht, aus ihren Kräutern den einen oder anderen Sud mit den Kindern zu brauen."
"Sud!" schnaubte Snape. "Danke, dass du zu diesen Stümpereien nicht 'Trank' gesagt hast. Das hätte mich wirklich gekränkt."
"Severus!" tadelte Albus. "Sei nicht undankbar! Es war besser als nichts. Aber natürlich wird es Zeit, dass sie wieder qualifizierten Unterricht bekommen."
"Ja", sagte Snape, "morgen."
Aber der Schulleiter schüttelte den Kopf. "Severus!" schimpfte er. "Weißt du, was ich jetzt machen sollte? Dir einen Vogel zeigen! Aber einen mächtig großen! Einen Phönix! Du bist noch für ein paar Wochen krankgeschrieben, keine Widerrede! Nur unter dieser Bedingung wurdest du aus dem Krankenhaus entlassen, ich musste es unterschreiben! Oder möchtest du, dass ich dich zurückbringe?"
"Erpresser!" knurrte Snape. "Nein, leider: kein Umtauschrecht! Ich bleibe. Von mir aus zu deinen Bedingungen." Den Rest behielt er für sich: Dass er dann eben in der unterrichtsfreien Zeit eifrig hier unten an neuen Tränken basteln würde. Sollte Albus ruhig glauben, er würde den ganzen Tag faul im Bett liegen. Ha! Und dieser Mann glaubte ihn zu kennen!
Ein zufriedener Schulleiter verließ die Räume seines Freundes und sah nicht das diebische Slytherin-Grinsen hinter seinem Rücken.

***



Einige Tage waren seit Snapes Heimkehr vergangen. Er hatte sich eingelebt, sich auf ein paar neue Tränke gestürzt und sich sogar, ganz anweisungsgemäß, ziemlich oft ausgeruht. Er genoss es, sich ganz auf seine Forschungsarbeit konzentrieren zu können, ohne unterrichten zu müssen, ohne in der Großen Halle erscheinen zu müssen (sein Essen wurde ihm noch von den Hauselfen ans Bett gebracht) und vor allem ohne die ständige Angst, er könnte jederzeit von Voldemort gerufen werden.

Severus schnitt eine Wolfsmilchwurzel akribisch in hauchdünne Scheiben und fügte sie dem brodelndem Gemisch im Kessel hinzu, als es an seiner Tür klopfte. Genervt ging er öffnen und erblickte Albus. "Such es dir aus", seufzte Snape, "komm rein und stör mich beim Brauen, oder sei ein wahrer Freund und komm später wieder."
"Ich habe mich fürs Stören entschieden", erwiderte Albus, "denn ich nehme an, die Nachforschungen in den Unterlagen von Askaban interessieren dich."
Snape wurde sofort hellhörig: "Lys?"
Albus nickte, doch als er das hoffnungsvolle Leuchten auf Snapes Gesicht sah, fühlte er sich schlecht. "Severus", begann er zögerlich, "Severus... Setz dich bitte erst mal... So... Severus, mit deiner Erlaubnis würde ich die Suche nach Lys gern beenden. Ich versichere dir, wir haben alles, aber auch alles durchwühlt, was an Akten da war! Mehrmals. Wir haben jede mögliche andere Schreibweise des Namens berücksichtigt und jeden Namen, von dem eine Abkürzung 'Lys' abgeleitet sein könnte. Nichts. Wir haben am Ende sogar meinen magischen Entdecker darüber laufen lassen, über wirklich jeden Fetzen Pergament, der in oder über Askaban existiert. Der hat tatsächlich eine Lys gefunden. Tja, im Jahre 1494. Es tut mir leid, Severus."
Snape nickte resigniert. "Ich weiß, Albus", murmelte er und versuchte, sich seine maßlose Enttäuschung nicht anmerken zu lassen, "du hast wirklich alles versucht. Danke."
Dumbledore seufzte. "Hier", sagte er traurig, "der magische Entdecker. Überzeug dich selbst: Kein Ergebnis, außer diesem einen."
Snape warf einen eher flüchtigen Blick auf das kleine magische Gerät aus Albus´ "Spielzeugsammlung", während der alte Mann sich zum Gehen wandte. Die Buchstaben leuchteten noch schwach auf der glitzernden Oberfläche nach: "Lys de Corbeau, 1494". Severus sprang auf. "Albus!" rief er, "Albus, bitte komm zurück!"

"Was ist noch?" fragte Dumbledore verwundert.
Snape wirkte so aufgeregt wie an manchen Tagen, wenn er einen neuen Trank erfunden hatte. "Hast du die Unterlagen noch?" fragte er, "über diese Lys de Corbeau? Ich möchte sie sehen, bitte!"
Dumbledore sah den Sinn dieser Aktion nicht recht ein, doch er bot ihm achselzuckend an: "Komm mit in mein Büro! Ich habe die Pergamentrollen noch da."
Snape folgte ihm hastig und vergrub sich in der Lektüre der alten Akten. Er fand die Stelle schnell und las mit klopfendem Herzen die Eintragung, halblaut, so dass auch Albus es mithörte:

"Lys de Corbeau.
Geboren den siebenten Julei im Jahre des Herrn 1469.
Allhier in Hafft genommen den dritten Jaenner 1494, mitsamt ihrem Ehegemahl, Cornel de Corbeau. Verurtheilt zu lebenslanger Kerkerhafft wegen Beyhülffe zur Schwartzen Zauberey.
Verstorben den funffzehnten May 1496 am Siechthum.

Cornel de Corbeau. Genannt "Der Rabe".
Geboren den dreyzehnten Feber im Jahre des Herrn 1456.
Allhier in Hafft genommen den dritten Jaenner 1494. Zum Tode verurtheilt wegen Schwartzer Zauberey und am ersten Tage des Maertz 1494 seiner Seele verlustig gegangen durch die Wesen unther den Wassern.

Anmerckung: Dem Schwaetzen der Kerkerwachen von einem 'Engel der Hoellen' ist keynerley Beachttung zu schencken. Es ist dies ein gefaehrlicher Aberglaube oder ein Werck der Schwartzen Zauberey."


Snape hatte die Eintragung zu Ende gelesen und starrte noch immer auf das Pergament. "Was kann dieser seltsame letzte Absatz bedeuten?" dachte Albus laut nach, "warte mal... 'Engel der Hölle'? Das habe ich doch schon einmal irgendwo gehört oder gelesen... Aber wo nur?" Grübelnd schritt er vor seinem riesigen Bücherregal auf und ab. Dann langte er mit einem gezielten Griff ins Regal und zog einen alten, in Leder gebundenen Band heraus: "Sagen und Mythen der Zaubererwelt" von Fairy Teille. Er blätterte fieberhaft und winkte dann Snape zu sich: "Ich hab´s! Hier steht es:

'Engel der Hölle:

Name eines Geistes, der Gefangenen der Festung Askaban seit dem Spätmittelalter in verschiedenen Zeitaltern erschienen sein soll. Der Geist einer jungen Frau erscheint der Sage nach nur Häftlingen mit schwarzem Haar und schwarzen Augen, weil die ruhelose Seele immer noch ihren Mann sucht, der schwarzhaarig und schwarzäugig war. Sie kann erst erlöst werden, wenn sie ihn gefunden und befreit hat. Vom Gefängnispersonal wurde diese Erscheinung jedoch nie gesehen. Sie entspringt der lebhaften, teils wahnhaften Fantasie der Gefangenen und wurde von diesen untereinander überliefert. Die Sage geht zurück auf eine junge Französin des 15. Jahrhunderts, die in der Haft in Askaban starb und deren Mann durch den Kuss des Dementoren hingerichtet wurde. Der Mann, ein berüchtigter Raubritter und Schwarzmagier, soll angeblich an einem magischen Gegenstand zum Kampf gegen die Dementoren gearbeitet haben, genannt `das Schwert des Raben´. Ein solcher wurde jedoch nie gefunden.'"

Albus Dumbledore klappte das Buch zu und sah seinen Freund über die Ränder seiner Brille hinweg forschend an. Snape war auf einen Stuhl gesunken und blickte starr aus dem Fenster. Er sah Lys vor seinem geistigen Auge. Lys, wie sie durch die Wand gegangen war. Er hörte die helle Stimme der kleinen Frau in seinen Ohren, wie sie sagte: "Man vergisst soviel. Ich bin so lange hier. Ich habe immer in meiner Zelle gesessen, aber eines Tages konnte ich heraus. Ja, man vergisst hier soviel. Sie haben mich auch vergessen. Ich schleiche herum, wo ich will, und sie suchen mich nicht mehr."

"Mein Gott", flüsterte Snape, "sie hat es nie bemerkt. Wie Professor Binns. Sie ist sozusagen aufgewacht und war tot. Sie ist aufgestanden und hat sich gewundert, dass sie durch die Wand gehen kann. Und sie ist gegangen und hat ihren Mann gesucht. Fünfhundert Jahre lang. Sie hat nie wirklich verstanden, was sie ist. Sie war nur Lys. Nur eine Gefangene von Askaban. Und für manche war sie ein Engel in der Hölle. Zuletzt für Heathcliff MacFie und für Severus Snape. Die letzten Menschen, die sie gesehen haben."

Albus Dumbledore hatte das Gefühl, er müsste seinen Freund trösten, doch er wusste nicht, wie. "Vielleicht erscheint sie dir irgendwann einmal wieder?" meinte er zaghaft.
Doch Severus schüttelte den Kopf. "Nein", sagte er, "sie kommt nicht wieder. Die Müllerin hat ihren Müller ja zurückbekommen."
Dumbledore sah ihn verständnislos an: "Müllerin? Müller?"
"Oh", murmelte Snape, "das ist eine lange Geschichte... Ein andermal, Albus..."

***



Severus schaute aus dem Turmfenster den Schneeflocken zu, die dicht vom Himmel wirbelten. Albus wieselte hinter ihm hin und her und half mit großer Freude den Hauselfen, Weihnachtsschmuck in seinem Büro anzubringen. Als er einen Transparentstern ans Fenster klebte, blieb er kurz dort stehen und schaute mit Snape gemeinsam die weiße Pracht an. "Alles weiß", neckte er ihn, "soll ich den Schnee für dich schwarz zaubern?"
"Nicht nötig", meinte der Meister der Zaubertränke großzügig. Nachdem sie wieder eine Weile schweigend hinausgeblickt hatten, fragte Albus: "Na, Severus, froh, dass bald Ferien sind?"
"Hm", machte Snape, "nicht wirklich. Ich unterrichte noch nicht lange genug wieder, um es gebührend zu verabscheuen."
Dumbledore schmunzelte. "Die Schüler verabscheuen dich auch nicht mehr gebührend", sagte er, "was sind das nur für Zeiten?"
"Wer sagt das?" wunderte sich Snape.
"Och, so ein alter Mann bekommt so einiges mit", antwortete Dumbledore nur.
"Aha", meinte Snape, "ich nehme an, der Elternbeirat traut sich nicht mehr, sich über mich zu beschweren, seit ich der 'Held von Askaban' bin."
Der Schulleiter sah ihn nachdenklich an. "Nein", sagte er langsam, "ich glaube nicht, dass es nur daran liegt. Ich finde, du hast dich verändert."
"Oh nein!" reagierte Snape ganz empört. "Das ist nicht wahr! Frag meine Schüler: Ich bin immer noch ein Ekel, lasse von morgens bis abends sarkastische Sprüche vom Stapel und stelle übertrieben hohe Ansprüche an die Leistungen der Kinder! Was soll daran anders sein als früher? Ich bitte dich!"
"Du ziehst weniger Punkte ab?" schlug Dumbledore vor.
"Mag sein, weil es lächerlich ist. Was noch?"
"Du schreist nicht mehr rum?"
"Unter meiner Würde."
"Aha..."
"Sonst noch was?" fragte Snape gereizt, als wären es lauter Vorwürfe.
"Hm, nein...", sagte Dumbledore grüblerisch, "eigentlich nicht. Ich überlege nur die ganze Zeit, woran es liegt. Vielleicht hast du mir eben das Stichwort gegeben: Würde. Du strahlst sehr viel davon aus."
Snape zog eine Augenbraue hoch: "Möglich. Hab mir keine Gedanken darüber gemacht. Aber möglich wäre es, dass Würde mir mehr als sonst bedeutet, weil ich erfahren habe, wie es sich ganz ohne sie lebt. In Askaban."
Dumbledore wiegte den Kopf hin und her: "Hm, möglich... Aber das ist nicht alles. Ich komm noch darauf..."
"Viel Spaß dabei", wünschte ihm Snape mit säuerlicher Miene.

Albus drehte sich um und rief halb freudig, halb enttäuscht aus: "Oooooh, sieh nur! Jetzt haben die Hauselfen doch alles ohne mich geschmückt! Wie findest du es?"
Snape betrachtete das vollkommen mit Glitzer und Lametta überladene Direktorenbüro und sagte: "Nett." Er verfolgte mit den Augen einen der verhexten, durch die Luft fliegenden Goldpapierengel, und es machte ihn so nervös, dass er versehentlich eine der bunten Kugeln zertrat, die malerisch auf dem Boden drapiert waren. Albus beeilte sich augenblicklich, ihm zu versichern, dass er ihm nicht böse war: "Macht nichts, Severus, ich habe genug von den Dingern! Es war nicht deine Schuld!"
"Hab ich auch nicht behauptet", versetzte Snape gleichmütig.
Albus sah ihn einen Moment lang sehr nachdenklich an.
"Kommst du mit runter", fragte Snape, "und hilfst mir, meine Kerker für Weihnachten zu schmücken?"
Jetzt starrte Albus ihn aber wirklich fassungslos an: "Du? ... Du schmückst deine Räume für Weihnachten?"
"Wenn du nichts dagegen hast", meinte Snape, "allerdings mehr auf meine Art."
"Na, da bin ich aber gespannt!" sagte Dumbledore mit sichtlicher Freude, "dann schnell in die Kerker und frisch ans Werk!"

***



In den Kerkern war es kühl und ziemlich dunkel, wie immer. Albus könnte sich hier nicht auf Dauer wohlfühlen, aber er wusste und respektierte, dass sein Freund es tat. "Hast du Weihnachtsschmuck da?" fragte er und sah sich suchend nach einer Kiste oder ähnlichem um.
"Alles, was ich brauche, habe ich", meinte Snape.
Dumbledore blickte ihn erwartungsvoll an. Severus ging mit langsamen Bewegungen zu einem kleinen Wandregal, stellte eine einzelne schwarze Kerze darauf und zündete sie mit einem Wink seines Zauberstabes an. "Zur Beleuchtung für meine Bilder", erklärte er.
"Bilder?" Albus schaute die kahle Wand an.
Severus holte drei Bögen Pergament und legte sie umgekehrt auf einen Stuhl. "Hab ich gemalt", sagte er leise, als wäre es ihm etwas peinlich, "mein Beitrag zum... ähm, 'Fest der Liebe'." Er nahm eines der Pergamente und befestigte es mit einem Zauber an der Wand.
Albus Dumbledore stutzte. Er glaubte, in einen Spiegel zu blicken. "Das... das bin ja ich, Severus!" rief er aus. "Und das ist wirklich, wirklich gut! Ich wusste nicht, dass du so malen kannst! Sehr gut getroffen... Nur ein paar Falten hast du weggemogelt, du Schlitzohr! Ich sehe auf dem Bild aus wie im zarten Alter von höchstens hundert! Da hast du glatt ein Drittel meines Lebens weggelassen."
Severus hängt bereits das zweite Bild auf. Es war in sehr zarten Aquarellfarben gemalt und zeigte das Gesicht einer jungen Frau. "Lys", erklärte Severus, obwohl Albus es in Gedanken schon erraten hatte.
"Es ist schön, dass du sie für die Nachwelt festgehalten hast", fand Dumbledore, "du bist einer der wenigen Menschen, die sagen können, wie sie aussah."
Snape nickte: "Ich weiß. Die einzigen noch lebenden Zeugen: Heathcliff MacFie und Severus Snape. Die letzten der auserwählten Schwarzhaarigen und Schwarzäugigen. Aber Moment mal... Minerva hat sie auch gesehen!"
"Minerva war zu diesem Zeitpunkt eine Katze", warf Dumbledore ein, "Katzen können alle Geister wahrnehmen."
"Ach, richtig", erinnerte sich Snape. Er schaute auf die beiden gemalten Gesichter an der Wand und sagte: "Die einzigen Menschen, die je gut zu mir waren. Abgesehen von...", er befestigte das dritte Bild, "meinen Eltern." Das Gemälde zeigte einen Mann und eine Frau. Das Gesicht der Frau strahlte sehr viel Liebe und Wärme aus. Das des Mannes wirkte hart, wie Snapes eigenes, aber bei genauerem Hinsehen entdeckte man auch so etwas wie Wohlwollen in seinen dunklen Augen.
"Deine Eltern", flüsterte Dumbledore ergriffen, mit etwas rauer Stimme, "du hast sie in all den Jahren nie erwähnt. Kein einziges Mal, seit... damals. Ich wollte dich nie drängen, aber ich bin sehr froh, dass du endlich darüber redest."
"Liegt an ihr", sagte Snape betont lässig und wedelte mit der Hand nach Lys´ Porträt hinüber, "sie sagt, ich war nicht schuld an dem, was aus ihnen geworden ist. Und an allem anderen auch nicht." Er fegte mit den Fingerspitzen etwas Staub von dem kleinen Wandregal unter den Bildern und mied Dumbledores Blick.
Der alte Zauberer starrte ihn an, wie ein Muggel, der einen Geist gesehen hat. Er schlug sich eine Hand vor den Mund und schüttelte fassungslos den Kopf. Seine Stimme klang nach unterdrückten Tränen, als er schließlich leise fragte: "Hast du das wirklich geglaubt, Severus? Dass du schuld wärst am Schicksal deiner Eltern? Hast du das dein ganzes Leben lang geglaubt?"
Snape nickte, ohne ihn anzusehen.
"Oh Gott", flüsterte Dumbledore, "und ich stand die ganze Zeit daneben und habe nichts gemerkt! Was bin ich für ein blinder, alter Narr!"
Snape wandte ihm ruckartig sein Gesicht zu und sah ihm erschrocken in die Augen: "Nein! Das bist du nicht, Albus!"
Dumbledore atmete einmal sehr tief durch, dann sagte er leise: "Ich glaube, langsam verstehe ich, was mit dem neuen Severus los ist. Oder vielmehr, was mit dem alten Severus los war." Er sah seinen jungen Freund mit sehr traurigen Augen lange an, dann trat er zu ihm und nahm ihn in die Arme. Drückte ihn eine Zeit lang, stumm und fest. Severus ließ es geschehen. Er spürte das Zittern des alten Mannes.

Als Dumbledore schließlich losließ, betrachteten sie gemeinsam schweigend die drei Bilder an der Wand im Schein der Kerzenflamme. Als echte Zauberer-Gemälde waren sie natürlich beweglich. Dumbledore zwinkerte seinem Original und dessen Freund vergnügt zu. Lys verzog ihren Mund zu einem niedlichen Lächeln. Snapes Mutter grinste leicht und hob die Augenbrauen, als wollte sie ihren Sevvi scherzhaft für irgendetwas tadeln. Und der Vater blickte voller Stolz auf seinen Sohn herab. "Das ist der schönste Weihnachtsschmuck, den ich in meinem ganzen Leben gesehen habe", sagte Albus Dumbledore.
"Meine Familie", flüsterte Snape.


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