Engel der Hölle

 

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Kapitel 3


Rote Augen glühen in der Dunkelheit. Die wutverzerrte Fratze kommt näher heran. "Versager!" zischt eine unmenschliche Stimme. Sie ist leise und unnatürlich hoch, kalt wie ein arktischer Windstoß. "Was bist du für ein 'treuer' Diener? Sie waren in deiner Gewalt, wehrlos! Lucius kann es bezeugen. Du hättest ein leichtes Spiel gehabt. Warum hast du sie nicht getötet? Rede, verfluchter Giftmischer!"
Der Angesprochene senkt den Kopf, seine Stimme ist kaum hörbar: "Ich hielt es nicht für notwendig, Herr. Ich habe sie mit dem Obliviate-Zauber belegt. Sie werden sich an nichts erinnern."
Das Wesen kreischt auf. Der schrille Ton lässt die Männer im Kreis erschaudern. Doch die Masken verbergen die Furcht in ihren Mienen. Nur das Gesicht des einen Mannes ist unverhüllt, sein Kopf immer noch gesenkt, er zwingt sich, nicht hinzusehen. "Sieh mich an!" Schwarze Augen huschen nach oben, versuchen, den roten standzuhalten. "Du hieltest es nicht für notwendig?" Das Kreischen steigert sich zu einer unerträglichen Tonlage. "Du hieltest es nicht für nötig, die Befehle deines Herrn zu befolgen? Sagte ich 'Obliviate', oder sagte ich 'Avada Kedavra'? Es ist mir in letzter Zeit mehrfach aufgefallen, dass du Tötungsbefehle umgehst. Lass mich überlegen: Du braust mir meine Gifte, aber habe ich dich je eigenhändig jemanden töten sehen? Mir scheint fast, nein! Ich warne dich, Elender: Sollte ich herausfinden, dass du mich hintergehst, dann wirst du ein schrecklicheres Ende nehmen, als du dir vorstellen kannst! Kein gnädiges 'Avada Kedavra', auch kein 'Crucio'! Wer mich verrät, muss ewig leiden! Ich werde dich im Auge behalten, tückische Schlange... Für heute nur soviel, denn es langweilt mich, dich erneut mit dem Cruciatus zu disziplinieren: Wenn du meinst, selbst denken zu müssen, statt meine Befehle zu befolgen, dann ist das ein ganz schlechter Weg! Wenn du glaubst, deinen eigenen Kopf haben zu müssen, dann muss ich ihn dir zurechtrücken!" Eine krallenartige, dürre Hand schießt nach vorn und packt eine breite, schwarze Haarsträhne. Die knochigen Finger schließen sich erbarmungslos darum, und es gibt ein scheußliches Geräusch, als das Haarbüschel abreißt. Der Mann verzieht kurz schmerzlich das Gesicht, gibt aber keinen Laut von sich. "Nun, ich höre?" höhnt die kreischende Stimme. "Danke, mein Lord."

Harry Potter fuhr senkrecht aus dem Bett hoch. Seine Hand zuckte hoch, an die schweißnasse Stirn, und presste sich auf die brennende Narbe. "Harry!" jammerte Ron mit seiner ängstlichen Stimme, "wach auf! Du hast im Schlaf geschrieen!" Harry kam langsam zu sich. "Ich habe wieder geträumt...", murmelte er tonlos. Rons Lippe zitterte, als er flüsterte: "Wieder von IHM?"
"Ja", sagte Harry, "von Voldemort. Und von noch jemandem. Hol Hermine, wir müssen zu Dumbledore! Schnell!"
"Äh, Harry, es ist mitten in der Nacht..."
"SCHNELL!"

***



Harry, Ron und Hermine standen keuchend vor dem Wasserspeier am Aufgang zu Dumbledores Büro. "Bitte, Professor McGonagall!" flehte Harry, "wir müssen zum Direktor! Es ist dringend!" Die Hauslehrerin von Gryffindor schüttelte energisch den Kopf, und ihr Gesicht war wie versteinert. "Wir wissen, dass es mitten in der Nacht ist", versuchte es Hermine, "aber Professor Dumbledore wird Verständnis dafür haben, dass wir ihn wecken, wenn..."
"Darum geht es nicht", sagte die ältere Dame unerschütterlich, "Professor Dumbledore schläft nicht. Er ist in einer Besprechung, in der er keinesfalls gestört werden darf."
Die drei Jugendlichen sahen sich an. Was mochte das für eine Besprechung sein, die mitten in der Nacht stattfand und auf keinen Fall gestört werden durfte? "Dann warten wir hier", sagte Hermine in einem eher befehlenden als fragenden Tonfall.
"Von mir aus", gab sich Minerva MacGonagall geschlagen. Sie hob leicht genervt die Augenbrauen und spitzte missbilligend ihre schmalen Lippen.

***



Albus Dumbledore rieb sich müde mit dem Handrücken über die Augen. "Ich verstehe Sie sehr gut", sagte er, "und auch wenn ich weiß, dass kein tröstendes Wort Sie in dieser Lage erreichen wird, so möchte ich Ihnen doch sagen, was für ein wundervoller junger Mensch Ihr Sohn war. Das macht es nicht leichter, ich weiß, aber Sie sollen wissen, dass Sie in Ihrem Schmerz nicht allein sind. Wir alle trauern aufrichtig mit Ihnen um einen Jungen, der nicht nur einer unserer besten Schüler war, sondern auch stets ein guter Kamerad und ein leidenschaftlicher Streiter für Gerechtigkeit. Er hat es nie hingenommen, wenn jemandem hier an der Schule seiner Meinung nach Unrecht getan wurde. Er ging ohne Vorurteile auf jeden Menschen zu, nahm kein Blatt vor den Mund und war immer hilfsbereit.
Sie wissen sicher, dass er daran dachte, Auror zu werden. Er wäre ein mutiger und gerechter Mann in diesem Amt geworden, wie es heute leider nur noch wenige gibt."
Der Mann ihm gegenüber war von seinem Stuhl aufgesprungen und sah aus, als wollte er dem Schulleiter an die Gurgel gehen. "Tony wird gar nichts mehr werden!" schrie er. "Unser Sohn ist tot! Und er ist nicht mutig im Kampf gegen das Böse gestorben. Er wurde sinnlos abgeschlachtet von einem Perversling, den Sie hier an der Schule geduldet haben, obwohl Sie von seiner Vergangenheit wussten! Es war doch für jeden deutlich sichtbar, was für ein abartiger Mensch das war! Wie der schon rumlief! Und wie der mit den Kindern umging, da war es doch nur noch die letzte folgerichtige Steigerung, dass er sie foltert und umbringt!"
Dumbledore atmete einmal tief durch, dann sagte er in einigermaßen ruhigem Tonfall: "Ich verstehe Ihren Schmerz, Mr Parker, aber das kann ich so nicht hinnehmen. Professor Snapes Unterrichtsmethoden mögen etwas umstritten sein, aber er ist weder abartig, noch ein Verbrecher." Seine Stimme wurde unwillkürlich lauter, als er weitersprach: "Und reden Sie von Professor Snape bitte nicht in der Vergangenheitsform! Er ist weder tot, noch entlassen. Er befindet sich in Untersuchungshaft und ist lediglich beurlaubt, bis sich diese ganze Sache aufgeklärt hat."

Parker schnellte nun tatsächlich vor, über den Schreibtisch hinweg, und packte Dumbledore am Kragen. "Nein, er ist nicht tot!" schrie er. "Aber mein Sohn ist tot! Sagen Sie mir Bescheid, wenn die Untersuchungsfrist um ist! Ich will dabei sein und zusehen, wenn sie ihm seine schwarze Seele rausreißen!"

Seine Frau, die die ganze Zeit daneben gesessen und still vor sich hin geweint hatte, stand nun auf und legte ihm beschwichtigend eine Hand auf den Arm. "Das bringt doch alles nichts", schluchzte sie. Mr Parker ließ Dumbledore unwillig los und setzte sich wieder, doch sein Gesicht war hassverzerrt wie zuvor.
Mrs Parker warf dem Schulleiter einen entschuldigenden Blick zu. Er nickte ihr kurz zu und wandte sich wieder an den Mann: "Ich verstehe Sie besser, als Sie denken. Nicht nur, weil auch ich aufrichtig um Tony trauere. Ich muss zudem um das Leben eines Menschen fürchten, der für mich beinahe wie ein Sohn ist. Daher sollten wir es schaffen, Verständnis füreinander..."
"Wie ein Sohn?" fuhr ihm Parker dazwischen. "Dieses Monster?"
"Hör auf!" schluchzte seine Frau verzweifelt, "bitte hör auf! Es ist doch alles schlimm genug! Ich möchte um mein Kind trauern und mich nicht sinnlos streiten!"
Ihr zuliebe bemühte Parker sich nun, ruhiger zu sein, obwohl es ihm schwerfiel.
"Ich will zu meinem Kind", wimmerte Mrs Parker.
"Wir werden gleich hinuntergehen, damit Sie Ihren Sohn sehen können", versprach Dumbledore, "er ist im Krankenflügel aufgebahrt. Mr Filch!" Der Hausmeister, der vor der Tür gewartet hatte, trat ein und warf dem Direktor einen unterwürfigen Blick zu. "Gehen Sie bitte zu Madam Pomfrey und sagen Sie ihr, dass wir in wenigen Minuten herunterkommen." Filch nickte und verschwand.

In der Zwischenzeit versuchte Dumbledore noch einmal, mit den Parkers zu reden. "Wie gesagt, ich verstehe Ihre Reaktion. Aber ich möchte Sie bitten, das Andenken Ihres Sohnes zu ehren. Er hätte nicht gewollt, dass Sie so reden oder handeln. Wäre Tony noch am Leben, und ein solches Schicksal wäre einem anderen widerfahren, dann hätte er alles daran gesetzt, diesen Fall zu lösen und dabei allen gerecht zu werden. Ihr Sohn hätte Professor Snape nicht voreilig verurteilt. Und wenn wir ihn fragen könnten: Selbst seinem wahren Mörder würde er eine so unmenschliche Strafe nicht wünschen. Da bin ich mir sicher." Tonys Vater sagte nichts mehr, die Mutter aber nickte und sagte leise unter Tränen: "Ja, so war er." Dumbledore erhob sich und legte ihr eine Hand auf die Schulter. "Dann wollen wir jetzt hinunter gehen", sagte er. In diesem Moment flog die Tür auf, und ein atemloser Mr Filch stand vor ihnen. "Herr Direktor", keuchte er, "die Leiche des Jungen ist fort!"

***




Professor Dumbledore blickte in die Runde, die er in seinem Büro versammelt hatte. Freunde und Vertraute. Nur einer fehlte diesmal... "Fassen wir zusammen", fing er erneut an zu sprechen, "wir müssen dringend einen Weg finden, Severus zu entlasten. Die Zeit drängt. Doch wir haben bisher keinerlei Anhaltspunkte. Nun ja, bis auf einen Traum, den Harry hatte. Er hat ihn uns ja allen erzählt. Und wir alle wissen, dass es oft mehr als nur Träume sind, wenn Harry von Voldemort träumt."
Harry nickte und rieb sich die Narbe, die immer noch brannte. "Diesmal allerdings, fürchte ich", fuhr Dumbledore fort, "handelt es sich doch um einen gewöhnlichen Traum und nicht um einen Blick auf die Wirklichkeit. Denn Harry sah Severus bei Voldemort, im Kreise der Todesser, in einem Wald. Wie wir alle wissen, befindet sich Severus an einem Ort, von dem aus er unmöglich zu Voldemort oder sonst irgendwohin gelangen kann." Er musste einen Moment innehalten, weil ihm die Stimme versagte.

"Vielleicht ist er entkommen?" fragte McGonagall und sah weder aus, noch klang sie, als ob sie sich ernsthafte Hoffnungen machte. "Nein", versicherte Dumbledore seufzend, "das wüssten wir. Hier würden sie ihn zuerst suchen."

Harry meldete sich zu Wort: "Aber es kann kein gewöhnlicher Traum sein! Es war zu intensiv, als wäre ich selbst dabei! Und meine Narbe brannte wie verrückt! Sie tut immer noch weh. Das kann kein einfacher Traum gewesen sein, es war eine meiner Visionen!"
"Und wie soll das gehen?" fragte Albus Dumbledore traurig.
"Es ist möglich!" meldete sich eine Stimme aus dem Hintergrund. Sie gehörte Professor Trelawney, die bisher so entrückt in einer Ecke gesessen und in die Luft gestarrt hatte, dass alle dachten, sie hätte gar nichts mitbekommen. Als sie merkte, dass sie plötzlich im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stand (in diesen Genuss kam sie selten), sagte sie in ihrem üblichen bedeutungsschwangeren Tonfall: "Es könnte sein, dass es sich durchaus um eine Vision handelt, jedoch nicht, wie es bei Harrys Träumen sonst der Fall war, um ein Abbild der Gegenwart. Es könnte eine Vision der Zukunft sein, was also in mein Fachgebiet fiele. Dies wäre erfreulich, denn es würde bedeuten, dass Professor Snape auf die eine oder andere Weise aus Askaban freikommen wird. Oder, aber das halte ich für unwahrscheinlich, ein Abbild der Vergangenheit."

Hermine sprang aufgeregt von ihrem Stuhl auf. "Das halte ich für gar nicht so abwegig!" rief sie eifrig aus. "Überlegen Sie doch mal: Erinnerungen sind etwas, das große Bedeutung für Voldemort hat! Er hat es vor fünf Jahren sogar beinahe geschafft, aus einer Erinnerung, die er in seinem Tagebuch aufbewahrt hatte, leibhaftig wieder aufzuerstehen!"

Trelawney verdrehte theatralisch die Augen, als hätte Hermine etwas Dummes gesagt. Sie mochte weder diese Schülerin, noch die Beschäftigung mit der Vergangenheit. Doch Dumbledores Augen hatten während ihrer Worte angefangen zu leuchten. "Das wäre durchaus denkbar, Miss Granger!" meinte er, "es wäre möglich, dass Harry nicht nur wahrnehmen kann, was Voldemort gerade tut, sondern auch, woran er sich gerade erinnert! Zwar wüsste ich nicht, was die Szene zwischen Voldemort und Severus, die Harry gesehen hat, zur Klärung unseres Falles beitragen könnte. Aber wir müssen dankbar sein für alles, was wir überhaupt bekommen können, was irgendwie mit Severus zu tun hat. Viel mehr können wir leider im Moment nicht tun. Harry, ich bitte dich, deinen Träumen in der kommenden Zeit besonders sorgfältige Beachtung zu schenken und sie mir genauestens zu erzählen. Ansonsten stehen wir leider vor einem Rätsel. Wir wissen nicht einmal, wo die Leiche des toten Jungen hingekommen ist. Die armen Eltern mussten nach Hause fahren, ohne ihn zu sehen und können ihn nicht einmal beerdigen. Ich möchte wissen, wer so etwas tut und warum!"

"Aber ist das nicht ein gutes Zeichen?" wandte Professor Flitwick ein, "die Leiche verschwand, als Professor Snape bereits in Askaban saß. Somit ist doch seine Unschuld bewiesen, oder?"
"Das Ministerium sieht das leider anders", seufzte Dumbledore, "ich habe versucht, ihnen genau das begreiflich zu machen. Aber sie... sie haben mir sogar unterstellt, ich hätte den Toten verschwinden lassen! Um Severus ein Alibi zu geben..." Die Anwesenden sahen ihren Direktor mit ungläubigem Staunen an. So weit hatte man ihn und diese Schule schon in Verruf gebracht?

"Mit Hilfe von Seiten des Ministeriums dürfen wir leider nicht rechnen", erklärte Dumbledore kurz und knapp, "wir sind auf uns allein gestellt. Und uns fehlt der Mann, dem ich normalerweise die Lösung eines solchen Falles anvertraut hätte. Diesmal braucht er unsere Hilfe, und wir sind es ihm schuldig, dass wir mit unseren ungeübten Kräften das hinbekommen."


Kapitel 2

Kapitel 4

 

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