Engel der Hölle

 

Zurück

Zurück zur
Startseite


Kapitel 4


"Sevvi!"
"Ja, Mami?"
"Ach, da steckst du! Nanu, schon müde? Seit wann gehst du freiwillig ins Bett?"
"Ich hab Kopfweh!"
"Oh, mein armer Schatz! Aber das ist ja kein Wunder. Was steckst du dein langes Näschen auch so tief in Daddys Tränkeflaschen? Daddy war sehr böse auf dich, weil du in seinem Keller rumgeschnüffelt hast. Er würde jetzt sagen: Das ist die gerechte Strafe."
"Ist Daddy immer noch sehr böse auf mich, Mami?"
"Ach was, mein Schatz, du weißt doch, wie er ist: Er wird furchtbar wütend, und hinterher ist alles wieder gut. Daddy hat dich sehr lieb, Sevvi. Und ich dich auch."
"Das weiß ich, Mami. Ich hab euch auch ganz doll lieb!"
"M-hm. Und wir sind auch sehr stolz auf dich, weil du so ein schlaues Kerlchen bist. Aber weißt du, es könnte Mami und Daddy in Gefahr bringen, wenn du zuviel von den Sachen weißt, die Daddy im Keller tut. Du möchtest nicht schuld sein, dass uns etwas passiert, nicht wahr?"
"Nein!"
"Nun guck nicht so erschrocken, Sevvi! Es ist ja alles gut. Komm, Mami legt ihre Hand auf dein Köpfchen und sagt einen ganz starken Zauberspruch, dann wirst du bald wieder gesund. Pass auf und merk dir gut den Zauberspruch: Heile heile Gänschen, Skorpione haben Schwänzchen, heile heile Rattendreck, Sevvis Kopfweh geht bald weg!"
"Hihihihi!"
"Lach nicht so frech! Das ist ein höchst potenter Zauberspruch! Jetzt musst du nur noch schlafen, damit er wirken kann."
"Mami..."
"Ja?"
"Bleibst du hier?"
"Ja, mein Schatz, ich bleibe bei dir und lege noch etwas meine Hand auf dein Köpfchen. Nun schlaf."
"Bleibst du immer, immer, immer bei mir, Mami?"
"Aber ja. Schlaf jetzt, Sevvi."

"Mami? Daddy? Wo seid ihr denn? Mami, Daddy? Ich hab Angst."
"Mami und Daddy kommen nicht wieder, Severus."
"Was? Aber warum? Mami hat gesagt, sie lässt mich niemals allein!"
"Sie konnten es sich nicht aussuchen, Severus. Man hat sie weggebracht. Sie wollten nicht gehen. Es hatte etwas mit den Sachen zu tun, die dein Daddy gemacht hat."
"Unten im Keller?"
"Ja."

"Mami! Komm zurück, bitte! Es tut mir leid! Daddy, bitte komm wieder, ich will auch artig sein! Ich schnüffle nie wieder im Keller rum! Ich bin an allem schuld, stimmt´s? Es tut mir leid... Kommt doch bitte zurück und habt mich wieder lieb! Stimmt es, dass ihr da nicht weg könnt und die Leute gemein zu euch sind, auf dieser Insel? Askaban? Es ist alles meine Schuld, weil ich böse war. Daddy soll kommen und ganz wütend auf mich sein und mich in den Keller sperren! Dann ist es wieder gut, ja? Bitte! Ich geh auch selber in den dunklen Keller runter und komm nie wieder raus, bis ihr zu mir zurückkommt. Ich verspreche es!"

"Mami?" Severus Snape wurde halb wach und stöhnte. Sein Kopf schmerzte fürchterlich, und er wusste nicht, wo er war. Um ihn herum war es dunkel und kalt, und er konnte seine Arme nicht bewegen. Sie waren halb taub und taten weh.
Langsam kam die Erinnerung wieder. Er war nicht "Sevvi", das war lange vorbei, und dies war nicht sein Zuhause, auch nicht Daddys Keller, auch nicht sein Kerker in Hogwarts. Dies war Askaban. Es musste seine Zelle sein, auch wenn er sich nicht erinnern konnte, wie er hierher gekommen war. An die Überfahrt zur Gefängnisinsel konnte er sich jetzt wieder erinnern und an das Zimmer, in das Fudge ihn gebracht hatte. An die Auroren, die ihm Fragen gestellt hatten. Seine Antworten hatten ihnen nicht gefallen. Es war nicht das, was sie hören wollten. Kein Geständnis. Stattdessen seine üblichen sarkastischen Sprüche.
Die hätte er sich besser verkniffen. Fudge fand sie sehr frech. Und einer der Auroren war wohl derselben Meinung. Er hatte ihm mit irgendetwas auf den Kopf geschlagen, bis er ohnmächtig wurde. Und jetzt war er hier. Sein Kopf schmerzte, als würde er gleich auseinanderfallen. Niemand außer ihm war hier, und natürlich keine Mutter. Aber seltsam, er hatte ihre Hand auf seiner Stirn so deutlich gespürt. Die Schläge hatten seinem Kopf wohl wirklich gar nicht gut getan. Er hatte die Hand so deutlich gespürt, er hatte sogar ihre Stimme gehört, glaubte er. Der Gedanke, die Kontrolle über seinen Verstand zu verlieren, machte ihm beinahe mehr Angst als alles andere.

Er bemühte sich, möglichst logisch zu denken und seine Lage zu analysieren. Seine Augen blieben endlich offen und gewöhnten sich bald an das schwache Licht, das eine Fackel an der Wand von sich gab. Rohe Steinwände, düster und kalt, das war er ja von zuhause gewöhnt. Aber diese Mauern hier strahlten eine ganz besondere Kälte aus, und sie waren dreckig und schimmelig. Nein, dies war kein gemütlicher "Kerker" in seinem Sinne, sondern ein wirkliches Verlies, trostlos und bedrohlich.
Es stank. Kein Wunder, denn die einzige Luftzufuhr kam von einer winzigen Klappe in der schweren, von Pilzen überzogenen, eisenbeschlagenen Holztür. Warum waren bloß seine Arme so eingeschlafen? Es kribbelte und stach schrecklich, und er konnte sie nicht bewegen. Bald erkannte er auch die Ursache dafür: An seinen Handgelenken waren Eisenringe befestigt, die so eng waren, dass sie die Blutzufuhr behinderten. Vor allem aber verliefen von da aus zwei schwere Eisenketten, die zu sich kurz darauf zu einer einzigen vereinigten, die wiederum an einem Pfosten hinter dem Kopfende seines Bettes angeschmiedet war.
Kein Wunder, dass seine Arme taub waren, wenn er sie für längere Zeit (er wusste nicht, wie lange er bewusstlos gewesen war) über den Kopf gehalten hatte. Zu schwach, um es auszuprobieren, berechnete er, wie viel Bewegung die Länge der Kette zulassen würde. Es müsste möglich sein, die Arme auf eine Höhe unterhalb des Kopfes zu bringen, wenn er das Bett verließ und sich neben den Pfosten hockte. Damit war der Radius der Kette dann aber auch ausgeschöpft.
Tolle Auswahl: im Bett liegen und die Arme absterben lassen, oder auf dem kalten Boden vor dem Pfosten hocken! Letzteres erschien ihm momentan ohnehin als eine zu ungeheuerliche Anstrengung. Irgendwann würde er es schaffen müssen, bevor es für seine Arme zu spät war, und außerdem, wie machte man das hier eigentlich, wenn man mal musste? Ziemlich blöde Frage, fand er, aber doch notwendig. Wenn er den Hals ziemlich verrenkte, konnte er neben dem Pfosten ein Loch im Boden erkennen. Aha, des Rätsels Lösung. Blieb nur zu hoffen, dass er mit gefesselten Händen mit den dafür nötigsten Verrichtungen klarkam.
Im Moment war es noch nicht die vordringlichste Frage. Etwas zu trinken wäre da schon sehr viel interessanter. Er entdeckte einen Wasserkrug. Wenn er die Entfernung richtig einschätzte, stand er gerade außerhalb seiner Reichweite. Blödheit oder Absicht? Nach seinen bisherigen Erfahrungen mit den Leuten hier, tippte er auf letzteres.
Noch etwas anderes war nah, aber unerreichbar: sein Umhang. Er lag am Fußende des Bettes hingeknüllt, für seine Hände unerreichbar, und seine Füße schafften es nicht, ihn zu greifen und weiter nach oben zu befördern. Es war so schrecklich kalt hier! Ein Umhang als Decke wäre wirklich sehr schön gewesen. Sie hatten ihm nur seine schwarze Unterkleidung gelassen, ein kurzärmeliges Shirt und eine lange Hose.
Vor allem vermisste er Schuhe und Socken. Seine Füße waren so eiskalt, dass er sie fast ebenso wenig spürte, wie seine Hände und Arme. Umso mehr fühlte er seinen Kopf, der gegen die Behandlung von vorhin protestierte. Severus Snape beschloss, dass es besser war, wieder in die Bewusstlosigkeit zurückzugleiten. Er gab das Denken auf, was ihm mit dem Fühlen leider nicht ganz gelang. Aber er würde die Augen vorerst nicht mehr öffnen, soviel Trotz blieb ihm.

Nach einer Weile glaubte er wieder, die sanfte Hand seiner Mutter auf seiner Stirn zu spüren. Der Irrsinn griff nach ihm, aber es könnte schlimmer sein. Wenn erst die Dementoren kamen, würde er weit weniger erfreuliche Wahnvorstellungen haben. Also ließ er es diesmal widerstandslos zu.

Irgendwann war er doch in eine barmherzige, gefühllose Dunkelheit hinübergeglitten. Als er wieder erwachte, war der Durst unerträglich geworden. Sehnsüchtig schielte er nach dem Wasserkrug. Er stand gar nicht so weit weg! Vorhin war es ihm anders erschienen. Hatte er nicht sehr weit weg gestanden, und nun ganz nah am Bett? Nun, sein Denken war wohl doch ziemlich getrübt. Mit größter Mühe gelang es ihm, vom Bett hinabzurutschen und den Krug zwischen die gefesselten Hände zu klemmen. Vorsichtig, um nur nichts zu verschütten, führte er ihn zum Mund und trank gierig. Es tat unendlich gut. Dann kroch er zurück aufs Bett und hoffte, wieder ohnmächtig zu werden.

"Sevvi! Kind, du sollst dich doch nicht immer aufdecken! Du bist ja ganz kalt! Wirst mir noch krank werden, Liebes. Komm, kuschel dich in die Decke. So ist es brav. Ist doch viel schöner so, oder?"
"Ja, Mami."
"Schlaf jetzt, es ist schon spät."
"Ich hab noch Durst!"
"Das sagst du immer! Du willst nur nicht schlafen."
"Mami, bitte!"
"Oh, verflucht sei dein Vater, dass er dir diese Augen vererbt hat! Wie soll ich 'nein' sagen, wenn du mich so anschaust? Bleib liegen, ich bring dir ein Glas Wasser... Hier, trink! Gute Nacht jetzt, mein Liebling!"
"Mami!"
"Was denn noch?"
"Mein Kopf tut so weh! Ich kann nicht schlafen. Es tut so weh. Bleib bei mir, bitte! Ich hab Angst im Dunkeln, und es ist so kalt!"
"Oh, ist ja gut, mein armes Schätzchen. Ich bin ja bei dir. Ich stecke die Decke um dich fest und lege dir die Hand aufs Köpfchen, bis du eingeschlafen bist. Okay?"
"Ja. Ich hab dich lieb, Mami."
"Ich dich auch, über alles auf der Welt. Schlaf, mein Fledermäuschen!"

Severus wachte auf und bedauerte es sofort. An diese Wahnvorstellungen konnte man sich gewöhnen. Sie waren viel besser als die Realität. Sicher, er hasste es immer noch, die Kontrolle über sich selbst zu verlieren. Aber was spielte es noch für eine Rolle, ob seine Seele krank wurde? In ein paar Tagen würde er keine mehr haben. Und Mamis Hand auf der Stirn tat so gut. Und die warme Decke. Er kuschelte sein Gesicht an den Zipfel seines Umhangs. Moment mal, wie kam der da hin? Severus war vollständig zugedeckt und fror nicht mehr ganz so erbärmlich. Er beschloss, nicht weiter darüber nachzudenken. Wenn man schon wahnsinnig wurde, dann dachte man besser nicht zuviel darüber nach.


Kapitel 3

Kapitel 5

 

Zurück