Des Giftmischers Herz

 

 

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Kapitel 24: Wenn Engel hassen

 


Der Morgen graute bereits, als Severus im Krankenzimmer der Universität erwachte. Er fühlte noch immer seine schmerzende Lunge, die gegen das Gift kämpfte, das er eingeatmet hatte, aber sonst war er vollkommen leer. Kein anderes Gefühl war mehr da, alles zerbrochen in dem Moment, in dem der junge Mann im Labor diese Worte so unbedacht ausgesprochen hatte, die ihn zerschmetterten.
Die Krankenschwester kam zu ihm herüber und sah ihn besorgt an.
"Mr. Snape, ich dachte immer, Sie wären ein besonnener und vernünftiger Student." Sie schnalzte ungeduldig mit der Zunge und wollte ihm in die Augen leuchten, doch er schlug ihre Hand weg. Sie stieß einen überraschten Laut aus. Severus sprang auf und obwohl sich seine Knie in diesem Moment wie Gummi anfühlten und unter seinem Gewicht einzuknicken drohten, lief er zu dem Stuhl, über dem sein Umhang hing und griff danach.
"Ist es wahr?" fragte er die Schwester und warf ihr einen gehetzten Blick zu. Sie schien nicht zu verstehen, was er meinte.
"Hat er sie wirklich umgebracht? Lily und James Potter meine ich?" Die Krankenschwester blickte zu Boden, dann nickte sie langsam.
"Zumindest ist das die offizielle Version. Außer dem kleinen Harry soll keiner die Geschehnisse in Godric's Hollow überlebt haben." Wieder schlug es ihm kalt in den Magen und er fühlte, wie er wieder kurz davor war, zusammen zu brechen, doch das durfte jetzt nicht sein. Er nickte verbittert und stürmte aus dem Krankenzimmer, die verzweifelte Stimme der Krankenschwester ignorierend, die versuchte, ihn zurück zu halten.
Als er Sekunden später in den Ruinen des Hauses stand, in dem Lily mit James und Harry gelebt hatte, zerbrach der letzte Rest seiner Hoffnung in tausend kleine Stücke. Von dem Haus war nichts mehr weiter übrig als ein paar Mauerreste und ein riesiger Haufen Schutt. Er murmelte einen Zauber und Sekunden später tauchten die durchscheinenden Körper von Lily und James auf. Sie waren nicht mehr wirklich da, aber mit diesem Zauber konnte er sozusagen die letzten Reste ihrer Aura sichtbar machen und wußte somit jetzt mit endgültiger Sicherheit, daß es wirklich wahr war. James' Körper lag in dem Raum, der wohl ehemals das Wohnzimmer des Hauses gewesen war und Lily hatten sie in den Überresten des ersten Stocks gefunden. Sie lag im hintersten Zimmer, was wohl Harrys Zimmer gewesen war.
Die Tränen liefen ungebremst über sein blasses Gesicht und er fühlte, wie ihm in diesem Moment alles entglitt. Er sah Lilys verblassenden Körper. Vielleicht noch zwei Stunden und auch ihre Astralenergie würde für immer aus dieser Welt verschwunden sein.
Wie hatte er nur so dumm sein können, auch nur einen Moment lang zu glauben, daß Lily bei James sicher war? Er hatte sie mit seiner Dummheit in den sicheren Tod geschickt! Er allein war schuld!
Seine Beine gaben nach und er sank in den Ruinen zusammen, weinend, nicht mehr als ein Häufchen trauriges Elend, ohne jeden Mut, überhaupt noch eine Minute länger zu leben.
Die Worte hallten wie ein tiefes Donnern in seinem Kopf wider und er konnte sie einfach nicht vertreiben. Aber warum sollte er es auch tun, sie waren schließlich wahr und nichts, was er sagte oder tat, konnte diese Tatsache jemals wieder von ihm abwenden.
Er hatte Lily auf dem Gewissen.
Er wußte längst nicht mehr, wie lange er eigentlich schon so dasaß, aber plötzlich kehrte ein anderer Gedanke zu ihm zurück und er schrak auf.
Harry lebte!
Das Kind hatte überlebt und man mußte es irgendwo hingebracht haben. Weiß Gott, da gab es nicht viele Möglichkeiten.
Mühsam rappelte Severus sich auf. Langsam und zögernd ging er zu der Stelle hinüber, wo das Abbild von Lilys Körper sanft in der heller werdenden Dunkelheit leuchtete und von Minute zu Minute stetig blasser wurde. Er kniete sich neben sie und als er die Hand nach ihr ausstreckte, hatte er einen kurzen Moment das Gefühl, sie wirklich zu berühren.
Doch er wußte, daß das unmöglich war, daß er es sich nur einbildete und mit einer schmerzhaften Gewalt brachen die Erinnerungen an ihre letzte Umarmung auf dem Bahnhof von King's Cross wieder über ihn hinein.
Wieso hatte er sie damals bloß losgelassen und in den Zug steigen lassen? Wieso war er nur so dumm gewesen, die ganze Zeit anzunehmen, nur er schwebe ich tödlicher Gefahr? Wieso hatte er nicht einmal in dem Moment, in dem er herausgefunden hatte, daß Voldemort hinter Lily und James her war, endlich gehandelt?
Wäre nicht der Gedanke an Harry gewesen, sein Sohn, der das alles hier überlebt hatte und jetzt irgendwo dort draußen war und ihn brauchte, Severus hätte in diesem Moment vermutlich sein Leben beendet.
Noch nie zuvor hatte er sich so gehaßt, wie in diesem Moment und er wußte, dieses Gefühl würde er nie wieder loswerden. Er konnte es gar nicht wieder loswerden, denn er hatte gesehen und begriffen, aber nicht gehandelt und jetzt war seine Lily tot. Für immer von ihm gerissen, und ihre gemeinsame Zukunft, von der sie beide so geträumt hatten, lag in Trümmern, genau wie Lilys Vergangenheit, in der er gerade stand. Es gab nichts auf dieser Welt, was das wieder gutmachen konnte. Nichts, was diesen Schmerz beenden konnte, außer dem Tod.
Doch der war nicht willkommen, durfte es nicht sein, so lange Harry noch lebte. Entschlossen wischte er sich die Tränen vom Gesicht und als er aufstand, fiel sein Blick auf etwas, das sein Herz wieder zum Aussetzen brachte.
In den hölzernen Überresten von etwas, was wohl mal ein kleiner Schrank gewesen war, sah er eine Glaskugel. Sie war bei der Explosion nicht beschädigt worden und glitzerte in der aufgehenden Sonne wie die Hoffnung in Person. So fröhlich, als täte sie nichts weiter, als einen neuen Tag zu begrüßen. Severus fühlte den heftigen Stich in seinem Herzen und ein weiterer Schluchzer bahnte sich seinen Weg aus seiner Kehle.
Es waren seine Rosen. Immer noch makellos schön und nahezu unbeschädigt blühten sie still und geheimnisvoll in der gläsernen Kugel vor sich hin. Lediglich die eine Blüte, die vor Jahren schon von einer der Rosen abgesprungen war, störte die Makellosigkeit der Blumen. Severus hob die Kugel auf und betrachtete sie mit immer größerem Schmerz, doch er widerstand dem Drang, sie auf den Boden zu schleudern und ihnen dabei zuzusehen, wie sie zerbrachen und in der aufgehenden Sonne schmolzen.
Er selbst hatte sie hergestellt und er wußte, weder würde die Kugel brechen noch die Rosen schmelzen, denn seine Liebe zu Lily brannte heftiger denn je in ihm und raubte ihm fast den Verstand vor Schmerz und Trauer.
Die Kugel verschwand in der magischen Tasche seines Umhanges. Gerade als er gehen wollte, fiel sein Blick auf ein großes, in Leder gebundenes Buch, das ganz von Staub und Schmutz bedeckt war. Er wußte nicht, warum er es aufhob und aufschlug, doch als er las, was auf dem Einband stand, wurde er erneut totenbleich und frische Tränen liefen über sein Gesicht. Er schlug das Buch zu und ließ es ebenfalls in seiner Tasche verschwinden.
Er ließ einen schmerzerfüllten Blick über das Trümmerfeld gleiten und wandte sich dann ab, um nie wieder an diesen Ort zurück zu kehren.
Er mußte Harry finden und noch einige andere Dinge erledigen.

***



Es war früh am Abend, als Severus sein Elternhaus betrat. Es war still in dem großen Gebäude und Severus wußte, daß sein Vater über das Haus Trauer verhängt hatte, obgleich er der einzige war, der hier wohl wirklich und wahrhaftig um den Verlust Voldemorts trauerte.
Es kostete Severus den letzten Rest seiner Selbstbeherrschung, seine Gefühle und seinen Schmerz zu verstecken, als er sich jetzt dem Salon näherte, in dem er seinen Vater vermutete. Aber der alte Mann durfte nicht sehen, was er in diesem Moment empfand. Seine Emotionen würden ihn verraten und alles zunichte machen und Severus mußte heute seinen Schwur erfüllen, den er sich selbst vor langer Zeit schon gegeben hatte.
Vorsichtig öffnete er die Tür und spähte in den Raum. Wie erwartet saß sein Vater in einem großen Sessel am Kamin und starrte ins Feuer. Severus sah, daß er mit seinen Kräften am Ende war. Er sah noch älter aus, als er eigentlich war und wirkte zusammengefallen und elend, wie er da in seinem Sessel saß und verbittert in die Flammen starrte.
"Vater", durchschnitt Severus' eisige Stimme die Stille. Sein Vater blickte auf.
"Severus. Ich hatte dich früher erwartet. - Wo warst du?" fragte er schneidend und Severus hob kalt lächelnd die Schultern.
"Ich mußte mich verstecken. Die Auroren haben die gesamte Universität auf den Kopf gestellt. Du solltest froh sein, daß ich rechtzeitig von dort entkommen bin." Der ältere Zauberer schnaubte verächtlich und blickte seinen Sohn verachtend an.
"Was habe ich davon? - Nichts weiter als meinen nichtsnutzigen Sohn. Mein Meister wäre mir lieber gewesen", gab er kalt zurück, doch Severus empfand längst nichts mehr bei seinen Worten, noch nicht einmal mehr Haß. Jedes Gefühl in ihm war abgestorben, als er die Ruinen an diesem Morgen verlassen hatte und seitdem trieb ihn nur noch sein Gedanke an Harry vorwärts und sein Wunsch, sich an all denen zu rächen, die es ihm und Lily verwehrt hatten, glücklich zu werden.
Er ging hinüber zur Bar und goß zwei große Gläser Wein ein. Eines davon reichte er seinem Vater, der es auch widerstandslos nahm, mit dem zweiten setzte er sich seinem Vater gegenüber in den Sessel.
"Wie konnte es diesem Balg - nichts weiter als ein Baby - gelingen, den Meister zu vernichten?" Barabas schüttelte fassungslos den Kopf und nahm einen Schluck Wein. Severus lächelte seinen Vater immer noch kalt an und hob die Schultern.
"Die Legende, vor der Voldemort sich stets fürchtete", entgegnete er ruhig und sofort schoß der Blick seines Vaters in seine Richtung.
"Woher weißt du das?!" Das Lächeln auf seinem Gesicht wurde noch eine Spur härter und auch Severus trank einen Schluck.
"Ich weiß mehr, als du und Lucius glauben, Vater." Lässig schlug er die Beine übereinander und hielt dem fassungslosen Blick seines Vaters stand.
"Ich nehme an, Voldemort hat es doch noch geschafft, den Geheimniswahrer von Lily und James Potter ausfindig zu machen und zum Reden zu bringen."
Barabas nickte leicht und fixierte seinen Sohn weiter mit seinem Blick. "Nicht ganz. Er kam von alleine zu uns, bot seine Dienste an."
Severus verbarg die Überraschung über diese Worte und die gleichzeitig aufkeimende Wut. Unmöglich konnte Sirius so etwas getan haben.
"Wer hätte gedacht, daß der große Meister der dunklen Künste sich selbst zu Fall bringen würde. Weißt du Vater, wenn er mich gefragt hätte, ich hätte ihm abgeraten, die Potters anzugreifen."
Wut zeichnete sich auf Barabas' Gesicht hab. "Wieso habe ich nur das Gefühl, daß es dich keinesfalls berührt, was heute Nacht mit unserem Meister gesehen ist?" fragte er grimmig und Severus machte ein beinahe unschuldiges Gesicht.
"Wieso sollte mich das berühren?" fragte er zurück. "Das einzige Gefühl, das ich im Zusammenhang mit Voldemorts Tod empfinde, ist grenzenlose Freude, Vater!" Zufrieden sah er, wie sein Vater versuchte, aus seinem Sessel aufzuspringen, doch eine unglaubliche Schwere in ihm zog ihn zurück und machte es ihm unmöglich, auf seinen Sohn loszugehen.
"Du!" rief er aufgebracht und zeigte mit dem Finger auf Severus. "Du bist der Verräter, den wir die ganze Zeit über in unseren Reihen vermutet haben! Dir haben wir es zu verdanken, daß so viele unserer Aktionen schon im Vorfeld zunichte gemacht wurden."
Severus legte den Kopf ein wenig schief und betrachtete amüsiert, wie nun auch der Arm seines Vaters für ihn zu schwer wurde und er ihn auf sein Bein zurücksinken lassen mußte. Der ältere Mann schien darüber verwirrt, doch im Moment zu aufgebracht, um daran einen Gedanken zu verschwenden.
"Vielleicht hättest du nur einen Moment versuchen sollen, mich zu verstehen, statt mich in eine Form zu pressen, in die ich nicht gepaßt habe, Vater. Aber du hast in mir ja stets nur dein Werkzeug gesehen, mit dem du machen konntest, was du wolltest. Daß dieses Werkzeug ein eigenes Leben hatte und eigene Entscheidungen traf, hast du in deinem blinden Haß und der sinnlosen Ergebenheit zu dem Schreckgespenst Voldemort vollkommen übersehen."
Barabas bebte vor Wut und kämpfte noch immer gegen die Schwere in seinen Gliedern an. Er wollte aufspringen und sich seinen Sohn schnappen, der ihn so unverschämt angrinste und Worte aussprach, zu denen er nicht das Recht hatte.
"Seit wann ging das schon?" preßte er bitter hervor und Severus genoß jedes einzelne Wort, als er sagte:
"Von Anfang an, jede einzelne Minute, die ich Todesser war." Wäre nicht all dieser Schmerz in ihm gewesen, Severus hätte diesen Tag wohl als den glücklichsten seines Lebens bezeichnet. Er sah, wie seine Worte seinen Vater innerlich auffraßen und dieser Anblick hätte gar nicht schöner sein können. Wie viel erhebender wäre es doch gewesen, wenn Lily jetzt an seiner Seite hätte sein können. Ein düsterer Ausdruck huschte für den Bruchteil einer Sekunde über sein Gesicht.
"Warum, Severus?" Das Atmen fiel Barabas sichtlich schwer.
"Du hast mich selbst dazu gemacht, Vater", antwortete er kalt. "Du hast versucht, mir alles zu nehmen, was ich hatte, aber du hast versagt. Es hat mich nicht zu dem gemacht, was du aus mir machen wolltest."
Ein leises Röcheln drang aus Barabas' Kehle. "Dieses Schlammblut, nicht wahr?" Er lachte leise und Severus wußte, daß es ein Lachen des Sieges war. Denn Lily war tot und er würde sie nie bekommen, genau wie er es immer geplant hatte.
"Du hast mich stets unterschätzt, Vater, das war dein Fehler. Während du dich in dem Glauben wähntest, Lily und mich für immer entzweit zu haben, haben wir wieder zueinander gefunden. Lily hat mir die ganze Geschichte erzählt und die ganzen letzten Jahre waren nichts weiter als ein großes Theaterstück. Alles nur eine amüsante Farce. Während ihr euch alle siegessicher wähntet, dachten Lily und ich nicht einen Moment daran, aufeinander zu verzichten." Dem entsetzten Ausdruck auf Barabas Gesicht folgte wieder das hämische Grinsen der Siegessicherheit.
"Die kleine Hexe ist tot." Zufrieden sah er, wie für einen kurzen Moment die Fassade um Severus zusammenbrach, doch nur den Bruchteil einer Sekunde später war sein Gesicht wieder unbewegt.
"Richtig, Lily habe ich verloren. Aber ich habe euch alle besiegt. Voldemort ist vernichtet. Die Todesser werden nach und nach vom Zaubereiministerium vernichtet oder eingesperrt werden. Und ich werde ein neues Leben beginnen." Er senkte seinen Blick und lächelte.
"Wie geht es dir, Vater?" fragte er und Barabas fühlte bei der scheinbar harmlosen Frage Panik in sich aufsteigen. In all seiner Aufregung hatte er nicht bemerkt, daß er sich inzwischen nicht mehr rühren konnte und auch das Atmen wurde von Sekunde zu Sekunde schwieriger. Er kämpfte gegen die bleierne Schwere an, doch er konnte seinem Körper nicht länger seinen Willen aufzwingen.
"Was hast du getan, du Bastard?!"
Severus zog ein kleines Fläschchen aus seinem Umhang, das zur Hälfte gelehrt war. "Ich dachte, ich sollte dir die Ehre erweisen, meine neueste Entwicklung selbst auszuprobieren. Bisher stand diese Ehre ja stets nur Voldemort zu. Das ist nicht fair, findest du nicht auch?" Fassungslos starrte Barabas auf das Fläschchen in Severus' Hand.
"Ich bin mir noch nicht ganz schlüssig, wie ich es nennen soll. Was meinst du, Vater? - Ach, wie dumm von mir, du kennst ja noch gar nicht die gesamte Wirkung dieses kleinen Trankes." Das Fläschchen verschwand wieder in Severus' Tasche und er stellte sein Weinglas neben sich auf den Boden, bevor er sich erhob und langsam zu seinem regungslosen Vater hinüberging. Er beugte sich zu ihm hinunter und stützte seine Händen auf den Armlehnen seines Sessels ab. Ihre Nasenspitzen berührten sich praktisch und es war wie Balsam für Severus' gequälte, schmerzende Seele, daß sein Vater in Panik geriet, diese Nähe seines Sohnes fürchtend.
"Es ist mein Meisterwerk, wie du selbst feststellen wirst. Zunächst lähmt es deinen Körper. Dann wird das Atmen dir schwer, doch du atmest weiter, kriegst genug Luft, auch wenn du einen anderen Eindruck hast. Im nächsten Schritt lähmt das Gift deine Zunge, du kannst nicht mehr sprechen. In diesem Zustand wirst du viele Stunden verharren und nichts weiter tun können als deinem Verstand zu lauschen, der weiterhin arbeitet, wie zuvor. Und glaube mir, wenn ich dich gleich verlasse, wirst du eine Menge haben, das dir durch den Kopf gehen und dich unendlich quälen wird, bis endlich die letzte Phase des Giftes eintritt und es deine inneren Organe lähmt, bis dein Herz aussetzt und du stirbst." Jedes einzelne Wort war ein eisiger Pfeil, den er auf seinen Vater abschoß, eine gnadenlose Rache, eiskalt serviert, so wie es sein mußte.
"Deinen eigenen Vater", brachte Barabas mühsam hervor und erntete dafür nichts weiter als Spott.
"Darf ich dich vielleicht daran erinnern, was du zu Lily sagtest? Daß du mich weder liebst noch haßt und keinen Moment zögern würdest, mich zu töten, wenn ich nicht funktioniere, wie du willst." Er hatte sich bei diesen Worten aufgerichtet, doch jetzt stürzte er seine Hände wieder zurück auf die Lehne, um wieder Auge in Auge mit seinem Vater zu sein.
"Die Geister, die du riefst, Vater!" Das Grinsen auf seinem Gesicht wurde noch ein wenig breiter. "Du kannst dich nicht beschweren, du wolltest mich immer so haben. Genauso kalt, genauso skrupellos. Erwarte von mir keine Gefühle für dich, die du für mich nie aufbringen konntest!" Barabas schloß verzweifelt die Augen. Er hatte seinen Sohn nie als ernste Gefahr betrachtet. Vielleicht für andere, aber doch niemals für sich selbst.
Sein Sohn war doch stets nur ein dummer Junge gewesen, der sich viel zu sehr um seine Gefühle geschert hatte. Aber jetzt mußte Barabas erkennen, daß es genau diese Gefühle seines Sohnes waren, genau der Teil, den er niemals ernst genommen oder als Gefahr betrachtet hatte, der ihm jetzt das Genick brach.
Er hatte stets geglaubt, seinem Sohn überlegen zu sein und doch fühlte er jetzt, wie das Gift durch seine Adern floß und daß seine Lebensuhr ablief. Und es war die Hand des Jungen gewesen, den er für dumm gehalten hatte, der ihm dieses Gift verabreicht hatte.
Mehr noch, es war dieser dumme Junge gewesen, der sie alle über Jahre hinweg getäuscht hatte. Selbst im direkten Kontakt mit Voldemort hatte er seine Scharade mehr als zwei Jahre unentdeckt aufrecht erhalten können. Es war nicht zu begreifen.
Severus warf einen Blick auf die Uhr.
"Es wird Zeit für mich, dich deinem Schicksal zu überlassen Vater. Ich schätze, morgen um diese Zeit wirst du schon so kalt sein, wie Lily. - Aber bevor ich dich jetzt alleine lasse, möchte ich dir doch noch etwas sagen." Sein kaltes Grinsen jagte eine Gänsehaut über Barabas Rücken.
"Eine Kleinigkeit über die Legende, vor der Voldemort sich so fürchtete." Ein verächtlicher Laut drang aus Barabas' Kehle, doch er brachte längst kein einziges Wort mehr hervor. Auch seine Zunge war nun schwer wie Blei.
"Wie ich aus seinen Äußerungen über diese Legende weiß, glaubte Voldemort bereits seit mehreren Jahren, daß in dieser Legende die Rede von der Familie Potter war. Ich habe mich stets gefragt, wie er eigentlich zu dieser Überzeugung kam, aber jetzt ist es nicht mehr wichtig für mich." Er konnte sehen, was sein Vater dachte und er wußte, wenn er die Worte, die er ihm jetzt sagen würde, ausgesprochen hatte, dann hatte er seinen Vater endlich gebrochen. Seit Jahren träumte er von einer solchen Gelegenheit und nur der Schmerz um Lily trübte dieses reine und euphorische Gefühl der Rache für einen kurzen Moment. Es durchströmte seine Adern wie eine Droge und er fühlte, wie der Rausch immer stärker wurde.
"Denn ich weiß nun mit Sicherheit, daß er Unrecht hatte. - Wie mit so vielen anderen Dingen auch." Er sah, daß sein Vater nicht verstand und das genüßliche Gefühl der Vorfreude wurde wärmer in ihm.
"Dieses Kind, der Junge, der überlebte... Es ist kein Potter." Barabas riß die Augen auf und versuchte, etwas zu entgegnen, seinen Arm zu bewegen, irgendwas. Doch mehr als seine weit aufgerissenen Augen brachte er nicht mehr zustande. Sein Sohn beugte sich zu ihm herunter und seine Wange berührte die des Vaters, als er seine Lippen ganz nah an sein Ohr brachte.
"Es ist ein Snape", flüsterte er und richtete sich auf, um in den Augen seines Vaters einen Moment lang zu versinken und Kraft aus ihnen zu schöpfen. Ein kaltes Lachen drang aus seiner Kehle und er wußte, daß er seinem Vater in diesem Moment vorkommen mußte, wie ein Wahnsinniger. So fühlte er sich auch, aber er gab dem Gefühl einfach nach, breitete die Arme aus und drehte sich vor seinem Vater im Kreis, immer noch lachend.
"Harry ist mein Sohn!" rief er und fing bei jeder Umdrehung den gebrochenen Blick seines Vaters auf. Doch dann ließ das euphorische Gefühl nach und Severus wußte, er mußte nun gehen, bevor die Trauer ihn vor den Augen seines sterbenden Vaters übermannte. Er durfte ihm nicht zeigen, wie sehr auch er in diesem Moment litt, wollte ihn in dem Glauben lassen, daß er der einzige war, der Höllenqualen empfand.
Darum glättete er seinen Umhang, nahm sein Weinglas vom Boden auf und trank es in einem Zug leer. Sein Gesicht war ein wenig gerötet von seinem heftigen Ausbruch, aber noch fühlte er die Kraft der Rache, die ihn durchströmte.
"Ich werde dich nun alleine lassen, Vater. - Es ist alles gesagt und alles getan. Jetzt muß ich los und meinen Sohn suchen." Bevor er zur Tür herausging, drehte er sich noch einmal um und warf einen lächelnden Blick auf seinen Vater.
Auf dem Weg nach draußen fiel seine euphorische Fassade endgültig von ihm ab und er starrte hinauf in den dunklen Himmel. Die Sterne funkelten hell an diesem ersten Novemberabend und er fühlte, wie die Trauer ihn wieder umschloß.
"Ich hab es getan, Lily. Ich habe meinen Vater zur Hölle geschickt, so wie ich es dir versprochen hatte. Ich hoffe, du konntest es auch mit ansehen." Er spürte wieder die warmen Tränen auf seinen Wangen, doch wieder wischte er sie fort. Noch war nicht alles getan.


 

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