Des Giftmischers Herz

 

 

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Kapitel 25: Ein Herz schläft ein

 



"Ich habe dich bereits erwartet, Seve..." Dumbledore brach ab, als er aufsah und in das Gesicht des jungen Mannes vor sich sah. Severus wirkte wie der Tod in Person, blaß mit furchtbaren Ringen unter den geröteten Augen. Er zitterte und seine sonst immer akkurate Kleidung war mit Staub und Schmutz bedeckt.

Er fiel mehr in den Sessel vor ihm, als daß er sich setzte und bedeckte wie automatisch sofort seine Augen.
"Severus, was ist passiert?" fragte der alte Zauberer schockiert und wollte zu ihm herüberkommen, doch Severus hob abwehrend die Hand.

"Nichts, Sir, es ist alles in Ordnung. Ich habe nur einen sehr harten Tag hinter mir, bin seit der letzten Nacht ununterbrochen unterwegs gewesen." Dumbledore hob überrascht die Augenbraue.

"Wieso bist du nicht sofort zurück nach Hogwarts gekommen?" Severus blickte auf, nur einen kurzen Moment lang, aber ihre Blicke trafen sich.

"Ich hatte noch viel zu erledigen. - Ich ... ich war in der Ruine. Und dann mußte ich noch einmal in mein Labor, um etwas zu holen." Dumbledore schüttelte ein wenig verständnislos den Kopf.

"Wie unvernünftig! Du hättest gleich herkommen sollen." Severus schien ihm gar nicht zuzuhören.

"Mein Vater ist tot", redete er weiter und stellte das Fläschchen auf den Tisch. "Na ja, im Moment lebt er wohl noch, aber das ist nur eine Frage der Zeit", fügte er hinzu und er wußte, daß sein Lächeln furchteinflößend war.

"Severus..."

"Ich mußte es tun, Sir", unterbrach Severus ihn, seine Stimme fest von innerer Überzeugung. "Ich hatte es Lily schon vor vielen Jahren versprochen. Er ist Schuld, daß sie tot ist, er allein." Dumbledore blickte ihn noch besorgter an. Er redete wirres Zeug, vermutlich hatte er Fieber.

"Hätte er ihr nicht gedroht, sie wäre niemals mit James Potter gegangen. Sie wäre bei mir geblieben..." In diesem Moment schien er zu bemerken, daß er für Dumbledore vollkommen zusammenhangsloses Zeug faselte und blickte auf. Tatsächlich sah Dumbledore ihn an, als hätte er richtig Angst um Severus und vielleicht mußte er die ja auch haben.

Severus konnte ja nicht mal sich selbst glaubhaft weismachen, daß er nicht auf dem besten Weg war, verrückt zu werden.

"Wo ist der Junge?" fragte er schließlich und suchte Dumbledores Augen, hielt seinen Blick fest.

"Bei seiner Tante und seinem Onkel in Surrey."

Wie von der Tarantel gestochen sprang Severus auf und auch Dumbledore hielt es nun nicht länger in seinem Stuhl.

"Nein! Das kann nicht Ihr Ernst sein, Dumbledore. Nicht bei diesen Leuten!" Ein kurzer Anflug von Ärger zog über Dumbledores Gesicht.

"Severus!" donnerte er und sah den jungen Mann scharf an. "Ich habe keine Ahnung, warum du dich hier so aufführst! Der Junge ist bei seiner Verwandtschaft in Sicherheit und wird dort bleiben, bis er alt genug ist, um in Hogwarts zur Schule zu gehen!" Severus wußte, Dumbledore konnte ihm nicht vorschreiben, den Jungen bei den Dursleys zu lassen. Er war der Vater des Jungen und konnte verlangen, daß man ihn herausgab. Aber dennoch zögerte er einen Moment, blickte in Dumbledores aufgebrachtes und zugleich zutiefst besorgtes Gesicht und setzte sich dann wieder.

"Warum Petunia und Vernon Dursley? Was ist mit den Evans?" fragte er und die Verzweiflung war kaum zu überhören. Auch Dumbledore nahm seinen Platz wieder ein.

"Die Evans sind ebenfalls tot, Severus." Severus blickte nicht auf. Die Worte prallten fast von ihm ab. Er fühlte sich jetzt wieder so leer, daß ihn praktisch nichts mehr schocken konnte, nicht einmal die Nachricht, daß auch Lilys Eltern Lord Voldemort nicht überlebt hatten.

"Wann?" fragte er und nur mit Mühe hielt er die Tränen zurück, von denen er geglaubt hatte, daß er in seinem ganzen Leben keine mehr zum Vergießen übrig haben würde.

"Etwa zur gleichen Zeit, als auch Lily und James starben. - Severus, ich weiß, daß du sehr tiefe Gefühle für Lily hattest, aber du bist ihr nicht verpflichtet. Du bist noch zu jung, um die Verantwortung für dieses Kind zu übernehmen." Severus wollte widersprechen. Er war nicht jünger als James und er war der Vater, schrie es in seinem Kopf.

"Der kleine Harry hat zwar überlebt, aber er ist noch nicht wieder außer Gefahr." Severus sah Dumbledore mit seinem leeren Blick an.

"Wie meinen Sie das?" Dumbledore lehnte sich ein wenig zurück und seine alten Augen waren sehr traurig.

"Ich weiß, daß Voldemort nicht für immer verschwunden ist. Er ist nur geschwächt und hat sich zurückgezogen. Aber eines Tages wird er wieder kommen und dann wird er sich an Harry rächen wollen. - Dort wo Harry jetzt ist, ist er in Sicherheit, bei den Dursleys kann ihm nichts passieren." Obwohl die Stimme in seinem Kopf ihm noch immer sagte, daß er Dumbledore die Wahrheit sagen und ihm erzählen sollte, daß Harry Potter in Wahrheit gar nicht der Sohn von James Potter war, tat er es nicht und zwang die Stimme zum Schweigen.

Wenn Dumbledore glaubte, daß die Gefahr, die von Voldemort ausging, noch nicht gebannt war, dann hatte er damit vermutlich recht und es war vermutlich das Beste, wenn Harry... Severus konnte den Gedanken nicht zu Ende denken. Es schmerzte ihn zu sehr. Allein der bloße Gedanke, daß Harry bei diesen Muggeln aufwachsen würde, von denen er wußte, daß sie die schlimmsten Muggel waren, die man sich nur vorstellen konnte...

"Ich weiß nicht, was hinter deiner Fassade vor sich geht, Severus, aber du kannst mir glauben, daß Harry in Sicherheit ist. Petunia und Vernon Dursley sind vielleicht nicht gerade meine Wunscheltern für den kleinen Harry, aber sie sind die letzten Verwandten, die er noch hat. Es ist besser für ihn, wenn er ganz normal bei ihnen aufwächst, statt hier in einer Zauberschule. Das wäre nicht das Leben, das er haben sollte." Severus ballte die Hand zur Faust. Dann blickte er überrascht auf.

"Hier? Aber Sir, ich wäre doch nicht mit ihm...." Dumbledore lächelte Severus wieder auf seine bekannt warme Art an.

"Ich hatte eigentlich schon gehofft, daß du mir erhalten bleiben würdest, Severus. - Ich habe dafür gesorgt, daß das Zaubereiministerium dir keine Scherereien machen wird. Du wirst niemals verdächtigt werden, als Todesser tätig gewesen zu sein.
Kehre nach London zurück und schließe dein Studium ab. Und wenn du damit fertig bist, erwarte ich dich hier als neuer Lehrer für Zaubertränke. Professor Talis wartet schon sehnsüchtig auf seinen Ruhestand." Severus wußte, wie gut dieses Angebot Dumbledores gemeint war und er wußte auch, daß er ihm viel verdankte. Keine Strafverfolgung, einen sicheren Job, wenn er sein Studium beendet hatte, keine dummen Fragen wegen des Mals auf seinem Arm.

Doch er hatte in den letzten achtundvierzig Stunden so viel auf einmal verloren, daß er in sich nur noch Kälte und Schmerz spürte. Und jetzt wurde auch noch von ihm verlangt, daß er das einzige Wesen aufgab, das ihm auf dieser Welt Liebe entgegen bringen konnte. Der kleine Harry würde niemals erfahren, wer er war, würde immer glauben, James Potter sei sein Vater gewesen.

"Danke Sir", antwortete er schließlich leise. "Ich werde über dieses Angebot gründlich nachdenken. Sie erhalten eine Eule von mir." Dann stand er auf und verließ das Büro des Direktors.

***



Der sternenklare Himmel spannte sich über das Schloß und tauchte alles in ein kaum sichtbares, geheimnisvolles Licht. Severus stand auf der Plattform des Westturmes und starrte hinauf in den Himmel, so wie er es unzählige Mal in den sieben Jahren seiner Schulzeit getan hatte. Jeden Augenblick würde hinter ihm die Tür aufgehen und Lily würde in seine Arme fliegen. Er würde sie fest an sich drücken und ihr einen Kuß geben.

"Verdammt!!!" brüllte er in die Nacht hinaus und mit Sicherheit hatte es jeder Bewohner des Schlosses gehört, aber es war nicht wichtig.

Lily würde nicht kommen. Keine Umarmung, kein Kuß. Es war alles vorbei, alles egal.

Er war allein, niemand da, der ihm in dieser schwierigen Stunde helfen konnte.

"Was soll ich nur tun?" flüsterte er verzweifelt und einen Moment lang spürte er den Drang, auf die Mauer zu steigen und sich einfach fallen zu lassen. Einen Moment nur, dann schob er den Gedanken beiseite.

Wie konnte das Schicksal es nur so grausam mit ihm meinen? Er hatte Lily verloren und jetzt sollte er auch noch seinen kleinen Sohn aufgeben. Sollte ihn bei Leuten lassen, die ihn vermutlich genau so sehr hassen würden, wie sein Vater ihn gehaßt hatte. Würde er bei ihnen überhaupt jemals Liebe erfahren, oder würde er ein ebenso unglücklicher Junge werden wie Severus es gewesen war?

Aber womit hatte er es eigentlich verdient, daß dieses Kind bei ihm aufwuchs und ihn wie einen Vater lieben sollte? Er war schließlich Schuld, daß der Kleine keine Mutter mehr hatte! Weil er zu dumm gewesen war, die wahre Gefahr einzuschätzen und ausgerechnet die Potters als sicher eingestuft hatte. Damit hatte er so daneben gelegen wie vorher noch nie in seinem Leben.

Dumbledore hatte vermutlich Recht, Harry war wirklich bei seiner Tante besser aufgehoben. Was sollte er mit einem Vater, der ihm niemals eine richtige Familie würde bieten können? Einem Vater, der sich selbst abgrundtief haßte.

Severus seufzte und es kam aus dem Innersten seines Herzens. Dumbledore hatte recht. Harry war bei seinen Verwandten besser aufgehoben und er durfte nicht so egoistisch sein, das Kind als Ersatz für das Glück zu betrachten, das er verloren hatte.

Er mußte zuerst an Harry denken und Harry brauchte eine Familie. Das konnte Severus ihm nicht bieten. Er würde es niemals schaffen, ihm die Liebe und Geborgenheit einer Familie zu ersetzen und er durfte Harry nicht die Möglichkeit nehmen, so etwas zu erfahren. Er wußte selbst nur zu gut, was es aus einem Menschen machen konnte, nicht zu wissen, wie es war, wenn man geliebt wurde.

Und wieder einmal beschloß Severus Snape in dieser Nacht, auf etwas zu verzichten. Aber gleichzeitig schwor er sich, daß es das letzte Mal war.

Nie wieder wollte er sich selbst in die Situation bringen, in der er jetzt war. Nie wieder wollte er diese Gefühle und diese Konflikte erleben.

Von diesem Tage an würde es nie wieder etwas geben, auf das er würde verzichten müssen. Denn in einem einsamen Leben gab es nichts, was man nehmen konnte.


Das Büro von Professor Severus Snape, 15 Jahre später...

Severus erwiderte den trotzigen Blick des schwarzhaarigen Jungen vor sich, hielt den grünen Augen stand und lächelte ihm mit einer Kälte ins Gesicht, die ihm schmerzhaft in sein eigenes Herz schnitt.

Wieder einmal hatte er Harry für eine Nichtigkeit eine Strafe aufgebrummt und sah nun den Haß in den wunderschönen grünen, die ihn so lebhaft an seine Mutter erinnerten. Severus war zufrieden mit sich und diese Zufriedenheit brachte das eisige Lächeln auf seine Züge. Nicht mit dem, was er Harry antat, war er zufrieden, aber mit dem, was es in dem Jungen hervorrief.

Der grenzenlose Haß, der in Harrys Augen stand, seine Verachtung, das alles war gut und richtig und mußte so sein, denn Harry mußte stark werden, mußte mißtrauisch und aufmerksam werden. Voldemort war ihm zu nah und da man Severus verboten hatte - da er selbst sich verboten hatte - den trotzköpfigen Jungen wie einen Sohn zu lieben, mußte er ihn wenigstens so auf das vorbereiten, was ihm noch bevorstand.

Selbst wenn ihn jedes einzelne böse Wort in Harrys Richtung, jeder Verweis, jeder Punktabzug fast schon körperlich schmerzte, es mußte sein. Der Junge wurde von allen anderen so sehr verhätschelt, daß er gar keine Chance hatte, wenn es wirklich ernst wurde.
Er war der Junge, der überlebt hatte, und darum packten ihn alle in Watte, doch Severus wußte, so würde er gegen Voldemort nicht bestehen können. Voldemort war zurück, er war real, kein Schreckgespenst aus einer fernen Vergangenheit mehr. Und er war auf der Jagd nach seinem Jungen.

"Du kannst gehen, Potter." Wie immer spuckte er den Namen aus. Es war das einzige, was ihm dabei half, kalt und hart zu Harry zu sein. Sein Haß auf James Potter, den Harry Vater nannte.

"Und du solltest es besser tun, bevor ich es mir noch einmal anders überlege." Harry sah so aus, als wollte er etwas erwidern, doch dann erhob er sich einfach nur aus dem Stuhl und verließ so schnell er konnte, das Büro.

Severus wußte, daß Harry in wüstes Fluchen ausbrach, sobald er die Bürotür hinter sich geschlossen hatte und dieses Wissen ließ ihn bei weitem nicht so kalt, wie er immer tat. In seinem Inneren brannte noch immer das Feuer der Nacht vor fünfzehn Jahren, als er die Entscheidung getroffen hatte, sich in Harrys Leben nicht als Vater einzumischen. Noch immer war nur ein Teil von ihm davon überzeugt, daß er das Richtige tat und der andere Teil gewann langsam die Oberhand.

Er fürchtete, daß der Tag kommen würde, an dem alles, aus ihm herausbrach.


"Und, was hat er dir diesmal aufgebrummt?" fragte Ron seinen besten Freund Harry und sein Haß gegen den Lehrer für Zaubertränke war aus seiner Stimme herauszuhören. Doch Harry schien ihm nicht zuzuhören.

"Wußtet ihr, daß Snape Blumen in seinem Büro stehen hat?" Es war eine Frage, die ihm lächerlich vorkam, doch aus den überraschten Gesichtern seiner beiden Freunde Ron und Hermine konnte er herauslesen, daß auch sie das mehr als ungewöhnlich fanden. Harry grinste.

"Wirklich. Es war so eine große Glaskugel und da drin waren silberne Rosen. Sie sahen irgendwie aus wie aus Glas oder Kristall oder so... Total verrückt. Die Kugel stand auf einem kleinen Sockel, in den etwas eingraviert war, aber ich konnte leider nicht erkennen, was es war..." Und während Harry plappernd mit seinen Freunden in Richtung der Großen Halle zum Abendessen ging, zog Severus sich in seine Privaträume zurück, um sich sofort hinzulegen und vielleicht noch ein paar Stunden Schlaf zu bekommen, bevor die Träume zu ihm zurückkehrten.

ENDE


 

  Kapitel 24

 

 

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