Ich glaube nicht an Zauberei

 

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Kapitel 2:
Gefangen






Ich zögerte kurz, doch dann reckte ich meinen Hals und rief ihm laut zu: "Hallo, entschuldigen Sie? Wissen Sie, wo wir gerade sind?" Der Mann drehte sich sofort um und blickte etwas erschrocken zu mir. Er schien mich wohl vorher auch nicht bemerkt zu haben. Er schüttelte langsam den Kopf, ohne jedoch seinen Blick von mir abzuwenden. Seine dunklen Augen bohrten sich geradezu bedrohlich in mich hinein. Ein beklommenes Gefühl kam mir auf. Ich versuchte, seinen Blick abzuwehren und nuschelte eher etwas schüchtern in mich hinein: "Also, Sie wissen es auch nicht. Vielleicht ist der Wagen ja defekt?"
Der Mann sprach immer noch nichts. Ich sah ein wenig besorgt nach draußen und probierte, aus anderen Fenstern zu schauen. Aber es war stockfinster und nichts zu erkennen. Während ich etwas unruhig im Wagen auf- und abging, entging mir nicht, dass mich dieser Mann beobachtete. Ich wagte es nicht noch einmal, ihm direkt in die Augen zu blicken, konnte jedoch bei meinem flüchtigen Vorbeihuschen erkennen, dass er ungewöhnlich aussah. Nicht nur die Augen waren so düster und tief, sondern das ganze Gesicht machte einen befremdenden Eindruck: Die Haare hingen lang und strähnig auf die Schulter, die Haut war fahl, ja fast farblos, die ganze Gestalt wirkte etwas ausgemergelt, aber keineswegs schwach und zerbrechlich. Irgendwas war unheimlich an diesem Menschen. Ich konnte mir nicht erklären, was es war.
Schließlich raffte ich meinen Mut zusammen und stellte mich direkt vor ihm auf: "Also, meinen Sie nicht, dass wir was unternehmen sollten?"
Der Mann blickte mich an und sah sich wieder mit seinen prüfenden Blicken um. Er zögerte wohl, mir eine Antwort zu geben.

Also, das kam mir schon recht arrogant vor. Sein abweisender Blick erweckte in mir den Eindruck, dass er mich wohl für eine dumme, schwache Frau hielt.
Das wollen wir dann mal sehen, dachte ich mir, dieser Blödmann. "Also, fällt Ihnen was ein?" drängelte ich mit fester Stimme, "oder sollen wir erst mal ein paar Stunden warten und nachdenken?" fügte ich mit ironischem Ton hinzu und fing an, diesen überheblich dreinschauenden Typen zu verabscheuen.
Der Typ drehte sich langsam zu mir und machte einen solch abstoßenden Gesichtsausdruck, der mir verriet, dass er am liebsten gar nicht auf meine, für ihn wohl alberne Frage eingehen wollte.
Schließlich reagierte er doch nach einer kleinen Pause: "Was können wir denn tun?"
Seine Stimme klang erstaunlich anders als erwartet: nicht schroff und laut, sondern leise und sanft, aber deutlich. Er versuchte, mich dabei genauer anzuschauen. Ich drehte mich schnell weg (dieser bohrende Blick, einfach unerträglich!) und suchte nach dem Alarmknopf. Ich wandte mich den Anweisungen zu, die an den Wänden befestigt waren und Hinweise gaben, wie man sich bei Notsituationen verhalten sollte.
Also so was, dachte ich mir: Kaum büchst du aus der Arbeit aus, erlebst du zum ersten Mal einen Defekt in der U-Bahn. Und triffst solch einen ulkigen Typen.

Ich stellte mir schon geistig vor, nun stundenlang durch einen Schacht laufen zu müssen und ertappte mich dabei, dass mir dieser Gedanke als ein willkommenes Abenteuer fast erstrebenswert vorkam. Aber gleichzeitig war mir mulmig, wenn ich an meine Arbeit dachte, und vor allem, wenn ich diesen merkwürdigen Mann betrachtete, der bisher kaum ein Wort sagen und nur ein paar bedrohliche Blicke verteilen konnte.
Doch schließlich stand er auf: Ups, er war größer als vermutet. Und fast lautlos bewegte er sich geschickt durch den Wagen. Er schien ihn wohl genauer untersuchen zu wollen.
Unschlüssig, was als Erste in die Wege zu leiten war, beobachtete ich ihn eine Weile. ‚Vielleicht lässt er nun den Alarm läuten, oder schlägt ein Fenster ein, damit wir rausklettern können', überlegte ich mir im Stillen.
Ich konnte meinen Blick von diesem komischen Typen nicht abwenden. Er trug tiefschwarze Kleidung. Irgendwie passte alles nicht zusammen, außer dass eben alles schwarz war. Aber die Jacke schien ein wenig zu kurz geraten, die Hose zu lang. Nicht gerade abstoßend, aber sein Erscheinungsbild hinterließ bei mir den Eindruck, als hätte er sich auf die Schnelle diese Stücke ohne Sorgfalt zusammengesucht. Vielleicht war er nass oder schmutzig geworden und musste sich in der Eile irgendetwas kaufen, um den Tag zu überstehen, überlegte ich, aber fand das alles trotzdem merkwürdig: eine Tasche trug er nicht bei sich.
Ach, sich groß Gedanken über diesen Kerl zu machen, lohnt nicht, redete ich mir ein.
Ist doch ein merkwürdiger Kauz mit seinen langen fettigen Haaren. Und nicht gerade redefreudig. Bin ich froh, wenn ich bald aus dem Wagen raus bin, bevor er mich weiter nervt. Ist wohl so´n Eigenbrödler oder gar Vertreter einer Sekte. Gleich fordert er mich bestimmt auf, für irgendetwas zu spenden...

Aber das tat er nicht, sondern, nachdem er eine ganze Weile die Fenster- und Türgriffe betastet und die Aushänge studiert hatte, fragte er ganz ruhig und sachlich: "Können Sie den Alarm betätigen?"
Warum ich? fragte ich mich, aber ich wollte nun nicht die Schwache spielen. Also trat ich zögernd zu der Wandleiste, an dem der Knopf befestigt war. Einer von uns muss ja was unternehmen. Tief durchatmend landete mein Finger schließlich auf diesem Knopf und drückte fest zu.
Nichts passierte. Wir hörten keinerlei Geräusch. "Soll ich noch mal versuchen?" fragte ich nach einer Weile, den Mann fragend anschauend. Er nickte nur. Ich drückte noch mal und noch mal. Nichts tat sich.
"Vielleicht ist der Alarm auch defekt?" sagte ich schließlich und trommelte mit beiden Händen auf den Knopf. Hm, allmählich wurde mir schon etwas komisch.
Ich fing an, nach Hilfe zu rufen, erst recht leise, allmählich lauter werdend. Schließlich schrie ich, schlug mit aller Kraft gegen die Scheiben und riss an den Türen herum. Doch nichts geschah. Totenstille. Keine Tür ließ sich öffnen. Der Mann sah mir schweigend zu. Mensch, wie ich diese Passivität von dem Kerl hasste!

Ich griff nach meiner Tasche und durchsuchte sie nach meinem Handy.
"Was machen Sie da?" fragte der Mann plötzlich und wirkte wie aufgewacht. So hatte ich ihn bisher noch nicht gehört.
"Na ja", sagte ich und blickte erstaunt auf: "Ich dachte, wir rufen den Notdienst über Handy, da das Ding hier ja nicht zu funktionieren scheint..."
Der Mann beobachtete mich scharf, wie ich mein Gerät einschaltete - komisch: hatte ich es überhaupt ausgeschaltet? Jetzt fiel mir auch auf einmal auf, dass das Teil schon eine Weile nicht mehr geklingelt hatte. Wirklich merkwürdig. Sonst nervte es mich dauernd, und gerade jetzt, wo ich nicht auf der Arbeit war, hätte es doch schon öfter klingeln müssen.... Ich bediente die Tasten. Aber nichts rührte sich in dem Gerät. Nichts.
"Ich glaube, mein Akku ist alle", sagte ich entschuldigend mit einem Blick auf den Mann gerichtet. "Heute ist aber auch ein Tag! Nichts funktioniert hier. Scheiße!" Genervt lief ich in dem Wagen auf und ab. Der Mann beobachtete mich nur stumm. Nicht auszuhalten!
"Also, dann tun Sie doch auch mal was!", rief ich. "Haben Sie keine Idee? Wir stecken fest, falls Sie das noch nicht bemerkt haben. Und ich möchte eigentlich nicht bis in die Nacht rein hier drin stecken!"
Doch der Kerl tat nichts. Er schien wohl intensiv über etwas nachzudenken und besah sich die Fenster. In einer aufschäumenden Aktivität ergriff ich den Nothammer und sagte: "Dann werden wir eben mit Gewalt hier rausgehen..." Und ich holte weit aus und schlug auf die nächstbeste Scheibe ein. Mit der Erwartung, dass es jetzt schepperte und splitterte, zuckte ich schon zusammen. Doch nichts regte sich. Die Scheibe blieb unversehrt. Ich holte nochmals aus, diesmal mit voller Kraft: Aber nur ein dumpfes Geräusch war zu hören. Jetzt wurde ich nervös. Ich rannte zu allen Scheiben und schlug auf sie hemmungslos ein. Bei allen dasselbe: Fast geräuschloses Abprallen. Als ob die Scheiben gar nicht aus Glas wären, sondern aus Gummi.
"Wir sitzen fest. Ich versteh das nicht." Verzweifelt ließ ich mich auf einem Sitz nieder, starrte auf die unzerbrechlichen Scheiben und fuhr schließlich den Kerl an: "Los. Versuchen Sie doch mal was! Schlagen Sie die Scheiben ein. Oder brechen die Tür auf. Oder was auch immer!" Mir kamen schon fast die Tränen. Allmählich beschlich mich eine Vorstufe von Verzweiflung. Und dieser Kerl. Zum Krankwerden!

Ganz allmählich regte sich etwas in diesem Mann. Er schritt langsam zur Tür, blickte gleichzeitig zu mir, während er in seiner Jackentasche herumkramte. Ich konnte von meinem Sitz aus nicht erkennen, was er da suchte, weil er sich etwas von mir wegdrehte. Aber er schien wohl mit irgendeinem Gegenstand die Tür öffnen zu wollen. Doch auch erfolglos. Dann fummelte er an den Fenstern rum. Nichts geschah. Auch sonst war kein Geräusch zu hören. Der Mann tastete den Wagen ab. Erstmals schien er ihn richtig zu begutachten. Er schaute die Wände und Decken an und betastete jedes Scharnier. Irgendwas schien er auch auszutesten. Doch er versteckte seine Werkzeuge gut vor mir, zumindest konnte ich nichts erkennen.
"Was machen Sie da?" fragte ich schließlich. "Haben Sie Werkzeug dabei?" Der Mann reagierte zunächst nicht, sondern tastete weiterhin in aller Ruhe den Wagen ab. Es war zum Wahnsinnigwerden. Schließlich ging er langsam zu mir herüber und schaute mich an. Er schien wohl zu überlegen, ob er mir jetzt etwas mitteilen oder besser lassen sollte.
"Und?" fragte ich ihn ungeduldig: "haben Sie eine Idee?"
Er machte so einen abweisenden Gesichtsausdruck, bei dem ich ihm am liebsten in die Fresse gehauen hätte.
Er fragt sich wohl, ob ich es wert sei, überhaupt eine Antwort zu kriegen, dachte ich erzürnt: Was ist das für ein arroganter Kerl! Hat selbst noch nichts hier unternommen, aber hält sich für was Besseres. So´n Frauenhasser vielleicht, ja ein schwuler Frauenhasser, oder so ein Machotyp, der meint, Frauen wären nur zum Essenkochen und Männerverwöhnen auf die Welt gekommen...

Schon wollte ich ihm was Patziges ins Gesicht schleudern, da ließ er sich doch zu einer Antwort herab: "Ich glaube, man hält uns gefangen", sagte er, ganz sachlich.
Ich starrte ihn entgeistert an:
"Gefangen? Sie meinen doch nicht mit Absicht?" Ich blickte kurz in die unergründlichen, aber tiefschwarzen Augen dieses Mannes und erahnte erstmals eine Art von Sorge darin zu erkennen.
"Also", fing ich wieder an und schluckte meinen Ärger runter: "Meinen Sie wirklich, da will uns jemand kidnappen? Aber wo ist er dann? Was will wer überhaupt von uns? Oder sind Sie vielleicht auf der Flucht?" Ich sah ihn fragend an. Er schüttelte nur den Kopf.
Ich spürte, wie mein Kopf heiß wurde. Ich konnte mir all die Ungereimtheiten nicht mehr erklären: Ein Zugdefekt, nun gut. Aber gleichzeitig auch der Alarm und mein Handy kaputt? Und unzerbrechliche Scheiben? Das waren ein bisschen zu viele Zufälle! Und dazu noch dieser fremdartige Mensch, der sich von mir wieder abwandte mit einer Mimik, als ob ich etwas ganz Widerwärtiges sei.
"Also, wie kommen Sie denn darauf, dass man uns gefangen hält?" fragte ich ungeduldig. War dieser Spinner ernst zu nehmen? Solch eine merkwürdige Geschichte.
"Können Sie sich das denn erklären?", fragte ich ihn verzweifelt. "Ich meine, es kann hier doch nicht alles gleichzeitig defekt gehen? Und die Scheiben? Wieso gehen die nicht kaputt?"
Der Mann zögerte wieder. Er schien wohl darüber nachzudenken, wie viel er bereit war, mir mitzuteilen, und erwiderte schließlich knapp: "Die Technik und die Scheiben hat jemand verändert, so dass wir nicht ausbrechen können."
Das war doch alles verrückt. Schließlich bin ich noch ganz normal in diesen Wagen eingestiegen. Verstrickte er sich jetzt auch in perverse Geschichten, ähnlich wie mein von Ideenreichtum überladener Sohn? Sollte ich ihn besser ignorieren? Aber seine Stimme klang so ernsthaft und glaubwürdig.
"Wieso sind Sie sich da so sicher? Wie kann man denn Scheiben so einfach mal schnell verändern... und überhaupt: Ist jemand hinter Ihnen her?" Der Mann sagte nichts und schien wieder nur nachzudenken. Ich schloss darum mit den Worten: "Also, das ist doch alles bekloppt" und ließ mich wieder auf einen der Sitze nieder und blieb da reglos sitzen, wie gelähmt.

Eine Weile starrten wir schweigend in verschiedene Richtungen.
Wieso hörte uns denn keiner? Kein Laut drang zu uns durch. Draußen im Schacht blieb es einfach reglos und stockfinster. Als ob der komplette Wagen einfach vergessen wurde...
Doch das war erst der Anfang meiner Geschichte.



Kapitel 1

Kapitel 3


 

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