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Kapitel 6
Es war schließlich Mittag als Lupin wieder aufwachte. Seinem Gesichtsausdruck nach fühlte er sich nicht gerade berauschend. Snape sah von seinen Unterlagen auf, die er bisher am Sekretär bearbeitet hatte, und etwas wie ein Lächeln zuckte in seinen Mundwinkeln. "Geht's?" Bei jedem anderen wäre die Frage unsinnig gewesen, Smalltalk eben. Doch Severus hatte Mittel und Wege, vor allem Tränke, um so ziemlich alles zu bewirken.
"Abgesehen davon, dass mir schlecht ist, ich hundemüde bin, und einen Kopf habe so groß wie ein Quidditch-Feld geht's mir glänzend."
Seine Worte straften ihn Lüge als er sich strecken wollte und schmerzhaft zusammen zuckte. Er wollte nach seinen Rippen tasten, doch sie waren von einem stramm angelegten weißen Verband bedeckt. Aufrecht sitzend versuchte er so zu atmen, dass sich sein Brustkorb möglichst wenig bewegte, seltsamerweise schien es gerade der Verband zu sein, der ihn an auseinanderfallen hinderte. Eine Weile blieb er so, völlig auf sich konzentriert. Irgendwann fiel das Atmen leichter und er wand sich wieder der Außenwelt zu. Eine Bestandsaufnahme wurde gemacht.
'Ich lebe noch und habe keine schweren Verletzungen soweit ich das sehe. Aber darauf muß ich mir wohl nichts einbilden, das hier ist Snapes Zimmer. Das kann sich alles noch ändern. Und ich habe Hunger, immerhin ein gutes Zeichen. Er hat mich aus dem Wald geholt. Warum?' Es lief alles noch etwas durcheinander, nachdenken würde er wohl verschieben müssen.
Ein plötzliches Niesen entzündete eine mittelgroße Brandbombe in seiner Seite. Ein kleiner Schmerzenslaut wurde zwischen seinen Zähnen zermalmt. Snape war ein Slytherin, sie witterten Schwächen. So wie der Mistkerl, der ihm seine Phiole zerdeppert hatte.
Snape musterte ihn kurz mit seinem stechenden Blick, das Geräusch hatte ihn aufgeschreckt. Aber Remus wirkte nur erschöpft. Wenn er Schmerzen hatte, mußte er sie wohl unterdrücken. Dann machte er eine Geste mit dem Kinn nach links vom Gast. Lupin drehte sich und fand einen Teller mit kalter Suppe auf seinem Nachttisch. Remus' eigener Zauberstab lag daneben aber kein Löffel. Egal, er hatte Hunger. "Termis." Augenblicklich war der Tellerinhalt wieder warm und Lupin trank ihn langsam aus. Mit einzelnem Absetzen.
'Trage ich eigentlich irgendwelche Kleidung? Meine Robe muß bei der Verwandlung doch zum Teufel gegangen sein.' Als er nach den Rippen getastet hatte war da kein Hemd gewesen aber als er seine Beine nun etwas bewegte spürte er Stoff. Ein Zipfel grau-silbern-karierter Bund blitzte unter der Decke auf Bauchnabel-Höhe hervor.
Sein Geist war inzwischen wieder ziemlich klar und er konnte sich den Abend zusammenreimen. Und jetzt lag er hier in Snapes Bett und aß Hühnerbrühe. Das ganze war etwas surreal.
Um nicht länger über einen Satz nachdenken zu müssen, in dem die Worte "Snape, Ich und Bett" vorkamen sah sich der Werwolf etwas genauer um. Das Schlafzimmer war hell und von natürlichem Licht durchflutet, es musste also unerwarteter Weise oberirdisch liegen. Das Fenster war vermutlich seitlich hinter ihm.
Irgendwelche Ketten die von der Decke hingen? Nein. Oder Pfähle mit aufgespießten Köpfen? Nicht zu sehen. Das Holz sämtlicher Möbel war sogar recht hell, Buche vielleicht. Oder Birke? Egal.
Eine ganze Wand wurde - das hingegen überraschte Lupin gar nicht - von einem deckenhohen Bücherregal eingenommen. Schwere Lektüre. Der Rest war ganz durchschnittlich, Kleiderschrank, Kommode, Sekretär, das übliche eben. Sein Blick kehrte zu Snape zurück, der in aller Seelenruhe seiner Arbeit nachging.
"Danke." Nicht viel, aber sehr ehrlich. Der gemeinste Mann der ganzen Schule (vielleicht abgesehen von Filch) lächelte ein wenig und nickte. Er konnte lächeln? Die Überraschungen hörten heute gar nicht mehr auf.
"Eine Frage, Severus. Warum hast du mich nicht einfach bei Pomfrey abgeladen und bist wieder verschwunden?" Den Werwolf mit in seine privaten Räume zu bringen war nicht Teil des üblichen Reglements. Die Krankenstation wäre die naheliegendere Wahl gewesen.
"Gestern war doch der letzte Schultag, Lupin. Heute Vormittag fahren alle Kinder in die Ferien. Und Poppy will ihre Familie besuchen. Sie fuhr schon gestern Abend mit dem Zug weg, der Weg ist ziemlich weit und sie will in ihrem Alter kein Flohpulver mehr benutzen."
Lupin sah wirklich überrascht aus. Also führte Severus seine Worte weiter aus.
"Es hat seit einem halbern Jahr bei deinen Verwandlungen keine Probleme gegeben und man kann es ihr nicht verdenken, dass sie Weihnachten bei ihrer Familie sein will." Lupin schüttelte rasch den Kopf. Autsch, nicht so gut. Für ein paar Sekunden war sein Blick von einem engen dunklen Ring umklammert. Bunte Sterne rieselten von oben.
Tief durchatmen.
Der kleine Glasflakon, der in seinem Händen auftauchte, wurde auf gut Glück und in Vertrauen auf Snapes Vernunft getrunken. Dumbledore würde ausrasten, sollte der Slytherin ihm etwas antun. Aber wusste Albus überhaupt wo sich Remus gerade aufhielt? Wurde er schon vermisst? Dieser Gedankengang beunruhigte ihn doch etwas und so kehrte er hastig wieder zu ihrem Gespräch zurück. Immerhin hatte der dumpfe Druck zwischen seinen Schläfen nachgelassen. "Ich mache ihr ja gar keinen Vorwurf." Severus hatte damit unbemerkt die Beantwortung der Frage umgangen. Warum er sich um Lupin kümmerte. "Nebenbei Lupin: Warum du ausgerechnet in den Wald gelaufen bist bleibt mir immer noch ein Rätsel. Selbst in deinem desolaten Zustand musste dir doch klar sein, dass dir dort niemand nach der Transformation helfen würde. Dummer Hund!" Das hatte sich in letzter Zeit zu seiner Lieblingsbeleidigung für Lupin entwickelt. Allerdings hatte es dieses Mal nachlässig geklungen, so wie man Freunde mit Spinner oder Trottel aufzog.
Aber sie waren keine Freunde. Zumindest nicht soweit er wußte.
'Hrmpf.' Der VgdK Lehrer mummelte sich tiefer in die Decke, die ein wenig nach Snapes Aftershave roch. Warum auch immer. Und so was mußte er sich anhören. Er wollte mal sehen wie der gute Severus den Kopf behielt wenn er kurz davor war sich in eine Bestie zu verwandeln und Gefahr lief alles zu verlieren was er noch hatte. Ein paar wenige Freunde und seine Zuflucht in Hogwarts. Es durfte niemals passieren, dass er jemanden verletzte. Niemals! Wobei sich vielleicht Snape als einziger wirklich vorstellen konnte wie es war in seiner Lage zu sein. Sie hatten beide ihre Dämonen.
Snape kam zu ihm herüber und setzte sich auf den Rand der Bettdecke. Nun ruhig fühlte er Remus Stirn und runzelte die eigene ein wenig. "Du hast Fieber." So? Das erklärte die anhaltende Duseligkeit in seinem Kopf. "Bleib hier, ich gehe hoch zum Krankenrevier und hole ein paar Sachen, die wir noch brauchen werden." Er schien zu überlegen, das hier war unvertrauter Boden. "Möchtest du Tee?" Lupin nickte langsam und vorsichtig, Snape verhielt sich wirklich ziemlich untypisch. Gar nicht Snape´isch. Nach einer Weile kam er mit einer Kanne zurück die leicht aus ihrem filigran geschwungenen Hals dampfte. Eine Tasse schwebte hinter ihm her, für sie hatte er keine Hand mehr erübrigt.
Als Severus ein paar Minuten später verschwunden war erlaubte sich Remus schließlich wieder einzuschlafen. Er war hier in Sicherheit. Auch wenn er das nie für möglich gehalten hätte.