Lumos

 

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Kapitel 16: Das Siegel



Harrys sämtliche Befürchtungen sollten sich bewahrheiten. Es wurde für ihn eine äußerst schmerzvolle Nacht, die dazu führte, dass er am nächsten Morgen mit blauen Flecken erwachte. Ächzend kletterte er aus dem Bett, nur um gleich einen 'freundschaftlichen' Schulterschlag von Ron zu bekommen, der ihn gerade wieder zurück ins Bett beförderte. Mehr oder minder wütend wühlte er sich wieder aus seinem Lacken und schimpfte wie ein Rohrspatz.

"Ron, man könnte meinen, du wärest von irgendjemandem geschickt worden, um mich zu tyrannisieren und in einen einzigen, riesigen blauen Fleck zu verwandeln!" Anklagend schob er das Bein seiner Schlafanzugshose hoch und deutete auf seine unzähligen, teilweise dunkelblauen Flecken.

Ron's Ohren nahmen beim Anblick von Harrys zahlreichen Verletzungen erst einmal eine rote Färbung an, die seinen Haaren erstaunlich ähnelte, und dann fiel er in einer dramatischen Geste auf die Knie. In dieser Position flehte er Harry um Entschuldigung an, und das derart theaterreif, dass Harry einen Lachanfall bekam.

"Verzeih, oh allmächtiger Harry! Verzeih!" Ron wand sich zu Harry Füßen in einer gespielten Qual, die Harry die Lachtränen in die Augen trieb.

"Du unwürdiger Wurm, wie wagst du es. Küss meine Füße!"

Ron riss erst die Augen auf, dann grinste er und warf sich unterwürfig auf den Bauch. 'Klick'. Bevor einer der beiden reagieren konnte, blitzte ein Licht ins Zimmer und Lumos bekam einen Lachkrampf. In seiner linken Hand hielt er einen Fotoapparat, in der Rechten ein weißes Handtuch, das er Ron zuwarf. "Flehe um Gnade!"

Ron fing das Handtuch, wedelte damit herum und brüllte "GNADE!". Dann machte es noch einmal 'klick' und Lumos rief lachend: "Das kommt ins Jahrbuch.. die Wahrheit über Harry Potter und seinen Lakaien.."

Es war nur eine einzige Sekunde nötig, um sich zu verständigen. Harry und Ron sahen sich an und jagten gleichzeitig hinter Lumos her, der schreiend und lachend davon rannte, um den Fotoapparat in Sicherheit zu bringen.

"Stehen bleiben!", brüllte Ron lauthals.

"Genau. Stehen bleiben, wir werden Sie im Namen des Ministeriums todkitzeln!", rief Harry und verfolgte Lumos hartnäckig erst die Treppe hinunter und dann wieder hinauf.

Gerade, als Lumos zu einem Sprung über das Sofa ansetzte und schreien stolperte, erschien Snape auf der Bühne des Geschehens.

"Punkt 1: In meinem Haus wird niemand zu Tode gekitzelt, und falls doch übernehme ich die Henkerstätigkeit. Es gibt da ein paar sehr gute Kitzelflüche.."

Bevor Snape weitersprechen konnte, fiel Lumos auf die Knie und schrie "GNADE, oh großer Severus, GNADE..", wurde aber von Snape zum Schweigen gebracht. "Punkt 2, Lumos geh vom Sofa runter, Punkt 3: Es gibt Frühstück. Wer hat Hunger?"

"Ich, Sir!" Eifrig streckte Ron den Arm in die Luft.

Snape seufzte. "Wenn Sie doch in der Klasse so eifrig wären, Mr. Weasly.. Frühstück ist schon fertig, ihr könnt euch ja nachher anziehen."

Ein bisschen schuldbewusst nahm Ron seine Arm wieder herunter und folgte Snape, der in Richtung Frühstück verschwunden war.

Harry ging hinter Ron her, sah aber noch aus den Augenwinkeln, wie Lumos die Kamera versteckte. Mit einem kleinen Grinsen setzte er sich an den Tisch und widmete sich ausführlich seinem Frühstück. Manche Probleme können eben erst später gelöst werden.

Das Frühstück verlief genauso wie das vorherige - köstliches Essen, gewürzt mit den bissigen Kommentaren von Lumos und Snape, und unterbrochen von Rons Scherzen. Snape war aufgetaut, und entpuppte sich als außerordentlich witziger Gesprächspartner. Nicht, dass Harry das je von ihm gedacht hätte..

Während Ron nach seinem vierten Brötchen griff, und Snape einen tadelnden Blick zu Lumos schoss, der sich entschlossen hatte, die Schokoladencreme lieber ohne Toast zu essen, hörte man auf einmal ein lautes Klirren. Das Fenster im Wohnzimmer explodierte in tausend Splitter und eine große, nachtschwarze Eule kam durch das zerbrochene Fenster in das Zimmer geflogen, um einige Sekunden über dem Frühstückstisch zu schweben.

Snape war von der einen auf die andere Sekunde kalkweiß geworden, Harry, Ron und Lumos ging es allerdings nicht besser. Sie hatten sich gehörig erschreckt. Dann streckte Snape widerwillig seinen linken Arm aus und die Eule nahm gemächlich darauf Platz. Sie krallte sich fest in seinen Unterarm und er verzog für einen Moment das Gesicht. Dann nahm er der Eule ihre Post ab und warf den großen, schweren und bedrohlich wirkenden Vogel wieder in die Luft. Die Eule kreiste noch einmal kurz über dem Tisch, um dann mit großem Geschrei auf dem selben Weg zu verschwinden, auf dem sie auch gekommen war. Durch das zerbrochene Fenster.

Seufzend sah Snape auf, fischte nach seinem Zauberstab und reparierte das Fenster mit einem beiläufigen Wedeln des Stabes. Ron war sichtlich beeindruckt, Harry schlug immer noch das Herz bis zum Hals und Lumos sah sehr geschockt aus. Snape allerdings wirkte lockerer, sobald die Eule verschwunden war. Offensichtlich kannte er das Tier - und mochte es nicht sonderlich.

"Was... was war das?" Harry fand als erster die Stimme wieder.

"Eine Privatepost-Eule, die weder eine besonders gute Erziehung, noch besonders gute Nachrichten hat." Snape betrachtete die Pergamentrolle erst, als wäre sie ein besonders widerwärtiges Insekt, dann als ob er sie mit seinem Blick zum Explodieren bringen wollte. Leider funktionierte es nicht. Die Rolle lag noch auf der selben Stelle.

Er nahm das Papier in die Hand und wendete es. Dann sah er das Siegel und wurde noch weißer, als er vorher sowieso schon gewesen war. "Oh nein." Ganz leise flüsterte er, als wollte er nicht, dass die Worte wahr waren. Hastig stand er auf und verließ wortlos den Frühstückstisch.

Lumos, der anscheinend wusste, worum es ging, stützte den Kopf in die Hände. Harry und Ron bildeten zwei lebendige Fragezeichen.

"Lumos? Was... was war das?"

Lumos schüttelte den Kopf, ohne ihn zu heben. Dann begannen seine Schultern etwas zu zucken. Einige Minuten vergingen, in denen keiner der drei Jungen ein Wort sagte. Die vorherige gute Stimmung war wie weggeblasen. Statt dessen hing etwas bedrohliches in der Luft, etwas, vor dem man Angst haben könnte. Etwas dunkles. Dann hörte man hastige Schritte auf dem Flur und Ron schrie auf.

Aus der Dunkelheit des Flures tauchte Snape auf. Gekleidet in dieselbe Kleidung, in der Harry ihn Nachts gesehen hatte. In seiner Death Eater Kleidung. Und bei Tageslicht wirkte er nicht weniger bedrohlich als Nachts. Erst jetzt erkannte Harry, dass die Robe ein Prachtstück war, sicherlich unglaublich wertvoll. Schwerer, kostbarer Stoff, verwebt mit Seidenfäden, die ein Muster bildeten. Den Umhang, den er sonst an den Schultern trug, trug er noch über dem Arm, die schwarze Handschuhe in der Hand. Eine weite Kapuze, die nachher das Gesicht fast ganz verdecken würde. Und das, was die Kapuze nicht bedeckte, würde die weiße Maske, die Snape noch in den Händen hielt, später verbergen..

Lumos riß den Kopf hoch und erst jetzt erkannte Harry, dass er lautlos geweint hatte. "Nein!" Lumos sprang auf, rannte Snape entgegen und sprang ihm in die Arme. Klammerte sich an den Mann, als würde er ihn niemals mehr sehen. "Nein... nein.." Lumos begann heftigst zu schluchzen.

Snape zog ihn an sich und hielt ihn fest. Aber er antwortete nicht.

"Ich.. ich will nicht, dass du gehst. Bleib hier. Geh nicht."

Snape schüttelte den Kopf. "Lumos, das war eine eindeutige Einladung. Ich muss gehen. Sei vernünftig."

Lumos krallte sich in die schwarze Robe. "Ich bin aber nicht vernünftig. Ich will nicht, dass du gehst. Du sollst nicht immer gehen. Ich will das nicht mehr. NEIN!" Das letzte Wort schrie der verzweifelte Junge richtig heraus.

Snape löste Lumos vorsichtig von sich, was gar nicht einfach war, da der Junge sich an ihn klammerte. "Lumos.." Er beugte sich zu dem Jungen hinunter, flüsterte ihm etwas ins Ohr. Immer noch liefen Lumos die Tränen über die Wangen. Er machte keine Anstalten, sie wegzuwischen. Dann nickte Lumos, trat einen Schritt zurück.

"Lumos, hör mir zu. Hörst zu mir zu?"

Lumos nickte.

"Gut. Ich werde jetzt gehen. In Ordnung?"

Lumos schüttelte den Kopf. Apathisch.

"Ich muss, und du weiß es. Hör zu. Es ist wichtig. Wenn ich morgen um 12 Uhr nicht zurück bin, werdet ihr per Flohnetzwerk nach Hogwarts reisen. Reist direkt nach Hogwarts, keine Umwege. Geht nicht aus dem Haus. Es wird zu gefährlich sein. Hier kann euch nichts passieren, und Hogwarts ist der sicherste Ort der Welt. Hast du das verstanden?"

Lumos nickte stumm. Snape sah hoch zu Harry und Ron. Harry nickte. Ron war nach wie vor wie versteinert. Snape sah wieder hinunter zu Lumos.

"Kommst du zurück?" Leise fragte Lumos. Er hatte Angst vor der Antwort.

Snape atmete tief ein. "Ich weiß es nicht. Ich weiß es wirklich nicht. Aber wenn ich zurück komme, werde ich dich morgen Abend im Schach besiegen."

Lumos sah zu Snape auf. "Versprochen?"

Snape nickte. "Ich verspreche es. Hör auf zu weinen."

Lumos schaute wieder hinunter.

Snape beugte sich noch einmal hinunter und wischte dem Jungen sanft eine Träne aus dem Gesicht, worauf Lumos ihn wieder umklammerte. Dann drückte er ihm einen Kuss auf die Stirn und erhob sich. Er nahm den Umhang von seinem Arm, warf ihn sich über die Schultern und zog die Handschuhe an. Harry war ihm dankbar, dass er die Maske lediglich in der Hand hielt und nicht aufzog. Er hasste nichts mehr als diese leblosen Gesichter. Er hatte Angst vor ihnen.

Mit einem letzten, tiefen Einatmen löste Snape Lumos von sich und stieg die Treppe hinunter. Nachdem die Tür hinter ihm ins Schloss gefallen war, herrschte im Haus eine schreckliche Stille. Lumos stand nach wie vor an der selben Stelle. Dann drehte er sich um und rannte zu einem der Fenster. Harry folgte ihm. Er folgte Lumos Blickrichtung und sah, dass Snape sich vom Haus entfernte, um zu apparieren. Die schwarze Gestalt lief zielstrebig über das Gelände, um dann stehen zu bleiben und sich ein letztes Mal umzudrehen. Dann verschwand sie lautlos und Lumos begann wieder zu weinen.

Harry war hilflos. Von einer auf die andere Minute war der schöne Morgen ruiniert. Lumos weinte, Ron saß wie versteinert am Frühstückstisch und Snape schien gerade auf dem Weg zu seiner eigenen Exekution zu sein. Jedenfalls Lumos Tränen nach zu urteilen. "Was stand eigentlich in dem Brief?", fragte Harry sich laut.

Lumos machte auf der Stelle kehrt, verschwand für einen Moment und kehrte mit dem Pergament zurück. Er las es, und reichte es an Ron, der inzwischen aufgewacht war, weiter. Dieser las, und führte dann die beiden Siegelhälften zusammen, um sich das vollständige Siegel anzusehen. "Harry!", schrie er auf. Dann reichte er das Papier an Harry weiter. Lumos Schrei fuhrt Harry durch Mark und Knochen. Er sollte diesen Schrei niemals vergessen.

Als Harry die beiden dunkelgrünen Siegelhälften zusammenführte, bildeten sie ein kunstvolles 'S', um das sich eine Schlange wand.


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