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Kapitel 4: Ein anderer Morgen und eine ungewöhnliche Strafarbeit

 


Es war halb neun und die Sonne kroch gerade orangerot am Horizont empor, als Kolleen sich am See fallen ließ und mit angezogenen Beinen und in den Umhang gewickelt dem Schauspiel zusah.
Viel hatte sie nicht geschlafen und seit Sieben war sie hier draußen herum gelaufen, nur um nicht zuviel nachdenken zu müssen. Leider ohne Erfolg, die Gedanken stürzten immer wieder auf sie nieder, ohne daß sie sich wehren konnte.
Der Tod ihrer Schwester hatte auch noch den Teil ihres Lebens zerstört, in dem sie sich sicher und geborgen fühlte, nämlich ihre Familie.
Nun hatte sie das Gefühl ganz alleine auf der Welt zu sein.
Freunde? Hier in Hogwarts hatte sie keine, zumindest keine wirklichen, diejenigen die sich mal mit ihr beschäftigten hofften nur darauf, daß sie ihnen in Kräuterkunde oder Zaubertränken half, doch das hatte sie sich lange abgewöhnt.
Zu Hause hatte sie eine gute Freundin, doch die war die meiste Zeit des Jahre auf einer Schule in Irland, eben so wie sie in Hogwarts war, nur in den Sommerferien sahen sie sich und auch das nicht immer.
Was ihr aber immer geblieben war, war die Familie, immer hatte sie jemanden gehabt der sie akzeptiert und so angenommen hatte wie sie war, mit alle ihren Eigenarten und kleinen Fehlern. Doch nun war auch dort etwas kaputt gebrochen und unwiederbringlich zerstört.
Ihre Schwester war immer auch Freundin gewesen und meist die einzige der sie vertrauen konnte, besonders bei Dingen die man seinen Eltern nicht erzählen will. Das war alles vorbei, nie wieder würde sie sie sehen, nie wieder ihr Lachen hören. Wieder stieg die Wut gegen die Leute auf, die Schuld daran waren, doch wieder schluckte sie sie herunter, denn ihre Hilflosigkeit ihnen gegenüber fraß sie nur noch mehr auf.
In diesem Moment hätte sie gerne geweint, aber schon lange hatte sie keine Tränen mehr.

Ihr Blick war starr auf die aufgehende Sonne gerichtet und beinahe hätte sie die Person übersehen, die, fast auf der gegenüberliegenden Seite des Sees, langsam voranschritt.
Kolleen hob den Kopf, ja schreiten war der richtige Ausdruck für seine Bewegung, sie war sich sicher, daß es ein Mann war auch wenn sie nicht sagen konnte wer es war. Er war ganz in schwarz gekleidet und hatte eine große schlanke Gestalt, seine Haaren schienen auch schwarz zu sein und schimmerten im noch fahlen Sonnenlicht rötlich. Verwundert fragte sie sich wer er wohl war, denn niemanden, den sie in der Schule schon einmal gesehen hatte, paßte zu dem was sie sah.
Er verschwand hinter einer Baumgruppe und ihre Gedanken waren wieder bei dem was vor ihr stand. Die Beerdigung. Sie versank tiefer in ihre eigene Welt und bekam immer weniger von dem mit was um sie geschah.

***



Die Luft war einfach herrlich, eiskalt und erfrischend. Die aufgehende Sonne färbte den Schnee orange und Snape genoß einfach nur die Stille am See.
Langsam ging er den Weg entlang und versuchte die Natur zu genießen ohne viel nachzudenken.
Als hinter den Bäumen wieder der See sichtbar wurde, sah er etwas weiter den Weg entlang ein Mädchen ganz in schwarz am Ufer sitzen. Beim letzten Baum blieb er stehen und erkannte sie nur an ihren dunkelroten Haaren, Kolleen Anderson. Verfolgte ihn dieses Mädchen? Wohl kaum, es waren wohl bloß Zufälle.
Er ging weiter und beobachtete sie dabei genau. Sie hatte die Knie eng an den Körper gezogen und ihr Blick war starr auf den See gerichtet, scheinbar war sie ganz in ihre Gedanken versunken und nahm nicht viel von ihrer Umgebung wahr.
Langsam und fast ohne ein Geräusch zu machen ging er auf die Bank zu die unter einem Baum am Weg stand und setzte sich. Er konnte nun ihr Profil sehen, welches im Licht der aufgehenden Sonne zu strahlen schien. Mitleid kam in ihm auf, er wußte wie sie sich fühlte und er wußte auch, daß sie die meiste Zeit alleine war, wie gut konnte er sie verstehen und ihn beschlich das starke Bedürfnis sich zu ihr zu setzen und einfach für sie da zu sein.
Ihr Kopf drehte sich leicht in seine Richtung und das leichte Zucken, welches durch ihren Körper ging, verriet, daß sie ihn bemerkt hatte. Trotzdem blieb sie erst mal ruhig sitzen. Er sah auf die Uhr, es war schon viertel nach neun und wenn sie den Zug noch erwischen wollte, sollte sie sich auf den Weg machen. Gerade wollte er sich erheben um es ihr zu sagen, als sie aufstand, langsam den Schnee aus ihrem Mantel klopfte und auf ihn zukam.
Den ganzen Weg war ihr Gesicht ernst und auf den Boden gerichtet, doch als sie an ihm vorbei kam hob sie den Kopf und sagte mit einem Lächeln: "Haben Sie noch einen schönen Morgen, Professor Snape."
Er war so überrascht, daß er nichts erwidern konnte. Es war ein echtes Lächeln gewesen, kein gespieltes und auch wenn es vielleicht nicht ihren wahren Gemütszustand entsprach war dieses Lächeln für ihn gewesen, und welcher Schüler hatte schon mal eine so freundliche Begrüßung für ihn gehabt?
'Severus! Komm mal wieder runter, sie war nur höflich. Wahrscheinlich will sie sich nur wegen dem Nachsitzen einschleimen.'
Immer noch etwas verwirrt sah er sie hinter der nächsten Biegung verschwinden.

***



Die Weihnachtstage waren ruhig und deprimierend wie jedes Jahr und doch genoß er die Stille im Schloß, die sonst höchstens an Hogsmeade Wochenenden vorhanden war.
Am Tag nach Weihnachten korrigierte er Aufsätze aus der fünften Klasse und braute noch einige Tränke für Madame Pomfrey.
Am Abend war er müde und wollte nur noch mit einem Buch in Ruhe am Kamin sitzen und sich entspannen, das Abendessen hatte er ausfallen lassen und sich stattdessen ein ausgiebiges Bad gegönnt.
Gerade hatte er seine Hose zugemacht, als es an der Tür seines Büros klopfte.
Wer zum Teufel war das? Wer wagte es? Schnell zog er sich ein Hemd über und lief zur Tür, bereit denjenigen ordentlich zusammen zu stauchen.
Er riß die Tür auf und war überrascht.

***



Die Gänge in den Kerkern waren eiskalt und frierend klopfte sie an Snapes Bürotür.
Keine Reaktion. Dann schnelle Schritte und die Tür wurde aufgerissen.
Kolleen erschrak etwas, einmal über die schnelle Bewegung und zum anderen über die Person, die in der Tür stand. Es war Professor Snape, aber er sah so anders aus, daß sie ihn beinahe nicht erkannt hätte. Er trug keine Robe, sondern eine schwarze Hose und ein dunkles Hemd, welches noch nicht einmal ganz zu war und seine nassen Haare tropften auf seine Schultern.
"Entschuldigen Sie Professor Snape. Ich wollte nicht stören. Ich dachte nur ich sollte zum Nachsitzen herkommen", sagte sie etwas unsicher.
Nachdem sein Gesicht erst überrascht ausgesehen hatte, schien es nun seinen üblichen unfreundlichen und abweisenden Ausdruck wieder zu haben.
"Ist es schon so spät? Meine Uhr muß falsch gehen! Gehen Sie schon mal ins Klassenzimmer, ich komme sofort."

Sie ging nach nebenan in den großen leeren Raum, in dem sonst der Unterricht stattfand, es war dunkel und kalt. Mit einem Wink ihres Zauberstabes entzündete sie die Kerzen.
Was sie wohl machen mußte? Snape schien nicht gut gelaunt und das konnte nichts gutes heißen. Trotzdem war sie froh hier zu sein. Das erste Mal in ihren sechseinhalb Schuljahren war sie froh in Hogwarts zu sein und nicht zu Hause. Sie schüttelte die Gedanken an die vergangenen Tage ab und lenkte ihre Gedanken zu Snape. Irgendwie beschäftigte er sie. Sein Auftreten am Tag vor Weihnachten. Als sie ihn am See gesehen hatte, hätte sie schwören können, daß es jemand anderes war.
Auch dass er sie in Ruhe gelassen hatte, rechnete sie ihm hoch an. Daß er sie beobachtet hatte störte sie nicht, es war sogar nicht unangenehm gewesen zu wissen, daß jemand da sitzt und auf sie achtet aus welchen Gründen auch immer und sein Gesicht, nachdem sie ihn angelächelt hatte, war wahres Gold wert gewesen. Einen kurzen Moment hatte sie wieder geglaubt jemand anderes vor sich zu haben und nicht den grantigen und bitteren Snape.

Die Tür flog auf und der Professor kam herein. Das Buch, welches er unter dem Arm trug warf er achtlos auf einen der Tische in der ersten Reihe und ging hinüber zum Pult. Er ließ sich auf den Stuhl fallen und suchte einige Pergamente durch. Ohne den Kopf zu heben sprach er Kolleen an: "So Miss Anderson, Sie werden jetzt den Trank brauen, der Ihnen letzte Woche um die Ohren geflogen ist. Ich denke, die Seite im Buch und der Ort der Zutaten dürften Ihnen bekannt sein. Sagen Sie Bescheid, wenn Sie fertig sind." Sie entspannte sich, einen Trank zu brauen war ja fast besser als etwas mit dem sie sich alleine beschäftigen konnte. Doch natürlich konnte Snape sich eine gehässige Bemerkung nicht verkneifen: "Ach ja und sehen Sie zu, daß Sie höchstens sich und nicht gleich die Schule in die Luft jagen."

Kolleen ignorierte seinen Tadel und suchte sich die Zutaten zusammen. Während sie Schneckenkäfer im Mörser zerstieß sah sie ab und zu zu Snape hinüber. Er saß am Pult und arbeitete scheinbar an irgendwelchen Aufsätzen. Sie begann seine Gestalt, seine Gesichtszüge und seine Art sich zu bewegen genauer zu beobachten, wieder erschien er ihr anders als sonst, sie begann den Menschen hinter der Maske zu vermuten. Ein lautes Zischen holte sie aus ihren Gedanken, beinahe wäre der Trank übergekocht. Leise fluchte sie über die eigene Dummheit und konzentrierte sich auf die Arbeit.
Eine dreiviertel Stunde später hatte sie alle Zutaten hinzugefügt und war sich sicher, daß der Trank die richtige Konsistenz hatte. "Ich bin fertig Professor."
Er sah auf. "Oh, ich dachte ein lauter Knall würde mich darüber unterrichten, aber nun gut. Schauen wir mal."
Sie wußte genau, daß er sie nur provozieren wollte, sie war eine der Besten in seiner Klasse und selbst als Gryffindor bekam sie manchmal Punkte für ihre Arbeit. Er hatte sie erhoben und stand nun mit kritischem Blick neben dem Kessel, nahm seinen Zauberstab und rührte den Trank langsam um.
Sie sah ihm zu und vergaß für kurze Zeit, daß er ihr Lehrer war und gerade ihren Trank bewertete, er hatte etwas an sich, etwas Geheimnisvolles.
Als er aufblickte sah er nicht ganz so grantig aus wie sonst, sein Gesicht machte eher einen leicht zufriedenen Eindruck.
"Sie können es ja doch Miss Anderson. Warum nicht gleich so? Ich denke nicht, daß die zwei Tage im Krankenflügel sehr angenehm waren. Nun, da Sie schon fertig sind, können Sie beginnen die Schülervorräte zu sortieren. Schreiben Sie mir bitte genau auf wie viel von allem noch da ist und sortieren Sie die leeren Gefäße aus."
Kolleen fluchte in Gedanken, war ja klar gewesen, daß Nachsitzen bei Snape fast nie positive Seiten hatten. Leise seufzend ging sie hinüber zu den Schränken und begann Flüssigkeiten und allerlei andere Zutaten zusammenzuschütten, abzumessen und alles fein säuberlich aufzuschreiben.
Nach etwas zwei Stunden stand sie vor einem Schranke, kippte einen Rest teuren Einhorhornsud in eine große, nun fast volle Flasche, drückte den Korken in den Flaschenhals und wollte sie zurück in den Schrank stellen.
"Sie können nun gehen Miss Anderson." Ihr Blut gefror zu Eis, sie hatte ihn nicht kommen hören. Vor Schreck fiel die Flasche aus ihren Händen und zerbrach am Boden, das klirrende Glas holte sie wieder aus ihrem Schrecken in die Realität.
"Können Sie nicht aufpassen? Ist es so schwierig eine Flasche festzuhalten?" Snape schrie sie an.
"Ent...Entschuldigen Sie Professor. Ich habe mich nur so erschreckt." Nicht nur ihre Stimme zitterte, ihr ganzer Körper hatte angefangen zu beben. Sie wollte sich bücken um die Scherben aufzuheben.
"Lassen Sie das, bevor Sie sich noch verletzten! Dafür werden Sie morgen Abend wieder kommen und den Rest sortieren, nun gehen Sie aber bevor ich mir noch überlege Sie das heute Nacht machen zu lassen!"
Noch immer zitternd und langsam wie im Trance nahm Kolleen ihren Mantel und verließ den Raum, kaum hatte sie die Tür geschlossen rannte sie los.



Kapitel 3

Kapitel 5

 

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