Von Mördern und Verrätern

 

 

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Kapitel 55: Albträume





"Bitte, böser Mann. Tu mir nicht weh."

Die grossen, rehbraunen Augen waren überschwemmt mit Tränen. Tränen, die die runden Wangen des Kindes herunterliefen. Die Stimme des Mädchens zitterte und wurde von Schluchzern zerrissen, als sie ihn anflehte. Pure Angst lag darin. Angst davor, dass man ihr weh tun könnte. Angst vor dem, was sie gesehen hatte und nicht verstand. Angst vor dem instinktiven Wissen, dass etwas schreckliches mit ihr passieren würde, etwas, das sie in ihrer kindlichen Unschuld nicht begreifen konnte.

Er kniete auf allen Vieren auf dem Boden, vor sich eine zerbeulte Schüssel mit angeschimmeltem, madenverseuchtem Brot. Er wusste, dass er Hunger haben sollte, doch im Moment herrschte Abscheu vor. Abscheu und die Angst vor dem, von dem sein Unterbewusstsein wusste, dass es passieren würde.

Er konnte das nicht essen. Sein Magen würde rebellieren, und das Kind würde sterben.

Eine höhnisch lachende Stimme hallte von überall her auf ihn ein. Mit einem Messer in der Hand erschien Malfoy hinter dem Kind und schnitt ihm mit einer einzigen Bewegung die Kehle auf. Die mit Tränen gefüllten Augen weiteten sich vor Angst, Überraschung und Schmerz und aus dem Schnitt am Hals des Mädchens drang ein Schwall Millionen kleiner, weisser Maden. Die Flut hörte nicht auf und bewegte sich wie eine weisse, dicke Welle über den Boden auf Severus zu. Mit einem Schrei sprang Severus auf und stolperte zurück, nur um auf seinen Hintern zu fallen. Die Woge sich windender kleiner Maden bewegte sich immer näher auf ihn zu und Severus rutschte auf dem Hosenboden so weit zurück, bis eine Wand hinter ihm jedes weitere Zurückweichen unmöglich machte.

Sie würden ihn gleich erreichen und ihn unter sich begraben, ihn durchlöchern und lebendig auffressen.

In hilfloser Panik schlug er die Hände über den Kopf und machte sich so klein wie möglich, indem er seine Beine eng an den Körper zog.

***



Es war zwei Tage nach Beginn der Weihnachtsferien und Harrys Ankunft in der Hütte. Sehr zu Sirius' Frust hatte Poppy noch nicht das Okay dafür gegeben, Snape zu verlegen, obwohl er inzwischen schon wieder Magie in nächster Nähe und schwache Zaubertränke vertrug. Sie sagte, dass er erst genügend Toleranz bilden müsse, um den Portschlüsseltransport gut zu überstehen. Natürlich hatten sich die Auroren auch erst einen Tag vor den Ferien von der Schule zurückgezogen, weil ein gewisser Mundungus Fletcher in gewissen Kreisen ein Gerücht gestartet hatte, dass Snape wiederholt in der Nockturngasse gesichtet worden sei, woraufhin es auch plötzlich weitere Zeugen gab, die ihn hinter einer dunklen Ecke oder in einer schummrigen Gasse verschwinden gesehen haben wollten.

Jetzt, wo die Häuser der Todesser alle verkabelt waren und der Orden nach keinen neuen möglichen Verstecken mehr suchte, konnten die Mitglieder sich wieder der Lösung der ,weniger dringlichen' Aufgaben, wie dem Snape-Problem widmen. Vor allem Tonks' Fähigkeiten halfen dabei enorm. Dennoch war Sirius mehr als frustriert. Da hätten er und sein Patensohn zum ersten Mal zwei ganze Wochen lang zusammen verbringen können, und stattdessen musste er alle Naselang zu Snape, weil der noch nicht weit genug war um transportiert werden zu können. Wenn er es nicht besser gewusst hätte, dann hätte Sirius geschworen, dass der fettige Mistkerl es absichtlich machte.

Diesmal waren Harry und er gerade bei einer Partie Schach, als sie einen Schrei, gefolgt von einem polternden Geräusch aus Snapes Zimmer hörten.

"Verdammt, hat man hier nie Ruhe", fluchte Sirius, noch während er aufsprang und in Richtung des Zimmers lief, dicht gefolgt von Harry.

Die Szene, die sie in Snapes Zimmer antrafen, liess sie jedoch brüsk anhalten. Der Zaubertränkemeister sass gegen die Wand gepresst am Boden, beide Hände schützend über seinem Kopf, leise wimmernd und am ganzen Körper zitternd.

"Was...", begann Harry geschockt.

"Alptraum. Verdammt noch mal", antwortete Sirius nur knapp und bewegte sich auf den am Boden kauernden Mann zu. "Snape! Wach auf!" befahl er, noch während er ging. Snape reagierte nur, indem er sich noch kleiner zu machen versuchte und lauter wimmerte. Sirius sah kurz zu Harry, der noch immer bei der Tür stand und mit offenem Mund und sichtlich erschüttert auf seinen Zaubertränkelehrer starrte.
Sirius beugte sich hinunter und schüttelte Snape unsanft an der Schulter. "Wach endlich auf.... SNAPE!"

Endlich hörte das Wimmern auf. Snape senkte zögernd die Hände und starrte Sirius an, während langsam Wiedererkennen in die weit aufgerissenen Augen trat.

"Black?" Snapes Stimme zitterte noch immer und er schien für einen Moment unsicher, ob er wirklich Sirius vor sich hatte, oder ob er noch immer im Traum gefangen war. Er sah sich um, und beim Anblick von Harry verzog sich sein Gesicht in Sekundenbruchteilen in eine wütende Fratze, als er wieder in die Realität ausserhalb des Alptraumes stürzte. "Was tut ihr hier?" fauchte er.

"Glaube mir, wir haben auch keine Lust, zum Händchenhalten zu kommen, wenn du schlecht träumst, Snape", antwortete Sirius genauso unfreundlich und Snape senkte kurz den Blick, aber erwiderte nichts darauf.

Endlich kam auch Leben in Harry und er eilte zu Snape und kniete sich an dessen Seite nieder. "Kommen Sie Professor. Wir helfen Ihnen wieder zurück ins Bett." Er hielt dem am Boden sitzenden Mann eine Hand hin als Friedensgeste, wohl wissend, dass Snape sie mit seinen verletzten Händen nicht nehmen konnte, doch der Zaubertränkemeister starrte ihn nur hasserfüllt an.

"Ich brauche garantiert nicht deine Hilfe, Potter. Was wagst du überhaupt hier zu sein? Und wenn du der letzte Mensch in der Welt wärst, wollte ich deine Hilfe nicht! HAU VERDAMMT NOCHMAL AB ODER ICH SCHWÖRE DIR, DASS DU ES BEREUEN WIRST JEMALS HIER IN DAS ZIMMER GEKOMMEN ZU SEIN!"

Harry zog die dargebotene Hand zurück, als hätte er sich verbrannt.

"Ja sicher. Leere Drohungen, Snape, und mit deinen Füssen und Händen schaffst du es bestimmt alleine zurück ins Bett", bemerkte Sirius sarkastisch, wenn auch mit weniger Schärfe als zuvor. "Oder willst du hier auf dem Boden sitzen bleiben? Das kannst du schon mal vergessen. Nicht nachdem ich mir zig Nächte um die Ohren schlagen musste, damit du nicht wund liegst. Harry, nimm seinen anderen Arm." Mit diesen Worten, und bevor Snape reagieren konnte, hatte er sich schon unter Snapes linken Arm eingehakt und zusammen mit Harry, der Snapes rechten Arm nahm, hob er den verletzten Zauberer auf die Füsse und trug ihn mehr als er ihn stützte zurück zu seinem Bett, wo sie ihn auf der Kante sitzen liessen, nachdem Harry mit seinem Zauberstab die zerknüllten Bettlaken in Ordnung gebracht hatte.

Snape biss die Zähne zusammen und schien durch die Bewegung und die Teilbelastung seiner Füsse starke Schmerzen zu haben. Seine Atmung kam schwer und gepresst. Kraft hatte er noch immer kaum und war nach wie vor viel zu leicht für seine Körpergrösse, stellte Sirius fest.

"Ihr verdammten Bastarde. Ihr müsst das ja wahnsinnig geniessen", keuchte Snape und Sirius lächelte nur, erwiderte aber nichts. Sie halfen dem anderen Mann sich hinzulegen und Snape war zu erschöpft um sich gegen sie zu wehren.

Harry deckte den noch immer schwer atmenden Zauberer mit dem Leintuch zu und Sirius mass ein paar Tropfen einer Flüssigkeit aus einer Phiole auf einen Teelöffel, der noch von den letzten Kräftetropfen auf dem Nachttisch lag.

"Was ist das?" fragte Harry und Snape sah ebenfalls auf und beäugte die Phiole mit skeptischem Blick.

"Das ist ein Trank um traumfrei schlafen zu können."

Snapes Augen weiteten sich kurz, als er verstand.

"Aber Sirius, werden wir ihm damit nicht schaden? Madame Pomfrey hat noch keine zusätzlichen Tränke freigegeben."

"Ich habe wenig Lust, noch einmal beim Schachspiel gestört zu werden und Snape dann wieder ins Bettchen bringen zu müssen."

"Habe ich etwa nach euch gerufen? Wenn ich könnte, würde ich euch beiden für eure Einmischung einen Fluch an den Hals hexen, damit ihr das nie vergesst", drohte Snape wieder sehr wütend.

Sirius lächelte nur und sah dann seinen Patensohn an. "Geh du nur mal vor. Ich komme hier jetzt alleine klar."

Harry nickte und verschwand aus dem Zimmer. Sirius wandte sich wieder Snape zu.

"Mach kein Theater, Snape, und nimm die Tropfen. Ich habe nicht vor, mir die wenigen Tage, die ich mit Harry zusammen verbringen kann, durch deine Alpträume vermiesen zu lassen. Und dir machen sie sicherlich genauso wenig Spass."

Snape warf ihm einen mörderischen Blick zu, liess sich aber die Tropfen ohne Gegenwehr verabreichen. Danach drehte er sich wortlos und mit einiger Mühe und schmerzverzerrtem Gesicht auf die Seite, weg von Sirius.

Dieser runzelte kurz die Stirn, bevor er den Löffel wieder hinlegte und aus dem Zimmer trat.
Sirius hatte sehr wohl den Ausdruck von Erleichterung in Snapes Augen gesehen, als er den Trank abgemessen hatte. Er fühlte sich leicht schuldig bei dem Anflug von Genugtuung, die ihn überkam. Aber es zeigte sich immer mehr, dass er mit seiner Vermutung richtig lag, und das Gefühl,etwas bemerkt zu haben, was sogar dem grossen Albus Dumbledore nicht aufgefallen war, war an sich schon eine so seltene Sache, dass er es so richtig auskosten wollte. Die Dämonen, die den Mann verfolgten, mußten in der Tat schlimm sein. Sie schienen hart an Snapes Zurechnungsfähigkeit zu zerren und hatten seine Zuversicht und Widerstandskraft schon lange zerfressen. Nicht, dass ihn Snape dabei gross kümmern würde. Von solchen Dämonen konnte auch er ein Liedchen singen. In Askaban, mit Dementoren vor der Zellentür, war der Schlaf selten alptraumfrei gewesen. Aber er hatte Recht, und Albus Dumbledore hatte sich geirrt. Er war in der Zwischenzeit vollkommen überzeugt davon. Jetzt brauchte er es nur noch dem Di rektor zu beweisen.

Er fragte sich, warum es nur ihm aufzufallen schien, dass Snape sich seltsam verhielt. Okay, es waren Kleinigkeiten, wie zum Beispiel seine Antworten, die so im Gegensatz standen zu dem Sarkasmus und den scharfen Worten, mit denen der Zaubertränkemeister früher immer um sich geworfen hatte. Das musste es wohl sein. Sirius reizte ihn sogar absichtlich, doch Snape ging kaum darauf ein. Er war in eine komplett defensive Haltung verfallen und das kannte Black nicht von ihm.

Nun, der Mann hatte mit seiner charmanten Art selbst dafür gesorgt, dass sich niemand freiwillig die Mühe machte, ihn näher kennen zu wollen, um solche Dinge zu bemerken.

Sirius fluchte unterdrückt auf. Er redete sich immer ein, dass ihm Snapes Befinden absolut egal war, aber er wusste innerlich, dass dies nicht hundertprozentig den Tatsachen entsprach. Ein Teil von ihm, der Teil, den er am liebsten abschalten wollte, hatte zum ersten Mal nicht das Bedürfnis dem Mann wirklich zu schaden. Es wäre, wie wenn man einen Welpen treten würde, und dieser Gedanke war sehr irritierend. Verdammt, wenn er nicht aufpasste, dann würde er eines Tages noch wirklich Bedauern für Snape empfinden. Wie weit würde er noch sinken? Musste an den zwölf Jahren Askaban liegen. Anders konnte er sich das nicht erklären.





 

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