O my soul

 

 

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Kapitel 3: Morgenlicht, ein warmes Bad und eine schwarze Tunika



Er berührte Severus´ Arm, und der Zauberer schreckte zurück.

"Alles in Ordnung", sagte der Priester. Er entfernte zuerst das Kreuz, dann wickelte er langsam die Binde auf, und die Luft wurde erfüllt von dem süßen Duft eines Öls. Severus sah zu, mit angehaltenem Atem.

"Nein."

"Im Namen des Herrn, es gibt nichts, wovor Sie sich fürchten müssten", sagte Vater Nikolski. "Sehen Sie."

Nach einigen Augenblicken wandte Severus seinen Blick von dem des Priesters ab und wappnete sich innerlich gegen den furchtbaren Anblick, der sich ihm bieten würde - dieses widerliche Bild, das ihn Tag und Nacht verfolgte ...

Es war verschwunden.

Er starrte und starrte auf die leere Stelle auf seiner Haut; er schüttelte den Kopf und versuchte zu sprechen, doch kein Wort kam über seine Lippen.

"Sehen Sie. Sie sind nicht länger ein - wie Sie sagten - Verfluchter."

Severus begann zu zittern.

"Friede sei mit dir", sagte der Priester und legte eine Hand auf Severus´ Kopf.

Der Meister der Zaubertränke entkrampfte sich unter Vater Nikolskis Berührung und schloss die Augen. "Wie ... Über welche Art von Magie verfügen Sie? Nicht einmal Albus konnte das Mal entfernen. Was Sie getan haben ist unmöglich."

"Magie, hm. So nennen die Menschen es. Wir hier vertrauen auf die Macht Gottes, verbunden mit dem Willen des Einzelnen. Ja? In Ihnen war eine große Reue. Mit Gottes Hilfe ist alles möglich."

"Reue", sagte Severus. "Dieses spezielle Gefühl ... ich kenne es sehr gut. Aber ich kenne den Gott nicht, von dem Sie sprechen."

"Das erklärt einiges. Aber nun genug geredet; alles zu seiner Zeit." Er deckte Severus mit Laken zu und drückte sanft seine Schulter. "Fühlen Sie sich wohl?"

"Ja, vielen Dank."

"Ich werde am Morgen wieder kommen, Severus, und wir werden unsere Unterhaltung dann fortführen. Schlafen Sie gut. Bruder Theodosius wird über Sie wachen."

"Gute Nacht, Vater."

***



So lange er sich erinnern konnte, hatte Severus das Morgenlicht verabscheut. Er hatte bei weitem die tröstliche Umarmung der Abenddämmerung vorgezogen, mit ihren verlängerten Schatten, die es ihm möglich machten zu verschwinden, eins zu werden mit der Dunkelheit. Aber an jenem Morgen, nachdem er seiner Befreiung aus Voldemorts Klauen gewahr worden war, fand er sich selbst hingerissen von dem blassblauen Morgenhimmel und seinem leuchtenden Gelb, das aussah wie der Atem des Lichts. Es ließ diese goldenen Gemälde an den Wänden sanft leuchten und weckte eine Sehnsucht in ihm nach etwas, das er nicht benennen konnte.

Dann kam Bruder Theodosius mit einem Tablett in den Raum.

"Sie müssen hungrig sein", sagte er. "Ich habe Ihnen Frühstück gebracht."

Severus beäugte überrascht Speck, Eier, gebutterten Toast, frische Marmelade, Haferbrei und Tee und sagte: "Ich weiß nicht, ob ich das alles essen kann." Dann knurrte sein Magen.

"Essen Sie, was sie essen können", sagte der Mönch lächelnd. "Ich glaube, es wird einiges sein."

Es stellte sich schnell heraus, dass Bruder Theodosius Recht gehabt hatte. Severus ließ wenig übrig. Das Essen war köstlich, aber er strebte auch danach, seine Kräfte wiederzuerlangen und aus dem Bett zu kommen.

"Vielen Dank", sagte er, als er keinen Bissen mehr hinunterbrachte. "Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal ein solch exzellentes Frühstück hatte." In Wahrheit frühstückte er selten; eigentlich aß er überhaupt selten. Unter der Doppelbelastung seiner Arbeit als Lehrer und seiner Aufgabe als Spion litt sein Appetit üblicherweise als erstes.

Der Mönch machte eine Verbeugung und sagte: "Möchten Sie gerne ein heißes Bad?"

Severus stöhnte fast wohlig auf bei dieser Vorstellung. "Ja, das möchte ich sehr gern."

"Ich werde einige der Brüder anweisen, Ihnen eines zu richten."

Nach ein paar Minuten kam er zurück, begleitet von einigen Mönchen, die eine große Kupferwanne trugen und in seinem Zimmer mit dampfendem Wasser füllten.

Bruder Theodosius half Severus, sich auszuziehen und in die Wanne zu setzen.

"Brauchen Sie Hilfe beim Baden?" fragte der Mönch.

"Ich schaffe das."

"Rufen Sie mich, wenn Sie Unterstützung benötigen. Ich werde in der Nähe der Tür sein."

Severus lehnte sich zurück gegen die Wanne und atmete tief aus. Er stellte sich vor, dass die meisten seiner Schüler geschockt wären, wüssten sie, wie sehr er dies genoss. Vielleicht auch die meisten Lehrer. Aber er hatte so viele Dinge geheimgehalten, konnte er es ihnen verübeln, dass sie alle möglichen Vermutungen anstellten, da er sein unzugängliches Verhalten pflegte und perfektionierte?
Er seufzte und langte nach der Seife. Er war zu oft verletzt worden, um noch zugänglich zu sein. Wenigstens war das immer seine Begründung gewesen.

Das Dunkle Mal, seine Vergangenheit als Todesser, sein Verhalten, alles; es hatte ihm gedient, um sich von den anderen abzugrenzen.

Abgesehen davon, dass er nun kein Mal mehr hatte.

Er betrachtete wieder seinen Unterarm. Keine Spur mehr von Voldemorts Brandzeichen; nicht einmal eine vage Kontur. Es fühlte sich nicht so an, als wäre es entfernt worden. Seine Haut brannte nicht, stach nicht, schmerzte nicht. Es war eher, als wäre das Mal irgendwie ... abgewaschen worden.

Er nickte für sich. Ja. Das war genau, wonach es sich anfühlte.

Severus beendete das Bad und tauchte im warmen Wasser unter. Dann stieg er aus der Wanne, griff nach dem Handtuch, das zusammengefaltet darauf lag und begann, sich abzutrocknen.

Ein Klopfen an der Tür.

"Severus? Darf ich eintreten?"

Es war Vater Nikolski.

"Ja, Vater", sagte Severus und wickelte sich das Handtuch um die Hüften.

"Ich habe hier Kleider für Sie", sagte der Priester. Er zeigte auf die lange schwarze Tunika, die über seinem Arm hing. "Ich fürchte, Ihr Umhang ist zu zerrissen, um geflickt werden zu können, aber wie Sie sehen, haben wir etwas Ähnliches."

Severus wollte antworten, als ihn jäh eine Welle des Schwindels erfasste. Vater Nikolski war augenblicklich an seiner Seite.

"Sind Sie in Ordnung? Sie haben sich vielleicht zu schnell bewegt. Sie waren eine ziemliche Weile im Bett."

"Es geht mir gut", sagte Severus.

"Ziehen wir Sie an." Der Priester zog die Tunika über Severus´ Kopf und half ihm, in die Ärmel zu schlüpfen. "So. Wie ist das?"

"Ich fühl mich ein bisschen mehr wie ich selber", sagte Severus. "Danke."

"Nichts zu danken. Setzen Sie sich, ich habe auch etwas für Ihre Füße."

Er führte Severus zum Bett, kniete nieder und zog dem Meister der Zaubertränke schwarze Filzpantoffeln an.

"Wir wollen nicht, dass Sie sich eine Erkältung einfangen. Ist Ihnen warm genug?"

"Ja. Das ist alles sehr nett von Ihnen. Ich bin nicht - nicht an so etwas gewöhnt."

"Ich verstehe. Ich kann sehen, dass Sie sehr verletzt worden sind."

Severus´ Kehle verkrampfte sich, und ein schmales Lächeln spielte um seine Lippen. "Nicht so sehr, wie ich andere verletzt habe."


 

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