Reinheit des Blutes

 

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Kapitel 17: Vorgetäuschte Gefühle



Ich wollte den perfekten Moment abwarten. Jenen Augenblick, der getrübt von anderen wichtigen Dingen, meine Aussage dämpfen würde. So das ich zwar sagen würde, was ich musste, aber dennoch unverstanden bliebe. Es war mir nicht vergönnt.

"Grandma? Hast du einen Moment Zeit für mich?"

Nervös trippelnd stand ich im Türbogen des Arbeitszimmers und wünschte mich weit weg von hier. Es war schon spät, weit nach ein Uhr nachts. Nicht ungewöhnlich, dass Oma noch Dokumente überprüfte oder an der Familienchronik schrieb. Ich hatte gehofft, dass ich sie alleine erwischen würde. Mit Selene konnte ich jetzt noch nicht reden. Das würde wahrscheinlich zum schwersten Teil werden.

Sie sah von ihrem Pergament auf, nahm die Brille ab und rieb sich über den Nasenrücken. Ein wenig müde und abgearbeitet sah sie aus. Der Kummer und die Enttäuschungen hatten Zeichen in ihrem ganzen Wesen gesetzt. Ich schämte mich, dass ich ihr soviel Schmerz bereitet hatte.

"Ja, Liebes? Es ist schon spät, kannst du nicht schlafen?"

Ihr Sanftmut und mein drückendes Gewissen ließen mich seine Idee endlich gutheißen. Es war einfach an der Zeit, sie glücklich zu machen. Und so fiel es mir nicht allzu schwer, frei zu sprechen.

"Es ist alles in Ordnung. Grandma... ich war doch letztens mit Severus einkaufen..."

Sie wirkte überrascht und ich fragte mich, ob sie gar nicht davon gewusst hatte? Doch dann lächelte sie mich an und bot mir einen Sessel. Ich setzte mich nah an den Kamin und zog die Beine eng an den Körper. Ihre Bewegungen waren ein wenig steif, als sie mir Gesellschaft leistete.

"Severus? Habt ihr euch gut vertragen?"

Ich konnte keinen Hintergedanken in ihrer Stimme hören und fragte mich kurz, ob sie mir diese Geschichte überhaupt abkaufen würde. Aber es musste sein.

"Ja, es war sehr schön. Wir... haben viele Kleider gekauft und anschließend waren wir Essen. Wir haben uns sehr gut unterhalten und ich kam erst gegen drei Uhr morgens nach Hause."

Etwas zögerlich lächelte ich. Es war bisher keine direkte Lüge gewesen. Ich versuchte noch immer, den Kern der Angelegenheit zu umschiffen.

"Das ist sehr nett. Und worüber wolltest du mit mir reden?"

Nun also zum schwierigen Teil. "Ich... mag Severus... gerne. Er ist wirklich... (nervtötend, bevormundend, stur, gemein, zynisch, boshaft,...) sehr... (hassenswert?) süß. (Süß? Warum verdammt habe ich süß gesagt? Das wird sie mir niemals glauben!)"

Doch sie lehnte sich nur weiter zu mir und ihre Augen leuchteten hoffnungsvoll. Wie glücklich sie endlich wieder auf mich wirkte. Das war jede Anstrengung wert.

"Du magst ihn. Findest ihn süß. Er ist ein sehr anziehender Mann, nicht wahr?"

Röte schoss mir ins Gesicht und ich wünschte mir, dass sie es lediglich für die Wärme des Kamins halten würde. Doch ihr wissendes Grinsen zeigte die Wahrheit.

"Er ist... außergewöhnlich."

"Amalys, Liebes, willst du mir etwas bestimmtes sagen?"

Sie wirkte aufgeregt, hoch erfreut und zugleich ungeduldig wie ein kleines Kind. Hatte ich vor kurzem noch eine Chance gehabt, die Sache abzuwenden? Wahrscheinlich. Doch nun war es zu spät. Ich schluckte einmal, räusperte mich, setzte zum Sprechen an - und nur ein leichtes Fiepen war zu hören. Ich versuchte es noch einmal, ohne nachzudenken.

"Ich möchte gerne mehr Zeit mit ihm verbringen."

Grandma strahlte mich an, wie eine 100 Watt Glühbirne. Sie ergriff meine Hände und drückte sie liebevoll. Ihre Stimme vibrierte vor Freude. "Ist das wahr? Und was ist mit ihm? Möchte er auch gerne mehr Zeit mit dir verbringen?"

Gott war das peinlich. Ich war hochrot und konnte nur mit Mühe weitersprechen. Severus hatte mir den bedeutend schwereren Teil der Angelegenheit überlassen. Toll, einfach toll.

"Ja, nun, ich denke schon..." Sollte ich es ihr einfach sagen? "Er hat mich gefragt..."

"Er hat dich WAS gefragt?"

Die schneidende Stimme kam von der Tür. Selene stand dort, die Weinflasche in der Hand, lediglich mit einem hauchdünnem Nachthemd bekleidet. Sie war wütend, und betrunken.
Oma nahm kaum Notiz von ihr, doch ich konnte nicht wegsehen. Sie starrte mich hasserfüllt an.

"Ma, es ist spät. Warum bist du noch auf?"

Ich legte eine vorsichtige Besorgnis in die Frage und maß die Flasche mit einem bedauernden Blick. Sie jedoch gab mir keine Antwort, sondern schwankte ins Zimmer, den Wein heftig in der Hand schaukelnd. Mit einem lauten Rumps setzte sie sich auf den Schreibtisch und ließ ihre Beine fast kindlich baumeln.

Ihre kalten Augen spießten mich auf. Nur keine Panik bekommen.

"Er hat mich gefragt, ob ich seine Frau werden will - und ich habe ja gesagt."

Das Schweigen, das auf meine Ankündigung folgte, war tödlich. Sie schwiegen und starrten mich an. Ich wand mich unbehaglich. Selene fing sich als erstes.

"Du hast WAS? Bist du verrückt geworden! Niemals, niemals gebe ich dazu meine Zustimmung!"

"Selene sei still."

Grandma stand auf und setzte sich auf meine Lehne. Eindringlich und dennoch liebevoll fragte sie nach: "Bist du dir auch ganz sicher? Er ist um einiges älter als du, und auch wenn ich mich natürlich für dich freue, kommt es dennoch sehr plötzlich."

Mir stiegen die Tränen in die Augen. Ich liebte sie so sehr, und trotzdem belog ich sie.

"Ich möchte das wirklich tun."

Sie strich mir ein paar Strähnen aus der Stirn und seufzte auf.

"Gib mir ein wenig Bedenkzeit. Ich möchte, dass du dir die Möglichkeiten offen hältst. In Ordnung?"

Ich nickte und schmiegte meine Kopf eng an sie. Es war tröstlich, auch wenn mein Leben wohl nie mehr sein würde, wie es wahr.

"Nun geh aber schlafen, Kleines."

Erschöpft verließ ich das Zimmer und ging die Treppe hinauf. Selene rannte mir nach und ihre Stimme war laut und schrill, als sie mir hinterher schrie: "Du machst einen großen Fehler. Du verdammst uns alle! Er wird unser Untergang sein! Die komplette Macht wird auf ihn übergehen und mich verdammst du dazu, sein Bett zu teilen!"

Ich hielt inne. Empört und zugleich dämmerte mir die Erkenntnis. Das hatte er ihr damals angeboten. Er würde mich heiraten, und Selene musste ihre Versprechen einlösen. Nun, da ich wusste, was sein Vorteil war, kroch Kälte in mir hoch. Bitterkeit, weil ich letztlich doch noch verkauft worden war; Zorn, weil sie um mich gefeilscht hatten. Aber ich würde dennoch frei sein! Er hatte es mir doch versprochen.

Ich war überrascht, dass ich keinerlei Mitleid mehr für meine Mutter empfand. Alles war ihre Schuld gewesen, sollte sie doch auch ihren Teil für die Widergutmachung beisteuern. Sie hatte mich verdammt - es war nur recht und billig.

Ohne noch einmal zurück zu blicken beendete ich meine Weg und schloss die Zimmertür hinter mir. Erst dann kamen die Tränen...

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