Sein und Schein

 

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Kapitel 13: Ein Sommernachtstraum

 


Das Theaterprojekt, von den einzelnen Häusern eifrig vorangetrieben, näherte sich seinem ersten Höhepunkt. Durch Los war bereits im Herbst entschieden worden, in welcher Reihenfolge die Häuser ihr Stück zur Aufführung bringen sollten. Professor Sprout und Professor Flitwick bekamen ihren Termin für April. Das Haus Gryffindor sollte im Mai, und im Juni die Slytherins ihr Werk der Schule vorstellen. Ohne Zweifel sah sich Professor McGonagall in der wohl besseren Position gegenüber den anderen Häusern.
Die Aufführung der Hufflepuffs und Ravenclaws war reichlich früh und setzte die beiden Häuser unter terminlichen Druck. Die Aufführung der Slytherins fiel jedoch in die Zeit der mündlichen Prüfungen, was die Konzentration und Anspannung der Schüler ohne Zweifel voll beanspruchte.
Ja, Minerva McGonagall konnte sehr zufrieden sein. So bewies sich wieder einmal, dass ihr Haus durchaus das vom Glück begünstigtere war. Und sie machte aus diesem Umstand kein Geheimnis, als sie vergnügt ihre Tischnachbarin anschaute. "Wie weit sind Sie denn schon, meine Liebe?" wollte sie wissen. Die Lehrerkonferenz war bereits beendet und die meisten ihrer Kollegen schon gegangen, nur die Leiter der vier Schulhäuser saßen noch zusammen.
Madam Sprout zuckte lächelnd mit den Schultern. "Professor Flitwick und ich sind zufrieden. Freilich könnten wir etwas weiter sein, wenn nicht immer wieder einige Schüler bei den Proben stören würden." Ihr Blick ging vielsagend zu ihrem Nachbarn.
"Severus, ich schätze es nicht, wenn sich einige Ihrer Schüler daran machen, die Kostüme einem Schrumpfzauber zu unterziehen. Üben können sie das bei Flitwick in der Stunde."
"Keine Ahnung, wovon Sie da reden", brummte Snape ohne von seinem Studium des 'Tagespropheten' aufzusehen.
"Interessant. Natürlich wissen Sie auch nichts von der eigentlichen Ursache, wieso damals bei den Gryffindors in der Probe der Kessel hochgegangen ist?" hakte Sprout nach.
"Doch, die Ursache kenne ich nur zu gut." Snape blätterte die Tageszeitung um. "Das lag an Grangers Inkompetenz."
Professor McGonagall zog die Stirn in Falten. "Severus, Sie wissen genau, dass es einer Ihrer Schüler war. Malfoy wahrscheinlich. Der hat zumindest die Raffinesse solch einen Streich auch durchzuführen."
Diesmal sah der Hauslehrer der Slytherins auf. "Danke für die Blumen, Minerva, ich werde es Mister Malfoy ausrichten. Es wird ihn sicher freuen. Ein Slytherin erhält nicht alle Tage solches Lob von einer Gryffindor."
"Was heißt hier eigentlich Lob?" begann sich McGonagall zu ereifern. "Das ganze Haus Slytherin ist ein hinterhältiger und verschlagener Haufen. So etwas kann man kaum belobigen."
Langsam rollte Snape die Zeitung zusammen und legte sie vor sich auf den Tisch. Mit betont gleichgültiger Geste verschränkte er die Arme vor der Brust und lehnte sich lässig in seinem Stuhl zurück. Er musterte seine Gegenüber mit einem hämischen Zucken um die Mundwinkel. "Schon wieder ein Lob? Salazar Slytherin würde sich freuen."
"Bei Ihnen scheppert's ja im Kessel."
"Das ist aber nicht der feine sachliche Ton, auf den sich die Gryffindors so viel einbilden."
Minerva öffnete den Mund und wollte eine entsprechende Bemerkung zurückgeben, als Professor Flitwick beschwichtigend die Hand hob. "Liebe Minerva, geben Sie auf oder wollen Sie auch noch in die Entscheidungsrunde gehen?" fragte er mit einem flehenden Blick zu Snape. Der gönnte sich ein herausforderndes Grinsen. Offensichtlich amüsierte er sich wieder einmal prächtig auf McGonagalls Kosten.
Die Lehrerin stand auf und maß Snape mit wütendem Blick. "Sie werden auch noch mal vor meiner Türe stehen."
Flitwick stöhnte auf und bedeckte kopfschüttelnd seine Augen, um nicht mit ansehen zu müssen, wie Snapes Augenbrauen in die Höhe schnellten.
Für Madam Sprout entbehrte die Situation nicht einer gewissen Komik. Interessiert sah sie von einem Hauslehrer zum anderen. Würde sich der Zaubertrankmeister zurückhalten oder die Situation zu der unvermeidlichen Katastrophe ausarten lassen?
Für den ersten Moment schien er Minervas Kommentar zu ignorieren. Er stand langsam auf und klemmte sich den 'Tagespropheten' unter den Arm. Seine Stimme war leise und hatte so gar nicht den üblichen kalten zischenden Ton, den sie sonst annahm, wenn er einen seiner üblichen Seitenhiebe austeilte. Er legte den Kopf ein wenig schief und bedachte seine Kollegin mit einem gespielt erstaunten Blick. "Sie machen mir Avancen? Und das auf Ihre alten Tage?"
"Das reicht!" McGonagall zog ihren Zauberstab und deutete mit der Spitze auf Snape. "Sie wollen Streit? Gut, den sollen Sie bekommen."
"Sie wollen ein Duell?" fragte Snape interessiert und tippte spielerisch mit den Fingern auf die Spitze von McGonagalls Zauberstab.
"Genau, Severus, und diesmal gibt es kein Mitleidsbonus wegen einem grünen Igel."
Bisher war Snape durchaus amüsiert, doch die letzte Bemerkung wischte jeden gutmütigen Spott aus seinen Augen. Er bedachte seine Kollegin mit einem seiner kalten Blicke.
"Lassen Sie mich Ort und Zeit wissen."
Er nickte den anderen knapp zu und verließ das Lehrerzimmer. McGonagalls Anfall von Größenwahn hatte sich raumgreifend ausgebreitet. Diese Gryffindors waren so etwas von anmaßend, dass es Zeit wurde, sie wieder in ihre Schranken zu weisen.
Die Tür knallte laut hinter ihm zu.
Minerva McGonagall fühlte die Blicke ihrer Kollegen auf sich ruhen. Flitwick lugte zwischen seinen Fingern hindurch und nahm dann zögernd die Hand herunter. Madam Sprout schüttelte den Kopf. "So langsam habe ich das Gefühl, meine Liebe, dass Sie beide wohl mindestens einmal im Schuljahr derart aneinandergeraten müssen. Und jedes Mal ist es nur wegen alberner Nichtigkeiten. Wozu sich duellieren? Es läuft sowieso auf ein Patt hinaus."
"Offensichtlich ist ein grüner Igel für den giftigen Slytherin kein nichtiger Grund. - Diesmal lege ich ihn auf die Bretter!" erklärte die Hauslehrerin der Gryffindors.
"Also wirklich, Prophezeiungen sollten Sie besser unserer guten Sibyll überlassen. Die versteht sich angeblich darauf."

***



Professor McGonagall verlor keine Zeit. Snape war gerade in seinem Kerker angekommen und hatte sich gesetzt, als es bereits an der Tür klopfte.
"Bitte!"
Professor Flitwick wieselte durch die Tür und blieb vor dem Zaubertrankmeister stehen. Mit schief gehaltenem Kopf und die Fäuste in die Seiten gestemmt musterte er seinen Kollegen böse.
"Das ich hier nicht ganz freiwillig stehe, werden Sie wohl selber wissen", schimpfte er.
Snape hob die Augenbrauen. "Gehe ich recht in der Annahme, dass die Weiber Sie geschickt haben?"
Mit unerschütterlicher Ruhe begann Snape das Holz seines Zauberstabes zu polieren. Das weiche Tuch wischte lautlos über die schwarze Oberfläche. Der Rabe war auf die Rückenlehne des Sessels geflogen und schaute dem Zaubertankmeister interessiert über die Schulter.
"Severus, muß das sein?" fragte Flitwick versöhnlicher. Er kletterte auf den gegenüberliegenden Sessel. "Madam Sprout hat recht, jedes Jahr sind Sie und Minerva irgendwann wie von Magie völlig überladen!"
Er sah sich suchend um und begann zu lächeln, als er auf dem Kaminsims Gläser und Karaffe entdeckte. Mit einem munteren "Accio!" beorderte er das Tablett vor sich auf den Tisch. Derweil tat der Hauslehrer der Slytherin so, als ginge ihn das alles nichts an und polierte weiter das schwarze Holz mit dem kunstvoll verzierten Griff.
Der Lehrer für Zauberkunst dirigierte mit dem Zauberstab die Flasche und schenkte zwei Gläser ein.
"Oh ja", giftete Snape, als dicht vor seinem Gesicht ein Glas schwebte, "fühlen Sie sich nur wie zu Hause bei mir."
"Wenn Sie nicht noch ein zweites Duell ansetzen wollen, lieber Kollege", und diesmal klang Flitwick weniger freundlich, "dann sollten Sie den Unterhändler nicht verärgern."
Snape beugte sich vor. Er deutete mit seinem Stab auf den kleinen Mann, überlegte es sich aber anders und griff nach dem schwebenden Glas.
"Also gut." Er prostete seinem Gegenüber zu. "Dann nach Protokoll."
"Benennen Sie Ihren Sekundanten", bat Flitwick, wieder ganz die Liebenswürdigkeit in Person.
"Ich habe keinen", erhielt er die Antwort.
"Doch, Sie haben, und wenn Sie keinen fragen wollen, dann bitte ich Lockhart darum", kicherte Flitwick vergnügt.
Der Zaubertrankmeister bedachte seinen Gast mit einem bösen Blick. "Wer ist McGonagalls Sekundant?" erkundigte er sich schließlich.
"Madam Hooch!"
"Ach herrje, die Kaffeetanten unter sich!" Diesmal grinste Snape angewidert. "Das kann ja wieder lustig werden."
"Severus, ich warne Sie." Flitwick war beim zweiten Glas angekommen. "Wenn mir nicht gefällt, was ich höre, dann werde ich hier so lange sitzen bleiben, bis Ihr gesamter Vorrat an diesem vorzüglichen Burgunder erschöpft ist."
Snape zischte etwas unverständliches. Der Gedanke, den Lehrer für Zauberkunst abzufüllen, war verlockend, aber es musste nicht gerade mit seinem Burgunder sein.
Er lehnte sich zurück und besah sich den Inhalt des Glases durch das geschliffene Kristall. Gegen die Flammen des Kamins gehalten loderte der dunkelrote Wein wie Rubine. Natürlich könnte er Albus bitten, sein Sekundant zu sein, aber das war gleichbedeutend mit einem langen Vortrag über Sinn und Unsinn von Zaubererduellen unter Kollegen. Im Moment war er aber nicht sonderlich in Stimmung für solche Vorlesungen.
"Was ist?" drängte Flitwick. "Lockhart oder wer?"
Snape sah in die Flammen des Kamins. Seine zweite Wahl wäre sein Gegenüber gewesen, aber der kam nun auch nicht mehr in Frage. Nein, ihm fiel keiner ein. Zumindest keiner, den er wirklich fragen wollte. Flitwick rutschte auf seinem Platz hin und her. Er konnte sich vage vorstellen, in welcher Klemme Snape stecken mochte. "Ein Vorschlag zur Güte. Wie wäre es mit Madam Sprout? Die gute Seele von einem Hufflepuff wird bestimmt nicht nein sagen, wenn Sie sie darum bitten."
"Also schön, ich werde Madam Sprout fragen. Das ist wohl besser als .... wer auch immer."
Flitwick nickte zufrieden. "Lassen Sie mich Ihre Entscheidung wissen." Mit leisem Bedauern stellte Professor Flitwick die Rotweinflasche zurück auf das Tablett. "Und wegen des Termins, so bitte ich Sie beide inständig, bis nach unserer Theateraufführung zu warten."

***



Eine Woche später war die Große Halle zu einem Theatersaal umfunktioniert worden. Auf dem Podest, wo sonst der Tisch der Lehrer stand, hatten eifrige Hände eine Bühne mit einer traumhaften Waldkulisse errichtet, die mit echten Frühlingsblumen dekoriert war. An den Wänden und unter der verzauberten Hallendecke hingen Blumengirlanden, und unzählige Glühwürmchen tanzten zwischen der ganzen Blütenpracht herum. In den vorderen Reihen standen bequeme Stühle für die Lehrer und die auswärtigen Gäste, dahinter die langen Bänke der Schüler.
Flitwick und Sprout liefen aufgeregt zwischen Bühne und Zuschauerraum hin und her, um darauf zu achten, dass alles erdenkliche getan wurde, um dieses aufregende Ereignis auch wirklich gelingen zu lassen.
Madam Sprout ließ sich irgendwann am Rande der Bühne niedersinken und fächerte sich Luft zu. Jeden Moment würden zwei ihrer Schüler im Elfenkostüm die Tür öffnen und die ersten Zuschauer hereinstürmen. Ihre Blicke schweiften noch einmal durch die Halle. Irgendwo hinter der Bühne konnte sie Professor Flitwicks Stimme vernehmen, der die letzten Korrekturen am Bühnenbild vornahm und rasch noch einige schwebende Sterne in die Luft zauberte, so dass es nur so glitzerte. "Und nicht vergessen Kinder, nur den Verwandlungszauber aussprechen, wenn ihr euch ganz sicher seid. Falls ihr den Zauberspruch vor Aufregung vergessen habt, dann könnt ihr noch immer die Masken benutzen. Die Zuschauer werden denken, dass es so geplant war."
Endlich kam auch der kleine Professor für Zauberkunst hinter der Bühne vor und tippte seiner Kollegin auf die Schulter.
"Nur Mut, mein Gute, jetzt können wir sowieso nichts mehr ändern." Er gab das Zeichen zum Öffnen der Türen. Seine Kollegin und er zogen sich von der Bühne zurück.

Das Stück um Liebe und versagte Liebesmüh, um Spiel und Trugbilder kam bei dem Publikum sehr gut an. Die Verwechslungskomödie mit zauberhaften Einlagen und viel Humor unterhielt die Gäste.
Besonders der gewitzte Puck nahm die Zuschauer für sich ein. Am Ende, als er zum Epilog auf die Bühne trat, ließ er noch einmal seinen ganzen Charme spielen.

Puck / Justin Finch-Fletchley:
Wenn wir Schatten Euch beleidigt,
O so glaubt - und wohl verteidigt
Sind wir dann: Ihr alle schier
Habet nur geschlummert hier
Und geschaut in Nachtgesichten
Eures eignen Hirnes Dichten.
Wollt Ihr diese Kindertand,
Der wie leere Träume schwand,
Liebe Herrn, nicht ganz verschmähn,
Sollt Ihr bald was Bessres sehn!
Wenn wir bösen Schlangenzischen
Unverdienterweis entwischen,
Puck auf Ehre Euch verheißt:
Bald sich unser Dank erweist!
Einen Schelmen nennt ihn billig,
Sind wir zu dem Werk nicht willig!
Nun gute Nacht! Das Spiel zu enden,
Begrüßt uns mit gewognen Händen!


Der Applaus ließ allen Beteiligten einen Stein vom Herzen fallen. Wie gut, dass die meisten Gäste das Stück nicht so genau kannten, so dass sie manch kleine Panne für eine gewollte witzige Einlage hielten.
Vor dem huldvollen Publikum verbeugten sich die Akteure mit aufgeregt roten Gesichtern und strahlenden Augen.
Hinter der Bühne ließen sich Madam Sprout und Professor Flitwick erleichtert auf die Stühle sinken. "Jetzt brauche ich unbedingt Urlaub!" erklärte die Lehrerin für Kräuterkunde.
"Ich schließe mich sofort an."
Zwei Ravenclaws kamen zu ihnen und nahmen die Lehrer an die Hand. "Kommen Sie, Professor Flitwick, Professor Sprout."
Und so fanden sich die beiden urlaubsreifen Kollegen neben ihren Schülern auf der Bühne wieder, wo Colin Creevey eifrig seine Fotos schoss, so dass viele der Mimen nur noch Blitze vor den Augen sahen.

***



Am nächsten Morgen beim Frühstück nahmen Professor Sprout und Professor Flitwick weiter für ihre Schulhäuser die Glückwünsche zu der gelungenen Theateraufführung entgegen. Die beiden Lehrer strahlten so sehr vor Stolz, dass sie selbst Lockharts Lächeln in den Schatten stellten. Dieser jedoch fand kein Ende, die eine oder andere unpassende Bemerkung hinsichtlich des Stücks von sich zu geben. Er verstummte erst, als Snape auf der Bildfläche erschien und ihn giftig anfuhr, er solle seine Stimme senken, bevor er sich diesbezüglich etwas einfallen lassen wollte.
Übermüdet schenkte sich der Zaubertrankmeister seinen Tee in die Tasse ein und rührte lustlos darin herum. Der Geräuschpegel in der Halle war ihm entschieden zu laut und die Beleuchtung zu grell.
Mit schweren Augenlidern blinzelte er zu Dumbledore hinüber. Der Direktor war die ausgeschlafene Freundlichkeit in Person. Wie machte er das nur? Das gesamte Lehrerkollegium hatte nach der Aufführung zusammen im Lehrerzimmer gesessen und auf das Ereignis angestoßen. Es war für alle spät geworden.
Angewidert schob er den Teller mit dem Toast beiseite. Wieso war er überhaupt hier erschienen, anstatt die Ruhe und Abgeschiedenheit seines Kerkers zu genießen? Etwas abgelenkt betrachtete Snape den Zettel, der unter seinem Teller zum Vorschein gekommen war. Noch immer nicht ganz wach zog er das Stück Pergament hervor und entfaltete es langsam. Ein knapper Blick über die Zeilen ließ ihn aufstöhnen. Musste das auch noch sein?
Er faltete den Bogen umständlich wieder zusammen und ließ ihn in seiner Tasche verschwinden. Madam Pince, die Snape im Moment am nächsten saß, bedachte den Zaubertrankmeister mit neugierigem Blick. Snape war als Morgenmuffel bekannt, aber heute schien er besonders übellaunig zu sein. Wenn sie es nicht besser wüsste, könnte man meinen, er hätte einen gehörigen Kater.
Aber es war kein Kater, der Snapes Verstimmung verursacht hatte, sondern eine schlaflose Nacht, die der Lehrer für Zaubertränke Voldemort zu verdanken hatte. Sein Meister hatte ihn weit nach Mitternacht zu sich gerufen. Diese Kreatur schien wohl nie zu schlafen.
Es war eine weitere Privataudienz, die er seinem Giftmischer gewährte. Er verlangte genaue Auskunft über Dumbledores zukünftige Pläne.
Snape verstand teilweise das Anliegen seines Meisters nicht. Es gab keine Pläne und schon gar keine, die er an Voldemort verraten würde. Bei dem Gespräch hegte Severus langsam den Verdacht, dass der Dunkle Lord ihn nur aus einer Laune heraus zu sich befohlen hatte, erst recht, als dieser verlangte, er solle ihm von der Theateraufführung am Vorabend berichten.
Erst gegen sechs Uhr entließ ihn sein Meister huldvoll und ohne ihm einen der üblichen Flüche auf den Hals zu hetzen.
Severus fand das überaus beunruhigend, aber er war in der Nacht viel zu müde, um sich damit auseinander zu setzen. Und jetzt war er nicht wach genug für die Zweifel, die an ihm nagten.
Derart in Gedanken und im Halbschlaf bemerkte Snape erst allmählich, dass sich die Halle zunehmend leerte. Auch für ihn wurde es Zeit für den Unterricht.
Bis Mittag jedoch war der Zaubertrankmeister wesentlich ausgeschlafener und drei der Schulhäuser um einige Punkte ärmer.

***



Der April neigte sich seinem Ende zu. Wann immer das Wetter es zuließ, hielten sich die Schüler im Freien auf. Manchmal jedoch blieben sie auch ganz freiwillig, trotz Sonnenschein und Frühlingsluft, im Schloss, besonders, wenn es einen so lohnenden Anlass gab.
Die Neuigkeit machte schnell die Runde - für Draco Malfoys Geschmack zu schnell. Und wie erwartet, füllte sich der Probenraum der Slytherins mit einer Vielzahl von Zuschauern.
"Ist das wahr?" wollte Pansy Parkinson von ihrer kichernden Nachbarin wissen. "Draco will wirklich Felicitas Sanders küssen?"
"Stell dir das mal vor, die ist doch viel zu alt für ihn."
"Was heißt denn hier zu alt? Sie geht doch erst in die 6. Klasse!"
"Na sag ich doch, zu alt."
An der Probebühne standen Vincent Crabbe und Gregory Goyle, unheimlich bemüht, ernst dreinzuschauen. In ihren Augen leuchtete es jedoch schalkhaft. Um von seiner Verlegenheit abzulenken, zupfte Draco an seinem Kostüm herum. Die Rolle des Königs war ja völlig in Ordnung, aber diese alberne Szene mit der Brautwerbung hätte er am liebsten gestrichen. Schlachtengetümmel und hoheitsvolle Gesten, davon verstand er etwas, aber einem Mädchen zu sagen wie hübsch sie wäre, nein, wirklich nicht.
Auf der anderen Seite der Bühne stand die zukünftige Königin von England in der Gestalt von Sanders, die sich nicht weniger unbehaglich wegen der vielen Zuschauer fühlte. Bei Merlin, konnte man diese neugierige Ansammlung von schadenfroh dreinblickenden Schlangen nicht einfach rauswerfen?
"Also gut!" rief Owen, der Regie führte. "Die Lords und Peers treten mit dem Herrscherpaar von Frankreich ab. Draco, du bleibst stehen und schaust dir deine zukünftige Königin an. Katharina, du lässt dir den Schleier von deiner Hofdame Alice abnehmen. Was ist denn Millicent? Worauf wartest du? Stell dich neben Felicitas. Draco, du beginnst mit: Nun, schöne Katharina! - Und los!"

Heinrich / Malfoy
Nun, schöne Katharina! Allerschönste!

Im Proberaum brach Kichern und Lachen aus. Draco konnte es nicht verhindern, langsam rot anzulaufen. Seine Verlegenheit verrauchte jedoch und machte einer gewissen Wut Platz, als er sah, wie auch Felicitas sich nicht die Mühe machte, ihr Lachen zu verbergen.
Tapfer sprach er weiter:

Heinrich / Malfoy
Geruht Ihr, einen Krieger zu belehren,
Was Eingang findet in der Frauen Ohr
Und seiner Lieb' ihr sanftes Herz gewinnt?

Schon allein seine Betonung von Frau und sanftes Herz brachten Felicitas auf den nüchternen Boden der Zauberwelt zurück. Diesmal grinste Draco hämisch zu ihr hinüber. Ihre Antwort war abweisend genug.

Katharina / Sanders
Eure Majestät wird über mich spotten: ich kann Euer Englisch nicht sprechen.

Heinrich / Malfoy
O schöne Katharina, wenn Ihr mich kräftig mit Eurem französischen Herzen lieben wollt, so werde ich froh sein, es Euch mit Eurer englischen Zunge gebrochen bekennen zu hören.

Diesem Dichter sollte man die Zunge wegzaubern, fluchte Draco innerlich. Der Satz war ja zum Fürchten. Wenn er jetzt nur noch die anderen einigermaßen hinter sich bringen könnte. Er sah Katharina an und versuchte, nicht seinen Einsatz zu verpassen. Welcher Idiot hatte eigentlich die Bulstrode zur Hofdame gemacht? Verdammte Cliquenwirtschaft. Die hätte genauso gut Pistols Frau spielen können.

Heinrich / Malfoy
Ich verstehe mich nicht auf verblümte Winke bei der Liebe, sondern sage gerade heraus: "Ich liebe Euch"; wenn Ihr mich dann weiter drängt, als dass Ihr fragt: "Tut Ihr das im Ernste?", so ist mein werben am Ende. Gebt mir Eure Antwort. Was sagt Ihr Fräulein?
Ich spreche mit Dir auf gut soldatisch: kannst du mich lieben, so nimm mich; wo nicht, und ich sage dir, dass ich sterben werde, so ist es wahr; aber aus Liebe zu dir - beim Himmel, nein! Und doch, ich liebe dich. Nimmst du mich?
Nimm mich, nimm einen Soldaten;
nimm einen Soldaten, nimm einen König.

Katharina / Sanders
Ist es möglich, dass ich sollte lieben die Feind von Frankreich?

Heinrich / Malfoy
Nein, es ist nicht möglich, Käthchen, dass Ihr den Feind Frankreich lieben solltet: aber indem Ihr mich liebt, würdet Ihr den Freund Frankreichs lieben, denn ich habe Frankreich so lieb, dass ich kein Dorf davon will fahren lassen, es soll ganz mein sein. Und Käthchen, wenn Frankreich mein ist und ich Euer bin, so ist Frankreich Euer, und Ihr seid mein.

Die Slytherins hatten aufgehört zu kichern, die Handlung begann sie zu interessieren und Draco vergaß ihre Anwesenheit. Mit weichem Blick betrachtete er die schöne Felicitas, als er in seiner Werbung fortfuhr.

Heinrich / Malfoy
Und also sagt mir, schönste Katharina, wollt Ihr mich? Legt Euer jungfräuliches Erröten ab und offenbart die Gesinnungen Eures Herzens mit den Blicken einer Kaiserin, nehmt mich bei der Hand und sagt: "Heinrich von England, ich bin dein"; und sobald du mein Ohr mit diesem Worte gesegnet hast, werde ich laut zu dir sagen: "England ist dein, Irland ist dein, Frankreich ist dein, und Heinrich Plantagenet ist dein."
Wohlan, gebt mir Eure Antwort in gebrochener Musik: denn Eure Stimme ist Musik, und Euer Englisch ist gebrochen.
Also Königin der Welt, Katharina, brich dein Stillschweigen in gebrochenem Englisch: Willst du mich haben?

Katharina / Sanders
Wenn meinem Vater es gefällt, so bin ich es auch zufrieden.

Heinrich / Malfoy
So will ich Eure Lippen küssen, Käthchen.

Das also war der Moment, vor dem sich Draco so fürchtete. Die blöden Slytherins erwachten aus dem Bann der Szene und begannen wieder zu grölen und das Paar auf der Bühne anzufeuern.
Wozu nur dieser dämliche Kuss? Vergeblich hatte Draco versucht, Owen dazu zu bewegen, dieses Detail zu streichen, aber der ließ sich auf keine Diskussion ein. Er hatte ihm nur geantwortet "Entweder der Kuss oder eine Unterhaltung mit Snape." Es dauerte eine Weile, bevor Draco sich für das scheinbar kleinere Übel entschied. Jetzt allerdings war er sich seiner Sache nicht mehr ganz so sicher.
Felicitas stand dicht vor ihm und hatte den Kopf leicht vorgestreckt. Erleichtert stellte er fest, dass sie ihm die Wange hinhielt. Für diese Geste war er ihr unendlich dankbar. Und er hauchte ihr einen kurzen schüchternen Kuss auf die Schminke.

Heinrich / Malfoy
Ihr habt Zauberkraft, Käthchen; es ist mehr Beredsamkeit in einer süßen Berührung von Euch, als in den Zungen des ganzen französischen Rates, und diese Berührung würde Heinrich von England eher bereden als eine allgemeine Bittschrift der Monarchen.
Da kommt Euer Vater.

An dieser Stelle klatschten und johlten die Zuschauer vergnüglich und anerkennend. Draco fiel ein Stein vom Herzen. Er brachte sogar ein Lächeln zustande. Kaum zu glauben, was er da sah. Seine Mitschüler schienen begeistert. In dem Moment entdeckte er hinter den Zuschauern verborgen eine Gestalt, die sich gerade leise entfernte.
An der Tür drehte Snape sich noch einmal um. Er sah zufrieden aus.

***



Professor Sprout und Madam Hooch tranken noch einen Tee, bevor sie endlich aufbrachen, um die letzten Einkäufe zu tätigen. Den ganzen Sonnabend schon waren sie in der Winkelgasse unterwegs gewesen und nun mit Tüten und Paketen beladen.
"Oh, ich bin wirklich froh, dass Sie mitkommen konnten, meine Liebe, und das nicht nur, weil wir uns über das verflixte Zaubererduell unterhalten müssen", plauderte Madam Sprout. "Ich unterschätze immer wieder die Menge, die ich einkaufen will. Am Ende kann ich das ganze Zeug kaum tragen."
"Wie wäre es mit einem Verkleinerungszauber?" schlug Madam Hooch lächelnd vor. Sie mochte die ältere Hexe für Kräuterkunde.
"Ah, Sie haben mich erwischt. Mein Problem ist, dass ich es immer zu mühsam finde, alles wieder in die richtige Größe zurückzuverwandeln. Sie verstehen?" zwinkerte Professor Sprout. "Beim letzten Mal waren die Affodillwurzeln so groß wie Alraunen geworden. Sie hätten mal Severus' Gesicht sehen sollen, als er sich einige der Wurzeln für seine Tränke holen wollte und ich ihm so ein riesiges Exemplar in die Hand drückte." Die beiden Hexen lachten vergnügt. "Außerdem ist es so viel besser. Ich liebe das Gefühl, fröhlich Geld auszugeben. Und dazu gehören nun mal viele Pakete und Tüten."
"Haben Sie öfter so einen Anfall von Einkaufswut?"
"Nein, meine Gute, zum Glück nicht. Erst vor Weihnachten wieder."
"Gibt es dann Ringelsocken für die Enkel und neue Kessel für die Kinder?" lachte die blonde Lehrerin.
"Seit wir einen Hauselfen in Hogwarts haben, der jedes Jahr Socken verschenkt, hat sich dieser Einkauf erledigt." Beide Frauen mussten loslachen. Dobby packte aus irgendeinem unerfindlichen Grund selten zwei gleichfarbige Socken zusammen. Daher florierte nach Weihnachten immer ein reger Tauschhandel unter den Lehrern, bis jeder ein passendes Paar zusammen hatte.
"Wie ich hörte, wagte Dobby sogar Severus mal Socken zu schenken", bemerkte Madam Hooch.
"Ja, einmal, und die waren quietschgelb. Fast die gleiche Farbe wie sein Gesicht, als er sie entdeckte."
Wieder ein fröhliches Kichern.
"Oh, die Bücher." Madam Sprout blieb plötzlich stehen. "Ich habe vergessen, die Bücher für Minerva abzuholen. Tut mir leid, wir müssen umkehren."
"Mit den ganzen Paketen und Taschen? Warten Sie, meine Liebe." Madam Hooch hielt die ältere Dame zurück. "Geben Sie mir die Pakete. Ich gehe schon zum 'Tropfenden Kessel' zurück und Sie kommen dann nach."
"Ach, wären Sie so lieb?"
"Kein Problem!"
"Ich fürchte nur, Sie müssen mich, wenn es zu lange dauert, irgendwann aus dem Buchladen von 'Flouris und Botts' zerren. Ich finde nie ein Ende mit meinem Stöbern in den Kräuterbüchern."
"Ich werde mir die Zeit zu vertreiben wissen." Geschickt übernahm Madam Hooch die Pakete von Professor Sprout und balancierte sie von einem Arm in den anderen, damit sie eine Hand frei hatte, um nach ihrer eigenen Tüte zu greifen. "Sie holen die Bücher und ich nehme Ihre Pakete derweil gleich mit. Und wenn es zu lange dauert, hole ich Sie ab. Versprochen!"
Die beiden Hexen trennten sich auf der Straße. Professor Sprout kehrte zum Buchladen zurück und Madam Hooch eilte mit den Einkäufen in die andere Richtung. Zwar konnte sie den Weg vor lauter Gepäck kaum erkennen, aber sie machte sich lautstark bemerkbar und wer schnell genug reagierte, konnte ihr auch geschickt ausweichen.

Der Buchladen war in der unteren Etage recht gut besucht. Die Lehrerin für Kräuterkunde schob sich sacht durch die Reihen der Kunden, bis sie einen kleinen Zauberer sah, der neben einem Stapel Bücher stand und die neuen Exemplare mit einem Schwebezauber in die oberen Regalreihen beförderte. "Guten Tag, Mister Letter", begrüßte sie den Buchhändler. "Ich habe hier eine Liste mit Büchern, die Professor McGonagall bei Ihnen letzte Woche bestellt hat."
"Oh, Madam Sprout, schön Sie wieder mal zu sehen, wie geht es denn?" plauderte der kleine Mann. Er nahm ihr beschwingt die Liste ab und ließ das letzte Buch ins Regal schweben. "Ja, die sind alle da", überflog er die Zeilen. "Ich hoffe, Sie haben einen Moment Zeit. Die Bücher befinden sich noch im Lager."
"Was ist denn los bei Ihnen? Hat sich Professor Lockhart wieder einmal angekündigt?"
Der Buchhändler lachte gezwungen. "Nein, zum Glück nicht. Aber nahe dran. Sein neuestes Werk 'Hoppen mit den Hobbeats' ist erschienen. Stimmt es, dass die Hobbeats letztes Jahr in Hogwarts zu Halloween gespielt haben?"
"Ich fürchte schon, Mister Letter." Die Lehrerin erinnerte sich noch recht lebhaft an diesen Abend. Und es waren nicht die schlechtesten Erinnerungen. Bis auf die Kürbisbowle. Die war ihr wirklich nicht bekommen. "Mister Letter, lassen Sie sich Zeit, ich gehe derweil nach oben", sie deutete auf die Galerie, "und schau mich mal nach Büchern für mich um."
Der kleine Buchhändler war schon zwischen den Kunden verschwunden und nur seine Stimme hallte ihr nach. "Ja, tun Sie das. Ich werde Sie schon finden."
Wie immer, wenn es um Kräuterbücher ging, vergaß Madam Sprout alles um sich herum und schmökerte begeistert in den alten und neuen Ausgaben. Auf der Galerie war sie allein, denn Fachliteratur war im Moment weniger bei den Käufern gefragt.

"Sieh an, sieh an. Wenn das mal nicht eine Lehrerin aus Hogwarts ist? Madam Sprout, wenn ich mich nicht irre?"
Eine Gestalt war hinter einem der Regale hervorgetreten und stand nun direkt vor der kleinen Hexe.
"Mister Malfoy", entgegnete die Lehrerin reserviert, nickte kurz und wollte sich wieder in dem aufgeschlagenen Buch vertiefen. Doch Lucius Malfoy hinderte sie daran. Er legte mit abfälliger Miene den Knauf seines Spazierstocks auf die Seiten. "Ich hörte, Sie schwingen mal wieder muggelfreundliche Reden. Und das sogar in aller Öffentlichkeit."
"Nun, Sie müssen sich ja nicht meiner Meinung anschließen." Der Mann war fast zwei Köpfe größer als sie und seine vor Arroganz tropfende Stimme ließ in der Lehrerin aus Hogwarts eine gewisse Wut aufsteigen. Doch ihr lag es fern, sich mit diesem Mann zu streiten. Also klappte sie das Buch zu und schob es in das Regal zurück. "Sie entschuldigen mich, ich habe noch einige Dinge zu erledigen."
Sie wollte an Dracos Vater vorbei zur Treppe, doch Malfoy trat ihr in den Weg. "Sie sollten ihre Muggelfantasien vergessen", entgegnete er ölig.
"Lassen Sie mich durch!" verlangte Professor Sprout. Sie versuchte auf der anderen Seite an Malfoy vorbeizukommen, aber sein Spazierstock versperrte ihr erneut den Weg und bildete eine drohende Grenze. Das Oberhaupt der Malfoys trat ganz nahe an die ältere Hexe heran, beugte sich ein wenig zu ihr hinunter und flüsterte ihr mit trügerischem Ton ins Ohr: "Wie kommt es nur, dass eine Hexe aus so gutem altem Haus mit einer makellosen Blutlinie sich dermaßen zu Schlammblütern hingezogen fühlt und sich für Muggel einsetzt?"
Madam Sprout schnaubte verächtlich "Ich finde, dass sich Zauberer zu viel auf Blutlinien und Reinheit einbilden. Die meisten Erben reinrassiger Familien sind schwächer als ihre Ahnen. Wenn Sie verstehen, was ich meine."
Lucius Malfoy rümpfte die Nase und sah die Lehrerin von oben herab an.
"Ich höre aus Ihren Worten den guten Dumbledore heraus. Ich frage mich, warum eine Hexe wie Sie sich von diesem alten Narren etwas sagen lässt?"
Diese Arroganz war unerträglich. Madam Sprout spürte, dass sie ihre Empörung kaum zurückhalten konnte. Bevor sie darüber nachdachte, parierte sie schon mit einer Antwort. "Und wie kam es, dass jemand wie Sie, ein reinblütiger Zauberer aus einer so alten Familie wie der Ihren, Befehle von einem Schlammblut entgegennahm?"
An seinen Augen konnte sie erkennen, dass ihre Anspielung auf Voldemort von Malfoy durchaus verstanden wurde. Ihr kleiner Triumph dauerte jedoch nur kurz.
Lucius Malfoy packte die Hexe am Umhang und drückte sie gegen das Buchregal. In seinem sonst so abgeklärten Gesicht spiegelte sich unverhohlener Hass wieder. Seine bedrohliche Aura war fast greifbar und ließ Madam Sprout erschaudern.
"Sie wollen mich zum Feind?" fragte er leise.
Er machte ihr Angst, aber das konnte sie nicht zulassen. Wenn sie es der Angst gestattete, sie zu beherrschen, würde sie nie wieder ruhig schlafen können. Ihre ganze Kraft mobilisierend, griff sie nach Malfoys Hand und zog sie von sich weg.
"Wenn Sie der Freund eines Feindes sind, dann wird es wohl so sein", presste sie mühevoll hervor.
Der Mann nahm die Hand herunter. "Das ist sehr mutig von Ihnen, Madam. Aber vielleicht haben Sie die aktuelle Situation nicht ganz begriffen und die Zeichen der Zeit noch nicht erkannt?" Malfoy war zu seinem normalen blasierten Tonfall zurückgekehrt. "Die Welt der Zauberer ist im Umbruch begriffen und Reinblüter sollten wissen, wo ihr Platz ist."
Damit wand er sich von der alten Dame ab und stieg die Stufen von der Galerie hinunter.
Die Lehrerin spürte, wie ihre Beine jeden Moment nachgeben würden und ließ sich auf dem oberen Absatz nieder. Dieser Malfoy war ein Alptraum.
Erst als Mister Letter mit dem Paket Bücher zu ihr hinaufkam, fand sie ihr inneres Gleichgewicht wieder. Sie nahm ihm die Bücher ab, bezahlte und machte sich auf, um Madam Hooch im 'Tropfenden Kessel' abzuholen. Über den Zwischenfall verlor sie kein Wort.

***



Am gleichem Wochenende trafen sich fünf Lehrer in Hogwarts kleiner Halle, in der sich das Podest für das Zaubererduell befand. Madam Hooch und Professor McGonagall sahen sich nach Snape um, der neben der kleinen Madam Sprout stand und den Zauberstab lässig zwischen den Fingern drehte. Seine dunklen Augen ruhten auf McGonagall, die ihn anlächelte. Snape verzog nur knapp das Gesicht.
Sie alle warteten auf Professor Flitwick, der hinter sich die Tür schloss und versiegelte, so dass die Lehrer ungestört bleiben konnten. "Also gut", kam er nach der Begrüßung gleich zur Sache, "Severus hat sich ausgebeten, die einfachen Zauber wie Accio oder Expelliarmus von der Liste der möglichen Flüche zu streichen, um sich nicht damit aufzuhalten. Das gilt auch für sämtliche Flüche der Kategorie eins. Die Sekundanten haben das vereinbart und bestätigt?"
Madam Hooch und Professor Sprout nickten.
"Die Zahl der Flüche wurde nicht begrenzt. Die Entfernung des Duells beträgt fünf Schritt für jeden", fasste der Professor für Zauberkunst weiter zusammen. "Also gut, begeben Sie sich auf Ihre Plätze."
Professor McGonagall schritt zu dem einen Ende, Professor Snape zu dem anderen des Podestes. In der Mitte trafen sie sich bei Flitwick wieder, der einfach hinaufgeschwebt war. Er stand zwischen den beiden und sah zu seinen großen Kollegen auf.
"Sind Sie bereit?"
"Bereit!" presste McGonagall hervor. Der Zaubertrankmeister nickte. Seine provozierende lockere Haltung machte die Lehrerin für Verwandlungen ein wenig unsicher. In letzter Zeit dürfte der Hauslehrer der Slytherin etwas mehr Praxis in Sachen Flüche gehabt haben als sie. Na wenn schon?
"Da Sie keine begrenzte Zahl von Flüchen bestimmt haben, lege ich als Unterhändler die Dauer des Duells auf genau 10 Minuten fest." Er winkte mit dem Zauberstab und eine Sanduhr erschien an der Wand. "Ist bis dahin keine eindeutige Entscheidung gefallen, gilt das Duell als unentschieden."
Snape brummte etwas unverständliches, rang sich jedoch zu einem "Einverstanden!" durch.
Die Hauslehrerin stimmte gleichfalls zu.
"Ich warne Sie beide." Flitwick drohte mit seinem Zauberstab. "Wenn einer von Ihnen nach Ablauf der Zeit auch nur mit dem Stab zuckt, bekommt er es mit mir zu tun." Dabei bedachte er besonders den Zaubertrankmeister mit einem vielsagenden Blick. "Abschließende Frage: Besteht die Möglichkeit, den Streit ohne Duell beizulegen?"
Dieses Mal kam von beiden ein rasches und eindeutiges "Nein!".
Der kleine Zauberer seufzte. Es wäre auch zu schön gewesen. "Beginnen wir."
Snape und McGonagall nahmen Aufstellung, grüßten ihren Gegner mit dem Zauberstab und verbeugten sich. Dann standen beide Rücken an Rücken. Professor Flitwick begann zu zählen. "Eins. Zwei. Drei. "
Die beiden Kontrahenten bewegten sich Schritt für Schritt voneinander weg.
"Vier....."
Madam Hooch und Professor Sprout standen an den Stirnseiten des Duellierplatzes und beobachteten interessiert das Geschehen. Bei "Fünf" wirbelten McGonagall und Snape blitzschnell herum und die ersten Flüche sausten durch den Raum.
Minerva versuchte es mit einem Schockzauber, den der Slytherin mühelos abblocken konnte, während er ihr einen Nebelzauber entgegenschickte, der die Gryffindor völlig einhüllte. Für einige Augenblicke war McGonagall die Sicht genommen. Nichts Gutes ahnend, belegte sie sich selber mit einem Schutzzauber, der zumindest so lange hielt, bis sie wieder sehen konnte. Noch immer orientierungslos streute sie einen breit gefächerten Fluch in die Richtung, in der sie Severus vermutete. Es war der erstbeste, der ihr einfiel. Ein wütender Schrei vom Zaubertrankmeister sagte ihr, dass der Wasserstrahl sein Ziel nicht verfehlt hatte. Das gab ihr genug Zeit, sich neu zu sammeln.
Severus sah außer sich vor Zorn an sich herunter. Seine Kleidung war triefend nass. "Wasser!" schrie er auf. "Verdammte Gryffindor!" Er sah Minerva aus dem Nebel wieder auftauchen. Ihr Zauberstab glühte bereits zu einem neuen Angriff. Er duckte sich unter ihm hinweg und wäre fast auf der feuchten Matte ausgerutscht. Aber Snape fing sich geschickt ab und ließ mit einem energischen Wink einen silbernen Faden aus dem Stab schießen, der sich rasend schnell um McGonagalls Körper wickelte. Ein zweiter Wink und seine Gegnerin taumelte leicht nach hinten. Eine dritte Bewegung und Eis entstand unter McGonagalls Füßen. Mit dunkel gefärbtem Blick beobachtete Snape, wie die Gryffindor versuchte, sich aus der Fessel zu befreien und dabei das Gleichgewicht wiederzufinden. Das Eis unter ihren Füßen jedoch brachte die Frau endgültig ins Wanken und Minerva fiel der Länge nach hin.
Die Folge der einzelnen Zauber kamen so schnell, dass sie viel zu verdutzt war, um etwas dagegen unternehmen zu können.
Der Zaubertrankmeister trat langsam näher und sah auf McGonagall herunter. Mit wütenden Augen betrachtete er sein Opfer verächtlich. "Ich denke, Professor Flitwick, das Duell ist eindeutig entschieden." Wasser rann ihm noch immer aus seinen tropfnassen Haaren über das Gesicht. Mit energischer Hand strich er einige Strähnen nach hinten.
Ohne sich noch einmal nach den anderen Lehrern umzuschauen, griff Snape nach seiner Robe und warf sie sich beim Gehen über die Schulter. An der Tür angekommen, neutralisierte er den Schließzauber und verließ die Halle grußlos.
Verwirrt sahen Flitwick, Hooch und Sprout der grimmigen Gestalt nach.
"Was war das denn?" Madam Hooch hatte ihre Sprache wiedergefunden. Professor Sprout hielt die Hand vorm Mund. In ihren Augen spiegelte sich Angst und Schrecken wieder. "Bei Merlin", murmelte sie, "Severus möchte ich nicht zum Feind haben."
Noch immer vermochte sich keiner zu rühren, bis Professor McGonagalls Stimme sie aus ihren Gedanken riss. "Könnte mir mal jemand helfen? - Bitte!"
Flitwick war sofort zur Stelle. Er befreite die Hauslehrerin der Gryffindor aus der Fessel und half ihr auf die Füße. "Haben Sie sich was getan?" fragte er besorgt. Er reichte ihr den Zauberstab, den sie fallengelassen hatte.
Minerva bewegte sich vorsichtig. "Ich denke, außer meinem Stolz ist nichts verletzt."
Die beiden Frauen halfen ihrer Kollegin vom Podest.
"Das war unheimlich", flüsterte Madam Hooch, "Sie hätten seinen Blick sehen sollen, als das Wasser ihn traf, Minerva. Ich glaubte wirklich, er würde jeden Moment die Kontrolle verlieren."
Professor Sprout nickte bestätigend. Dieses Duell war alles andere als gut für beide Parteien gelaufen. "Sie sollten mit ihm reden, wenn er sich wieder beruhigt hat", schlug sie ihrer Kollegin vor. Minerva stimmte zu, vielleicht sollte sie das wirklich.

***



Natürlich gab es schon am nächsten Tag Gerede über das Zaubererduell zwischen den Lehrern. Da aber die Beteiligten schwiegen, verstummten die Gerüchte allmählich wieder. Einige Tage später sprach keiner mehr davon. Die Hauslehrer in Hogwarts sahen das allerdings noch nicht so. Irgendwann mussten die beiden Hauslehrer miteinander reden. Doch Minerva wollte nicht und Severus blockte diesbezüglich alles ab.

Es war Abend und die meisten Schüler machten sich gerade auf den Weg in die Große Halle zum Essen, als der Wildhüter von Hogwarts eiligst durch die Tür der Eingangshalle preschte und die neugierig gewordenen Schüler aus dem Weg jagte. "Platz, Kinder, macht schon Platz", rief er. "Du da", er nickte einem Jungen aus Hufflepuff zu, "du gehst zum Schuldirektor und sagst ihm, dass er dringend in die Krankenstation kommen soll." Dann war Hagrid bereits weiter und die Treppen hinauf gelaufen.
Vor der Krankenstation angekommen, rief er sofort nach Madam Pomfrey. "Poppy, schnell, ich habe eine Patientin für sie."
Vorsichtig legte er seine Last ab, die er bisher, in seinen Umhang gewickelt, auf den Armen getragen hatte.
"Bei Merlin, Hagrid, was ist das für ein Radau? - Wen hast du da?" Aus dem verärgerten Ton der Heilerin wurde ein besorgter.
"Ich habe Professor Sprout draußen am Waldrand gefunden", berichtete der Halbriese noch immer leicht atemlos. Er hatte sich so sehr beeilt, dass er nun erschöpft auf eines der Betten niedersank. Er überhörte den protestierenden Ton des Gestells, das sich unter seinem Gewicht bedrohlich neigte. "Sie lag da so, wie Sie sie jetzt noch sehen. Die ganze Zeit hat sie nicht mit Zittern aufgehört. - Ist es sehr schlimm?"
"Das kann ich noch nicht sagen, Hagrid." Madam Pomfrey versuchte sich einen ersten Überblick zu verschaffen. Sie knüpfte die zerrissene Robe der Lehrerin auf und nahm ihr den Umhang ab. "Hagrid, es ist besser, du wartest draußen auf Professor Dumbledore. Sobald ich fertig bin, rufe ich euch. Nun aber lass mich meine Arbeit tun."
"Ja, natürlich, Poppy!" Der Wildhüter stemmte sich aus dem Bett und stampfte kopfschüttelnd hinaus.

Vor der Tür der Krankenstation sammelten sich inzwischen mehrere Schüler. Das ungewöhnliche Verhalten des Wildhüters weckte die Neugier und schürte die Gerüchteküche. Einige wenige versuchten, den Halbriesen auf das Geschehen hin anzusprechen, doch dieser winkte nur ab. Er wurde die Schüler aber erst los, als der Direktor mit wehendem Bart auf dem Flur erschien.
Zusammen zogen sie sich in Madam Pomfreys Büro zurück.
Es dauerte noch eine ganze Weile, bis auch die Medi-Hexe zu ihnen kam. Erwartungsvolle Augen richteten sich auf die ältere Dame. "Wie geht es unserer guten Madam Sprout?" fragte Dumbledore in seiner sanften Art.
"Ich kann das noch nicht genau sagen. Ihre Verletzungen stammen alle von Flüchen her." Sie setzte sich resigniert. Als sie endlich weiter sprach, mochte sie Dumbledore nicht in die Augen sehen. "Ich kenne diese Verletzungen eigentlich nur von Severus." Sie schwieg wieder. Mehr zu sagen war nicht nötig, denn jeder von ihnen wusste, was Poppy damit meinte. Es war Dumbledore, der das Ungeheuerliche aussprach. "Ein Cruciatus?"
Die Frage nach dem Wer erübrigte sich. Hagrid schnäuzte sich verstimmt die Nase. "Aber das ist ja schrecklich!" Wieder schnäuzte er sich. "Jetzt trauen sich die Todesser schon am hellen Tage auf das Schulgelände. Professor Dumbledore, Sie müssen sofort etwas unternehmen."
"Beruhige dich, Hagrid, ich werde auch etwas tun." Der Schuldirektor stand auf und seine Augen sahen sorgenvoll zur Tür, hinter der eine seiner Lehrerinnen schwer verletzt lag. Voldemorts Kampf erreichte eine neue Dimension.

In der Großen Halle herrschte eine ungewöhnliche Hektik. Snape sah stirnrunzelnd, wie die Schüler die Köpfe zusammensteckten und offensichtlich wichtige Neuigkeiten austauschten. Er war mit dem Essen bereits fertig, als er Hagrid auf den Lehrertisch zustampfen sah. Der Halbriese war ein wenig durcheinander, denn er reagierte weder auf die üblichen Winke der Schüler noch blieb er bei Gryffindors Dreamteam zu einem kurzen Plausch stehen. Interessant, überlegte der Zaubertrankmeister und stellte die Tasse mit dem Tee zurück.
Vor dem Lehrertisch blieb Hagrid stehen und flüsterte Snape etwas ins Ohr. Dabei deutete er unbewusst zuerst auf den leeren Stuhl von Albus Dumbledore und dann auf den von Professor Sprout.
Snape nickte knapp, stand auf und verließ die Halle. Der Wildhüter von Hogwarts ließ sich mutlos auf seinen Stuhl fallen und betrachtete nachdenklich seinen Teller.

Albus Dumbledore saß noch immer in Madam Pomfreys Büro. Snape traf ihn dort allein an. Poppy war wieder zu ihrer Patientin gegangen.
"Sie haben mich hergebeten, Direktor?"
"Severus, was wissen Sie über Angriffe der Todesser auf unserem Gelände?"
Die Frage traf den Zaubertrankmeister unerwartet. Er betrachtete erstaunt den Schulleiter vor sich. "Nichts. Davon war, zumindest während ich beim Lord war, nie die Rede. Nicht einmal ansatzweise. Was ist geschehen? Ich konnte Hagrids Stottern nicht viel entnehmen."
In knappen Worten berichtete Dumbledore alle Einzelheiten, die inzwischen bekannt waren. "Es ist beunruhigend, dass dieser Überfall hinter unserer Apparationslinie stattfand. Die Frage ist jetzt, sind die Todesser so tief auf das Gelände gelaufen oder hat Voldemort einen Weg gefunden, unseren Schutzzauber zu durchbrechen?"
Die beiden Männer schwiegen eine ganze Weile. Die Tragweite des Problems zeichnete sich nach und nach deutlicher ab.
"Und dann die Frage, warum ausgerechnet Madam Sprout? Sie gehört nicht gerade zur Zielgruppe der Todesser. War sie nur zur falschen Zeit am falschen Ort?"
"Das werde ich rausbekommen, Albus", versprach Snape. Er dachte an die alte Dame mit ihrem gutmütigen Wesen und ihrer fröhlichen Art. So eine harmlose Hexe, und ausgerechnet an ihr lassen sich die Todesser aus. Der Gedanke daran machte den Zaubertrankmeister wütend. Wer immer von der Gruppe die Hand im Spiel hatte, er würde dafür bezahlen. "Kommt Poppy mit den Nachwirkungen des Fluches klar? Oder soll ich vielleicht selber schauen?"
"Fragen Sie sie, wenn sie wieder da ist. Ich bin in meinem Büro und gehe nicht mehr essen. Der Appetit ist mir vergangen."

***



Ein Gewitter tobte über die Reste eines alten Landsitzes hinweg. Tief in den Kellergewölben jedoch war nur noch ein leises Echo davon zu hören.
Dicht gedrängt scharrte sich eine Vielzahl von Todessern in einem der größeren Räume unter der gebogenen Decke.
Lucius Malfoy stand in dem freien Kreis und beendete seinen Bericht mit leuchtenden Augen. "Ich habe dieser muggelliebenden Hexe eine Lektion erteilt, die sie nicht mehr vergessen wird. In Zukunft, mein Lord, wird sie sich mit ihrer Kritik zurückhalten."
Wenn Voldemort diese Aktion eines seiner bevorzugten Gefolgsleute begrüßte, so kommentierte er es nicht. Um so mehr erstaunte es jeden der Anwesenden, dass plötzlich die kalte, aber angemessen ehrfurchtsvoll klingende Stimme eines anderen Todessers zu vernehmen war.
"Darf ich sprechen, mein Lord?"
Malfoy sah sich zu der Gestalt um, die er als einen lästigen Stein auf dem Weg zur unumschränkten Macht betrachtete. Der Giftmischer aus Hogwarts stand Voldemort schon wieder näher als er. Doch mit seiner Aktion gegen diese alte Hexe hatte er ihm mit Sicherheit geschadet. Wenn Snape, dieser verweichlichte und verhätschelte Kerl, nicht wußte, wie man mit Muggelfreunden umging, musste er bei einem wirklichen Meister lernen. Snape erwiderte gleichmütig Malfoys herablassenden Blick.
Der Mann mit dem hellblonden Haar konnte nicht verstehen, wieso Voldemort dem Giftmischer den Zugang in den Inneren Kreis gestattete, obwohl er noch nicht wieder offiziell dazu gehörte. Der Dunkle Lord hatte schon immer einen Narren an dieser alten Krähe gefressen.
Wieso hat er ihn nicht im Winter umgebracht? Wenn man den Gerüchten glauben durfte, war er nahe dran gewesen. Malfoy drehte sich zu seinem Herrn um, der Snape zu sich heran befahl.
"Komm näher, Snape!"
Das Glühen der roten Augen richtete sich nun auf die zweite Gestalt, die in den Kreis vor ihn hin trat. Snape deutete eine Verbeugung an und richtete sich wieder zu seiner vollen Größe auf. Langsam schob er die Kapuze vom Kopf. Was im Halbschatten verborgen war, trat nun zu Tage, seine dunklen Haare und seine schwarzen unergründlichen Augen, in denen sich eiskaltes Vergnügen spiegelte. Für einen Moment schwankte Malfoy in seinen Gedanken. Er war sich plötzlich seines Triumphes nicht mehr so sicher.
"Sprich!" befahl Voldemort.
"Mein Lord, ohne Zweifel war Malfoys Vorgehen eine gut gemeinte Absicht. Ich selbst konnte mich von dem Ergebnis überzeugen. Die Lehrerin, der er und seine Freunde eine Lektion in Muggelkunde verpassten, lag einige Tage auf der Krankenstation mit äußerst schmerzhaften Symptomen." Snapes Mundwinkel deuteten ein boshaftes Lächeln an. "Der Schuldirektor bangte zuweilen um das Leben seiner Angestellten. Die Botschaft hat ihn also fraglos erreicht."
"Das ist etwas, was du schon längst hättest tun sollen", giftete Malfoy und sah sich in seiner Aktion bestärkt.
"Gewiss doch, wenn es denn unserer Sache genutzt hätte", entgegnete der Zaubertrankmeister abfällig. Ihm war klar, dass er sich nun auf sehr dünnem Eis bewegte.
Die beiden Männer sahen sich herausfordernd an.
"Du kritisierst meine Arbeit zum Ruhme unseres Meisters, Severus?" Malfoy lächelte herablassend. Snape saß in der Falle. Er konnte ja schlecht etwas verurteilen, was im Interesse von Voldemorts Herrschaft geschah.
Doch der Zaubertrankmeister war nicht weniger ein Slytherin als sein Rivale.
"Ja!"
Snape hörte, wie hinter ihm die anderen Todesser erschrocken den Atem anhielten. Malfoy lächelte süffisant. Jetzt war diese Krähe fällig und der Weg frei. Mit seiner Kritik richtete er sich nicht nur gegen Malfoy, sondern auch gegen seinen Meister.
Voldemort, der sich die beiden konkurrierenden Männer anschaute, überlegte nicht lange, sondern schleuderte beide, mit einer angedeuteten Handbewegung gegen die Wand.
"Ihr wagt, euch wie dumme Kinder vor mir zu streiten?" donnerte seine Stimme.
Die Todesser, gegen die sie gestolpert waren, halfen ihnen auf die Füße und entfernten sich rasch von den beiden, um nicht zufällig in den Wirkungskreis des Lords zu geraten.
"Ihr vergesst, wo euer Platz ist!" Mit einer weiteren Bewegung seiner Hand zwang Voldemort Malfoy und Snape in den Staub. "Kriecht zu eurem Herrn!"
Die Stimme des Dunklen Lords wurde zu einem bösen Zischeln. Malfoy und Snape krochen gehorsam über den Boden bis vor Voldemort und küssten demutsvoll den Saum seines Gewandes. "Wir bitten um Vergebung!" murmelten sie und wagten nicht den Blick zu ihrem Meister zu heben.
Für eine Weile blieb es still in dem Gewölbe. Kaum einer der Todesser wagte zu atmen und gebannt sahen alle nach vorn zu den beiden am Boden liegenden Männern. In dieser Stille war nur das Heulen des Sturms und das Grollen des Donners zu vernehmen. Die Naturgewalten tobten sich über dem Landsitz aus und bildeten die Kulisse dieses unwirklich anmutenden Treffens.
In dieser angespannten Stille hinein, die sich raumgreifend zu manifestieren schien, klang Voldemorts Stimme übermächtig, obschon er nur leise sprach.
"Warum, mein ach so treuer Giftmischer, war Malfoys Lektion für diese Muggelfreundin so falsch?" verlangte er zu wissen.
"Meister, diese Muggelfreundin ist Lehrerin in Hogwarts, wo unser größte Feind sitzt. Der Angriff auf sie erfolgte auf dem geschützten Gelände des Schlosses. Dumbledore war äußerst aufgebracht wegen des Vorfalls. Um seine Mitarbeiter und die Schüler zu schützen, hat er nun die Sicherheitsvorkehrungen verstärkt und auch die Apparationslinie erweitert. Seit jenem Tag ist das Gelände noch sicherer als vorher. Selbst mich beobachtet er mit misstrauischem Blick. Ich sollte ihm über diesen Fall Rede und Antwort stehen. Es war schwierig, den alten Narr von meiner Unschuld zu überzeugen. Malfoys Vorgehen hat meine Arbeit im Schloss erheblich gestört und Euch zusätzlich den Zugang zum Gelände Hogwarts erschwert. Wenn wir zu einem Angriff auf die Schule starten, dann müssen wir nun noch mehr Bannflüche überwinden. Ich frage mich, mein Lord, ob es das wert war. Davon abgesehen ist es für mich noch schwieriger geworden, Eurem Ruf zu folgen ohne enttarnt zu werden", schloss der Zaubertrankmeister.
War er überzeugend genug? Hatte er genau die richtigen Argumente vorgebracht oder würde er diese gewagte Auseinandersetzung verlieren? Noch immer neben Malfoy auf dem Boden liegend und den Blick gesenkt, sah Snape auf Voldemorts Gewand. Innerlich wappnete er sich gegen einen der kommenden Flüche. Vielleicht würde es nicht so schlimm wie im Winter werden? Doch der Dunkle Lord rührte sich nicht. Langsam keimte in dem Zaubertrankmeister Hoffnung auf.
Zu früh gefreut. Er fühlte sich unsanft auf die Knie gezerrt und dann traf ihn auch schon ein wuchtiger Schlag in den Magen. Ein zweiter unsichtbarer Schlag riss seinen Kopf nach hinten. Irgendetwas hob ihn an und schleuderte seinen Körper gegen die Decke. Der Aufprall war schmerzhaft, doch im Vergleich zu dem Sturz in die Tiefe und wieder vor die Füße seines Herrn, war das nur ein müder Abklatsch. Seinen Instinkten folgend, wollte Snape den Aufprall mit den Händen abfangen, doch die Wucht presste ihm die Luft aus der Lunge und ein stechender Schmerz verriet ihm, dass er sich das Handgelenk gebrochen haben musste.
Für einen Moment fühlte er sich orientierungslos, dann sickerte sein Bewusstsein zurück in den Körper.
"Diese Lektion soll dir zeigen, Snape, dass ich Versagen nicht hinnehme. Langsam hege ich den Verdacht, dass du gern bestraft werden willst."
Snape schloss die Augen. Klar doch! Voldemorts Stimme drang schneidend zu ihm durch.
"Du wirst alles tun, um das Vertrauen zu Dumbledore wieder herzustellen. Haben wir uns verstanden? Erkunde die neue Apparationslinie aus und bring mir eine Karte davon mit, auch eine Liste über die neuen Bannflüche um Hogwarts. Ich will auf dem aktuellen Stand sein."
"Ja, mein Lord!" keuchte der Zaubertrankmeister. Mit der gesunden Hand presste er den anderen Arm an den Körper. "Ich werde alles zu Eurer Zufriedenheit erledigen", beeilte er sich zu versichern.
Der Dunkle Lord nickte. "Du kannst deinen Platz wieder einnehmen." Snape war damit entlassen. Er stand auf, verbeugte sich ergeben vor seinem Herrn und wich zurück.
"Nun zu dir, Malfoy."
Lucius drückte sich noch tiefer in den Staub und harrte ängstlich der Dinge, die da kommen würden. Auch er wappnete sich gegen die Bestrafung. "Mein Lord!" gab er mit untertänigster Stimme zurück.
"Du hast meine Pläne mit deinem unüberlegten Handeln erschwert." Voldemort sprach zu seinem getreuen Diener wie zu einem Kind, dessen unachtsame Tat ihn ein wenig verwunderte. "Wer gab dir überhaupt den Auftrag eine Lehrerin aus Hogwarts anzugreifen?" wollte er wissen. Mit langsamen Schritten umrundete er den Mann am Boden. "Hast du Snapes Argumentation etwas entgegen zu setzen? Sag mir, Lucius ...", er betonte den Namen seines Anhängers mit besorgniserregender Sanftheit, "... sag mir, war es das wert?"
Malfoy wusste, dass sein so siegessicherer Triumph über Snape in eine Niederlage verwandelt wurde. Dieser verdammte Kerl hatte es wieder geschafft, ihn bei ihrem Meister in Misskredit zu bringen. Einen letzten verzweifelten Versuch wollte er jedoch noch starten. Er war es seinem Stolz schuldig, nicht kampflos das Feld zu räumen. "Mein Lord, wenn wir diesen Aufrührern nicht Einhalt gebieten, werden sich ihnen noch mehr anschließen. Ich wollte dieser Entwicklung wirkungsvoll entgegentreten. Ein Exempel statuieren und Dumbledore dort treffen, wo es ihn am meisten schmerzt - auf seinem eigenen Territorium. Er sollte wissen, dass er nicht unverwundbar in seinem geliebten Hogwarts ist."
Die Worte kamen schnell und überlegt und wäre da nicht vorher dieser Giftmischer zu Wort gekommen, hätte er Voldemort damit auch überzeugen können. Wie die Dinge jetzt aber lagen, würde der Dunkle Lord seinen Argumenten nicht mehr zugänglich sein. Verflucht sei dieser Zaubertrankpfuscher.
"Ich liebe keine Eigenmächtigkeiten!" zischte Voldemort. Er hatte seine Umrundung beendet und stand wieder vor der liegenden Gestalt. Mit dem Fuß stieß er Malfoy grob an. "Steh auf!" befahl er.
Die Todesser um ihn herum sahen gespannt auf die beiden Männer vor ihnen. Snape betrachtete mit unergründlicher Miene das, was unausweichlich kommen würde. Den Arm an die Brust gedrückt, beherrschte er den Schmerz in seinem Körper. Sein Haar lag noch immer wirr um seine Stirn. Mit einer knappen Kopfbewegung warf er es nach hinten. Er war der Katastrophe noch einmal entkommen und hatte sogar dafür sorgen können, dass das Gebiet um Hogwarts für die nächste Zeit Tabu für die Todesser blieb. Wieder ein Problem weniger für Dumbledore. Und nun konnte er in aller Ruhe zusehen, wie Voldemort für ihn die Arbeit übernahm, Malfoy für den Angriff auf Sprout zu strafen. Er wusste, die kleine Kräuterhexe würde ein derartiges Vorgehen nicht gutheißen und statt dessen verzeihen. Sie war schließlich eine Hufflepuff. Er aber war ein Slytherin und Slytherins blieben nie etwas schuldig - und sie verzeihen nicht.
Malfoy hatte sich vor seinem Gebieter hingestellt, hielt aber die Augen gesenkt.
"Du wolltest ein Exempel statuieren?" fragte Voldemort lauern. "Nun, das ist wohl ziemlich schief gegangen. - Nicht wahr?"
Der Mann, einer der mächtigsten Zauberer und Oberhaupt einer der einflussreichsten Familien der magischen Welt stand da wie ein Schuljunge vor seinem Direktor. Für Snape war es ein kleiner Triumph, ihn so zu sehen. Er hütete sich aber, es zu offenbaren.
"Ich werde dir jetzt zeigen, wie ein Exempel ausschaut", donnerte Voldemort mit lauter Stimme und übertraf dabei sogar das Grollen des Unwetters über ihnen. Die Todesser zuckten alle zusammen. Die spannungsvolle Stille schien sich schlagartig zu entladen. Mit einer unwirschen Handbewegung schleuderte Voldemort Malfoy durch den Raum. Schreiend blieb dieser am Fuße eines Gewölbepfeilers liegen.
"Aufstehen!" herrschte ihn Voldemort an. Eine Gasse bildete sich zwischen dem Dunklen Lord und seinem Opfer. Die Todesser machten ängstlich ihrem Herrn Platz.
Malfoy rappelte sich mühevoll auf. Bevor er jedoch aufrecht stand, traf ihn ein Energieball, der ihn erzittern ließ und in die Knie zwang. Als er erneut zu seinem Herrn aufschauen konnte, gewahrte er dessen Zauberstab. An das, was weiter geschah, konnte er sich später nur noch schemenhaft erinnern. Die Welt aus explodierendem Schmerz und schreiender Schwärze nahm ihm jedes Gefühl für Zeit und Raum. Als er endlich wieder klarer denken konnte, hatten seine treuen Begleiter Goyle und Grabbe ihn bereits wieder nach Haus gebracht.

***



Albus Dumbledore sah seinen Zaubertrankmeister lange Zeit nachdenklich an. "Das war sehr gewagt, Severus!" gab er zu bedenken.
"Es hat uns Zeit verschafft." Die Stimme von Snape klang gleichgültig. Er probierte gerade die Beweglichkeit seiner Finger aus. Die vormals gebrochene Hand zeigte die gewünschten Heilungserfolge. Madam Pomfrey war eben eine fachkundige Heilerin. Er konnte sich schwer vorstellen, jemals von jemand anderem behandelt zu werden. Nun ja, eine Ausnahme gäbe es da schon.
"Es hätte schief gehen können und zwar gründlich."
"Warum darüber streiten, Albus? Malfoy hat seine Strafe bekommen, und wir haben für eine gewisse Zeit nicht mit Übergriffen auf dem Schulgelände zu rechnen. Ich finde, das es sich dafür gelohnt hat."
Der Schuldirektor brummte etwas unverständliches und sah skeptisch über die Gläser seiner Brille hinweg zu seinem Zaubertranklehrer hinüber. Der Mann ging in letzter Zeit zu oft zu große Risiken ein. Es war, als wollte er Voldemort provozieren. Schwer zu ergründen, was wirklich hinter Snapes Handlungen steckte. Und was er über das Duell mit McGonagall gehört hatte, trug auch nicht dazu bei, die Sorgen zu vermindern. Sein Meister der Zaubertränke schien sich zu verändern. "Also gut, Severus. Ich denke, Sie sollten sich den Rest der Nacht noch ausruhen. Sie sehen sehr müde aus. Soll ich vielleicht morgen den Unterricht für Ihre Klassen übernehmen?"
Zum ersten Mal seit Beginn dieses Gespräches sah Snape ihn wirklich an. "Nein! Die drei Klassenstufen haben morgen alle eine Klausur zu schreiben. Die Aufsicht darüber sollte ich wohl noch in den Griff bekommen." Die letzten Worte kamen mit einem leicht giftigen Unterton heraus. "Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden, Direktor, ich möchte gern noch etwas schlafen."
Damit stand Snape auf, nickte dem Schuldirektor zu und verließ dessen Büro.
Dumbledore sah dem Zaubertrankmeister lange nach. Der alte Mann seufzte erleichtert. Snape hatte Recht, für den Moment war er einer Sorge um Hogwarts ledig. Vorerst.



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