Sein und Schein

 

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Kapitel 4: Komödie der Irrungen

 



Teil 1

Das Foyer im Schloss erstrahlte unter dem Licht des riesigen Weihnachtsbaumes. Wald und Wiesen vor den Toren Hogwarts waren tief verschneit und zauberten auf die geröteten Gesichter der Kinder ein glückliches Lächeln. Wer konnte, verbrachte seine Freizeit im Freien. Schneeballschlachten und Schlittschuhlaufen waren die Renner. Der Lärm der spielenden Kinder ertönte über das Gelände des Schlosses.

Im Büro, hoch in Dumbledores Turm, saß Professor Snape dem Schuldirektor gegenüber. Die Begeisterung über dessen Vorschlag hielt sich, gelinde gesagt, in Grenzen. Albus Dumbledore versuchte dem Zaubertrankmeister die Angelegenheit schmackhafter zu machen.
"Severus, Sie sind einer der berühmtesten Zaubertrankmeister unserer Zeit."
Der berühmte Zaubertrankmeister erlaubte sich ein sarkastisches Lächeln, schwieg aber weiterhin in seiner selbstgerechten Empörung. "Und ein fähiger Lehrer!" Zugegeben, korrigierte sich Dumbledore gedanklich, das war wohl zu dick aufgetragen. Entschuldigend lächelte er die dunkle Gestalt an. "Na ja, es könnte besser sein", räumte er ein, "doch das tut Ihrem Wissen und Ihren Fähigkeiten in der schwierigen Kunst der Zaubertrankbrauerei keinen Abbruch." Es war verdammt schwer, Severus Snape zu etwas zu motivieren, zu dem er absolut keine Meinung hatte.
Neuer Versuch: "Sehen Sie es mal so, Professor, Sie haben es dann nicht mit Schülern, die die Kunst der Zaubertränke noch nicht zu würdigen wissen, zu tun. Diesmal sind es erfahrene Zauberer und Hexen, die sich mit derselben leidenschaftlichen Passion dem Studium der Zaubertrankbrauerei widmen wie Sie selbst."
Albus beobachtete Snape, der den Kopf hob. Das dunkle Haar fiel zurück und ließ einen Blick auf dessen unergründliche Miene zu. In die Augen hatte sich ein Leuchten gestohlen.
Jetzt habe ich ihn am Haken, frohlockte der Schuldirektor.
"Ich räume ein, die meisten von ihnen sind talentiert und beherrschen ihr Fach, aber Sie, Severus, können ihnen noch viel mehr beibringen." Mit einer schwungvollen Bewegung schob Dumbledore Snape die Schriftrolle über den Tisch. "Hier ist die offizielle Einladung Ihrer Gilde zum Europäischen Seminar der Zaubertrankmeister in Deutschland. Sie sind der Gastdozent und ohne Sie, mein lieber Severus, würde die ganze europäische Veranstaltung platzen. Wäre doch schade."
Snape knurrte etwas unverständliches, griff nach dem vermaledeiten Schreiben und überflog die Zeilen. Deutschland? Wie sollte er sich in nur vier Tagen vorbereiten? Wie stellte sich Dumbledore das eigentlich vor - den Unterricht in Zaubertränke ausfallen lassen..... undenkbar. Doch den Einwand ließ Dumbledore erst gar nicht gelten. "Gönnen Sie Ihren Schülern doch die kleine Freude. - Apropos ... tun Sie mir einen Gefallen, Severus: zeigen Sie sich gegenüber Ihren europäischen Seminarteilnehmern etwas freundlicher als zu Ihren Schülern. - Amüsieren Sie sich!"
Zwinkerte Dumbledore ihm wirklich zu? Das kann doch nicht wahr sein. Die finstere Gestalt bedachte den Schuldirektor mit einem misstrauischen Seitenblick.
"Zeigen Sie Humor!" erklärte der alte Mann ihm gegenüber.
"Ich unterrichte Zaubertränke, nicht Unterhaltungskunst", kam die bissige Antwort.
Professor Snape stand auf und verabschiedete sich vom Direktor, während er in Gedanken bereits erste Entscheidungen für das Seminar traf. Er hatte die Tür zu Dumbledores Büro schon geöffnet, als er die Stimme des Direktors noch einmal vernahm.
"Ähm Severus, gab es eigentlich Neuigkeiten beim letzten Treffen mit Voldemort?"
Snape hielt in der Bewegung inne. Der Professor drehte sich langsam mit ausdruckslosem Gesicht herum. Erst nach einigem Zögern schüttelte er den Kopf. "Nein, alles wie immer: große Reden, viele unsinnige Pläne, Schuldzuweisungen, gegenseitige Verdächtigungen und die üblichen Flüche. Ich habe noch immer keinen Zugang zum Inneren Kreis."
Snape verließ mit ziemlich schlechter Laune das Büro des Schulleiters.

***



"Vier Tage bis zu den Weihnachtsferien. Nur noch vier Tage." Ron zählte sie an den Fingern ab, als hätte er Angst, sie könnten sich doch noch vermehren. "Und keine Zaubertränke mehr in diesem Jahr!" Neville, der ihm gegenüber saß, nickte eifrig, bevor er seinen Läufer über das Schachbrett dirigierte. "Keine Zaubertränke mehr in diesem Jahr! Für mich ist das schon fast wie Weihnachten."
Unweit der beiden Schachspieler saßen Hermine und Harry an dem langen Tisch der Gryffindors. Seit einiger Zeit füllte Harry Seite um Seite eines Briefes an seinen Patenonkel, während sich Hermine hinter einem Stapel Erstausgaben ihres verhassten Lehrers Lockhart verschanzt hatte. Auf dem Tisch tippelte Hedwig zwischen den Schachspielern und dem eifrig schreibenden Harry Aufmerksamkeit erhaschend hin und her.
Hermine klappte ein neues Buch auf. "Historische Flüche und Schadenszauber der Muggel", las sie laut vor und betrachtete auf der Innenseite des Buches das Bild von Gilderoy Lockhart. Skeptisch blätterte sie in dem Buch herum.
"Harry, hör dir das an '... im Mittelalter glaubten die Muggel, dass man Flüche oder Schadenszauber ohne Zauberstab praktizieren kann. Es genügte einfach, den Zauberspruch aufzusagen und den Namen der zu verfluchenden Person laut und deutlich zu nennen. Dabei musste diese Person nicht einmal anwesend sein....' So ein Unfug!" ereiferte sich Hermine und strich dabei mit energischer Hand eine ihrer widerspenstigen Haarstränen zurück.
Neben ihr hielt Harry mit dem Schreiben inne und sah verärgert auf das Wort Unfug auf dem Bogen Pergament. "Hermine, ich muß mich konzentrieren." Sauber strich er das Wort aus, um dann den Satz weiter zu schreiben. Er kam nicht weit, denn nun kniff Hedwig ihn mit einem ungeduldigen "Schuhuh!" in die Hand. "Das gilt auch für dich. Wie soll ich hier fertig werden, wenn man mich laufend unterbricht?"
Die Antwort war jetzt ein beleidigtes "Schuhuh!" und ein weniger liebevoller Schnabelhieb.
"Ist ja gut, Hedwig." Harry nahm einen der Eulenkekse aus seiner Tasche und lockte die Schneeeule. "Ich bin ja gleich fertig."
Hedwig hatte Harry demonstrativ den Rücken zugekehrt, verdrehte aber neugierig den Kopf über die Schulter, als sie das vertraute Rascheln hörte und dann den Eulenkeks sah. Sie musterte Harry, sah dann auf den Keks und entschied sich beide zu ignorieren.
"... und Beispiele für Muggelflüche hat Lockhart auch aufgezeichnet." Hermines Begeisterung für das Buch schien zu wachsen. "So haben sich viele der machtvollen Flüche insbesondere in Muggelmärchen erhalten", zitierte sie. "Der folgende stammt aus einem deutschen Märchen

Heute back' ich, morgen brau' ich, übermorgen hole ich der Königin ihr Kind.
Ach wie gut, dass niemand weiß, dass ich Rumpelstilzchen heiß."


Noch immer versuchte Harry seine Eule zu locken. "Wer ist denn dieser Mister Rumpelstilzchen?" fragte er zerstreut.
"Keine Ahnung. Aber eine Kindesentführung zu planen und dann den eigenen Namen zu verraten.... Ist das nicht ziemlich dumm?"
Endlich siegte die Macht der Eulenkekse über Hedwigs Verstimmung. Sie knabberte an der Delikatesse, während Harry ihr über die Federn strich. "Ich bin wirklich gleich fertig, Hedwig", versprach er und begann wieder zu schreiben.

Am Eingang des Saals ging es weniger strebsam zu, sehr zum Leidwesen von Argus Filch, der mit seiner Katze Mrs. Norris vorübergehend die Aufsicht hatte, bis Madam Hooch vom Quidditchfeld zurück war. Immer wieder warf Filch einen misstrauischen Blick auf die Schüler, bereit, jede noch so kleine Verfehlung sofort zu melden.
Fred und George brachten gute Kunde für ihre eigene Klasse mit. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht, dass Professor Snape heute für einige Tage verreisen und der Unterricht in Zaubertränke bis zum Beginn der Ferien ausfallen würde.
"Warum fällt bei uns nie Zaubertränke aus?" überlegte Ron laut und verzog die Mundwinkel. "Was haben die Zwillinge wieder für ein Glück."

Erneut strich Harry ein Wort aus dem Brief, welches dort nicht hingehörte. Hexensabbat war ein ziemlich langes Wort und machte sich unschön in seinem Brief. "Hermine, bitte!"
"Aber das ist doch so aufregend. Hör mal. Dieser Spruch klingt richtig echt." Sie hatte inzwischen das halbe Buch durchblättert. "Der soll angeblich der verfluchten Person einige unangenehme Erinnerungen aus der Vergangenheit bescheren. Sozusagen ein schlechtes Gewissen machen und mit Schuldgefühlen plagen ...

Meine Zaubermacht kannst du erkennen
Bevor der neue Tag erwacht
Vergangenheit wird Not dir bringen
Bis ein neues Jahr dir lacht."


"Aha!" war Harrys einziger Kommentar.
"Das klingt wie die Geschichte von den Drei Geistern der Weihnacht. Hey, du hörst ja gar nicht zu. Ich lese ihn dir noch einmal vor."
Harry konnte es nicht verhindern. Verzweifelt sah er auf seinen noch immer unvollendeten Brief. Hermine richtete sich gerade auf, räusperte sich und wiederholte den Fluch mit einer beschwörenden Stimme, als würde sie wirklich jemanden verhexen wollen.

Ron genoss die neue Information. Wenn Snape abreiste, hieß das auch, dass die Slytherins in den letzten Schultagen ihren Gönner verlieren würden. Damit bestanden reelle Chancen, den Punktestand der Schulhäuser ein wenig zu korrigieren. Sofort rückten er und seine Brüder zu Harry und Hermine auf.
Harry gab es auf und warf die Feder auf den Tisch. "Wer ist weg?" fragte er die Brüder.
"Professor Snape!" riefen die drei Weasleys wie aus einem Mund.
"Sagt mal", Hermine stemmte die Fäuste in die Seite und sah die Jungs am Tisch mit bitterböser Miene an, "hört hier überhaupt einer zu?"

***



Die Hauselfen in Hogwarts hatten es eigentlich recht gut getroffen. Der Schuldirektor behandelte sie wirklich anständig und auch die Lehrer waren ganz nett zu ihnen, außer einem. Tobby hatte das Pech, ausgerechnet Professor Snape zugeteilt worden zu sein, um sich um dessen persönliche Dinge zu kümmern.
"Nein! Nein! Nein!" Snape stieß den Hauself beiseite. Jedes seiner Neins wurde lauter und Tobby fuhr zitternd zusammen. "Es tut mir so leid, Professor, Sir, so leid", jammerte der kleine Elf und versuchte, sich aus der Reichweite des Zauberers zu bringen.
Professor Snape war reisefertig und griff nach seiner Tasche, die neben dem Kamin stand.
"Die nehme ich!" fauchte er Tobby an. "Du sollst den verdammten Koffer zum Kamin schaffen!" Um seinen Worten einen gewissen Nachdruck zu verleihen, nahm Snape seinen Zauberstab und schickte dem Elfen einen kleinen Blitz hinterher, der ihm auch sofort Beine machte. Der Professor hob leicht die Augenbrauen. "Geht doch."

Aber der Koffer war für den armen Tobby viel zu schwer. Er stemmte sich mit ganzer Kraft dagegen, zog und schob ihn und kam doch nicht von der Stelle.
Im Kamin zischte die Flamme bereits auf. Snape hatte reichlich Flohpulver hineingeworfen und den Bestimmungsort genannt: "Hauptverbindung zur Wartburg!"
Ungeduldig drehte er sich um. Tobby zerrte noch immer an dem großen Koffer, in dem sich eine Auswahl von Zauberpulver und andere Zutaten für Zaubertränke befanden. Nur ungern nahm Severus diese Sachen aus seinem Zaubertranklabor mit hinaus. Viele der einzelnen Elixiere und Tinkturen waren gefährlich in unwissenden Händen, aber da Dumbledore darauf bestand, dass er dieses blöde europäische Treffen in der deutschen Zauberschule mitmachen sollte, blieb ihm nichts anderes übrig, als seine geliebten Kerkerhallen zu verlassen und die nötigen Utensilien mitzunehmen.
"Tobby!" fauchte er.
"Ja Professor, gleich Sir, ich schaffe das schon."
Snape sah sich nach seinem Raben um. "Und du, mein gefiederter Freund, benimmst dich bei Direktor Dumbledore anständig. Streite dich nicht ewig mit diesem Phönix herum, denn am Ende verlierst du sowieso."
Ka saß auf seiner Stange, mit dem Rücken zu Severus. Er schaute beleidigt über die Schulter und schimpfte leise vor sich hin. "Mitkommen!"
"Nein, Ka, ich nehme dich nicht mit. Außerdem verträgst du das Reisen mit Flohpulver nicht." Der Zaubertrankmeister trat zu dem Raben heran. Aus der Tasche holte er einen Eulenkeks heraus. Mit einem misstrauischen Blick beäugte Ka den Keks. Er liebte Eulenkekse, aber im Moment war er beleidigt, dass Severus ihn nicht mitnehmen wollte. Statt nach dem Eulenkeks zu schnappen, hackte er Snape in die Hand. Der Hieb war nicht wirklich stark, doch der Abdruck seines Schnabels zeichnete sich für einen Moment auf der hellen Haut ab.
Snape wollte bereits den Keks wieder in die Tasche stecken, als sich der Rabe den Leckerbissen schnappte und damit auf den Boden flog, wo er ihn eiligst zerkrümelte ohne ihn zu fressen. Seufzend ließ sich der Zaubertrankmeister neben dem Vogel in die Hocke.
"Na komm schon, Ka, sieh es doch ein, denk nach. Es sind nur fünf Tage und heute bei Neumond sehen wir uns auf der Lichtung. Ich brauche dich dort", redete er ihm zu. "Du musst doch auf mich acht geben." Er strich mit der Hand dem Vogel über das lange seidige Gefieder.
"Aufpassen!" Der Rabe kletterte auf Snapes Schulter und ließ sich von ihm wieder zu seiner Stange tragen.
"Ja Ka. - Und lass den verdammten Phönix in Ruhe!"
Der Zaubertrankmeister widmete sich wieder seinem Gepäck. Tobby kämpfte noch immer mit dem Koffer.
"Ich habe keine Zeit für diesen Unfug." Snape murmelte "Wingardium Leviosa" und dirigierte den Koffer in die Flammen. Dass Tobby noch immer daran zerrte und mit im Kamin landete, bemerkte er nicht.
"Hauptverbindung zur Wartburg!" wiederholte Snape noch einmal und trat dann selber in den Kamin, der bereits wieder frei war.

Die deutsche Schule für Zauberei und Hexerei befand sich auf der Wartburg, nahe Eisenachs. Es war ein geschichtsträchtiger Boden. Die alte Burg zog jährlich Millionen von Muggel an, welche die Hallen bewunderten, in der nach dem Muggelkomponisten Wagner der Sängerkrieg stattgefunden haben soll und sie betrachteten ehrfürchtig das kleine Zimmer, in dem Martin Luther die Bibel ins Deutsche übertragen hatte. Der Tintenfleck an der Wand deutete an, wo er den Teufel gesehen hatte, den er mit dem Wurf seines Tintenfasses verscheuchen konnte. Jedes deutsche Zaubererkind wusste natürlich, dass es nicht der Teufel war, den der Theologe dort sah, sondern ein Magier, der sichtbar wurde, weil die Abschirmung der Zaubererschule für einen Moment zusammengebrochen war.
Kurz vor dem Jahreswechsel wirkte die Burg in der Zauber- wie in der Muggelwelt verlassen. In Deutschland waren für alle Kinder bereits Ferien.

Severus Snape trat aus dem Hauptkamin der Wartburg und wäre fast über seinen Hauself gestolpert, der, schon wieder oder immer noch, mit dem großen Koffer kämpfte.
"Was machst du hier?" fuhr er ihn an.
Tobby verkroch sich hinter dem Koffer, der viel größer war als er. "Nicht zürnen, Professor, Sir, Tobby kann nichts dafür."
"Marsch, in den Kamin zurück!"
"Tobby kann nichts dafür!" jammerte der Hauself als er sah, wie Snape nach seinem Zauberstab griff. "Wirklich nicht." Heulend warf sich Tobby dem Professor vor die Füße und umklammerte dessen Beine.
Das Feuer im Kamin erlosch, die Verbindung zwischen den beiden Zauberschulen war unterbrochen. Angewidert versuchte Snape seinen Hauself abzuschütteln. Dieses nichtsnutzige Etwas heulte Rotz und Wasser und ruinierte ihm dabei die Hose.
"Lass los!" Diesmal sprach Snape ganz leise und seine kalte tonlose Stimme bewirkte eine wahre Panikattacke bei dem Elfen. Wenn der Professor in dieser Stimmung war, gab es immer blaue Flecke. Blitzschnell reagierte Tobby, ließ von Snape ab und rannte schreiend aus der Halle, bevor der Zaubertrankmeister ihn greifen konnte. Die Tür knallte hinter dem Hauselfen zu. "Na warte, du entgehst deiner Strafe nicht!" murmelte der Professor.

Mit unbewegter Miene strich sich Snape den Staub vom Kamin aus der Kleidung und musterte dabei zum ersten Mal seine Umgebung.
Die Halle war im Verhältnis zu dem Kamin nicht sehr groß. Der musste wohl so etwas wie ein Hauptanschluss sein. Erneut hörte er eine Tür.
"Ah, Professor Snape!"
Selten hatte jemand seinen Namen mit solcher Freude ausgesprochen. Misstrauisch schaute er in die Richtung, aus der dieser Überschwang an Freundlichkeit kam und sah eine ältere Dame auf sich zukommen. Nein, auf sich zurollen. Irgendwie erinnerte sie ihn an das Porträt der Fetten Dame, die den Turm der Gryffindors bewachte.
Sie trug ein ausladendes langes grünes Kleid mit Goldstickereien. Das graue Haar war zu einem festen Knoten gebunden. Bevor das Begrüßungskomitee ihn überrollen konnte, kam die Dame vor ihm zum Stehen. Innerlich atmete der Zaubertrankmeister auf. Noch mal Glück gehabt.
"Oh Professor Snape, es ist mir eine wahrhafte Freude, Sie endlich auf der Wartburg begrüßen zu können." Sie griff nach seiner Hand, bevor er es verhindern konnte und schüttelte sie begeistert. "Ihr Ruf als Zaubertrankmeister ist ja legendär und eilte Ihnen natürlich voraus."
Vergeblich versuchte Snape sich dem warmen und erstaunlich festen Griff der Dame zu entziehen. Endlich gelang es ihm. Er brachte sogar soviel Selbstbeherrschung auf, um ihr mit einem knappen Kopfnicken und einem etwas missglückten Lächeln zu danken.
"Ich bin Baronin von Hohenstein, die Leiterin dieser herrlichen Zauberschule."
Vorsichtshalber versteckte Snape seine Arme hinter dem Rücken, um nicht eventuell der Schulleiterin wieder die Hand geben zu müssen. "Angenehm."
"Ich wollte es mir nicht nehmen lassen, Sie persönlich zu begrüßen. Entschuldigen Sie meine Verspätung. Mussten Sie lange warten?"
Baronin von Hohenstein schob Snape zum Ausgang. "Sie werden sich Ihre Unterkunft anschauen wollen und das Zaubertrankkabinett natürlich. Ich gestehe, wir haben keine Mühen gescheut, um es Ihnen so bequem und angenehm wie nur möglich zu machen. Es war also nicht nötig, Ihren persönlichen Hauselfen mitzubringen. Wir haben genügend Personal. Das war doch Ihr Hauself, der mir da schreiend entgegen kam?"
Die Direktorin drehte sich um "Heinzel!" rief sie nach einem der hiesigen Hauselfen. Hinter einer verborgenen Klappe trat der Elf hervor. "Heinzel, kümmere dich um das Gepäck von Professor Snape." Sie wollte weiter gehen. Dann drehte sie sich noch einmal zurück. "Und du wirst seinen Hauselfen einweisen."
"Jawohl, Frau Baronin."
"Wie ich von Professor Dumbledore erfahren konnte, bevorzugen Sie die unteren Stockwerke. Wir haben das natürlich bei der Auswahl Ihres Gemaches berücksichtigt.
Oh, bevor ich es vergesse, um 15:00 Uhr versammeln sich alle Tagungsteilnehmer zu einem kleinen Empfang. Ich bin ja so stolz. Aus fast allen europäischen Zauberschulen trafen Eulen mit Zusagen ein."
Und so redete Baronin von Hohenstein und redete und redete und redete.

***



Im Lehrerzimmer in Hogwarts herrschte ungewöhnlich ausgelassene Stimmung. Die Vorfreude auf das kommende Fest war überall zu spüren und Professor Lockhart strahlte wie ein ganzer Weihnachtsbaum. Er lächelte und verbreitete überall zuvorkommende - und, wie die meisten meinten, nervende - Fröhlichkeit. Überall, wo er stand und ging, trällerte er Weihnachtslieder, plauderte mit den Schülern, die ihm nicht entwischen konnten oder blockierte mit den Mädchen seines Fanclubs die Durchgänge.
Jetzt hatte er sich lässig auf Snapes Platz am Lehrertisch niedergelassen. Professor Flitwick auf der einen Seite gab sich größte Mühe beschäftigt zu wirken. Madam Sprout, auf der anderen Seite sitzend, und viel zu gutmütig, um Lockhart ganz zu ignorieren, gab sich zurückhaltend interessiert. Doch schließlich rettete sie sich zu Madam Pince.
Als sie der Bibliothekarin gegenüberstand, raunte sie ihr eilig zu. "Also ehrlich, lieber unseren schweigsamen und übellaunigen Snape als dieses Plappermaul!"
Madam Pince nickte. Sie schob ihre Brille ein wenig tiefer und sah über die Gläser hinweg auf Lockhart. "Seit Snape weg ist, gebärdet er sich schlimmer als zuvor. Sie hätten ihn mal in der Bibliothek sehen sollen. Stolziert da in der verbotenen Abteilung herum und wollte doch einige der Bücher unbedingt nach vorne stellen, weil sie gar nicht so gefährlich wären. Sagt er! - Hmpf! - Er schreibt mir vor, wie ich meine Arbeit machen soll."
Nun war es an Professor Sprout bekümmert zu nicken. "Mir hat er sechzehn Alraunen zerstört. Sechzehn! - Hat mit seinem Zauberstab gewedelt und wollte sie damit von ihrer Jugendakne befreien. Vier sind gleich explodiert, sechs haben sich aus dem Staub gemacht und sind im Schnee vor dem Gewächshaus erfroren. Auf eine ist er draufgetreten, als er diesen Niesanfall von seinem Zauberstabgefuchtel hatte. Die Restlichen hat dieser, dieser ... Muggel! ... angezündet." Die kleine Kräuterkundlerin war im höchsten Maße erregt und bedachte Lockhart mit einem bitterbösen Blick. Ihr Hut bebte. "Meine kleinen geliebten Alraunen. Jetzt habe ich viel zu wenige für die Zaubertränke."
Die beiden Lehrerinnen wurden unterbrochen, als Lockhart es offensichtlich geschafft hatte, nun Professor McGonagall gegen sich aufzubringen. Die Hauslehrerin der Gryffindors sah entrüstet zu ihrem Gegenüber. Doch Lockhart lächelte und fuchtelte dabei lässig mit seinem Zauberstab.
"Ich bitte Sie, liebe Minerva, das ist doch kein Problem für mich!"
Sprout und Pince sahen sich erstaunt an. Seit wann nannte Lockhart McGonagall beim Vornamen?
"Verwandlungen, nun ja, sollten doch nicht zu schwierig sein. Wie ich hörte, verwandeln Sie sich besonders gern in eine Katze?"
"Richtig, Professor Lockhart, und dazu brauche ich keinen Zauberstab, ich bin eine Animaga."
"Schön, schön, aber ich betone noch einmal, es ist auch für einen Nicht-Animagus kein Problem."
"Nun gut!" Minerva McGonagalls Geduld schien am Ende zu sein. "Dann lassen Sie sehen. Verwandeln Sie sich in eine Katze. Gleich jetzt! - Und was ist?" fügte sie einen Moment später hinzu, als Lockhart zwar immer noch sein preisgekröntes Lächeln auf hatte, aber ansonsten keine Anstalten machte, seine Behauptung auch zu beweisen.
"Ich warte, Lockhart!"
"Minerva", Lockhart drohte spielerisch mit dem Finger, "Sie hören sich jetzt an wie ein Professor."
"Ich bin Professor!" reagierte die Lehrerin für Verwandlungen gereizt. "Und nun zeigen Sie endlich, was Sie drauf haben!"
Wer bis jetzt nicht auf den Streit aufmerksam geworden war, der drehte sich nun zu Professor McGonagall erstaunt um. Es kam sehr selten vor, dass die Hauslehrerin der Gryffindors laut wurde.
Lockhart sah sich nun ganz im Zentrum der Aufmerksamkeit. Normalerweise gefiel ihm das. In diesem Moment jedoch versuchte er seine zunehmende Unsicherheit zu überspielen.
"Na schön, wie Sie wünschen", schnaubte er pikiert.
Langsam stand er auf, legte den kunstvoll bestickten hellblauen Umhang ab und richtete seinen Zauberstab auf sich.
Erwartungsvolle Stille im ganzen Lehrerzimmer.
"Felidae cre ...", begann er gerade, als er einen derart heftigen Niesanfall bekam, dass er den Zauberstab zitternd fallen ließ und nach einem Taschentuch griff.
Irgendjemand schrie entsetzt auf, andere Lehrer riefen durcheinander. Der noch aktive Stab schickte einen unkontrollierten Strahl aus.
"'Tschuldigung, diese Zauberstaballergie!" nuschelte Lockhart durch das Taschentuch.
"Ähm, wo ist denn unsere gute Minerva hin?"
Der Platz ihm gegenüber war leer. Beinahe jeder begann auf ihn einzureden. Verwundert strich er eine Strähne seines goldgelockten Haares beiseite. Was hatten die alle auf einmal?
Unter dem Tisch kam ein klägliches Miau hervor. Lockhart beugte sich hinunter und sah dort eine grauschwarz gestreifte Katze mit dunklen Ringen um die Augen sitzen. Das Fell sträubte sich gefährlich und ihre grünen Augen funkelten ihn böse an.
"Nanu? Wo kommst du denn her?" Er hielt ihr die Hand hin, um sie zu streicheln.
Statt einer Antwort versetzte die Katze ihm einen heftigen Schlag mit ausgefahrenen Krallen.
Erschrocken zog Lockhart die Hand beiseite. "Au, böse Katze!"
Leicht gereizt tauchte er unter dem Tisch wieder auf. "Wem gehört denn dieses gefährliche Tier?"
Die Antwort fiel für ihn ganz anders aus als erwartet.
"Sie verdammter Versager, Sie hoffnungsloser Squib", begann Professor Sprout zu wettern. "Was haben Sie jetzt wieder angerichtet. Schauen Sie sich doch mal Professor McGonagall an!"
Endlich begann es bei Gilderoy Lockhart zu dämmern. "Oh! - Na ja, da können Sie sehen, es klappt doch mit den Verwandlungen!" meinte er gewinnend lächelnd.
"Dann verwandeln Sie sie jetzt wieder zurück."
"Zurückverwandeln? Ja? Hier?" Lockhart griff langsam nach seinem Umhang. "Aber davon war ja nicht die Rede. Ich meine", er fuchtelte unentschlossen mit der freien Hand in der Luft herum, "also, Professor McGonagall ist doch eine Animaga, da kann sie sich doch allein zurückverwandeln. Ist doch nicht schwer."
Mit einem Blick schätzte er die Entfernung zur Tür ab. Die Stimmung war entschieden gegen ihn umgeschlagen.
Professor Sprout schnaubte, als sie seine Absicht erkannte. "Sie bringen das wieder in Ordnung!" forderte sie. "Wie soll sich Minerva zurückerwandeln, wenn Sie sie mit einem Zauberspruch belegt haben? Machen Sie ihn sofort rückgängig!"
"Nein, lassen Sie ihn gehen", meldete sich Professor Flitwick. Er stand auf seinem Stuhl und maß Lockhart von oben bis unten mit einem abfälligen Blick. "Wer weiß, was dann noch passiert, wenn er wieder niesen muß. Ich denke, wir sollten mit Dumbledore sprechen."

***



Die Begrüßung der Tagungsteilnehmer fand im geräumigen Musikzimmer der Wartburg statt. Baronin von Hohenstein ließ es sich nicht nehmen, jeden einzelnen von ihnen persönlich noch einmal willkommen zu heißen.
Nacheinander setzten sich die Männer und Frauen in kleinen Gruppen in die Sitzecken oder in die mittelalterlichen Fensternischen. Der Raum füllte sich zusehends mit den unterschiedlichsten Zauberern und Hexen. Ein wahres babylonisches Stimmengewirr beherrschte den Raum. Als letzter erschien Severus Snape.
"Ah, da sind Sie ja!" jubelte die Direktorin. "Kommen Sie, Professor." Sie hakte sich ungeniert bei dem Zaubertrankmeister unter und zog den widerstrebenden Mann in die Mitte des Raumes. "Liebe Gäste, verehrte Hexen und Zauberer. Ich möchte Ihnen Ihren Gastdozenten, Professor Severus Snape, vorstellen. Ich bin sicher, jeder wird von dem guten Professor bereits gehört haben....."
Der Professor sah mit irritiertem Blick auf die kleine runde Person neben sich herab, die ihm jetzt auch noch die Hand tätschelte. Bei Merlin, er würde das Dumbledore heimzahlen. Stück für Stück. "Madam, wenn ich bitten darf!" zischte er eiskalt und mit drohendem Unterton in der Stimme, eine Methode die nie ihre Wirkung verfehlte, um sich Leute auf Distanz zu halten. Bedauerlicherweise machte das auf Baronin von Hohenstein überhaupt keinen Eindruck. Schlimmer, sie nahm es nicht einmal zur Kenntnis.
"... Er unterrichtet die Kunst der Zaubertrankbrauerei in Englands berühmter Zaubereischule Hogwarts. Bestimmt wird er gern sein Wissen mit Ihnen teilen und womöglich auch das eine oder andere über Harry Potter zu berichten haben." Die Frau brachte es wirklich fertig, den Mann an ihrer Seite mit verschwörerischem Augenzwinkern zuzulächeln.
Snape sträubte sich das Nackenhaar. Gleich würde er Gift und Galle spucken. Harry Potter, soweit kommt es noch, dachte er, laut aber versuchte Snape sich in unverfänglicher Konversation und war bereit, noch viel freundlicher zu sein, wenn er nur wieder von dieser Person loskommen könnte. Geduld!, ermahnte er sich, Geduld! und brachte laut ein "Das ist sehr liebenswürdig von Ihnen" zustande.
"Ach, Sie Charmeur!" kicherte Baronin von Hohenstein gespielt verlegen.
Endlich hatte er seinen Arm frei bekommen und trat einen Schritt beiseite. Mit regungsloser Miene musterte er die Teilnehmer des Seminars. Hinter ihm begann die Schulleiterin erneut. "Da hätten wir..."
Snape schloss für einen Moment die Augen. Hört das denn nie auf?
Die Zahl der Tagungsteilnehmer war nicht sonderlich groß. Frau von Hohenstein machte sich daher auf, jeden persönlich vorzustellen. "... Fräulein Weißmüller. Sie ist unsere hiesige Lehrerin für Zaubertränke. Und eine ganz besondere Ehre ist es auch den Großmeister der italienischen Loge der Zaubertrankbrauer hier als Gast zu begrüßen: Seniore Bernardo aus Ravenna ..."
"Hallo Severus!"
"Oh, Sie kennen sich bereits, wie reizend! Aber natürlich! .... die Gebrüder Albert und Johann Magnus von der UNI Magica in Wien ... Fräulein Isolde aus der Zaubererschule Durmstrang, Apollonius aus Spanien, Madam Jeanne, Lehrerin in der Zauberschule in Frankreich ... die beiden jungen Damen dort in der Fensternische kommen aus Luxemburg und Belgien ..." So ging das noch eine Weile weiter.
Severus und die energische Schulleiterin waren endlich mit der Begrüßungsrunde durch und Snape ganz nahe daran sofort wieder abzureisen. Die Direktorin sah sich suchend um, bis sie zwei junge Männer und eine Frau entdeckte, die neben dem Kamin im Halbschatten standen "Oh, diese drei hätte ich doch fast vergessen ... Lady Gwenda aus Ihrer Heimat England, genauer gesagt aus Wales, sowie die Herren Rudolfo und Raoul aus Griechenland."
Die Direktorin strahlte und erwartete offensichtlich eine kleine Ansprache von ihrem Dozenten. Snape schnaubte verächtlich. Nicht in diesem Leben, Baronin. Schließlich raffte er sich zu einem "Lassen Sie uns morgen in aller Frühe mit der Arbeit beginnen" auf.
"Ähm - ja!" versuchte Baronin von Hohenstein die kurze Ansprache zu kommentieren. "Dann können die Hauselfen nun den kleinen Imbiss servieren, den ich habe vorbereiten lassen."

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