Sein und Schein

 

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Kapitel 9: Ein Wintermärchen

 



Federn kratzten beinahe überlaut in der Stille über das Pergament. Während der schriftlichen Kontrolle blieben die Köpfe der Schüler gesenkt. Nur ab und an entdeckte Professor Snape den einen oder anderen, wie er hilfesuchende Blicke zu seinem Nachbarn aussandte, aber dann doch lieber als heldenhafter Einzelkämpfer zugrunde ging, als sich den Zorn des Zaubertranklehrers zuzuziehen.
Lautlosen Schrittes ging dieser durch die Reihen und warf einen Blick auf die Arbeiten seiner Schüler. Für Erstklässler hielten sie sich gut, seine Slytherins. Aber auch die Hufflepuffs schienen mehr Ehrgeiz an den Tag zu legen, als er es von ihnen gewohnt war. Überhaupt, der gesamte Jahrgang schien eine erfreuliche Neigung zum Lernen zu haben.
Zufrieden setzte sich Snape an sein Pult, tauchte die Feder in das Tintenfass und wollte sich der Korrektur der Hausaufgaben der 5. Klasse zuwenden, als er ein raschelndes Geräusch vernahm. Ruckartig sah er auf, so dass seine dunklen Haare zurückfielen. Er musterte mit blitzenden Augen die Reihen seiner Schüler. Aber die waren noch immer in ihre Arbeit vertieft. Dem Rascheln folgte ein leiser Pfeifton und ein kratzendes Geräusch.
Langsam legte der Zaubertrankmeister die Feder zurück auf das Pult und stand vorsichtig auf.
Waren das Mäuse in seinem Kerker? Womöglich sogar Ratten?
Die Kinder bemerkten die Veränderung. Einige schauten von ihrem Pergament auf, doch duckten sie sich gleich wieder, als sie Snapes gestrenger Blick traf.
Mit dem Zauberstab in der Hand schritt der Professor die Wände ab. Er versuchte dem Geräusch zu folgen, das sich langsam zu entfernen schien.
Am Regal, kurz vor der offenen Tür zum Klassenzimmer, bemerkte er eine buschige Schwanzspitze, dann kam nach und nach rückwärts eine schlanke krabbelnde Gestalt dahinter zum Vorschein. Das dunkelbraune Etwas war ganz und gar damit beschäftigt, eine seiner kleinen Phiolen aus dem Raum zu schaffen. Es zerrte an der Schlaufe des silbernen Fläschchens, das sich gerade hinter der Regalwand verkantet hatte.
"Impedimenta!" zischte Snape und das kleine diebische Frettchen erstarrte.
Fast augenblicklich raschelte und flüsterte es hinter ihm. Snape drehte sich um und wies mit dem Zauberstab in die Klasse. "Darf ich aus der Unruhe unter Ihnen schließen, dass Sie fertig sind mit der Aufgabe? Gut, dann geben Sie Ihre Bögen nach vorne durch."
Kleinlautes Aufbegehren.
"Sofort!" Aus dem Augenwinkel entdeckte Snape noch einige, die hastig letzte Formeln auf das Blatt brachten, bevor sie es zu ihrem Nachbarn weitergaben.
Der Zaubertrankmeister griff nach einem Korb, der neben dem Regal stand, öffnete dessen Deckel und griff nach dem noch immer erstarrten Frettchen. "Ich vermute, du bist auch für das Verschwinden von einigen anderen Dingen hier im Klassenraum verantwortlich", knurrte er. "Es wird Zeit, einmal einige ernste Worte mit deiner Besitzerin zu wechseln."

***



Auf den Hauptfluren im Schloss herrschte reges Treiben. Die Schüler wechselten die Klassenräume und Unterrichtsfächer. Einige Lehrer nutzten ihre Freistunden, um ihren anderen Aufgaben nachzugehen. Madam Sprout scheuchte eine ganze Gruppe Erstklässler von Ravenclaws und Gryffindors vor sich her. "Nun aber flott, ihr solltet nicht so viel trödeln, Professor Vector hat bestimmt wieder ganz aufregende Sachen für euch vorbereitet. - Guten Tag, Professor Snape. - Was ist denn, nun schaut doch nicht gleich so erschüttert, Marsch, Marsch weiter, Kinder."
Der Zaubertrankmeister hob belustigt die Augenbrauen und eilte weiter in Richtung Klassenzimmer von Madam Preist.
"Warten Sie, Professor Snape! - Professor, warten Sie!"
Snape blieb verwundert stehen und sah sich nach der Stimme um. "Professor Trelawney?" Der Zaubertrankmeister verzog griesgrämig das Gesicht und setzte dann die abweisendste Maske auf, die er zu bieten hatte. Die Lehrerin für Wahrsagerei hatte ihn endlich keuchend erreicht und hielt sich nach Atem ringend an eine der Fenstersäulen fest. Ihre Hand auf das Herz drückend sah sie dabei den Zaubertrankmeister mit beschwörender Miene an.
"Nun?" drängte Snape ungeduldig.
"Professor, ich muß Sie warnen."
"Wie überraschend!" murmelte er. Lauter sagte er jedoch. "Ich nehme an, Sie haben meinen Tod gesehen?"
"Woher wissen Sie das?"
"Habe ich erraten!"
Ungläubiges Staunen, doch Hogwarts Wahrsagerin fing sich schnell wieder. "Dann besitzen Sie auch das Potential, die Zukunft vorherzusagen?"
"Nein! Aber haben Sie schon einmal etwas anderes außer meinen Tod gesehen?" fragte er abweisend. "Oh ja, den von Potter. Doch der lebt bekanntlich auch immer noch." Schon wollte er sich umdrehen und seine Kollegin stehen lassen, als diese ihn am Arm packte. Erstaunlich, wie viel Kraft diese dürre Schachtel hatte, wunderte sich der Zaubertrankmeister. "Was?" wurde er jetzt ungeduldiger.
"Seien Sie vorsichtig, Professor! Noch bevor sich der zweite Vollmond zeigt, steht Ihr Leben auf Messers Schneide. Hüten Sie sich vor der Vergangenheit!"
"Also schön, Madam, ich habe es vernommen." Mit diesen Worten schüttelte er die Hexe ab und eilte weiter. Deswegen, sagte er sich, sollte er es vermeiden während der Pausen aus seinem Kerker herauszugehen. Vergangenheit? Lachhaft! Vollmond? Als hätte er, abgesehen von Werwölfen, irgendetwas bei Vollmond zu fürchten. Die Neumondnächte bereiteten ihm wesentlich mehr Sorgen. Und was seine Vergangenheit anging, nun ja ....
Den nächsten unfreiwilligen Halt bescherten dem Meister der Zaubertränke ältere Schüler aus seinem eigenen Haus. Als sie ihn kommen sahen, stürzten sie auf ihn zu und redeten alle auf ihn ein. Für einen Moment ließ Severus Snape sie gewähren, dann zischte er sie an: "Was soll das alberne Geschnatter? Ah, Malfoy, was ist los?"
"Sir, es geht um die Rollenbesetzung unseres Theaterstücks. Wir müssen Goyle und Crabbe irgendwie unterbringen, sonst rasten ihre Väter aus."
Theaterstück? Dieses Wort aktivierte sämtliche Abwehrmechanismen des Zaubertrankmeisters. "Das reicht!" schnappte Snape. Er hob warnend die Hand. "Ich will davon nichts wissen. Sie haben mir die Liste vorgelegt und ich habe sie bestätigt. Fangen Sie also endlich an, das Projekt voranzutreiben. Ich will Ergebnisse sehen, sonst raste ich aus. Haben wir uns verstanden?"

Endlich im zweiten Stock angekommen, entdeckte Snape den Schuldirektor und um ihn herum eine ganze Horde bunt gemischter Schüler, die alle wie Kletten an ihm hingen. Und so wie es ausschaute, machte es Dumbledore sogar Spaß mit ihnen zu schwatzen und ihre Fragen zu beantworten. Großzügig verteilte er dabei seine Drops und Zitronenbonbons. Eine Schülerin aus der munteren Schar entdeckte zuerst den gefürchteten Lehrer auf sich zukommen und erschrak. Sie tippte den nächsten neben sich an und flüsterte ihm etwas zu. Es war wie ein Dominoeffekt. Der Nachbar sah in seine Richtung und ihn kommen, riss die Augen auf und tippte den nächsten an mit derselben Wirkung. Natürlich entging dem Direktor nicht das neue Verhalten der Schüler. Er entdeckte Snape und lächelte ihm zu. "Ah, Professor, schön, dass ich Sie hier treffe. Ich war eigentlich auf dem Weg in die Kerker."
Nun drehten sich alle Schüler nach Snape um. Die Jüngsten ergriffen fast sofort panikartig die Flucht, während die Älteren von ihnen sich wenigstens noch soweit im Griff hatten, dass sie einen geordneten Rückzug zustande brachten. Sie murmelten irgendwelche banalen Ausreden und waren verschwunden.
Snape bedachte die Kinder mit einem fiesen Lächeln, bevor er sich an Dumbledore wandte und den Korb mit dem Frettchen abstellte.
"Sie genießen es!" bemerkte Dumbledore mit einem Augenzwinkern.
Der Zaubertrankmeister machte ein betont unschuldiges Gesicht. "Direktor?"
Dumbledore beugte sich zu dem Korb mit Severus' Gefangenen herunter und holte das Frettchen aus seinem Gefängnis heraus. Ganz beglückt knuddelte er das Tier mit dem weichen Fell. Snape konnte sich dem Eindruck nicht erwehren, dass diese runden Knopfaugen ihn hämisch anschauten. Na warte, überlegte der Zaubertrankmeister, für dich lasse ich mir auch noch was einfallen.
"Ich bringe dieses diebische Tier gerade zu seiner Herrin zurück. Ich habe es erwischt, wie es mir eine der kleinen Phiolen stahl. Und ich wette, dass war nicht die erste", gab er zu bedenken.
"Oh, Sie sind nicht sein einziges Opfer, Severus." Dumbledore knuddelte weiter. "Mir hätte Merlin auch schon das halbe Büro ausgeräumt. Wenn Fawkes nicht aufpassen würde, müsste ich mich neu einrichten. Vor dem Phönix hat er nämlich einen gesunden Respekt. Nicht wahr, mein Kleiner? - Was wollte ich eigentlich? Richtig, ich habe eine Eule von Mister Weasley bekommen." Der Direktor drückte Snape das Frettchen in den Arm, der es nur wiederstrebend fest hielt, während Dumbledore nach dem Brief in seinen Taschen suchte.
"Was will denn das Oberhaupt der Weasleys?"
"Was?" Dumbledore schob seine Brille zurecht und betrachtete das Schreiben in seiner Hand.
"Oh nein, nicht Arthur Weasley. Der Brief ist von seinem Ältesten. Sie erinnern sich an Bill?"
"Sicher! Wenigstens einer von der Familie, der etwas von Zaubertränken verstand. - Und leider auch von Flüchen!" fügte er etwas griesgrämig hinzu.
"Er hat mir geschrieben und zugesagt, bis Ende des Schuljahres die Vertretung von Gilderoy Lockhart zu übernehmen."
Das Frettchen quiekte erschrocken auf, als Snape die Hände ballte und sich dabei in das Fell krallte. "Aber das hätte ich doch auch ..."
"Ja, das weiß ich, Severus, aber die Situation ist vielleicht nicht so günstig für Sie. Ich meine Zaubertränke, Verteidigung gegen die Dunklen Künste und eventuell noch die anderen Verpflichtungen - Sie verstehen?"
Der Zaubertrankmeister verzog verärgert das Gesicht. Offensichtlich gab es immer einen Grund, warum Dumbledore ihn nicht Verteidigung unterrichten lassen wollte. Dabei rechnete er sich seit Lockharts Verschwinden - möge er ewig wegbleiben - gute Chancen aus. Es war schwer, mitten im Schuljahr einen Lehrer zu bekommen. "Warum unbedingt ein Weasley?" stöhnte Snape. "Dann haben wir schon wieder fünf von der Sorte im Schloss. Wenn das so weiter geht, können die eine eigene Quidditch-Mannschaft aufstellen."
Der Schuldirektor sah seinen Zaubertranklehrer an und lächelte vergnügt. "Was denn Severus, fürchten Sie so etwas wie eine Invasion? Sie werden doch mit den Weasleys spielend fertig. Da habe ich vollstes Vertrauen zu Ihnen. Und Bill, wie Sie selber so treffend bemerkten, versteht etwas von Flüchen. Womöglich können wir mit seiner Hilfe den Fluch um das Gemälde brechen. Schon allein deswegen fiel meine Wahl auf ihn."
Dumbledore stellte fest, dass Severus Snape noch weit davon entfernt war, die neuen Umstände zu akzeptieren. Gut, da musste der Zaubertrankmeister halt durch. Einen so kleinen Rückschlag würde er überleben. Was man von Merlin in dessen Armen weniger behaupten konnte. Das kleine Frettchen wand sich panisch fiepend und um sich beißend hin und her, um sich aus dem festen Griff des Lehrers zu befreien. Snapes Hand hielt ihn eisern umklammert, ohne es zu bemerken.
"Severus, ich finde, Sie sollten Merlin langsam loslassen, bevor Sie ihn noch umbringen. Madam Preist wird wenig Gefallen daran finden, ein totes Haustier zurückzuerhalten." Fast behutsam löste der Schuldirektor Snapes festen Griff und rettete das verängstigte Tier. Doch Merlin war über die Behandlung dermaßen empört, dass er nicht länger zu verweilen gedachte. Mit einem Satz sprang er aus Dumbledores Armen und sauste über den langen Flur davon.
Snape, gedanklich noch immer mit Familie Weasley beschäftigt, entdeckte jetzt erst die Flucht des Tieres. "Verdammtes Vieh!" schnauzte er. Mit einem knappen Kopfnicken verabschiedete sich der Zaubertranklehrer von seinem Direktor, bevor er mit wehender Robe davoneilte.
Dumbledore schmunzelte über Snapes Abgang, dann nahm er den zurückgebliebenen Korb und schlenderte in die andere Richtung davon. "Das war doch gar nicht so schlimm!" brummte er vergnügt.
Auf dem Weg zu seinem Büro schaute er kurz bei Minerva McGonagall vorbei.
"Und, Albus?" fragte die Lehrerin für Verwandlungskunst. "Weiß Severus es schon?"
"Ich habe es ihm gerade erzählt." Dumbledore stellte den Korb ab.
"Erstaunlich!" McGonagall sah sich die Wände ihres Büros an, als erwartete sie etwas bestimmtes zu sehen.
"Erstaunlich?" fragte der Direktor nach.
"Ja, Severus weiß es und das Schloss ist noch nicht in seinen Grundfesten erschüttert. Es steht noch. - Also für mich ist das höchst bemerkenswert."

So ganz stimmte das mit dem Schloss allerdings nicht, denn der Zaubertrankmeister nutzte seine Freistunde für diverse Umgestaltungen seines Büros. Alles, was nicht wichtig oder wertvoll war, fegte er mit einer wütenden Handbewegung vom Tisch oder aus den Regalen. Es dauerte eine ganze Weile, bis er seinem Ärger genug Luft verschafft hatte, um nicht daran ersticken zu müssen. Danach rief er nach Tobby und befahl dem Hauselfen aufzuräumen.
Anschließend ging er in seine nächste Unterrichtsstunde, die mit einem völligen Desaster des Punktestandes der teilnehmenden Schulhäuser endete.

***



Der Winter in Hogwarts, wenn man von den Schneestürmen absah, hatte etwas zauberhaftes an sich. Und der Höhepunkt eines jeden verschneiten Tages war für drei Gryffindors mit Sicherheit die Schneeballschlacht zwischen ihnen auf der einen und Hagrid auf der anderen Seite. In Stunden wie diesen vergaß Ron für eine Weile auch, dass sein Bruder noch immer verschwunden war. "Niemals aufgeben!" schrie er vergnügt und seine beiden Mitstreiter riefen ausgelassen zurück "Niemals kapitulieren!" Eine ganze Anzahl von Schneebällen fanden ihr Ziel.
Wahre Schneeberge türmten sich auf dem Schlachtfeld um Hagrid herum auf, die er mit seinen mächtigen Händen zusammengeschoben hatte und nun lawinenartig auf die drei Freunde zuwarf. Zwar konnten die Schüler mit derartigen Mengen nicht aufwarten, doch dafür war die Antwort ein neues gezieltes Feuer kleiner Schneebälle, die ohne Schwierigkeiten die mächtige Gestalt des Halbriesen trafen.
Am Ende stürzten sich die siegreichen Jugendlichen auf Hagrid und mit Hermines neuestem Schlachtruf "Es lebe das Auenland!" warfen sie ihren Freund nieder.

Nachdem auch dieses Mal die Liga von Hermines mysteriösem Auenland gesiegt hatte, wälzten sich alle vergnügt im Schnee, so dass die Flocken nur so stoben. In diesem Durcheinander entging ihnen der Schatten, der über sie fiel und der zu Professor Snape gehörte.
Bevor dieser sich bemerkbar machen konnte, erwischte ihn eine Schneeladung aus Hagrids Hand, die eigentlich Ron galt, und das bis dahin ausdruckslose Gesicht des Zaubertrankmeisters verzog sich zu einer wütenden Grimasse.
"Schluss mit dem Unsinn!" ließ seine schneidende Stimme die winterliche Luft erzittern. Dabei sah er auf das Knäuel aus Leibern, Beinen und Armen herunter. Fast augenblicklich erstarb das Lachen der Kinder und das gespielte Wehklagen des Wildhüters.
"Oh, Professor!" Hagrid versuchte sich aus dem Schnee aufzurappeln. Er war um einiges größer als Snape und nicht einer seiner Schüler, trotzdem schaute er genauso schuldbewusst drein wie die drei Gryffindors. Natürlich war das absurd. Das Gelände um die Hütte war sein Territorium und es war unterrichtsfreie Zeit. Weswegen also das schlechte Gewissen? Die Antwort war banal einfach: weil sich unter Snapes Blick jeder schuldig fühlen musste. Wütend schüttelte Snape seine Haare aus und strich sie mit abweisender Miene zurück.
Zur Verwunderung der Schüler startete Hagrid einen Erklärungsversuch. "Wir haben Sie gar nicht kommen sehen, Professor!" Er trat an die dunkle Gestalt heran und begann, ungeschickt den Schnee aus Snapes Robe abzuklopfen. Mit dem Erfolg, dass nun auch noch der Schnee aus seinem wilden Haar und aus dem Bart auf Snape hernieder rieselte. "Das mit der Schneeladung tut mir leid."
Der Professor versuchte, Hagrids Bemühungen zu entgehen. Er wich einen Schritt zurück und wäre womöglich ausgerutscht, hätte der Riese ihn nicht am Arm festgehalten. "Hoppla, Professor, das wäre beinahe schief gegangen."
Snape schnaubte. Er war jetzt zu wütend, um mit einem Halbriesen und dem Dream-Team von Gryffindor lange zu diskutieren. Eine knappe Bewegung und er hatte sich aus Hagrids Griff befreit. Nicht für eine Sekunde ließ er die von Spiel und Kälte geröteten Gesichter der Jugendlichen aus den Augen. Würdevoll strich er den Schnee von seiner Robe. Hermine sah Ron und Harry bang an. Keinem von ihnen war das gehässige Zucken um Snapes Mundwinkel entgangen.
"Fünf Punkte Abzug für Gryffindor - für jeden von Ihnen. Und Sie, Hagrid", seine Stimme war eisiger als der winterliche Frost, "werden in 30 Minuten in meinem Büro sein."
Dann der übliche Abgang des Professors mit eiligen lautlosen Schritten und wehendem Umhang.
Die drei Gryffindors blieben noch einen Augenblick betreten stehen, bevor sie sich mit lautstarkem Protest Luft machten.
"Diese verdammte Krähe!" schimpfte Ron und starrte dem Professor nach. "Zu schade Hagrid, dass du nicht eine ganze Wagenladung voller Schnee über ihn ausgeschüttet hast."
"15 Punkte", stöhnte Hermine. "Und der Vorsprung zu den Slytherins ist schon so knapp." Sie ließ den Kopf hängen und keine noch so tröstenden Worte von Harry konnten sie aufmuntern.
Ron, noch immer damit beschäftigt über den Zaubertrankmeister zu wettern, wobei er nicht gerade wählerisch bei seiner Wortwahl war, kam nun zu der entscheidenden Frage. "Was hat diese alte Fledermaus hier überhaupt verloren?"
Der Halbriese klopfte sich den Schnee aus dem Bart. "Keine Ahnung, er hatte ja keine Gelegenheit gehabt es zu sagen."
Hermine sah zu dem Wildhüter hinauf. "Bekommst du jetzt Ärger mit Snape? Ich meine, immerhin hat er dich in sein Büro bestellt."
Jetzt lachte die große Gestalt und sein unbekümmertes tiefes Lachen steckte auch die drei Gryffindors wieder an. "Doch nicht wegen einer Ladung Schnee, oder?" Mit der vertrauten Herzlichkeit, die sie so an ihm liebten, zerzauste er ihre Haare. "Der Professor wird mich schon nicht umbringen!"
Also Ron zumindest war sich da nicht ganz so sicher.

***



Er war verdammt wütend und irgendetwas in ihm suchte nach einer Möglichkeit, diese Wut abzureagieren. Das wäre jetzt der richtige Moment die Klassenarbeit der Gryffindors zu kontrollieren, überlegte Snape mit einer gewissen Genugtuung.
Er betrat mit eiligen Schritten die Eingangshalle des Schlosses. Die je 5 Punkte Abzug waren eigentlich viel zu milde. Andererseits brachten die 15 Punkte die Slytherins doch ziemlich nahe an ihre Konkurrenten heran.
Ein wenig versöhnlicher gestimmt eilte der Zaubertrankmeister seinem Büro entgegen. Er strich sich mit der Hand durch das Haar, in dem die letzten Schneeflocken zu schmelzen begannen.
Im Hauptflur des Kerkerbereiches blieb er einen Moment stehen. Er vernahm gedämpfte Stimmen aus einem der sonst nicht genutzten Räumlichkeiten. Aha, seine Schüler probten wieder einmal an ihrem Theaterstück. Die Arbeit der 5. Klasse konnte warten. Beschwingt bog Snape in einen der Gänge ein und betrat den kleinen Saal unweit der Räume seiner Hausklasse.
Auf einer improvisierten Bühne, nicht mehr als ein Handbreit hohes Podest, stand Blanca Zabini, eine hübsche und sehr aristokratisch wirkende Erscheinung aus der 7. Klasse. William Owen behielt das Mädchen im Blick und half ihr, wenn sie Probleme mit dem Text bekam. Zabini war die ideale Besetzung für die stolze Königin von Frankreich.
Andere Schüler standen um das Podest herum und bemerkten ihren Hauslehrer nicht.

Isabelle / Zabini
So glücklich ende dieser gute Tag,
Die freundliche Versammlung, Bruder England,
Wie wir uns jetzo Eurer Augen freun,
Die Augen, die sonst wider die Franzosen,
Die ihre Richtung traf, nur in sich trugen
Die Bälle mörderischer Basilisken.
Wir hoffen günstig, solcher Blicke Gift
Verliere seine Kraft, und dieser Tag
Werd' alle Klag' und Zwist in Liebe wandeln.


Eine Pause entstand und Owen blätterte in seinem Text. "Jetzt wäre Heinrich wieder dran." Er blätterte zurück und sprach dann den Part.

Heinrich / Owen
Um Amen drauf zu sagen, sind wir hier.

Isabelle / Zabini
Ihr Prinzen Englands alle, seid gegrüßt!

Schon wollte der Herzog von Burgund auftreten, als die drohende Stimme des Hauslehrers die Probe unterbrach.
"Wo ist Ihr Heinrich? Wo steckt Mister Malfoy?"
Erschrocken drehten sich die Schüler herum. Ganz sichtlich geriet Owen in Erklärungsnot, aber er versuchte, Malfoy zu decken. "Ähm Sir, wir haben nur so, völlig aus der Reihe, geprobt."
Snape stand nun dicht vor der kleinen Schar.
"Und?"
Zunächst betretenes Schweigen. Es war nicht das erste Mal, dass Malfoy die Probe schwänzte, aber so etwas an Professor Snape zu verraten, war ganz gegen den Geist von Slytherin, zumindest wenn es um die eigenen Hausmitglieder ging.
"Er weiß es nicht", versuchte es Owen noch einmal.
"Warum geht dann keiner von Ihnen los und unterrichtet ihn davon?" Die Gestalt des Hauslehrers bekam eine drohende Aura und seine Stimme war nur noch ein leises eisiges Zischen. Die Jugendlichen verharrten wie erstarrt.
"Und zwar heute noch!" explodierte Snapes Temperament.
Owen stürzte kreidebleich davon.
Mit finsterer Miene musterte der Professor die Zurückgebliebenen. "In einer Stunde komme ich zurück und schaue mir die komplette Szene noch einmal an. Und zwar mit Heinrich."
Vor der Tür atmete der Hauslehrer der Slytherins entspannt durch. Das tat gut. So ein kleiner Wutausbruch beruhigte doch die Geister. Zu dumm nur, dass es seine eigenen Schüler traf. Aber ab und an war das auch mal nötig, wie sich zeigte.
Der junge Malfoy wurde langsam zu übermütig.

***



Etwas später, in einem anderen Klassenraum, probten einige eifrige Gryffindor-Erstklässler ihre zweite Szene. Drei als Muggel-Hexen verkleidete Mädchen hatten sich um einen Kessel versammelt.
Hermine kam, noch immer voller Schnee, hereingelaufen. "Tut mir leid, dass ich mich verspätet habe. Ich bin aufgehalten worden." Sie zog den dicken Umhang aus und griff nach dem Text der heutigen Szene. "Also gut, lasst uns anfangen. Bianca, nimm den Korb mit den Zutaten und stell ihn zwischen euch. - Macht das ganz einfach und locker", sprach sie den Schülerinnen Mut zu. "Tut so, als wolltet ihr einen wirklichen Zaubertrank brauen."
"Aber Professor Snape wird wissen, dass so was mit diesen Zutaten nicht klappt."
"Keine Sorge, Natalie, es soll ja auch nicht klappen. Es ist ein Theaterstück von Muggeln. Da wird nicht wirklich gezaubert. - Also los, fangt an."

Erste Hexe / Natalie
Die gelbe Katz' hat dreimal miaut.

Zweite Hexe / Helena
Ja, und einmal der Igel quiekt.

Dritte Hexe / Bianca
Die Harpyie schreit: - 's ist Zeit.

Erste Hexe / Natalie
Um den Kessel dreht euch rund,
Werft das Gift in seinen Schlund.
Kröte, die im kalten Stein
Tag' und Nächte, dreimal neun,
Zähen Schleim im Schlaf gegoren,
Sollst zuerst im Kessel schmoren!


Alle
Spart am Werk nicht Fleiß noch Mühe,
Feuer sprühe, Kessel glühe!


Das Feuer unter dem großen Kupferkessel wechselte seine Farbe durch einen kleinen Zauber, den Hermine ihnen beigebracht hatte. Die Zutaten, die die Mädchen hineinwarfen, begannen im Kessel zu köcheln. Etwas skeptisch sahen die Erstklässlerinnen auf das klebrige Gebräu. "Das kann doch nicht explodieren oder, Hermine?" Viel Vertrauen setzten die Mädchen nicht in diese Muggelbrauerei.
Unbemerkt von den Gryffindors schlichen sich Draco Malfoy und seine beiden Begleiter an die offene Tür und grinsten erwartungsvoll.

Zweite Hexe / Helena
Sumpf'ger Schlange Schweif und Kopf
Brat' und koch im Zaubertopf:
Molchesaug' und Unkenzehe,
Hundemaul und Hirn der Krähe;
Zäher Saft des Bilsenkrauts,
Eidechsbein und Flaum vom Kauz:
Mächt'ger Zauber würzt die Brühe,
Höllenbrei im Kessel glühe!


Alle
Spart am Werk nicht Fleiß noch Mühe,
Feuer sprühe, Kessel glühe!


Dritte Hexe / Bianca
Abgekühlt mit Paviansblut,
Wird der Zauber stark und gut.


Bianca nahm eine Phiole mit roter Flüssigkeit und goss den Inhalt in den beinahe vollen Kessel.
Fast augenblicklich begann es fürchterlich zu stinken. Dunkler Rauch stieg auf und das Gebräu im Kessel fing an, bedrohlich zu blubbern. Langsam wichen die Hexen zurück und warfen hilfesuchende Blicke zu Hermine hinüber, die verwundert das seltsame Schauspiel betrachtete. "Was soll das?"
Der Kessel begann zu singen und zu beben. Flüssigkeit schwappte über den Rand und dann explodierte alles.
Kreischend und schreiend retteten sich die Mädchen in die entfernteste Ecke des Raumes. Das ganze Klassenzimmer war voller ekligem stinkenden Schleim.
"Verschwinden wir!" Malfoy schob Goyle und Crabbe vor sich her. "Los, Beeilung."
Erst in sicherer Entfernung begannen die drei Slytherin lauthals zu lachen. "Habt ihr die Gesichter dieser blöden Weiber gesehen?" grölte Crabe.
Draco lehnte zufrieden an einem der Pfeiler auf dem Gang. "Da soll Professor Snape noch mal sagen, wir hätten bei ihm in Zaubertränke nichts gelernt."

Einige Minuten später stand Hermine noch immer fassungslos vor den Resten der Feuerstelle. Sie war weniger bekleckert als die Erstklässlerinnen, doch stank sie genauso eindringlich nach - was auch immer das war. Die kleine Explosion war natürlich nicht unbemerkt geblieben und so traf zwangsläufig auch die Hauslehrerin der Gryffindors ein.
Professor McGonagall sah sich kopfschüttelnd die Ausmaße des Schadens an.
"Wie konnte das nur passieren? - Ah, Professor Snape, gut dass Sie da sind."
"Einer Ihrer Schüler bat mich, hierher zu kommen."
Die Lehrerin wies auf das Chaos. "Die Mädchen haben die Hexenszene geprobt und dabei einen sogenannten magischen Trank gebraut." Minerva konnte sehen, was der Zaubertrankmeister von der Vorstellung hielt, dass Erstklässler einen magischen Trank brauten. "Natürlich keinen echten, sondern nur so, um die Szene zu beleben."
"In der Tat", Snape sah sich mit einem herablassenden Lächeln im Raum um und verzog dann angewidert die Nase, "eine sehr belebende und erfrischende Szene. - Wollten Sie die Zuschauer mit diesem Gestank betören, Miss Granger, oder gehört die Umdekorierung der Bühne mit zu Ihrem Stück?" Langsam trat der Zaubertrankmeister zu den Resten des Kessels und sah auf den klebrigen Brei herunter. "Nach fast fünf Jahren Zaubertrankkunde bei mir sollten Sie wissen, dass man nicht wahllos Zutaten in eine kochende Flüssigkeit wirft. Was haben Sie alles benutzt?"
Hermine holte tief Luft und zeigte dem Professor den Korb mit den Zutaten. Mit fachkundigem Blick musterte Snape die einzelnen Ingredienzien. Es war völlig willkürlich zusammengesuchtes Zeug und nichts davon hätte eine derartige Wirkung erzielen können. "Und was war in der Phiole drinnen?"
"Einfach nur rot gefärbtes Wasser. Es kam zum Schluss hinein."
Der Professor roch daran. "Also, Miss Granger, ich kann Ihnen sagen, dass dieses hier mit Sicherheit nicht bloß gefärbtes Wasser war. Es enthielt auch Springpulver. Wenn das mit einer erhitzten Flüssigkeit in Berührung kommt, sollte man lieber gleich den Kopf einziehen."
"Aber..."
"Es war ziemlich leichtsinnig von Ihnen, mit Springpulver zu experimentieren. Sie können von Glück reden, dass so etwas nicht in meiner Unterrichtsstunde passiert ist. Von dem Punktabzug würden Sie sich nie wieder erholen." Snape machte auf den Absatz kehrt. Vor McGonagall blieb er einen Moment stehen. "Ich denke, das Rätsel ist wohl gelöst und ich kann mich jetzt wieder wichtigeren Aufgaben zuwenden."
Damit rauschte er davon.

***



Der kurze Aufenthalt im Proberaum der Gryffindors hatte den Professor viel Zeit gekostet. Jetzt erwartete Hagrid ihn bereits in den Kerkern.
"Kommen Sie!" Snape winkte den Halbriesen hinein, der gut gelaunt das düstere Büro betrat. Für den Zaubertrankmeister war es eine erfreuliche Abwechslung, zu sehen, wie der Wildhüter interessiert an den Regalen entlang schritt und von einem zum anderen Male ein entzückendes "Oh!" und "Ah!" ausrief, als er die Präparate und Abbildungen oder Modelle exotischer Tiere betrachtete. Normalerweise hörte er nur "Ih!" und "Äh!" von seinen Gästen - den unfreiwilligen genauso wie den freiwilligen. Snape ließ sich hinter seinem Arbeitstisch nieder. Geduldig wartete er, bis sich Hagrid genügend an den Exponaten ergötzt hatte und nun schuldbewusst dreinschaute. "Verzeihen Sie, Professor, ich wollte nicht unhöflich sein, aber Ihre kleine Sammlung ist immer wieder faszinierend", jetzt entdeckte der Wildhüter ein neues Objekt seiner Begierde. "Ist das wirklich das Horn eines Erumpent? Die sind sehr selten und schwer zu bekommen. Haben Sie das Horn schon lange, Professor?" Snapes Geduld näherte sich ihrem Ende. Er räusperte sich gereizt und Hagrid drehte sich einsichtig um. "Aber deswegen werden Sie mich wohl nicht hergebeten haben. Nicht wahr, Professor?"
"Nein, Hagrid. Ich möchte Sie bitten, einen Auftrag für mich zu erledigen."
"Natürlich, selbstverständlich, Professor. Jederzeit. - Ähm, um was geht es denn eigentlich?"
Statt einer Antwort schlug der Zaubertrankmeister ein Buch auf und zeigte Hagrid eine bestimmte Stelle darin.
"Können Sie mir das hier besorgen?"
"Besorgen?" Hagrid betrachtete die Abbildung. "Wird nicht leicht, aber ich kenne da jemanden in der Nokturngasse. Es wäre möglich." Der Halbriese kratzte sich den Bart und betrachtete den Professor mit einem zweifelnden Blick. "Ähm, ich will ja nicht unhöflich erscheinen, aber weiß der Direktor davon?"
"Natürlich!" fauchte Snape und beugte sich bedrohlich über den Tisch. "Glauben Sie wirklich, ich würde so etwas gefährliches innerhalb der Mauern Hogwarts unterbringen, wenn er davon keine Kenntnis hätte?"
Der Halbriese nahm Snapes kleinen Wutausbruch gelassen hin. Er begann sogar erleichtert zu lächeln. "Na dann werde ich wohl auch keine Bedenken haben. Natürlich kümmere ich mich um diese Angelegenheit, Sir."
"Bringen Sie es auch fertig, sich diskret darum zu kümmern oder soll ich dieses kleine Vorhaben gleich an die Infotafeln der einzelnen Schulhäuser heften?" wollte Snape wissen.
Jetzt schien der Wildhüter doch ein wenig getroffen. "Ich werde schweigen wie ein Grab, Professor!"
"So wie bei der Sache mit dem Stein der Weisen?" hakte Snape giftig nach.
Diesmal sah der Zaubertrankmeister, wie sich der Halbriese etwas unverständliches in den Bart murmelte.
"Na schön, das wär's. Sobald Sie einen Verkäufer gefunden haben, besprechen wir alle weiteren Schritte. - Und nun entschuldigen Sie mich, ich habe noch eine Theaterprobe zu beaufsichtigen."

***



Eine Woche nach Dumbledores Ankündigung reiste Bill Weasley in Hogwarts an. Es war ein Sonnabend und die meisten Schüler der älteren Klassenstufen nutzten das ruhige Winterwetter für Ausflüge oder einen Besuch in Hogsmeade. Als ehemaliger Schüler kannte sich der Älteste der Weasley-Brüder bestens in Hogwarts aus und ließ sich auch nicht von dem ständig sich selbst umbauenden Schloss verwirren. Das Büro des Schuldirektors fand er ohne Probleme.
"Ich bin so schnell gekommen wie ich nur konnte." Bill Weasley setzte sich auf den angebotenen Platz. "Ich hoffe, ich kann helfen Professor Dumbledore."
"Ja, ich auch, Bill. Ich denke, dass der Unterricht für das Fach Verteidigung gegen die dunklen Künste nicht so problematisch für Sie ist. Was jedoch das Rätsel um das Gemälde Ihres Vorgängers angeht, so bin ich weniger optimistisch."
Dumbledore ließ sich müde hinter seinem Arbeitstisch nieder. In knappen Worten fasste er zusammen, was sich seit Beginn der Weihnachtsferien ereignet hatte. "Unsere gute Minerva haben wir wiederbekommen, dank der Hilfe von Severus Snape. Sie hat uns auch von ihren Beobachtungen mit dem Bild berichtet. Jeder, der vor dem Gemälde steht und Lockharts Abbild zuwinkt, wird unweigerlich hineingezogen. Vielleicht gibt es aber noch andere Auslöser. Von Severus wissen wir, dass Voldemort dahinter steckt."
"Ein Bild?"
"Lockharts Geschenk an die Schule, ein überdimensionales Porträt von ihm. Es hing bis vor kurzem am Eingang zur Großen Halle. Das dort abgebildete Schloss scheint zu leben. Es verändert sich auf eine Art, die nicht ganz den Bewegungen eines Bildes entsprechen. Und dann die Karte des Rumtreibers. Sie kennen diese Karte?"
"Die von den Zwillingen?"
"Ah, ich sehe, Sie sind gut informiert. Wir wissen, dass die Karte sich bisher nie irrte. Alles spricht dafür, dass die vermissten Personen wirklich in diesem Bild, wahrscheinlich in dem Schloss, gefangen sind und leben."
"Ein Fluch?"
"Mehrere, und ziemlich raffinierte zudem. - Schwarze Magie!"
"Ich möchte das Bild gern sehen."
"Ja, aber zuerst sollten Sie Ihr Quartier beziehen und da es bald Abendessen gibt, würde ich es begrüßen, wenn Sie mir die Ehre erweisen. Ich würde gerne den Schülern ihren neuen Lehrer vorstellen. Nach dem Essen treffen sich alle Professoren im Lehrerzimmer. Mister Filch hat bis dahin das Bild dort hingeschafft. Lassen Sie uns gemeinsam beraten."

***



Das Wochenende hätte angenehm werden können, aber Snape wusste, dass es leider nicht so sein würde. Es war Neumond und das übliche Monatstreffen der Todesser stand bevor. Er war also vorbereitet, als das Mal auf seinem linken Unterarm zu brennen begann. Unwillig griff Snape nach der vorbereiteten Schultertasche und zog sich einen dicken Umhang über. Auf dem Schlosshof strich Snape seinem Raben über das samtschwarze Gefieder. "Sei vorsichtig Ka, wenn wir nicht am üblichen Treffpunkt sind, flieg zurück und such nicht weiter."

Der Zaubertrankmeister apparierte auf der inzwischen vertrauten Lichtung. Sie war scheinbar Voldemorts bevorzugter Ort für die Monatstreffen.
Snape tauchte in der anonymen Masse der Kapuzen und Maskenträger unter, nachdem er sich selbst auch die Kapuze über den Kopf gezogen hatte. Verstohlen sah er sich um und versuchte, die anderen Todesser zu identifizieren. Einige von ihnen erkannte er an der Stimme, andere am Gang. Etwas abseits in einer Gruppe entdeckte er Malfoy als Redeführer. Severus hielt sich absichtlich von ihm fern.
Plötzlich sah er erstaunt auf. Er hörte dieses helle glockenartige Lachen. Das konnte nur Gwenda sein. Snape sah sich suchend um und glaubte, ihre Gestalt unter einer der dunklen Roben auszumachen. Verdammt! Sein Verstand ermahnte ihn, sich nicht mit ihr einzulassen, aber eine andere Stimme drängte ihn, sie anzusprechen. Bevor er sich jedoch zu einer Dummheit hinreißen lassen konnte, begannen sich Voldemorts Anhänger zu zwei Kreisen aufzustellen; einen äußeren für das Fußvolk, wie Snape sie bezeichnete, und einen inneren für Voldemorts Günstlinge. Er reihte sich beim Fußvolk ein. Voldemort traute ihm noch immer nicht, allerdings stand der Beweis seiner Loyalität auch noch aus. Vielleicht bekam er heute den Auftrag, der ihm die Gunst des Dunklen Lords garantierte? Es war fraglich, ob die Beschaffung eines Gemäldes ein ausreichender Loyalitätsbeweis ist.
Magische Lichter in den beiden Kreisen warfen unruhige Schatten auf die Anwesenden und erhellten die Lichtung gut genug, um grobe Umrisse erkennen zu können. Im inneren Kreis flammte es in der Mitte plötzlich auf und als das Feuer sich senkte, war Voldemorts große bedrohliche Gestalt erschienen. Augenblicklich beugten alle seine Anhänger das Knie und neigten ehrerbietig das Haupt. "Willkommen Meister!"

Voldemorts Ansprache war auf die Neuzugänge zugeschnitten und sollte sie hauptsächlich beeindrucken. Danach kamen die Initiationsriten. Snape wagte gar nicht daran zu denken, wie viele seiner ehemaligen Schüler dabei gewesen sein mochten. Wenn der Lord nicht bald gestürzt wird, würde er auch aus der jetzigen Abschlussklasse Schüler an ihn verlieren.
Es dauerte fast die ganze Nacht, so viele - beunruhigend viele - Neulinge wurden unter die Todesser aufgenommen.
Mühsam unterdrückte Snape ein Gähnen. Die Winternacht war reichlich frostig und er stand sich nun schon seit Stunden die Beine in den Bauch.
Endlich lösten sich die Kreise auf und Voldemort verschwand mit zwei seiner Anhänger, der Rest desapparierte mit leisem Plop. Einige blieben auf der Lichtung zurück und unterhielten sich angeregt.
Nichts wie weg hier, überlegte der Zaubertrankmeister und wollte verschwinden, als eine nur zu vertraute Stimme ihn zurückhielt.
"Warte noch einen Moment, mein düsterer Freund!"
Gwenda! Snape schloss für einen Moment erfreut die Augen, gönnte sich den Luxus eines kurzen Lächelns bis er zu seiner inneren Ruhe und seinem ausdrucklosen Gesicht zurückfand. Er drehte sich zu der Frau in der Todesser-Robe um.
"Schickt dich unser Meister?"
"Lass uns ein Stück gehen und die mondlose Nacht genießen." Lady Gwenda hakte sich bei dem widerstrebenden Mann unter und zog ihn ein wenig abseits zum Rande der Lichtung. Snape versuchte, sich von ihr zu befreien. Oh, sie roch immer noch verführerisch nach Rose und einem Hauch von Minze. "Ich habe keine Lust auf Spaziergänge unter dem Sternenzelt. Es ist zu kalt für traute Zweisamkeit, meine Schöne. Sag, was unser Meister will, oder lass mich zurück nach Hogwarts, mein Unterricht beginnt in nicht einmal fünf Stunden."
"Immer in Eile. - Also gut." Sie blieb stehen und sah ihn mit leicht schief gehaltenen Kopf an. "Was macht das Gemälde?"
"Dumbledore hält es unter Verschluss."
"Besteht die Chance, dass sich noch mehr Leute darin fangen lassen?"
"Nein. Es dürfen nur sehr wenige in die Nähe des Bildes. Im Grunde nur dieser Fluchbrecher und Dumbledore."
"Dann nutzt es uns nichts mehr. Lord Voldemort wünscht, dass du das Bild bei seinem nächsten Ruf mitbringst. Und es wird bald sein. Halte dich also besser bereit."
Snape nickte. "Ich nehme an bevor die Personen daraus befreit sind?"
"Ja, natürlich. Wir hatten gehofft, es würden sich mehr damit einfangen lassen. Schade. Aber es war sowieso illusorisch, damit zu rechnen, dass Potter darauf reinfällt. - Schaff das Bild her, Severus. Voldemort ist gereizt, weil es nicht so funktioniert hat, wie er es sich vorstellte. Liefere ihm keinen Anlass seinen Unmut an dir abzureagieren."
"Ich werde daran denken."
Inzwischen waren die beiden allein am Rande der Lichtung zurückgeblieben. Gwenda nahm ihre Maske ab und schob ihre Kapuze zurück. Ihr helles Haar schien in der Dunkelheit zu leuchten und umgab ihr schmales blasses Gesicht wie eine Aura. Der Zaubertrankmeister wich unmerklich zurück. Diese Hexe beherrschte einfach zu viele Tricks. Er kannte jeden einzelnen und war auch so ziemlich auf jeden davon reingefallen - und zwar sehr gerne.
"Womit kann ich dich nur mit mir aussöhnen, Severus? Wie stehen die Chancen für eine Entschuldigung?" gurrte sie. Ihre schmalen Finger strichen über seine Kapuze und streiften sie ihm vom Kopf. Sein dunkles Haar reflektierte den matten Schein der letzten magischen Lichter in ihrer Nähe, die nach und nach erloschen.
Die Stimme in seinem Kopf triumphierte bereits, doch Snape ließ es nicht zu. "Ziemlich schlecht, Gwenda!" Er wischte ihre Hand weg. Eine Entschuldigung von ihr? Das war lachhaft. Gwenda hatte doch nicht einmal eine Ahnung, wie man das Wort schreibt, geschweige denn, was es überhaupt bedeutete.
Die Frau begann zu schmollen.
Prima, schnaubte Snape innerlich. Szenario Nummer zwei. Hat sie mich schon immer für so dumm gehalten? "Versuch es erst gar nicht. Ich habe für dein Spiel nichts mehr übrig." Er riss sich von ihrem entzückenden Anblick los und desapparierte.
Gwenda gab ihr Schmollmündchen auf und lächelte verschmitzt. "Oh doch, Severus, denn du spielst es schon längst", lachte sie. Dann war auch sie verschwunden.

***



"Mister Weasley!"
Bill sah sich auf dem Gang um und entdeckte Snape, der gelassen zu ihm aufschloss.
"Was kann ich für Sie tun, Professor?"
"Mister Weasley, wie weit sind Sie mit Lockharts Gemälde?" Er blieb vor dem Mann mit den langen roten Haaren stehen und wartete.
"Noch immer unverändert. Einige einfache Flüche, die das Bild vor Beschädigung schützen konnte ich bereits aufheben. Bis zum eigentlichen Geheimnis des Bildes bin ich noch nicht vorgedrungen."
Einige Schüler drückten sich an den beiden Lehrern vorbei und rannten um die nächste Ecke. Snape sah ihnen mit giftigen Blicken nach, dann zog er Weasley zu einer Nische. Vorsichtig betrachtete er den Gang in beide Richtungen und wandte sich dann dem jungen Mann zu. "Mir wird die Zeit knapp, Bill. Der Lord will Ergebnisse und wird mich bald rufen. Ich soll ihm das Bild mit den Gefangenen ausliefern. Ihnen ist doch klar, was das bedeutet?"
Der neue Lehrer für Verteidigung gegen die dunklen Künste nickte nachdenklich. "Wie viel Zeit habe ich noch?"
Snape schnaubte verächtlich. Er sah an Bill vorbei aus dem Fenster auf die verschneite Landschaft. In der Ferne baute sich wie ein drohender Schatten der Verbotene Wald auf.
"Allerhöchstens bis zum nächsten Neumond. Wahrscheinlich wesentlich weniger."
"Und wenn ich es bis dahin nicht geschafft habe? Was wollen Sie dann tun?"
Der Zaubertrankmeister verzog das Gesicht. Seine Stimme triefte vor Sarkasmus. "Ich werfe einen Sickel. - Verdammt Weasley, für was halten Sie mich?" Wütend stampfte er davon.


 Kapitel 8

 Kapitel 10

 

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