Harry Potter und das Sonnenamulett

 

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Kapitel 11: Deletrius Magica


Am Samstagnachmittag suchte sich Harry ein ruhiges Plätzchen im Gemeinschaftsraum der Gryffindors. Er wäre zwar bei dem herrlichen Spätsommerwetter viel lieber nach draußen gegangen, doch hier im Gemeinschaftsraum würde er mehr Ruhe zum Nachdenken haben. Gestern Abend hatten die Auswahlspiele für die Quidditch-Mannschaft stattgefunden und für Montagabend hatte Harry das erste Training angesetzt. Bis Morgen Abend musste er sich im Klaren darüber sein, wen er in die Mannschaft aufnahm. Bei einigen Positionen war diese Frage bereits geklärt: Katie und Ginny würden Jägerinnen sein, er selbst natürlich Sucher. Ron würde Hüter bleiben, wobei Harry inständig hoffte, dass sein Freund seine Unsicherheit endlich überwinden würde und sich nicht immer wieder von den Sticheleien, vor allem von Malfoy und seinen Slytherin-Kumpanen, aus der Fassung bringen ließ. Gestern, bei den Auswahlspielen, war Harry Alan Morningstar, ein hochgewachsener Drittklässler mit blonden Ringellocken, als sehr talentiert auf der Position des Hüters aufgefallen. Wenn Harry ehrlich zu sich war, hätte er Alan den Vorzug gegeben, wenn Ron nicht sein bester Freund wäre. Aber vielleicht ließ sich für den talentierten Drittklässler auch noch eine andere Aufgabe finden? Treiber vielleicht? Morningstar hatte auch als Treiber einen guten Eindruck gemacht, jedenfalls einen besseren, als Sloper und vor allem Kirke, der es irgendwie geschafft hatte, dass der Klatscher, mit dem er eigentlich Ginny davon hätte abhalten sollen, den Quaffel ins Tor zu befördern, sein eigenes Knie getroffen und ihn vom Besen gefegt hatte, so dass man ihn erst einmal hatte in den Krankenflügel bringen müssen. Aber ansonsten hatte den neuen Mannschaftskapitän niemand als Treiber auch nur annähernd überzeugt. Harry begann, die vorläufige Mannschaftsaufstellung auf einem Pergament aufzuzeichnen. Wen sollte er bloß als dritten Jäger einsetzen?

"Hei, Harry." Ginny zog sich einen Stuhl heran und setzte sich neben ihn. "Was hockst du denn so allein hier drinnen, wo es draußen doch so warm ist, vielleicht zum letzten Mal in diesem Jahr?"
"Ich zerbreche mir den Kopf darüber, wie ich eine vernünftige Quidditch-Mannschaft zusammenstellen soll."
"Kann ich dir irgendwie dabei helfen?"
Harry lächelte erfreut. "Sag mir doch mal, wen du dir, außer dir selbst und Katie, noch als Jäger vorstellen könntest."
"Prima! Dann bin ich also in der Mannschaft? Danke, Harry, dass du mir 'ne Chance gibst." Sie lächelte strahlend.
"Ist doch klar, Ginny. Du warst schon als Sucherin gut, doch ich denke, dass Jägerin genau der richtige Posten für dich ist. Auch hab ich gestern gesehen, dass du gut mit Katie zusammenarbeitest."

Ginny errötete bei Harrys Worten und sagte: "Aber so gut bin ich nicht, ich hatte einfach nur Glück."
"Du musst bloß mehr Vertrauen in deine eigenen Fähigkeiten haben, dann klappt es. Und jetzt kommen wir noch mal zu meiner Frage zurück: Wen könntest du dir noch als Jäger vorstellen?"
Ginny überlegte eine Weile angestrengt, dann sagte sie: "Was hälst du von Linda Roderik?" Harry sah sie zweifelnd an. Er fand, dass die zierliche Zweitklässlerin mit den langen blonden Locken viel zu schüchtern und unentschlossen war, um der Aufgabe einer Jägerin gewachsen zu sein.

"Ich hab sie gestern genau beobachtet", sagte Ginny, "und ich habe das Gefühl, dass man mit entsprechendem Training viel aus ihr machen könnte. Ich habe natürlich gehofft, dass du mich in die Mannschaft nimmst und deshalb hab ich gestern sehr auf die Leute geachtet, die sich als Jäger gemeldet haben. Ansonsten wüsste ich auch nicht, wer geeignet ist."

Harry schob Ginny die Aufstellung hin und sie überflog das Blatt. "Mir ist Morningstar auch aufgefallen", sagte Ginny, "ich frag mich, warum der sich nicht schon im letzten Jahr gemeldet hat."
"Gut, dann mach ich es so", entschied Harry. "Ich nehm Alan und Linda in die Mannschaft und mit Jack Sloper werden wir's auch noch mal versuchen. Wenn ich mir die Mannschaft jetzt so ansehe, stell ich fest, dass wir alle in unterschiedlichen Jahrgängen sind. Das hat natürlich auch den Vorteil, dass wir nicht alle gleichzeitig mit der Schule fertig werden und dann wieder eine völlig neue Mannschaft zusammengestellt werden muss. Andererseits sind wir total unterschiedliche Typen und es wird ein hartes Stück Arbeit werden, daraus eine aufeinander eingespielte Mannschaft zu machen, die eine Chance hat."

In diesem Moment öffnete sich das Porträtloch und Hermine kam in den Gemeinschaftsraum, beide Arme voller Bücher und Zeitschriften.

"Was hast du denn vor", fragte Harry verblüfft, "hast du die ganze Bibliothek angeschleppt?"
"Ich konnte mich nicht entscheiden, da hab ich alles mitgebracht. So was Blödes ist mir noch nie passiert", schimpfte Hermine und warf ihre Last auf einen Tisch neben Harry und Ginny, "die ganze Woche über hab ich völlig vergessen, dass ich noch Professor Snapes Aufsatz schreiben muss und heute ist schon Samstag."
"Snapes Aufsatz?", fragte Harry verständnislos. "Aber davon weiß ich ja gar nichts."
"Aber Harry, wir müssen doch spätestens bis Montagmorgen um acht zwei Fuß über die Anwendung von Krötenhirn und Ginsengwurzel abgeben, das kannst du doch unmöglich vergessen haben!"
"Ich habe es nicht vergessen", berichtigte Harry ungehalten, "ich wusste überhaupt nichts davon."
"Die Aufgabe hat er uns gleich zu Beginn der Stunde, nachdem er das Zaubertrankrezept an die Tafel geschrieben hatte, gegeben", erklärte Hermine.
"Da war ich noch gar nicht da. Du hättest mir das ruhig schon früher sagen können."
"Tut mir leid, ich hab einfach nicht dran gedacht, aber du hättest mich auch fragen können. Es ist jetzt schon das sechste Jahr, in dem wir bei Professor Snape Unterricht haben und es hätte dir seltsam vorkommen müssen, dass wir bei ihm keine Hausaufgabe bekommen haben."
"Und dann gleich zwei Fuß! Ist Snape jetzt völlig übergeschnappt?"
"Er hat gesagt, weil wir den Aufsatz diesmal erst am Montagmorgen abgeben müssen, erwartet er eine besonders detaillierte und ausführliche Darstellung. Und jetzt lass uns aufhören, über die Sache zu diskutieren. Wir sollten lieber schleunigst mit unseren Aufsätzen anfangen."

Nach diesen Worten vergrub sich Hermine in ihren Unterlagen. Harry seufzte genervt. Widerwillig musste er Hermine Recht geben. Es hätte ihm wirklich auffallen müssen, dass sie von diesem unfairen Mistkerl keine Aufgabe bekommen hatten. Jetzt blieb ihm nichts anderes übrig, als den Rest des Samstags und, wahrscheinlich noch einen großen Teil des Sonntags mit diesem blöden Aufsatz zu verschwenden! Dabei hatte Harry eigentlich vor gehabt, nachdem er mit seinen Quidditchüberlegungen zu Ende gekommen war, hinauszugehen und Ron zu suchen, der in dieser Woche jede freie Minute damit verbracht hatte, zu trainieren. Oh, wie er Snape hasste! Dieser Kerl hatte wohl völlig vergessen, wie es war, Schüler zu sein! Ständig diese unnützen Aufsätze! Da kam Harry ein rettender Gedanke: "Hermine?"
"Was ist denn noch", fragte diese, eine Feder zwischen den Lippen.
"Ich hab keine Zeit mehr, diesen blöden Kram für Snape zu machen. Ich muss noch einiges für das Quidditch-Training vorbereiten. Lässt du mich ausnahmsweise morgen von deinem Aufsatz abschreiben?"
"Das kommt überhaupt nicht in Frage, Harry", antwortete Hermine bestimmt, "ich sehe keinen Grund, warum du das nicht schaffen solltest, wenn du, wie ich, jetzt sofort damit anfängst. Setz dich zu mir, du kannst gerne meine Unterlagen mitbenutzen. Wenn du fertig bist, lese ich deinen Aufsatz gerne noch einmal durch, aber abschreiben kommt überhaupt nicht in Frage. Was tust du denn, wenn Snape dir Fragen zum Inhalt stellt und du kannst nicht antworten? Und jetzt Schluss mit dem Gerede." Damit war für Hermine das Thema erledigt.

"Dann geh ich jetzt mal und überlass euch eurer Arbeit", verabschiedete sich Ginny und schlüpfte durch das Porträtloch.
Harry setzte sich widerwillig zu Hermine an den Tisch, breitete ein Pergament vor sich aus und griff genervt nach einem dicken Buch, das den Titel "Konzentrationsfördernde Elixiere" trug.

Das restliche Wochenende verging wie im Flug, doch am Sonntagabend war Harry zufrieden mit sich. Er hatte, wie er fand, doch noch einen ganz passablen Aufsatz für Snape hinbekommen, den Hermine dann Korrektur gelesen und an einigen Stellen verbessert hatte.

Am Montagmorgen eröffnete Professor Fenwick die Stunde mit der Konzentrationsübung vom letzten Mal. Harry war noch immer der Meinung, dass das Unsinn war.

"Wenden wir uns nun dem heutigen Thema zu", sagte Professor Fenwick schließlich, "wer kann mir etwas über die Neutralisierung magisch verhexter Objekte sagen?"

Hermines Arm schoss steil in die Höhe. Doch erstaunlicherweise meldete sich nicht nur Hermine, sondern nach einem Augenblick des unentschlossenen Zögerns war auch Nevilles Arm in der Luft.

"Ich habe in mehreren Büchern gelesen", begann Hermine, nachdem ihr Professor Fenwick zugenickt hatte, "dass eine Möglichkeit, magisch verhexte Objekte zu neutralisieren, der Deletrius-Magica-Zauber ist. Genau so wichtig, wie die Worte des Zaubers ist jedoch die Bewegung des Zauberstabes, die dabei ausgeführt werden muss. außerdem...."
"Sehr gut, miss Granger", unterbrach Professor Fenwick, "aber jetzt wollen wir doch auch noch Mr. Longbottom eine Chance geben, nicht wahr?"

Hermine warf der Lehrerin einen leicht beleidigten Blick zu. Diese sah Neville aufmunternd an.

"W...wenn der D...Deletrius-Magica-Zauber nicht funktioniert", begann Neville stotternd, "kann man versuchen, das Objekt dazu zu zwingen, einem seine Magie zu zeigen, mit dem Video-Magica-Zauber. Und dann muss man sich mit den einzelnen Teilen der Magie beschäftigen."
"Sehr gut. Jeweils fünf Punkte für Gryffindor", sagte Professor Fenwick und nickte Hermine und Neville zu.
"Wir werden uns heute zunächst mit dem Deletrius Magica-Zauber beschäftigen. Was bis jetzt noch nicht erwähnt wurde: dieser Zauber erfordert Ihre vollkommene Konzentration, ansonsten kann es zu unerwünschten Nebeneffekten kommen. Ich werde Ihnen den Zauber an einer verhexten Feder demonstrieren."

Die Lehrerin öffnete ihre Tasche und entnahm ihr einige Gegenstände. Sie breitete ein leeres Pergament vor sich aus und öffnete ein Etui, aus dem sie eine Feder nahm, die sie in ein Tintenfass tauchte. Kaum hatte Professor Fenwick die Feder auf das Papier gestellt, da begann diese schon, wie wild zu schreiben. "Deletrius Magica", sagte Professor Fenwick, die zweite Silbe des ersten Wortes und die erste Silbe des zweiten Wortes betonend. Dabei fixierte sie die Feder und machte mit dem Zauberstab eine V-förmige Bewegung. Die Feder kratzte noch einmal protestierend über das Pergament, dann blieb sie reglos liegen.

"Den Zauber hätte ich schon kennen sollen, als die Kimkorn mich damals interviewt hat", sagte Harry, "dann hätte ich vielleicht verhindern können, dass sie so einen Blödsinn über mich schreibt."
"Das hätte Ihnen nicht wirklich etwas genützt, Potter", antwortete Professor Fenwick mit einem säuerlichen Gesichtsausdruck, der nur zu deutlich zeigte, was sie selbst von der Reporterin hielt, "das Objekt kann jederzeit wieder verhext werden. Und nun, Freiwillige vor."

Professor Fenwick griff erneut in ihre Tasche und förderte einen weiteren Gegenstand zu Tage. Sie stellte einen Zierteller mit einer scheußlich bunten Katze, die sich bewegte und aufdringlich miaute, vor sich auf den Tisch. Harry stutzte. Irgendwoher kannte er dieses Ding doch.
"Ich fand dieses Objekt in einem Regal, als ich mein Büro einrichtete", sagte die Lehrerin, als hätte sie Harrys Gedanken gelesen, "wahrscheinlich hat meine Vorgängerin diesen Teller vergessen. Und jetzt, wer möchte es versuchen? Zwei Freiwillige bitte nach vorne."

Hermine und Parvati erhoben sich und schritten zum Tisch der Lehrerin. Hermine hob ihren Zauberstab, richtete ihn auf den Teller, machte die V-förmige Bewegung und sagte: "Deletrius Magica!" Die Katze hörte auf zu miauen und erstarrte, doch dann geschah etwas völlig unerwartetes: der Teller begann, sich mit einer weißlich-grauen Masse zu füllen, die Harry an zerkleinertes Krötenhirn erinnerte. Als der Teller voll war, begann die Masse rundherum auf den Tisch zu tropfen. In der Mitte des Tellers, wo vorher der Kopf der Katze zu sehen gewesen war, bildeten sich die Worte: "Ich muss noch aufschreiben, dass Krötenhirne nicht länger als drei Tage haltbar sind."

"Sehr schön", sagte Professor Fenwick ungerührt, "eine wunderbare Demonstration dessen, was passiert, wenn man beim Zaubern nicht voll bei der Sache ist. Professor Snape wäre sicherlich begeistert, wenn er wüsste, wie intensiv Sie sich auch außerhalb seiner Stunde mit dem Brauen von Zaubertränken beschäftigen, Miss Granger."

Hermine starrte die Lehrerin mit zusammengepressten Lippen entsetzt an, den Zauberstab immer noch auf den Teller gerichtet. Harry sah, dass Hermine den Tränen nahe war.
"Das ist total unfair. Ich war ganz bei der Sache", presste Hermine mühsam hervor. Und bei diesen Worten brach das Chaos los: Die Katze hatte sich nun unter der schleimigen Masse wieder hervorgekämpft und ihren Kopf erhoben. Gleichzeitig mit Hermine sprach die Katze deren Worte mit einer Stimme, die irgendwie an Professor Umbridge erinnerte. Parvati zuckte so heftig zusammen, dass sie mit ihrer rechten Hand, die auf dem Lehrertisch gelegen hatte, den Teller anstieß und dieser unter lautem Klirren zu Boden fiel und zerbrach. Die einzelnen Scherben begannen, ein Eigenleben zu entwickeln. Ein vielstimmiges Miauen hob an und jede Scherbe machte sich, eine Schleimspur hinter sich herziehend, auf den Weg durch den Raum. Wer versuchte, sich vor den Scherben in Sicherheit zu bringen, musste feststellen, dass sie einen hartnäckig verfolgten.

Als Harry das bemerkte, richtete er seinen Zauberstab auf eine Scherbe und versuchte es mit dem Deletrius Magica, doch zu seinem Entsetzen musste er feststellen, dass die Scherbe nur leicht zitterte.
‚So ein Mist', dachte Harry, ‚warum tut die Fenwick nichts?' Die Scherbe sprach mit der gleichen hohen Klein-Mädchenstimme Harrys Gedanken aus. Harry gewahrte, dass es einigen seiner Klassenkameraden ebenso erging.

"Alle zurück an die Wand", kommandierte Professor Fenwick und zeigte in Richtung des Kamins. Die Klasse begann, sich dort zu versammeln. Auch die Scherben bewegten sich nun in diese Richtung, weiterhin miauend oder Gedankenfetzen der Schüler aussprechend.

In diesem Augenblick klopfte es. Die Klassenzimmertür öffnete sich und Professor Snape trat ein. Er blieb an der Tür stehen und ließ seinen Blick interessiert über das Chaos schweifen.
"Kann ich Ihnen irgendwie helfen, Frau Kollegin?", fragte der Zaubertränkemeister mit öliger Stimme. Mit einem Blick auf Snapes Gesicht stellte Harry fest, dass dieser die Szene in vollen Zügen genoss. Professor Fenwick sah kurz zu Snape hinüber und Harry erkannte an ihrem leicht verlegenen Gesichtsausdruck, dass ihr die Situation äußerst unangenehm war. Dann richtete die Lehrerin ihren Zauberstab auf das Chaos am Boden und rief: "Reparo Teller!" Der Lärm ebbte ab und der scheußliche Teller stand wieder vor Professor Fenwick auf dem Tisch. Dann wandte sie sich Snape zu und ein erleichtertes Lächeln spielte um ihre Lippen.
"Danke, Herr Kollege, ich benötige Ihre Hilfe nicht. Wir hatten nur einen kleinen Unfall aber jetzt ist alles, wie Sie sehen, wieder unter Kontrolle."
"Sind Sie sicher?", fragte Snape leise mit einem Blick auf die immer noch überall verschmierte Krötenhirnmasse. "Wie ich sehe, bevorzugen Sie fachübergreifenden Unterricht. Höchst interessant. Ich muss jedoch zugeben, dass es sich, als ich gerade an Ihrem Klassenzimmer vorbei ging, für mich so anhörte, als hätten Sie, sagen wir, Ihre Fähigkeiten etwas überschätzt, und die Kontrolle verloren." Auf Snapes Gesicht erschien ein Grinsen, das deutlich seine Genugtuung zeigte.
"Das war zu keinem Zeitpunkt der Fall und ich sagte bereits, dass ich Ihre Hilfe nicht benötige", antwortete Professor Fenwick spitz und machte eine ungeduldige Handbewegung.
"Dann sollte ich ja beruhigt sein. Wenn die Sicherheit der Schüler gewährleistet ist, und Sie die Situation vollkommen im Griff haben, kann ich ja wieder gehen. Ich wünsche Ihnen auch weiterhin viel Erfolg." Er warf Professor Fenwick einen zweifelnden und zugleich überlegenen Blick zu, der dieser das Blut in die Wangen schießen ließ. Dann wandte Snape sich ab und verließ das Klassenzimmer.

Harry hatte die Szene interessiert beobachtet und seine Blicke amüsiert zwischen den beiden Lehrern hin- und herschweifen lassen. Er verstand überhaupt nicht, warum die Beiden sich nicht leiden konnten. Beide waren arrogant, zynisch und unfair. Harry fand, dass sie sich eigentlich blendend verstehen müssten, bei den vielen Gemeinsamkeiten, die sie hatten.

"Deletrius Magica", sagte Professor Fenwick, nachdem sich die Tür hinter Snape geschlossen hatte. Sie machte die Bewegung mit ihrem Zauberstab und die Katze, die die ganze Zeit herumgehüpft war und miaut hatte, erstarrte zwar, aber wiederum geschah etwas unerwartetes: Die Augen der Katze begannen zu glühen und auf der dem Kamin gegenüberliegenden Wand erschienen, für alle gut lesbar, in leuchtend grünen Lettern die Worte: "Verdammter Mist! Ausgerechnet jetzt muss die Fledermaus hier vorbeikommen!"

Die allgemeine Anspannung machte sich nun in einem anhaltenden Gelächter Luft. Professor Fenwick versuchte, ihre strenge, ernste Miene beizubehalten, was ihr jedoch nicht ganz gelang, denn ein angedeutetes Lächeln entschlüpfte ihrer Selbstkontrolle. Hermine, die die ganze Zeit mit versteinertem Gesicht dagestanden hatte, entspannte sich ein wenig, irgendwie schien sie durch die Entwicklung, die die Dinge genommen hatten, getröstet zu sein.
"Wie Sie sehen, Miss Granger", sagte die Lehrerin, "war auch ich nicht ganz bei der Sache. Machen Sie sich keine Gedanken, es ist keine Schande, einen Fehler zu machen. Im Gegenteil. Durch diese Demonstration durften wir alle eine Menge lernen."

Harry konnte an Hermines Gesicht ablesen, dass diese immer noch schwer gekränkt war. Er kannte sie gut genug, um zu wissen, dass Hermine Professor Fenwick diese Demütigung so schnell nicht verzeihen würde. Hermine straffte sich, reckte das Kinn nach vorn und sagte, nicht ohne Schärfe in der Stimme:
"Professor Fenwick, ich bitte Sie um eine Erklärung für das, was gerade geschehen ist. Ich habe nirgendwo gelesen, dass bei Anwendung des Deletrius Magica-Zaubers die Gedanken des Ausführenden wiedergegeben werden."
"Einen Augenblick", erwiderte Professor Fenwick gleichmütig, "nehmen Sie alle wieder Platz und dann sprechen wir über die Angelegenheit." Nachdem sich die Klasse wieder auf ihren Plätzen niedergelassen hatte, wiederholte Professor Fenwick noch einmal den Zauber und nach einem weiteren Schlenker mit ihrem Zauberstab war sowohl die Schrift, als auch die überall im Zimmer verschmierte Krötenhirnmasse verschwunden.

"Dieser Zauber", begann die Lehrerin schließlich ihre Ausführungen, "ist sehr vielschichtig. Seine Auswirkungen sind abhängig von der Magie des entsprechenden Objekts. Oberstes Gebot ist aber, wie ich vorhin gesagt habe, dass man absolut konzentriert ist, wenn man ihn ausführt. Das ist natürlich bei jedem Zauber so, aber hier können fatale Folgen auftreten. Im günstigsten Fall funktioniert der Zauber einfach nicht. Wenn man jedoch komplexere Magie löschen will, kann es, wie gerade eben, geschehen, dass das Objekt einen Teil der Magie, mit der es verhext ist, reflektiert und sich dieser dann gegen einen wendet. Dies ist jedoch nur möglich, wenn wir nicht ganz bei der Sache sind, also nicht unsere ganze Kraft auf unser aktuelles Tun lenken. Die Verbindung wird hergestellt, indem wir das verhexte Objekt fixieren. Ich habe sogar schon einmal erlebt, dass ein Zauberer, der den Deletrius Magica ausübte, im Augenblick der Reflektion seine Magie verlor. Es hat damals Jahre gedauert, bis er wieder seine volle Zauberkraft erreicht hatte. Ursache für sein Missgeschick war, nehme ich an, dass er selbst an seinem Tun gezweifelt hat und es so möglich war, dass die Magie des Objektes seine eigene Magie auslöschte. In der letzten Stunde hatte ich Ihnen angekündigt, dass ich demonstrieren würde, was passieren kann, wenn man beim Zaubern unkonzentriert ist. Nun, ich habe dies getan, indem ich den Teller mit einem Fluch belegt habe, der unsere Gedanken im Augenblick der Verbindung mit dem Objekt transparent gemacht hat, also genau den Teil an Energie, den wir nicht auf den Zauber verwendet haben."

"Aber das ist ja ein Spionagezauber", entrüstete sich Hermine, "die sind doch verboten."
"Ich finde es total unfair, dass Sie uns nicht vorgewarnt haben", sagte Ron hitzig.
"Glauben sie etwa, unsere Gegner kämpfen fair und mit erlaubten Mitteln." Die Züge der Lehrerin hatten sich verhärtet und ein Hauch von Sarkasmus lag um ihren Mund. "Sie können sich nur dann erfolgreich verteidigen, wenn Sie mit Ihren Gegnern und den Methoden, die diese anwenden, vertraut sind. Die Lektion, die Sie heute gelernt haben, werden Sie sicher nicht so schnell vergessen."

"Aber ich verstehe noch nicht ganz, woher auf einmal dieses Krötenhirn kam", sagte Lavender Brown.
"Das Auftauchen des Krötenhirns zeigt uns einerseits, dass Miss Granger gedanklich offenbar intensiv mit der Zaubertrankherstellung oder einer Hausaufgabe in diesem Fach beschäftigt war, als sie den Deletrius Magica ausführte, andererseits zeigt es uns aber auch, dass Miss Granger eine sehr gute Hexe mit kraftvoller Magie ist. Nur gute Zauberer und Hexen schaffen es, dass sich ihre Gedanken materialisieren. Das ist ja auch die Grundlage dafür, etwas aus dem Nichts heraufzubeschwören."

"Aber ich finde es trotzdem unfair, was Sie gemacht haben", ereiferte sich Ron noch einmal, "schließlich geht es niemanden etwas an, was man denkt."
"Mein Ziel war es nur, Ihnen plastisch die volle Tragweite des Deletrius Magica zu demonstrieren. Natürlich hatte ich nicht vor, jemand von Ihnen auszuspionieren."
Ron warf der Lehrerin einen Blick zu, als wäre er sich dessen gar nicht so sicher.

"Aber dann gibt es solche Spionagezauber, mit denen man die Gedanken der Leute sehen kann?", fragte Harry entsetzt. Snape hatte ihm doch in seiner ersten Okklumentikstunde erklärt, dass man keine Gedanken lesen könne.

Als Spionagezauber direkt würde ich das hier nicht sehen", erläuterte Professor Fenwick, "mein Fluch funktionierte ja nur aufgrund der Reflektionswirkung beim Deletrius Magica und auch nur in dem Augenblick, in dem das Objekt fixiert wird. Um Ihre Frage zu beantworten, Mr. Potter: Nein, mir sind zurzeit keine Spionagezauber bekannt, mit denen man die Gedanken der Opfer lesen könnte. Ich habe aber durchaus schon mit Spionagezaubern zu tun gehabt, bei denen Gegenstände so verhext waren, dass sie wie Abhöranlagen von Muggeln funktionierten. Das setzt voraus, dass es zwei verhexte Objekte geben muss, die miteinander verbunden sind. Das eine befindet sich bei dem, der spioniert und das andere bei demjenigen, der ausspioniert werden soll, aber das ist ein anderes Thema. Und nun lassen Sie uns den Zauber üben. Sie können sich entspannen. Ich versichere Ihnen, dass wir es jetzt nur noch mit harmlosen Gegenständen zu tun haben."

Der Rest der Stunde verlief ohne weitere Zwischenfälle. Die Klasse übte mit einer weiteren Feder, einer spuckenden Teetasse und einer hektisch blinkenden Glaskugel. In den meisten Fällen zitterte das Objekt nur leicht, nur Harry und Hermine schafften es, den Zauber einmal erfolgreich auszuführen.

"Als Hausaufgabe üben Sie den Zauber und jeder macht eine Ausarbeitung der Stunde", sagte Professor Fenwick am Ende des Unterrichts.
"Was sollen wir denn für Objekte benutzen, um den Zauber zu üben?", fragte Seamus.
"Seien Sie kreativ, verhexen Sie Gegenstände und üben dann daran. Oder wenden Sie sich vertrauensvoll an Mr. Weasley, er hat doch sehr findige Familienangehörige auf diesem Gebiet, die Sie sicher gerne mit Übungsmaterial versorgen werden. Die Stunde ist beendet, Sie können gehen."

***



Severus Snape machte sich, immer noch genüsslich grinsend, auf den Weg zum Lehrerzimmer. Das geschah der arroganten Fenwick recht. Heute hatte sie die Quittung für ihr Verhalten in Severus' UTZ-Kurs am letzten Montag erhalten. Der Zaubertranklehrer hatte zu keinem Zeitpunkt ernsthaft geglaubt, dass Fenwick nicht alleine mit der Situation fertig werden konnte, sonst hätte er direkt eingegriffen, als er das Klassenzimmer betreten hatte. Als Severus im Vorbeigehen das Spektakel aus dem Klassenzimmer gehört hatte, war er neugierig geworden und dann hatte er der Versuchung, die alte Krähe in Verlegenheit zu bringen, nicht widerstehen können.

Und noch etwas Gutes hatte das ganze. Severus' Laune, die vorher auf dem Tiefpunkt gewesen war, hatte sich etwas gebessert. Er fühlte sich wie zerschlagen an diesem Morgen, sein ganzer Körper schmerzte und er war zum Umfallen müde. Gestern Abend hatte ihn der Dunkle Lord schon wieder gerufen. Voldemort hatte Severus zusammen mit vier anderen Todessern zu einem Einsatz geschickt, bei dem ein Aurorenehepaar und dessen Kinder getötet werden sollten. Diesmal hatte Severus die Morde verhindern können. Die Familie hatte schon längere Zeit auf Voldemorts schwarzer Liste gestanden und Severus hatte Albus schon am letzten Montag über die Gefahr, in der sich die Familie befand, informiert. Die Leute waren rechtzeitig in Sicherheit gebracht worden und die Todesser hatten bei ihrer Ankunft nur ein verlassenes Haus vorgefunden. Doch später hatten sie alle die Wut des Dunklen Lords über den missglückten Einsatz in Form von Misshandlungen zu spüren bekommen. Es war bereits fünf Uhr morgens gewesen, als Severus endlich ins Schloss zurückgekommen war. Severus seufzte und fragte sich, wie lange er dies alles noch durchhalten konnte.

Schlagartig war das Hochgefühl der Szene, die er in Fenwicks Klassenzimmer miterlebt hatte, wieder verflogen. Auf einmal drängte sich eine ungebetene Erinnerung in den Vordergrund seines Bewusstseins. In der Nacht, als Violet plötzlich auf dem Nordturm aufgetaucht war, hatte Severus sich für einen Augenblick gewünscht, sie möge bleiben. Wütend schob er diesen Gedanken beiseite und fragte sich, ob das die ersten Anzeichen dafür waren, dass er durchdrehte.

Inzwischen war der Meister der Zaubertränke beim Lehrerzimmer angekommen. Er drückte energisch die Türklinke herunter und trat ein. Erleichtert stellte Severus fest, dass keiner seiner Kollegen anwesend war. Er ging hinüber zu seinem Fach und entnahm ihm einen Stapel Aufsätze, die er in der noch verbleibenden Zeit bis zur nächsten Stunde korrigieren wollte, um sie nachher dem UTZ-Kurs zurück zu geben. Das war mal wieder typisch: außer Zabini, Turpin und Abbott hatten alle anderen Schüler ihren Aufsatz erst in der letzten Minute abgegeben, seltsamerweise dies Mal sogar die sonst so übereifrige Granger.

Severus verließ das Lehrerzimmer wieder und ging hinunter in sein Büro. Dort setzte er sich an seinen Schreibtisch und beschwor eine große Tasse starken Kaffee herauf. Vielleicht brachte ihm das seine Lebensgeister wieder. Gawyn flog von seiner Stange auf und ließ sich auf der Schulter des Mannes nieder. Der Vogel schmiegte zärtlich seinen Kopf an Severus' Wange und begann, an seinem Ohrläppchen zu knabbern.

Der Blick des Zaubertränkemeisters glitt hinüber zu der Tür, die in sein Labor führte. Einen Augenblick lang spielte er mit dem Gedanken, einen kleinen Schluck seines Klarheitstrankes einzunehmen, doch entschied sich Severus dagegen. Erst gestern, bevor er zum Dunklen Lord gegangen war, hatte er von dem Trank genommen, was auch sinnvoll gewesen war, denn Voldemort hatte nach dem Scheitern der Aktion unter anderem auch den Verita-Fluch angewendet. Dank des Trankes hatte Severus diesem mühelos Widerstand leisten können.
Der Lehrer schob die Erinnerungen an den gestrigen Abend beiseite und konzentrierte sich auf die Korrektur der Aufsätze.

Fünf Minuten vor Beginn der Stunde ging Severus hinüber in sein Klassenzimmer. Er wollte vor dem UTZ-Kurs dort sein, denn auch dieses Mal würde er die Paare der Schüler, die zusammenarbeiten sollten, zusammenstellen. Der Zaubertranklehrer war im Großen und Ganzen zufrieden mit den Tränken, die die Klasse in der letzten Stunde zusammengebraut hatte. Auch die Aufsätze waren ganz passabel, wenn man einmal davon absah, dass die meisten Schüler, wie Severus immer wieder feststellte, viel zu oberflächlich an die Sache herangingen. Sogar Potter hatte, trotz seines unverschämten Zuspätkommens in der letzten Stunde, wider Erwarten, einen brauchbaren Trank zustande gebracht. Severus nahm sich vor, den Jungen auch heute wieder besonders scharf zu beobachten. Einen Augenblick überlegte er, ihn heute mit Draco Malfoy zusammenarbeiten zu lassen, doch verwarf er diesen Gedanken wieder. Das würde sich der Lehrer für ein andermal aufsparen.

Wenn Severus ehrlich zu sich selbst war, musste er sich eingestehen, dass sein Verhalten Potter gegenüber alles andere als fair und gerecht war. Doch war dies nur der Ausgleich dafür, dass alle anderen den Jungen immer als etwas besonderes behandelten, ihn mit Samthandschuhen anfassten und ihm sämtliche Regelbrüche ungestraft, oder nur mit lächerlichen Konsequenzen durchgehen ließen. Warum begriff eigentlich niemand, dass Disziplin, Härte und Herausforderung die einzige Möglichkeit war, den Schülern beizubringen, sich im Leben zu behaupten. Und Potter brauchte bei seiner Tendenz zu diesem verdammten Gryffindor-Heldentum und seiner Arroganz besonderes Training in dieser Hinsicht.

Die Glocke läutete und Severus öffnete mit einer Bewegung seines Zauberstabes die Tür des Klassenzimmers. Die Schüler betraten den Raum. Severus setzte sofort eine drohende Miene auf und wandte sich an die Klasse: "Nehmen Sie Platz. Gleiche Sitzordnung, wie beim letzten Mal. Potter, zu mir." Der Lehrer fixierte den Jungen und Potter warf ihm einen hasserfüllten, wütenden Blick zu.

"Das ist unfair, Sir", sagte Potter aufgebracht, "ich musste schon in der letzten Stunde allein arbeiten."
"Sie haben keinen Grund, sich zu beschweren, Potter", erwiderte Severus mit sanfter, leiser Stimme. "Sie sind einer der Schüler, die nicht die Anforderungen erfüllen, die ich üblicherweise an die Teilnehmer meines UTZ-Kurses stelle. Sie und alle, die nur ein E in ihrer ZAG-Prüfung erreicht haben, nehmen nur auf ausdrückliche Anweisung des Schulleiters an diesem Kurs teil. Da ist es nur logisch, dass ich Ihnen meine ganz besondere Aufmerksamkeit zuteil werden lasse, um zu gewährleisten, dass Sie das hohe Niveau, das ich in diesem Kurs voraussetze, nicht zum Absinken bringen. Ende der Diskussion."

Severus wandte sich von Potter ab, der trotzig zu seinem Platz hinüberging, und begann, den Schülern ihre Aufsätze und Zaubertrankproben zurückzugeben. Potters Trank hatte er mit einem E, seinen Aufsatz mit einem A benotet. ‚Jetzt hab ich noch nicht einmal Punkte von Gryffindor abgezogen', dachte Severus, ‚heute bin ich wirklich nicht in Form.'

Die Stunde verlief ohne nennenswerte Ereignisse. Severus ließ die Klasse eine Tinktur zur Linderung von Fluchverbrennungen brauen. Potter verhielt sich ähnlich, wie in der letzten Stunde. Der Junge arbeitete verbissen, dem Lehrer ab und zu hasserfüllte, trotzige Blicke zuwerfend. Severus starrte jedes Mal drohend zurück. Auch diesmal lieferte Potter am Ende der Stunde eine Phiole ab, deren Inhalt auf den ersten Blick den Anforderungen zu entsprechen schien.

Nachdem der Zaubertranklehrer die Schüler entlassen hatte, begann er damit, das Klassenzimmer aufzuräumen. Gut, mit dem jetzigen Verhalten Potters konnte er leben. Der Junge schien sich in diesem Schuljahr, wider Erwarten, sogar ernsthaft Mühe zu geben. Begriff er endlich, worum es ging? Doch gleichzeitig musste Severus sich eingestehen, dass ihn Potters arrogantes, trotziges Auftreten immer wieder in Rage brachte, erinnerte es ihn doch ständig an James. Severus verachtete sich selbst dafür, dass er nicht längst über diesen Dingen stand, wo er doch sonst ein Meister darin war, seine Emotionen zu kontrollieren, ansonsten wäre er heute nicht mehr am Leben.

Severus schämte sich zutiefst, wenn er an sein Versagen bei Potters Okklumentikunterricht dachte. Wie hatte er nur derart die Kontrolle und Selbstbeherrschung verlieren können, als er den Jungen dabei erwischt hatte, wie dieser seine Erinnerungen in dem Denkarium gesehen hatte. Vor allem, dass er Potters Unterricht abgebrochen hatte, ohne mit dem Direktor darüber zu reden, war ein schwerer Fehler gewesen. Albus hatte ihm zwar nie einen Vorwurf deswegen gemacht, er schien sich eher selbst die Schuld daran zu geben, dass er den Zaubertränke-Meister überhaupt mit den Okklumentikstunden beauftragt hatte, doch Severus würde sich diese Schwäche nie verzeihen. Wie konnte er sich damals nur dermaßen von seinen Emotionen hinreißen lassen.

Wenn Severus Potters unerträgliche Veranlagung, den Helden zu spielen und seine Uneinsichtigkeit die Notwendigkeit des Unterrichts betreffend, in Betracht zog, war er sich zwar nicht sicher, ob der unselige Ausflug des Jungen zum Ministerium, der schließlich Blacks Tod zur Folge gehabt hatte, hätte vermieden werden können, wenn Severus nicht versagt hätte, doch ein Restzweifel blieb. Obwohl Severus fand, dass er hinsichtlich Black sein Möglichstes getan hatte. Er hatte Black an jenem Abend mehrfach versucht, klarzumachen, was für eine verrückte Idee es war, als meistgesuchter Mann des Ministeriums ausgerechnet dorthin zu marschieren, um den Helden zu spielen, wobei doch Blacks Teilnahme wirklich nicht unbedingt erforderlich gewesen wäre. Aber was wollte man bei einem verdammten Gryffindor schon anderes erwarten. Jedoch der Gedanke daran, dass die sechs Teenager, die diesen unsäglichen Tripp ins Ministerium gemacht hatten, um, wie sie glaubten, Sirius zu retten, gegen die Todesser keine Chance gehabt hätten, wären die Ordensmitglieder nicht rechtzeitig im Ministerium eingetroffen, verursachte bei Severus jetzt noch ein leichtes Schwindelgefühl. Severus' Befürchtungen, dass Potters unerträglicher Hang zum Heldentum und sein grenzenloses Bedürfnis nach Anerkennung und danach, sich zu beweisen, früher oder später zu einer Katastrophe führen würde, bei der Potter sich und/oder andere in ernsthafte Lebensgefahr brachte oder sogar tötete, hatten sich aufs dramatischste bewahrheitet. Wenn Severus den Schulleiter in der Vergangenheit auf die Gefahren, die er sah, hingewiesen hatte, hatte dieser stets abgewinkt und erklärt, der Slytherin solle nicht überreagieren und sich endlich bewusst machen, dass Harry nicht James war. Der Zaubertrank-Lehrer war sich keineswegs sicher, dass Albus aufgrund der schmerzlichen Erfahrungen im Juni wirklich begriffen hatte, dass es nicht gut für Harry Potter war, wenn man die Tendenzen des Jungen durch Sonderbehandlungen noch verstärkte. Die Tatsache, dass Potter nun in Severus' UTZ-Kurs saß, zeigte deutlich, dass der Direktor immer noch nicht unparteiisch handelte, wenn es um Potter ging.

Severus verließ das Klassenzimmer und ging in seine Privaträume hinüber. Glücklicherweise war Mittagspause. Der Lehrer würde nicht in die Große Halle hinaufgehen, denn er hatte ohnehin keinen Hunger. Vielmehr würde er die Zeit nutzen, um ausgiebig zu duschen.
Er genoss den heißen Strahl, der über seinen Körper spülte. Er gab sich, wie so oft, der Vorstellung hin, dass das Wasser nicht nur seinen Körper, sondern auf wundersame Weise auch seine Seele reinigen könne. Als der Meister der Zaubertränke seine Haare wusch, zeigte sich, wie so oft, wenn er dies tat, ein gleichzeitig sarkastisches und resigniertes Lächeln auf seinem Gesicht. Das Leben war wirklich grotesk. Da war er nun schon über zehn Jahre Meister der Zaubertränke, stand kurz vor der Fertigstellung des Unsichtbarkeitstrankes und hatte schon diverse hochdotierte Auszeichnungen für die Erfindung einiger hochkomplizierter Zaubertränke erhalten und doch war es ihm bis heute nicht gelungen, ein Mittel zu erfinden, das verhinderte, dass seine Haare spätestens vier Stunden nach dem Waschen, wieder so fettig waren, als wären sie längere Zeit nicht mit Wasser und Shampoo in Berührung gekommen.

Nachdem sich Severus abgetrocknet hatte, rieb er sich mit einer Flüssigkeit ein, die, wie er hoffte, dafür sorgen würde, dass seine Gliederschmerzen endgültig verschwinden würden. Er spielte kurz mit dem Gedanken, sich noch eine halbe Stunde hinzulegen, doch entschied sich Severus dagegen. Nachdem er sich wieder angekleidet hatte, ging der Lehrer hinüber in sein Büro und setzte sich an seinen Schreibtisch. Er würde noch eine Tasse Kaffee trinken und dann die verbleibende Zeit bis zum Nachmittagsunterricht nutzen, um einen Trank gegen Migräne zu brauen, den Poppy Pomfrey bei ihm bestellt hatte.




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