Sein und Schein

 

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Kapitel 11: Der Sturm

 



Teil 2
Tobby war mit Schlag Fünf Uhr ins Büro des Schuldirektors geeilt. Er stand an dessen Bett und rüttelte ihn zaghaft wach.
"Entschuldigen Sie, Direktor", begann er zitternd und unter vielen Verbeugungen, dass er es gewagt hatte, unaufgefordert einzudringen. Hinter ihm stand ein sehr wütender Dobby, der mit verschränkten Armen nur gezwungenermaßen die Frechheit des anderen Hauselfen duldete. Tobby hatte sich weder durch Einschüchterung noch durch Argumente davon abhalten lassen, Albus Dumbledore um diese Zeit zu wecken.
"Tobby?" Dumbledore tastete nach seiner Brille. Sofort war Dobby da und reichte sie ihm.
"Er ließ sich nicht abwimmeln", empörte sich der Hauself und bedachte Tobby mit einem bösen Blick.
Tobby ließ für einen Moment die Ohren hängen, riss sich aber gleich wieder zusammen. Er hatte einen Auftrag von seinem Professor zu erfüllen und keiner sollte ihn davon abhalten können. Er musste um Fünf Uhr Dumbledore aufsuchen und jetzt war es bereits wenige Minuten nach Fünf. Er war ein ordentlicher Hauself und nicht so ein Freigelassener wie Dobby. Im Gegensatz zu ihm nahm er seine Aufgaben noch ernst.
"Professor Snape hat mir aufgetragen, Sie zu informieren, wenn er bis Fünf Uhr nicht zurück ist, Sir!" erklärte Tobby sein Eindringen.
Dumbledore war inzwischen aus dem Bett gestiegen und in seinen Morgenmantel geschlüpft.
Er bedachte den Hauselfen mit einem besorgten Blick.
"Wo ist der Professor?" wollte er wissen, obschon er die Antwort bereits ahnte. Der Hauself schwieg und sah sich nach Dobby um. "Tobby behält die Geheimnisse seines Professors für sich." Wieder bedachte er Dobby mit einem vielsagenden Blick. "Ich darf es nur dem Direktor sagen."
"Ah, verstehe." Albus Dumbledore nickte. "Dobby, du kannst gehen. Ich komme allein zurecht."
"Ja, Direktor." Dobby schnippte mit den Fingern. Sofort löste sich der Hauself in Rauch auf.
"Zufrieden, Tobby?" erkundigte sich der Direktor freundlich. Er ließ sich schwer hinter seinen Arbeitstisch auf den Stuhl mit der hohen Rückenlehne fallen. Tobby nickte und sprang auf den Tisch, um Dumbledores Fragen zu beantworten.

Minerva McGonagall war sehr beunruhig, als sie zu der ungewöhnlich frühen Stunde zum Direktor gebeten wurde. Unterwegs begegnete sie Bill Weasley und auch Hagrid polterte hinter ihr die Treppe zu Dumbledores Büro hinauf. Flitwick und Sprout trafen kurz nach ihnen ein.
Der Direktor empfing die Lehrer mit einem sorgenvollen Gesicht. Er saß noch immer mit seinem Morgenmantel hinter dem Arbeitstisch. Hinter ihm auf der Rückenlehne seines Sessels hockte Fawkes. Er wirkte ähnlich bekümmert.
Ohne Umschweife berichtete Albus Dumledore seinen Kollegen von Severus' Weggang und seinem Verschwinden.
McGonagall setzte sich erschüttert auf einen freien Stuhl. Hagrid schaute betreten drein und auch Weasleys Miene zeigte Betroffenheit. Professor Sprout schniefte verstohlen. Flitwick ließ sich neben Minerva auf seinem üblichen Platz nieder. Fast zwangsläufig sahen alle auf den leeren Sessel, in dem Severus zu sitzen pflegte.
"Ob er ..." Die Hauslehrerin der Gryffindor vermochte den Satz nicht zu beenden.
"Ich möchte davon nicht ausgehen, Minerva, noch nicht. - Hagrid, bitte gehen Sie hinaus in den Verbotenen Wald. Sehr wahrscheinlich ist Severus verletzt und braucht Hilfe. Suchen Sie alles ab, lassen Sie nichts aus und nehmen Sie sich dafür so viel Zeit, wie Sie brauchen."
"Direktor, ich habe heute Vormittag Unterricht für Magische Geschöpfe. Was mache ich damit?"
"Der fällt aus."
"Ich breche sofort mit Fang auf." Der Halbriese nickte den Anwesenden zu und versuchte ein optimistisches Lächeln. Dann war er bereits zur Tür hinaus.
"Was ist mit seinem Raben?" fragte Professor Flitwick. "Er hat ihn doch immer begleitet."
Der Direktor sah zu Fawkes auf. "Ka ist auch noch nicht zurückgekehrt. Das lässt mich etwas hoffen." Für einen Moment blieb es still in dem Büro und nur das leise Gurren des Phönix war zu vernehmen. Jeder der Lehrer hing seinen Gedanken nach. Schließlich zwang sich Dumbledore, wieder an den aktuellen Tagesplan zu denken.
"Madam Sprout. Heute ist die schriftliche ZAG Prüfung des 6. Jahrgangs in Zaubertränke. Die Prüfungsaufgaben wird Ihnen Tobby aus Severus' Büro geben. Er weiß, wo sie sind. Übernehmen Sie die Aufsicht. Ihr Unterricht für Kräuterkunde fällt dafür aus."
Die kleine rundliche Hexe nickte nur.
"Bill", Albus sah den jungen Zauberer an, "Sie möchte ich bitten, weiter an diesem Bild zu arbeiten. Ich fürchte, dass Severus' Verschwinden damit zu tun hat. Brechen Sie den Bann und befreien Sie die Kinder. Voldemort wird erst zufrieden sein, wenn er sein Ziel erreicht hat."
"Natürlich."
"Professor Flitwick wird Ihnen zur Seite stehen, wenn Sie ihn brauchen."
Bill nickte.
"Also gut. Für Sie alle gilt: versuchen Sie, den Schulbetrieb aufrecht zu erhalten, aber wenn es sein muß, fällt der Unterricht aus."
"Was sagen wir den Kindern?" Minerva McGonagall atmete tief durch. "Unsere Aktivitäten werden ihnen nicht verborgen bleiben."
"Das ihr Lehrer für Zaubertränke erkrankt ist und sich daraus Verschiebungen im Stundenplan ergeben. Mehr wage ich nicht", gab Albus zu verstehen.
"Und wer kümmert sich um die Slytherins?" fragte sie weiter.
"Vorerst werden die Vertrauensschüler das erledigen."

***



Das Licht war gleißend und schmerzte in den Augen. Stöhnend schloss Severus sie wieder. Vergeblich versuchte er die Hand zu heben, um die Augen abzuschatten. Er bekam keine Kontrolle - weder über die eine noch über die andere Hand.
Als er endlich einen neuen Versuch startete und die Augen nur ein wenig öffnete, konnte er Konturen erkennen. Der Raum war hell und weit, obwohl schwere Vorhänge aus silberfarbenem Brokat die hohen gotischen Fenster halb verdeckten.
Die Gerüche um ihn herum waren gleichermaßen fremd und vertraut. Rose mit einer kleinen Spur Minze. Vorsichtig hob er den Kopf, doch Schmerz brandete durch seinen Körper. Der Kampf tobte in seinen Eingeweiden. Vor Pein krümmte sich Severus' Körper zusammen, so dass die Muskeln protestierten. Es gab Flüche, die man einfach nicht überleben sollte, resignierte er halb betäubt.
Keuchend grub der Zaubertrankmeister die Finger in die Decke, dann war es endlich vorbei.
Severus ließ sich in die Kissen fallen. Eine barmherzige Dunkelheit legte sich wieder über ihn und er glitt zurück in den traumlosen Schlaf.
Lady Gwenda saß in einem Sessel neben dem Bett und beobachtete den Zaubertrankmeister. In den seltenen Momenten, wo er erwachte, versuchte sie ihn mit Medizin zu versorgen, mit Heiltränken oder einfach nur mit Wasser. Das Fieber sank nicht und verbrannte weiter von innen seinen Körper. Die Genesung verlief nur schleppend. Sie verstand etwas von Zaubertränken, doch sie war keine ausgebildete Heilerin. Aber gegen Voldemorts Flüche gab es sowieso keine wirkungsvollen Gegenzauber.
Wie konnte ein menschliches Wesen nur so viel Schmerz ertragen ohne zu sterben? Sie sah neugierig auf die blasse Gestalt, die da gespenstisch und zerstört in dem Bett lag. Die anderen waren alle letzte Nacht unter Voldemorts Flüchen umgekommen - trotz ihrer eigenen inneren Magie, die sie stärkte. Voldemort hatte Severus auch diese vorher genommen - und trotzdem hatte er überlebt.
Bis jetzt zumindest.

In den folgenden Stunden wurde Snape immer öfter schmerzhaft aus dem Schlaf gerissen. Die Anfälle schüttelten seinen Körper, ließen ihn zusammenzucken und sich in den zerwühlten Laken krümmen, bis der Krampf nachließ und er wieder in die Schwärze zurückfiel.
In Momenten wie diesen setzte sich Gwenda neben Severus aufs Bett. Sie sprach mit ihm, versuchte ihn zu beruhigen. Doch Severus erkannte sie nicht.

***



Die Neuigkeiten hatten bis zum Frühstück bereits die Runde gemacht. Aufgebracht und schnatternd tauschten sich die Schüler an den Tischen miteinander aus.
Harry und seine Freunde steckten die Köpfe zusammen. "Da stimmt was nicht", meinte Hermine. "So krank kann Snape gar nicht sein, als dass er die Prüfungsaufsicht in Zaubertränke einem anderen überlässt."
"Vielleicht hat Bill mehr gehört? Ich werde ihn nachher fragen, bevor er zum Unterricht geht", schlug Ron vor.
"Offen gestanden, glaube ich", Harry senkte die Stimme zu einem kaum vernehmbaren Flüstern, "dass es mit Voldemort zu tun hat. Ich bin in der Nacht aufgewacht, weil meine Narbe wieder schrecklich brannte. Irgendwas schlimmes ist passiert."
Ron zuckte die Schultern. "Aber was hat das mit Snape zu tun?"
"Muss es ja nicht. Ich habe nur gesagt, dass meine Narbe schmerzte."

Zum Abendessen saß Direktor Dumbledore wie immer an der Tafel der Lehrer. Er plauderte mit dem einen und unterhielt sich mit dem anderen. Die Schüler sahen sein freundliches Gesicht und jeder bekam ein munteres Augenzwinkern zugeworfen.
Albus gab sich alle Mühe, einen sorglosen Eindruck zu hinterlassen. Dennoch ließ er immer wieder seinen Blick auf den leeren Stuhl von Snape wandern, dann verdunkelten sich seine Augen für einen Moment. Hagrid war noch immer nicht zurück, obschon es draußen bereits wieder dunkel war. Schneefall hatte eingesetzt und würde auch die letzten möglichen Spuren verdecken.
Minerva an seiner Seite stocherte lustlos im Essen herum.
"Ihnen fehlt Ihr Lieblingsfeind?" versuchte Dumbledore sie aufzumuntern.
Minerva sah zuerst zu Dumbledore und dann automatisch zu dem freien Platz. "Es macht keinen Spaß, den Hauspokal zu gewinnen, wenn ich nicht gleichzeitig sein säuerliches Gesicht sehen kann", versuchte McGonagall mit gleichem plauderhaften Ton zu antworten. "Ach Albus, wenn ..." Die Hauslehrerin der Gryffindors gewahrte, wie alle anderen Lehrer erwartungsvoll zur Eingangstür hinüber sahen, die sich jetzt öffnete.
Wenn er jetzt durch diese Tür käme, dann umarme ich ihn, bevor ich ihn umbringe, versprach sich McGonagall. Einige neugierige Schüler schauten gleichfalls nach dem Nachzügler, der sich einschlich, aber es war nur Hagrid. Er stampfte zögerlich durch den langen Gang und hatte nur ein müdes "Hallo!" für seine Gryffindor-Freunde übrig. Als er am Lehrertisch ankam, schüttelte er nur den Kopf. Schwer ließ er sich auf seinem Platz nieder. Professor Sprout, die neben ihm saß, drückte nur leicht die Hand auf seiner Schulter. Hagrid schniefte leise. "Ich habe überall gesucht, war bei den Zentauren und bei Aragog. Ich habe auch die Wassermenschen gefragt. Sie haben ihn weggehen sehen, aber nicht wiederkommen."
Wieder schniefte der Halbriese. "Aber morgen früh werde ich weitersuchen!"
"Hagrid, ich weiß, dass Sie alles getan haben, was in Ihrer Macht steht." Albus war hinter seinen Wildhüter getreten und klopfte ihm beruhigend auf die Schulter.
Hagrid sah auf und wischte sich verstohlen die Augen. "Ich habe wirklich überall gesucht, Direktor. Sogar bei den Einhörnern war ich. Nichts. Die Zentauren versprachen, weiter Ausschau zu halten." Hagrid holte ein Taschentuch hervor und schnäuzte hinein. "Ist sein Rabe schon da?" fragte er hoffnungsvoll. Mit beinahe flehendem Blick schaute er Dumbledore an. Der schüttelte nur den Kopf und ging zu seinem Platz zurück.

Draco Malfoy trat etwas zaghaft an den Lehrertisch heran. "Direktor Dumbledore", begann er. Dabei versuchte er so sicher zu wirken, wie es einem Slytherin zukam. "Wir würden gern Professor Snape besuchen." Minerva hielt den Atem an und warf erschrockene Blicke zu Dumbledore.
Der junge Malfoy, der die Reaktion der Lehrerin missverstand, fügte eilig hinzu. "Wenn er nicht zu sehr erkrankt ist, natürlich."
Dumbledore stellte sein Glas ab und betrachtete wohlwollend den jungen Mann. "Mister Malfoy, ich finde es sehr schön, dass sich die Slytherins um ihren Hauslehrer sorgen. Professor Snape braucht jedoch sehr viel Ruhe. Im Moment ist ein Besuch keine so gute Idee. Ich werde ihm aber gern die Grüße seines Hauses ausrichten."
Draco sah enttäuscht aus. "Ja dann."
"Nur Geduld, Draco, Professor Snape wird bald wieder da sein."
Minerva und Albus sahen dem jungen Slytherin nach. Die Lehrerin für Verwandlungen wiegte bedächtig den Kopf. "Ich hoffe, Sie haben dem Jungen kein falsches Versprechen gegeben, Albus."
"Das hoffe ich auch. Im Moment jedoch haben die Slytherins bestimmt etwas ganz anderes im Kopf."
Diesmal seufzte Minerva ergeben. "Die werden heute Nacht eine riesige Party im Kerker feiern. So eine Gelegenheit lassen sie sich nicht entgehen. Ist ja schließlich keiner da, der sie ins Bett stecken kann."
Der Direktor nickte zustimmend. "Ich bin überzeugt davon, dass sie nicht feiern würden, wenn sie wüssten, dass....." Er ließ den Satz unvollendet. "Ich werde mit dem Blutigen Baron sprechen. Der kann die Party wenigstens auf den Kerker begrenzen." Dumbledore stand auf. "Kommen Sie, Minerva, lassen Sie uns sehen, wie weit Bill mit dem Bild gekommen ist."

***



Am zweiten Tag begann Severus' Schlaf unruhiger zu werden. Die Fieberträume nahmen zu. Er murmelte zusammenhanglose Wörter. Manchmal war er wach und starrte ins Leere. Doch dem verschleierten Blick fehlte jegliches Erkennen. Wenigstens ließen die Krampfanfälle endlich nach.
Am fünften Tag waren die äußeren Wunden fast alle geheilt und nicht mehr zu sehen. Selbst die Verbrennungen waren verschwunden. Körperlich schien es Severus besser zu gehen, dennoch balancierte er weiter an der Grenze zwischen Leben und Tod.
Stunde um Stunde besuchte Lady Gwenda voller Bangen ihn an seinem Krankenbett. Severus driftete zunehmend auf die Schattenseite. Nicht einmal ihre lockende Stimme vermochte ihn anscheinend in die Realität zurückzuholen. Die Frau seufzte. Sollte Voldemort es wirklich geschafft haben, den Willen von Snape zu brechen? Hatte sich der sonst immer kämpfende Meister der Zaubertränke aufgegeben?

***



Im Büro des Direktors waren wieder die Hauslehrer versammelt.
"Sechs Tage, Albus!" Minerva nahm die neueste Ausgabe des 'Tagespropheten' vom Tisch, um sich einen Moment von den Sorgen abzulenken. "Glauben Sie wirklich, dass er noch lebt?"
Albus stand am Fenster und sah hinaus auf die verschneiten Ländereien Hogwarts. All diese vielen Schutzzauber um das Schloss herum, die Apparationsschutzlinie, die Überwachungszauber und nichts hatte genutzt, um Severus zu helfen.
"Ich hoffe es, weil die Alternative unvorstellbar für mich wäre."
Für eine Weile sprach keiner von beiden.
"Bei Merlin! - Albus, haben Sie schon den 'Tagespropheten' gelesen?"
Etwas an Minervas Stimme irritierte den Direktor. Er sah sich verwundert nach seiner Mitstreiterin um. "Nein."
"Sehen Sie nur die Schlagzeilen: Spione enttarnt?" Die Hauslehrerin der Gryffindors ließ die Zeitung sinken. "Ich hoffe, er war nicht einer von ihnen."
Der Artikel des 'Tagespropheten' berichtete von einem grausigen Fund. Man hatte die Leichen von sechs Todessern entdeckt. "Sie waren vor ihrem Tod gefoltert worden und wahrscheinlich unter der Macht der Flüche gestorben", las McGonagall vor.

"Nicht bestätigten Angaben zufolge kann es sich dabei um in den Kreis der Todesser eingeschleuste Agenten des Ministeriums handeln, deren Tätigkeit entlarvt wurde. Auf unsere Anfragen hin schweigt das Ministerium beharrlich. Leider stellt sich eine Identifizierung der Toten als Problem dar. Wir werden näheres berichten, sobald die Namen der Opfer bekannt sind."

Die Lehrerin für Verwandlungen sah zu dem alten Mann hinüber, der sich in seinem Stuhl müde zurückgelehnt hatte. "Er wird doch nicht einer von ihnen sein?"
"Nein, Minerva, das glaube ich nicht." Dumledores Stimme klang dennoch besorgt. "Wir wissen doch, dass das Ministerium keine Spione bei Voldemort hat - schon gar nicht sechs. Wahrscheinlich sind diese hier nur der Willkür ihres Herrn ausgeliefert gewesen oder wurden für etwas bestraft."
Die Lehrerin verschränkte die Hände ineinander. "Ich wünschte, diese Ungewissheit würde aufhören."
Am Turmfenster ließ sich ein Schatten nieder, dann klopfte es schwach. Der Direktor und McGonagall drehten sich erstaunt um. Eilig trat Dumbledore ans Fenster und öffnete. Eisiger Wind pfiff sofort herein und einige einsame Schneeflocken schmolzen in der warmen Luft, noch bevor sie den Boden erreichten.
Auf dem breitem Fenstersims saß ein großer schwarzer Vogel, zusammengesunken und mit leicht lädiertem Federkleid.
Außer sich vor Freude nahm der alte Mann den Raben auf den Arm und strich ihm über das Gefieder. "Ka, mein Freund. Wir haben dich vermisst." Er schloss das Fenster wieder. Der Vogel sah erschöpft aus und fror jämmerlich.
Minerva, die näher gekommen war, zog ihren Schal von den Schultern und hüllte den Raben darin ein. "Der arme Kerl!" Sie setzten das Tier auf dem Arbeitstisch ab. Fawkes sah interessiert zu. Schließlich breitete der Phönix seine Flügel aus und schwebte zu Dumbledore hinüber. Lautlos nahm er auf der Rückenlehne hinter dem Direktor Platz.
Ka sah ein wenig orientierungslos aus dem rotgelb gestreiften Schal hervor und zupfte leicht unwillig an einigen Maschen. Aber der Schal war warm und er konnte sich etwas ausruhen.
"Wir haben dich seit Tagen vermisst!" Albus hatte sich so tief zu dem Raben hinuntergebeugt, dass Ka ihn leicht in die Nase hätte zwicken können. Der Vogel hielt den Kopf schief und beobachtete von der Seite die Gestalt mit dem langen Bart. Schließlich krächzte er "Kein Severus!" Sein Kopf zuckte hin und her. "Nicht zu finden!"

***



Bill Weasley saß mit seinen Geschwistern zusammen an dem einzigen Ort der Schule, wo sie ungestört sein konnten: in Hagrids Hütte. Der Wildhüter war den ganzen Tag unterwegs. Bill wusste, dass der gutherzige Halbriese mit dem schlichten Gemüt die Suche nach Snape einfach nicht aufgeben wollte und Dumbledore ließ ihn gewähren. So stand die Hütte die meiste Zeit leer.
Die Weasleys brauchten einfach mal etwas Zeit für sich. Ron wollte mit seinen Geschwistern allein sein. Harry und Hermine verstanden das und begleiteten ihn dieses Mal nicht.
Fred goss Tee in die viel zu großen Tassen, während Ginny sich eng an Bill gelehnt hatte. Die Angst um George erinnerte sie an ihr eigenes grauenvolles Abenteuer mit dem Basilisken.
"Ob es George gut geht?" fragte sie erneut und Bill strich seiner Schwester sacht über das Haar. "Ja, Prinzessin, es geht ihm gut. Du wirst sehen, wir haben ihn bald wieder."
"Und wenn du den Fluch nicht brechen kannst?" wollte Ron wissen.
"Ich werde ihn brechen, das verspreche ich euch und wenn ich mir deswegen Voldemort persönlich vorknöpfen müsste."
Ron sah seinen Bruder entgeistert an. "Das ist nicht komisch."
"Nein, war auch nicht so gemeint. - Oh, hätte ich fast vergessen." Bill griff nach seinem Beutel, den er achtlos neben Hagrids riesigem Sessel hatte stehen lassen. "Schau mal Ginny, was ich dir mitgebracht habe." Mit Schwung und einem breitem Grinsen im Gesicht zog Bill den kleinen fliegenden Läufer hervor. "Wie wäre es mit einem Familienspiel am Sonnabend Nachmittag? Wir besorgen uns alle einen Besen und Ginny zeigt uns ihre Flugkunst mit dem Teppich. Wir Weasleys gegen den Rest der Welt?"
Ihr verstohlenes Lachen wurde unterbrochen, als Hagrid in die Hütte stampfte.
"Oh, Besuch!" Er trat eilig ein und klopfte sich den Schnee aus dem Bart. "Wie schön."
Etwas kratzte an der Tür, dann ein kurzes protestierendes Bellen. Hagrid drehte sich um und schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. "Oh verdammt, wie konnte ich nur Fang vergessen." Die Tür schwang knarrend wieder auf und ein beleidigt dreinschauender Saurüde tapste an seinem Herrchen vorbei. So viele Gäste in der Hütte verstimmten ihn noch mehr und er verkroch sich in einer warmen Ecke nahe dem Feuer. Von dort konnte er alles ganz genau im Auge behalten, besonders seinen Lieblingsplatz, den Ron und Fred besetzt hielten.
"Wir halten gerade einen kleinen Familienrat ab." Bill schob Ginny sanft von sich und stand auf. "Aber ich denke, wir sind fertig."
Hagrid sah traurig von einem der Weasleys zum anderen. "Mir fehlt George auch", druckste er herum und versuchte, seine gedrückte Stimmung durch sinnloses Hantieren am Feuer zu überspielen. "Es gab schon lange keine Streiche mehr im Schloss. Kein Geschrei von Snape und kein Getotter von Filch und kein resigniertes Augenrollen von McGonagall deswegen. - Bill, du wirst doch George und die anderen aus dem Bild befreien können?"
"Ich tu mein Bestes", versprach der Älteste der Weasleys. "Und machst du Fortschritte?" fragte er vorsichtig mit einem Blick auf die jüngeren Geschwister.
Der Halbriese schüttelte nur den Kopf.
Bill schickte seine Schwester und die beiden Brüder zum Schloss zurück. Er selbst blieb noch eine Weile in der Hütte des Halbriesen. "Seit gestern Abend ist Snapes Rabe wieder da."
"Ja?" Hagrid drehte sich hoffnungsvoll zu dem jungen Mann um.
"Er ist fast eine Woche herumgeirrt und hat nach Severus gesucht. Selbst er konnte ihn nicht finden. Halb erfroren und ziemlich erschöpft ist er zurückgekommen."
"Geht es dem Raben gut? Der Professor hängt sehr an ihm."
"Oh, wenn du damit meinst, dass er dem Phönix wieder an den Schwanzfedern zupft, dann gehe ich mal davon aus. Aber am liebsten würde der Rabe wieder losfliegen, wenn Dumbledore nicht aufpassen würde. Darin sind sich wohl die beiden ziemlich ähnlich."
"Wer?"
"Snape und Ka." Bill spielte mit seinem Ohrring. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. "Hagrid, kennst du eigentlich die Bedeutung von Kas Namen?"
"Hat er denn eine?"
Diesmal musste Bill über Hagrids erstauntes Gesicht lachen. "Ein Mann, der die Logik so sehr liebt wie Snape, der wählt mit Bedacht einen Namen aus", entgegnete er schließlich.
"Das Ka, zumindest welches ich kenne, stammt aus dem Alten Ägypten. Es ist der Ausdruck für die zeugende und bewahrende Lebenskraft und bezog sich später auch auf die geistige und seelische Stärke. Es ähnelt gleichsam einem Schutz gegen die Macht des Bösen. Die Ägypter glaubten, dass Ka eine Art Doppelgänger des Menschen ist und ihn ständig begleitet, solange er lebt. Stirbt der Mensch, kehrt Ka in den göttlichen Ursprung zurück."
"Davon verstehe ich nichts", Hagrid fuchtelte mit dem riesigen Schürhaken herum, mit dem er das Feuer in Gang brachte, "aber wenn das gut für den Raben und für Snape ist, will ich zufrieden sein."

***



Es war später Nachmittag. Schnee fiel lautlos über das Anwesen. Ein Elf kümmerte sich um das Feuer im Kamin. Gwenda wachte auf, als ein Holzscheit brach und in einem Funkenregen zerstobte. Müde strich sie sich das lange Haar aus dem Gesicht. Ihre eisgrauen Augen wanderten zu dem Bett mit dem Baldachin. Das Bett war so unendlich groß und die Gestalt, die zwischen Decken und Kissen lag, wirkte darin klein und verloren. Noch am Vormittag hatte das Fieber Severus fest im Griff gehabt und er bewegte sich im Schlaf unruhig hin und her.
Gwenda rutschte von ihrem Sessel und trat näher heran. Severus' Atem war jetzt tief und gleichmäßig. Vorsichtig legte sie ihre schmale Hand auf die Stirn des Zaubertrankmeisters und lächelte. Das Fieber war verschwunden. Endlich, Merlin sei Dank. Offensichtlich hatte sich Severus entschlossen, zu den Lebenden zurückzukehren.
Als sie die Hand zurückzog, öffnete Snape die Augen. Im Gegensatz zu den letzten Tagen waren sie jetzt wieder klar und von der tiefen und unergründlichen Schwärze, die sie so sehr faszinierte.
Zunächst war sein Blick orientierungslos. Sie konnte sehen, wie er die Augen auf den Baldachin mit seinen blassblauen Stickereien richtete und von dort langsam durch das Zimmer wandern ließ, bis sie wieder auf ihr ruhten.
Erwartungsvoll setzte sich Gwenda neben Snape auf das Bett und hoffte auf ein Wort von ihm. Doch der Zauberer schwieg und schloss die Augen.
"Severus?" Gwenda strich mit den Spitzen ihrer Finger über das dunkle feuchte Haar. Erneut schlug Snape die Augen auf und musterte seine Gastgeberin. Er erkannte sie, das konnte Gwenda an seinem Blick feststellen. Dann drehte er den Kopf von ihr weg und sah zu den verhüllten Fenstern hinüber.
Sie seufzte leise. Sanft nahm die Frau seine kalte Hand in die ihre und wartete. Doch Severus schloss wieder die Augen. Langsam zog er seine steifen Finger aus der warmen Hand. Diese kleine unscheinbare Bewegung ließ einen stechenden Schmerz aufkommen. Mühevoll presste der Zaubertrankmeister die Lippen zusammen. Das taube Gefühl in seiner Schulter ließ nach und machte einem unangenehmen Prickeln platz. Es war, als würden tausend Nadeln gleichzeitig in seine Haut gejagt werden. Hörbar zog er die Luft zwischen den Zähnen ein und hielt den Atem an.
Endlich ließ der Schmerz etwas nach. Snape atmete erleichtert aus. Etwas Gutes hatte die Sache schon: er wusste, dass sein Arm noch zu gebrauchen war. Was die Finger anging ... Er versuchte sie zu bewegen. Erst die an der rechten Hand, dann die der linken. Nichts. Mühevoll kramte er in seinem Gedächtnis nach, wühlte sich durch die Trümmer seiner Erinnerungen, die alle nur ein bruchstückhaftes und unklares Bild ergaben.
Bild?
Langsam machten die nebelartigen Fetzen Sinn. Die letzte klare Vorstellung von dem, was passiert war, hatte er von Voldemorts roten Augen.
Gwenda saß noch immer auf dem Bett neben ihrem Patienten. Sie wartete geduldig und sah auf die ausgemergelte Gestalt hinunter.
Endlich wandte Snape ihr wieder das Gesicht zu. "Wie lange?" krächzte er kaum vernehmlich.
Die Frau zuckte leichthin die Schulter. "Sieben Tage."
Sie sah, wie sich Snapes Augen ungläubig weiteten. Er unternahm den törichten Versuch, die Decke wegzuschieben, um aufzustehen. Frustriert stellt er jedoch fest, dass die steifen Hände nicht einmal die Decke greifen konnten. Unwillig schob er mit der ganzen Hand daran. Seine Augen fingen an, wütend zu funkeln, doch dann verschleierte sich sein Blick. Die ruckartigen Bewegungen brachten die Schmerzen zurück. Keuchend ließ Snape den Kopf in die Kissen sinken. Sein wirres Haar legte sich über sein Gesicht. "Ich muß zurück!" flüsterte er kaum vernehmlich.
"Es ist zu früh dafür." Gwenda griff nach einem Glas neben dem Bett und rückte näher. "Du musst unbedingt etwas trinken. Das Fieber hat deinen Körper ausgezerrt." Sie schob den freien Arm unter Severus' Kopf und hob ihn etwas an. Widerwillig ließ Snape sich helfen. Das frische Wasser tat seiner brennenden Kehle gut. Erst jetzt bemerkte er, wie durstig er wirklich war.
"Ich muß weg!" wiederholte er starrköpfig.
"Ich weiß, aber du bist noch zu schwach."
"Es wird gehen."
Die Frau sah mit einem Lächeln auf den Zaubertrankmeister. "In diesem desolaten Zustand? Du kannst ja nicht mal einen Zauberstab halten."
Da ihr Patient es vorzog zu schweigen, nickte Gwenda versöhnlich. "Ich bring dir was zur Stärkung. Kann ich sonst noch etwas für dich tun?"
"Ja, lass mich allein."
"Wie du willst, Severus."

Ein Hauselfe brachte dem Gast eine heiße Brühe, die Severus fast unberührt ließ. Er lag einfach nur im Bett und starrte auf die halb verhangenen Fenster. Snape wartete. Er wartete auf erholsamen Schlaf oder auf die unvermeidlichen Nachwirkungen der Flüche, die in Schüben kamen und gingen und an seinen letzten Reserven zerrten. Wieso, fragte er sich zum wiederholten Male, hatte er es nicht fertig gebracht, einfach auf der Schattenseite zu bleiben - für immer? Wieso ist er zurückgekommen in dieses Leben aus Hass und Schmerz?
Sein Körper bog sich wieder unter den Krämpfen. Das Herz in seiner Brust hämmerte wie wild, als würde es jeden Moment zerspringen. Kontrolle, befahl sich Snape in Gedanken, nicht die Kontrolle verlieren. Er durfte nicht zulassen, dass der Schmerz seine letzten klaren Gedanken hinwegschwemmte. Nicht jetzt!
Ka, mein Freund, wo bist du? Ich brauche dich!

Snapes Genesung ging nun schneller voran. In den folgenden Tagen betrat Gwenda Severus' Zimmer allerdings nur noch selten. Er sprach kaum mit ihr. Stattdessen stand er vor dem Fenster und sah in die verschneite Landschaft hinaus. Manchmal, wenn er müde wurde und die Beine ihm den Dienst zu versagen drohten, setzte er sich in einem Sessel. Doch selten ließ er den Blick von den Fenstern. Mit den Augen suchte er den Himmel ab, hoffte noch immer, dass Ka ihn hier finden würde.
Nach einigen Tagen erholsamer Schlafperioden, unterbrochen von den seltener werdenden Nachwirkungen der Flüche, fühlte sich Severus endlich kräftig genug, sein Zimmer auch ohne fremde Hilfe zu verlassen. Er entschied sich für eine etwas längere Wanderung durch den Wohnflügel des Hauses, in dem er untergebracht war. Dabei entdeckte er den Wintergarten.
Für den relativ kurzen Weg brauchte er fast eine halbe Stunde mit langen Unterbrechungen. Als die Hausherrin ihn fand, saß er auf der kleinen Bank unterhalb eines Strauches mit schwarzen Blüten.
"Lacrimae Noctis!" Gwenda strich liebevoll über das dunkelgrüne Blattwerk. "Tränen der Nacht!" flüsterte sie. Ihre Hand pflückte eine der schwarzen Blüten und betrachtete sie einen Augenblick. Dann legte sie die Blüte in Snapes Hände.
"Verschenkst du immer noch deine Blumen?" Sein Kommentar sollte abwertend klingen. Gwenda schien aber unberührt davon zu sein. Sie stand ein wenig abseits und beobachtete ihn. Ihr war aufgefallen, dass Snape umgänglicher war, wenn sie ihm nicht zu nahe kam.
"Sie ist wie du!" Sie deutete auf die schwarze Blüte. "Rätselhaft und verschlossen. Ihr Geheimnis gibt sie nur in der Dunkelheit preis, wenn sie im Mondlicht ihre wahre Schönheit und Macht offenbart."
"An mir ist nichts rätselhaftes oder machtvolles", gab Snape tonlos zurück. "Ich bin nicht einmal mehr ein Zauberer."
"Weil du noch nicht zu deinem wahren Ich zurückgefunden hast, Severus." Sie trat näher. Langsam kniete sich Gwenda vor Snapes Füßen auf den Boden nieder. Ihr silberblondes Haar glitzerte ein wenig in der winterlichen Sonne, die durch das Glasdach schien. Sie nahm seine Hände in die ihren. Diesmal wich der Zaubertrankmeister nicht zurück.
"Lass mich dein Mondschein sein, Severus. Sei wieder der, der du einst warst. Nimm deinen Platz neben Voldemort wieder ein.
Fege sie hinweg, die Mittelmäßigen, die Unfähigen und die Schwachen. Wer vermag sich schon gegen unsere vereinten Kräfte zu stellen? Unsere gebündelte Magie wird die Welt der Zauberer neu erschüttern." Fast beschwörend schaute Gwenda die blasse Gestalt des Zaubertrankmeisters an. "Wir haben es schon einmal getan, lass sie wieder auferstehen, die Legende, und lehre diese Schlammblüter und Muggelliebhaber noch einmal, was wirkliche Macht und wahre Stärke bedeutet."
Wahre Stärke? Severus hatte dieses Passwort für das Haus der Slytherin in diesem Jahr selbst festgelegt. Seltsam, dass Gwenda und er dieselben Gedanken hegten.
"Macht und Stärke!" fuhr Gwenda fort. "Akzeptiere, wer und was du bist und niemand wird dir je wieder sagen können, was du tun oder lassen sollst. Das Ministerium ist nichts, die Auroren sind nichts und selbst Voldemort weiß, dass er uns fürchten muß! Warum sonst, glaubst du, gab er dir das Gift? Er fürchtet uns!"
Ein Strahlen schien von der knienden Frau auszugehen. Snape konnte Gwendas übermächtige Magie wie eine Aura sehen. Sie schien sich um sie zu verdichten und das Leuchten hervorzurufen. Die Luft prickelte davon und hüllte auch seine ausgemergelte Gestalt darin ein. Zum ersten Mal seit Tagen vermochte er in seinem tiefsten Inneren die eigene verschüttete Stärke zu spüren. Die Magie schien in ihn zurückzufluten. Das Gefühl, endlich wieder ein Zauberer zu sein, ließ ihn aufatmen. Zu schmerzlich war er sich die ganze Zeit der Leere in sich bewusst gewesen, die die Abwesenheit von Magie bedeutete. Jetzt erst war er sich sicher, dass er genesen konnte, Fortuna sei Dank.
Severus betrachtete das strahlende Antlitz vor sich und zum ersten Mal, seit er Gwenda wieder begegnet war, lächelte er sie ohne einen bitteren Gedanken an. Er hob langsam ihre Hand und küsste die Spitzen ihrer Finger, danach die Innenflächen ihrer schlanken Hände. Snape wurde von den glänzenden Blicken ihrer Augen getroffen. Mühsam riss er sich von ihrem Anblick los. Seine Augen wanderte weiter. Er entdeckte einen elfenbeinfarbenen Kamm in ihrem silberblonden Haar. Als er ihn ihr aus dem kompliziert gesteckten Geflecht zog, floss es ihr wie eine Woge über ihre Schultern.
"Viel besser!" murmelte Snape und steckte Gwenda die schwarze Blüte hinter das Ohr.
Gwenda lächelte zurück. Sie stand in einer einzigen fließenden Bewegung vom Boden auf. "Komm, mein endlich wieder lächelnder Freund, du musst dich ausruhen. Für heute steht dir noch eine lange Nacht bevor."
Severus sah sie fragend an. Er hatte seit seiner letzten Begegnung mit dem Dunklen Lord jegliches Gefühl für Zeit verloren.
"Heute haben wir Neumond. Voldemort wartet auf seinen Meister der Gifte."
Das Lächeln auf Snapes Gesicht erlosch. Ruckartig stand er auf und bereute die heftige Bewegung sofort. Die Welle von stechenden Schmerzen in der Brust wies ihn zu Recht auf seinen noch immer geschwächten Zustand hin. Er taumelte ein wenig, bis er sich wieder unter Kontrolle hatte. Die helfende Hand der Frau ignorierte er. In Gedanken zählte Severus die Tage seines Aufenthaltes. Er war bereits elf, nein, zwölf Tage hier.

Als Gwenda am Abend in Severus' Zimmer trat, stand er wieder am Fenster und schaute hinaus.
"Die Hauselfen haben dir neue Kleidung genäht." Sie deutete auf einen Stuhl, wo sich schwarze Sachen fein säuberlich zusammengelegt stapelten. "Ich denke, du kannst die Stunden durchhalten. Für alle Fälle habe ich hier ein Stärkungsmittel." Sie hob eine unscheinbare Phiole in die Höhe und legte sie schließlich auf den Stapel mit der Kleidung. "Du nimmst vor Beginn der Versammlung einen kleinen Schluck, um die Schmerzen abzublocken. Das Zeug hält dich eine Weile auf den Beinen."
Seine einzige Reaktion war eine leichte Kopfbewegung in ihre Richtung, ansonsten stand er noch immer mit dem Rücken zur Tür und sah hinaus.
"Ich habe den Trank übrigens nach deinem eigenen Rezept gebraut." Snape schien weiterhin mehr Interesse für die nächtliche Landschaft zu haben als für die Vorbereitungen zum Treffen.
"Du erinnerst dich, was Voldemort dir sagte: Du darfst nicht mehr als Letzter erscheinen. Wir apparieren gemeinsam hin und kommen zurück." Ihre Stimme klang verführerisch.
Ja, er erinnerte sich, wie könnte er das nicht? Noch immer schoben sich Wellen von Schmerz durch seinen Körper wenn er sich zu sehr anstrengte oder sich zu heftigen Bewegungen hinreißen ließ. Seine Hände waren so steif, so dass er nur schwer einen Zauberstab hätte halten können, wenn er einen hätte. Wo war seiner eigentlich geblieben? Hatte er ihn verloren, war er noch in der Halle bei Voldemort oder konnte es sein, dass Gwenda ihn verborgen hielt? Egal, die Magie kehrte nur langsam zu ihm zurück. Vorerst fühlte er sich nur um ein weniges fähiger als ein Squib. Zudem fehlte es ihm an Konzentration.

Langsam trat er vom Fenster zurück und sah Gwenda an. Ihre stolze Haltung, ihr graziles Auftreten und die Art, wie sie den Kopf hielt, wie ihre Augen ihn betrachteten, wirkten auf ihn berauschend. Was wäre, wenn er ihr nur einmal, nur ein einziges Mal nachgeben würde? Er erinnerte sich wieder an Gwendas Angebot vom Nachmittag. - Bei Merlin, daran durfte er nicht den kleinsten Gedanken verschwenden.
Denk an Neumond, ermahnte er sich, denk an dieses verdammte Monatstreffen, denk an Voldemort.
"Ich komme nicht hierher zurück, Gwenda", seine Stimme klang rau und trocken. Das Sprechen fiel ihm schwer. "Es wird so schon schwierig genug sein, dem Direktor von Hogwarts zu erklären, wieso ich zwei Wochen meinem Dienst fern geblieben bin. Bisher habe ich noch keine glaubwürdige Ausrede gefunden."
"Sag, du wärst überfallen worden. Das würde auch deine Verletzungen erklären."
Severus verzog verächtlich den Mund. "Das glaubt er mir nicht." Nach einer kurzen Pause setzte er hinzu. "Wenn das öfter vorkommt, dann wird er noch Verdacht schöpfen. Du weißt, dass er misstrauisch ist."
"So schlimm kann das gar nicht sein, immerhin hat er für dich gebürgt."
"Gerade deswegen."
Wann war Gwenda so nahe an ihn herangetreten? Etwas erstaunt sah Severus seine Hände die ihren umfassen und streicheln. Ihre eisgrauen Augen waren voller Versprechen. Gab es eigentlich einen Grund, ihnen zu widerstehen?
Langsam neigte er seinen Kopf den blassen schönen Lippen entgegen.
Im selben Moment polterte etwas. Der Zaubertrankmeister schrak zusammen. Gwenda sah sich zornig nach dem Verursacher der Störung um. Der kleine Hauself sammelte zitternd die Holzscheite ein, die ihm aus den Armen gerutscht waren.
"Du nichtsnutziger Wicht!" fauchte die Hausherrin.
Severus schloss benommen die Augen. Er atmete tief ein und löste sich von Gwendas Händen. Auch sie erkannte, dass der vertrauliche Moment vorbei war. Severus zog sich von der Frau zurück und wurde wieder unerreichbar für sie.

***



Nachdem der Dunkle Lord verschwunden war, löste sich der Kreis der Todesser auf.
Snape spürte, wie die Anspannung allmählich nachließ. Voldemort hatte ihn nicht beachtet, nicht einmal angeschaut. Erschöpft lehnte sich der Zaubertrankmeister gegen einen Baum. Seine Beine zitterten und schon befürchtete er, dass sie nachgeben würden. Die Kopfschmerzen setzten ihm so sehr zu, dass er zuweilen seine Umgebung nur verschwommen wahrnehmen konnte. Er tastete nach der Flasche in seiner Tasche und zog sie hervor. Mühsam versuchte Snape mit den steifen Händen den Verschluss zu öffnen.
"Warte, lass mich das machen." Gwenda strich mit einer Hand ihre Kapuze vom Kopf und griff mit der anderen nach dem Fläschchen. Snape ließ es kommentarlos geschehen. Dann nahm er einen Schluck des Schmerzmittels. Die Wirkung setzte sofort ein. Das Zittern seiner Beine ließ nach, seine Körper gehorchte ihm wieder. Mit einem Ruck löste sich Snape von dem Baum. Er richtete sich zu seiner vollen Größe auf.
Umständlich verkorkte Severus die kleine Flasche und ärgerte sich innerlich darüber, dass die Finger noch immer nicht so beweglich waren, wie er hoffte.
"Und nun meinen Zauberstab!" verlangte der Zaubertrankmeister. Er hielt der Frau fordernd die Hand hin.
"Du wirst nicht allein apparieren können", wehrte Gwenda ungerührt ab, "ich bringe dich zurück zu mir."
"Meinen Zauberstab!" knurrte Snape.
"Dann lass mich dich wenigstens bis Hogwarts bringen. Du schaffst es nicht allein."
Es hatte keinen Zweck, sie konnte es in seinen Augen lesen. Er würde mit ihr zusammen nirgendwo hingehen. Für einen Moment wurde sie wütend, aber dann lachte sie plötzlich.
Snape war irritiert und blinzelte verwirrt.
Gwenda griff in eine Seitentasche ihres Umhangs. Wenn sie ihm nicht gab, worum er bat, würde Severus sich wahrscheinlich stur auf dem Absatz umdrehen und zu Fuß durch den nächtlichen Wald stapfen. Männer!
"Sag Bitte!" Diesmal enthielt ihr Lachen eine unausgesprochene Herausforderung. Sie hielt Snapes Zauberstab hoch.
"Nicht in diesem Leben!" gab er grantig zu verstehen und für einen kurzen Augenblick glaubte Gwenda ein Lächeln in seinem Gesicht gesehen zu haben.
"Also schön, Bitte!"

Snape blieb allein im Schneetreiben auf der Lichtung zurück. Mürrisch wickelte er sich in den dunklen Umhang, der in seinem Schnitt so raffiniert gestaltet war, dass der Zaubertankmeister viel größer und breitschultriger wirkte. Es fehlte ihm allerdings die strenge Eleganz, die er persönlich bevorzugte. Dieses Gewand wirkte eher prahlerisch. Was hatte sich Gwenda nur dabei gedacht? Nein, er fühlte sich darin nicht sonderlich wohl, aber der Umhang hielt warm und er verbarg seinen ausgemergelten und geschwächten Körper. Snape fasste seinen Zauberstab fester und apparierte nach Hogwarts.
Es fiel ihm schwer, sich zu konzentrieren und all seine Magie auf den Vorgang zu richten. Das Ergebnis hätte nicht katastrophaler sein können.

"Hey, passen Sie doch auf!" Ein Mann mit Hut und dickem Mantel schob sich an Severus vorbei. Ein anderer folgte diesem und drückte Snape gegen das Geländer.
Verwirrt blinzelte er in das grelle Licht von Straßenlaternen und zuckenden Reklameschildern.
Ein weiterer Stoß und gereiztes Gegrummel ließen ihn endlich aus der Erstarrung erwachen. Eine Vielzahl von Erwachsenen - alles Muggel - hastete die Treppe hinunter, an der er stand.
Die Treppe führte unter die Erde und ein warmer Luftstrom stieg aus dem anschließenden Tunnel hervor.
Bei allen Elementen, wo war er gelandet? Da immer mehr Menschen kamen, die eilig die Treppe hinunter oder hinauf hasteten, ließ er sich erst mal hilflos mittreiben.
Reklametafeln und Plakate auch hier. "Starkes Outfit!" rief ihm ein Mann zu, der ihn überholte, an der Hand eine junge Frau, die interessiert zurückschaute, bis der Strom von Menschen sie verschluckte.
Ja, das passte, genau das hatte er sich immer gewünscht. Einmal in der Muggelwelt gestrandet sein! Großartig Severus, 50 Punkte Abzug für Slytherin! Dem Meister der Zaubertränke gelang es, sich aus dem nicht abreißenden Strom von Menschen zu befreien und sich so dicht an der Wand zu halten wie nur möglich. So schnell, wie der Menschenstrom auftauchte, so schnell ebbte er wieder ab. Plötzlich waren nur noch einzelne Nachtschwärmer unterwegs. Hier und da eine Gruppe von Jugendlichen, ab und an ein Pärchen oder einzelne Passanten.
Etwas verloren sah sich Snape um. Neben ihm befand sich an der Wand ein riesiger Stadtplan. Die Umrisse der bebauten Fläche waren ihm bekannt. Na toll, Muggel-London. Vielleicht hätte er sich doch lieber von Gwenda nach Hogwarts bringen lassen sollen?
Einen zweiten Versuch zu apparieren wagte er nicht, er fühlte sich ziemlich wackelig auf den Beinen und traute auch seiner eigenen Magie noch nicht wieder. Also schön, analysierte Severus seine vertrackte Situation, wenn apparieren nicht in Frage kam und ein Besen nicht zur Hand war - wer würde bei diesem nächtlichen Schneetreiben auch schon gerne auf einem Besen fliegen wollen - wäre die nächste Möglichkeit Flohpulver. In London gab es um diese Zeit nur zwei öffentliche Hauptanschlüsse an das Flohnetz. Der im Ministerium für Zauberei kam natürlich nicht in Frage. Er wollte keinem dieser Beamten und noch weniger einem der Auroren über den Weg laufen. Blieb noch Der Tropfende Kessel.
Severus schaute sich orientierend den Stadtplan an. Ein hässliches, aber auffallendes rotes Dreieck markierte seinen Standort. Ihn trennten fünfzehn U-Bahnstationen von dem Stadtteil, in der die Winkelgasse lag.
Wieder ergoss sich nach Ankunft einer U-Bahn ein ganzer Strom Nachtschwärmer in die Tunnelpassage. Die meisten ignorierten die fremdartig wirkende Gestalt, einige aber musterten Snape mit verwundertem Blick. Es ärgerte ihn, dass er mit seiner Robe so auffiel, aber den Umhang abzunehmen war er nicht bereit. Dafür war es hier viel zu kalt. So beschloss er mit einer gewissen Würde und die Blicke ignorierend, sein Weg zum Tropfenden Kessel aufzunehmen.
Zielstrebig ging er auf den Eingang der entsprechenden U-Bahnstation zu und blieb vor der Sperre stehen, die ihm den Weg zum Bahnsteig verwehrte. Was für ein lächerliches Hindernis. Snape sah sich vorsichtig nach eventuellen Beobachtern um, dann zog er den Zauberstab so unauffällig wie möglich aus der Seitentasche. Er murmelte einen kurzen Zauber und schon gab die Sperre nach und ließ ihn durch. Er wollte es nicht zugeben, doch war er erleichtert darüber, dass wenigstens diese kleinen Zaubereien wieder funktionierten. Es war eine bittere Ironie, dass seine eigenen Fähigkeiten, die kompliziertesten Zaubertränke zu brauen, dazu beigetragen hatten, ihn derart hilflos werden zu lassen.

Es war bereits weit nach Mitternacht und die Zahl der nächtlichen Passanten nahm langsam ab. Die Wagons der U-Bahnen waren dennoch gut besetzt.
Wieder die musternden Blicke neugieriger Fahrgäste, während die Türen der Bahn sich automatisch schlossen und der Zug anruckte. Vorsichtshalber warf Severus noch einige giftige Blicke um sich. Es funktionierte, denn viele der Passagiere sahen endlich wieder weg. Er suchte sich eine freie Bank am Ende des Wagens und ließ sich am Fenster nieder von wo er das Innere des Abteils und den Streckenplan an der Wand im Auge hatte.
An jeder Haltestelle dasselbe Spiel. Den neuen Fahrgästen fiel die finstere Gestalt mit der ungewöhnlichen Kleidung in der Ecke sofort auf. Sie tuschelten miteinander, einige kicherten, andere zogen sich ängstlich auf die am weitesten von ihm entfernten Plätze zurück. Der Lehrer für Zaubertränke versuchte betont gleichgültig zu wirken.
Noch 11 Stationen.
An der fünften Station schob sich eine ganze Gruppe fröhlicher junger Leute in das Abteil, die derart auffielen, dass der Zaubertrankmeister dagegen als fast völlig normal gekleidet durchging.
Die Mädchen und Jungen steckten in bizarren Kostümen und schienen äußerst lustig angesäuselt zu sein. Ihr Kichern und Lachen drang durch den ganzen Wagen.
"Hey, schaut mal, da ist ja noch einer von uns." Einer der jungen Männer hatte Snape entdeckt und balancierte sich an den Haltestangen entlang durch das ruckelnde Abteil. Vor Snape blieb er stehen und musterte die dunkle Erscheinung. "Ist ja echt feiner Stoff!" sprach er mit schwerem Akzent, der nicht nur vom Alkoholgenuss stammen konnte. "Ich habe dich auf der Abschlussparty gar nicht gesehen? Wo hast du denn deinen Helm gelassen, Vader? - Hey, Leute, ich habe Darth Vader gefunden!"
Die Jugendlichen traten jubelnd näher. "Obi Wan, dein Ex-Padawan ist hier!" kicherte eines der Mädchen. Sie hatte eine absonderliche Perücke auf, die das Haar zu zwei Schnecken gedreht über den Ohren festhielt. Mit gespielter Ergebenheit knickste sie vor Snape. "Mein Vater, sei gegrüßt und möge die Macht mit dir sein!"
"Vater? Wohl kaum junge Dame!" gab der Zaubertrankmeister giftig zurück.
"Nicht doch, ich kann schließlich nichts dafür, dass Amidala mich vor dir versteckt hat."
Noch acht Stationen. Snape schloss für einen Moment die Augen und rieb sich die Stirn. Die Schmerzen nahmen wieder zu und er saß hier in der Muggelwelt fest, umringt von verrückten Jugendlichen, die ihn offensichtlich für jemand anderen hielten. Bei allen Elementen, was hatte er nur in seinem vorherigen Leben getan, um das auch noch erdulden zu müssen.
Ein schlanker, gutmütig aussehender Kerl in einer langen braunen Kutte drängte sich an den anderen vorbei. Er ließ sich schwer neben Snape auf die Bank fallen. "Ich freue mich aufrichtig, dich zu sehen, Padawan", grinste er.
"Ich bin nicht Ihr Padawan", zischte Snape, der noch immer nicht verstand, warum die Jugendlichen sich so sehr für ihn zu interessieren schienen. Schlimmer noch, sie glaubten, er gehörte zu ihnen.
"Wow! Diesen dunklen, finsteren Blick hast du echt gut drauf! Und erst die Stimme! Du hättest wirklich kein besseres Kostüm wählen können."
Zustimmendes Gemurmel von den anderen.
"Qui Gon, hast du noch paar Bilder auf deinem Fotoapparat?"
"Ja, sicher!" kam von irgendwo weiter hinten eine Stimme.
Obi Wan strahlte. "Ok, komm mal her und bring zwei Sturmtruppler mit." Obi Wan sah Snape offen an. "Bist du so nett und machst mit uns eine kleine Fotosession?"
"Nein, ganz bestimmt nicht!" Das fehlte noch, dass er, der Meister der Zaubertränke, sich auf irgendwelchen unbeweglichen Muggelfotos wiederfinden würde.
"Oooch, sei nicht so. Wer hat dir denn nur die Laune verdorben? Der Dunkle Lord vielleicht?"
Snape schreckte zusammen. Was wussten diese Kinder denn von Voldemort? Mit unruhigem Blick betrachtete er die erwartungsfrohen Gesichter, die sich um ihn gescharrt hatten wie seine Slytherins, wenn er zu ihnen in den Gemeinschaftsraum kam.
Nein, diese Muggel ahnten nichts von Voldemort und seinen Todessern. Woher sollten sie auch?
"Ha! Ich wusste es, du hattest Streit mit ihm. Aber keine Angst, der Imperator benahm sich auf der Convention so unmöglich, der hat es sich mit jedem verdorben und ist bereits abgereist. Ah, da kommen unsere Sturmtruppler und Amidala ist auch schon da."
Ein zierliches Mädchen mit üppiger roter Garderobe blieb vor der Bank mit Snape stehen und musterte den Fremden. Zwei Männer in weißen Plastik-Rüstungen flankierten sie. "Hier!" sie drücke Obi Wan den Fotoapparat in die Hand und setzte sich neben Snape. "Han hat über Kom drei Taxis zur Endhaltestelle beordert, mit denen wir ins Hotel kommen. Er meinte zwar, dass es mit dem Rasenden Falken schneller gehen würde, aber der ist noch immer in der Werkstatt - ähm - Raumwerft." Sie wandte sich nun auch dem Mann am Fenster zu. "Du siehst wirklich gut aus, Anakin! An die langen Haare müsste ich mich aber erst gewöhnen. Wie hat dir eigentlich der Vortrag von Han gefallen? Ich finde seine Ausführungen über die Raumtechnologie etwas gewagt."
Noch drei Stationen sagte sich Severus und versuchte, die Fragen seiner aufdringlichen Mitreisenden so neutral zu beantworten, wie es ging. Was interessierte ihn ein Krieg der Sterne, er hatte mit seinem eigenen genug zu tun. Doch zumindest konnte er in der Mitte der Jugendlichen weniger auffällig reisen. Und weil Leia, das Mädchen mit den Haarschnecken am Ohr, und die zierliche Amidala nicht aufgaben, erklärte er sich endlich auch bereit, das eine oder andere Foto mit den Muggeln machen zu lassen. Mit den Schmerzen, die ständig zunahmen, hatte er einfach nicht mehr die Kraft sich mit diesen völlig aufgeputschten Jugendlichen zu streiten.

Endlich kam seine Station. Er drängte sich an der illustren Gesellschaft vorbei und bedachte sie mit einem kurzen hinterhältigen Blick. Der Wagon war inzwischen nur allein von ihnen okkupiert und das gab ihm die Chance, dem kleinen Erlebnis eine gewisse mildernde Wirkung zu verleihen. Der Zug hatte noch nicht ganz gehalten, da zog Snape seinen Zauberstab hervor. Er war gereizt und wegen der Fotos verärgert genug, so dass er ausreichend Magie mobilisierte und einen breit gestreuten Zauber aussprechen konnte. Zuerst ließ er sie alle für einen Moment erstarren. Danach rief er mit "Accio!" diesen verflixten Fotoapparat zu sich. Er fing ihn auf, öffnete etwas umständlich das metallene Gehäuse und zog genüsslich den Film heraus. "Sein, oder nicht Sein? Dass ist hier die Frage." Den Apparat ließ er auf eine der Bänke an der Tür fallen.
Die Bahn kam endlich zum stehen. "Obliviate!" rief der Professor laut und veränderte mit einem Ergänzungszauber die Erinnerung der jungen Leute für die letzten 20 Minuten. Da stand der Zug bereits und er stieg zufrieden aus. Mit einem letzten Wink löste er die Fahrgäste aus ihrer Erstarrung und ging besser gelaunt zum Ausgang. "Eindeutig nicht Sein!"
Die Uhr dort zeigte 10 Minuten vor Drei an.

Nach einer halben Stunde mühsamen Stapfens durch Schneegestöber und eisigem Wind, kam Snape endlich zum Tropfenden Kessel. Der Weg durch die dunklen Gassen dieses heruntergekommenen Viertels war anstrengend gewesen und hatte nun auch seine letzten Kraftreserven aufgezerrt. Was er jetzt brauchte, war eine Pause und ein belebendes Getränk. Am liebsten seinen Kräutertee, doch den würde er hier nicht bekommen. Ein heißes Butterbier würde es zur Not auch tun.

"Oh, Professor Snape, ich habe Sie erst gar nicht erkannt. Sehen aus, als hätten Sie mehrere Klatscher abbekommen. War wohl eine wilde Party. - Kommen Sie, setzen Sie sich erst einmal. Ein Butterbier?"
Unwillig ließ sich Snape von dem Wirt in eine ruhige Ecke führen. Ein leises Stöhnen unterdrückend setzte er sich. Etwas sehnsüchtig schaute er zum Kamin. Er könnte in wenigen Augenblicken in Hogsmeade sein. Aber wahrscheinlich würde er dann auch nur in den Drei Besen hängen bleiben. Vielleicht war es besser, hier zu verschnaufen.
Müde von der unfreiwilligen Irrfahrt sah sich Snape um. Der Schankraum sah noch düsterer als am Tage aus. Nur wenige Kerzen leuchteten. Die meisten Tische waren leer. Nur einige hartnäckige Stammgäste saßen verstreut am Tresen oder in der Nähe des zweiten Kamins mit dem wärmenden Feuer.
Der Wirt kam indessen mit einem dampfenden Butterbier zurück.
"Sie waren doch nicht etwa in dem Aufzug draußen bei den Muggeln?" fragte Tom neugierig. "Ich meine, Sie könnten aufgefallen sein. Das Zaubereiministerium ist im Moment sehr nervös und wenn dann auch noch Zauberer in der Muggelwelt herumspazieren ... Sie kennen diese Bürokraten vielleicht nicht so gut wie ich, Professor, aber es ist kein Spaß, wenn die erst mal sauer auf einen sind. Wegen jeder Kleinigkeit schicken sie jetzt sogar schon die Auroren vorbei."
Snape schnaubte verächtlich.
"Möchten Sie vielleicht einen kleinen Frühimbiss zu sich nehmen?"
"Nein, danke, Butterbier und meine Ruhe würden mir schon reichen." Er schob zwei Sickel über den Tisch. "Stimmt so."
Der Wirt zuckte die Schulter. Snapes unwirsche Art schien ihn nicht zu stören. "Ich bin hinten Professor, rufen Sie einfach nur."
"Warten Sie!"
Der Zaubertrankmeister winkte den alten Wirt wieder zurück. "Haben Sie noch ein Zimmer frei?"
"Ja, das Eckzimmer mit dem Blick zur Winkelgasse. Es ist nicht sehr groß und hat auch keinen direkten Anschluss ans Flohnetzwerk, aber wenn Sie es möchten?"
Snape nickte. Es hatte keinen Zweck, weiter zu reisen. Vielleicht war es auch besser so. Er könnte morgen früh in der Winkelgasse noch einige Einkäufe tätigen und andere Sachen kaufen. Gwendas Elfen waren zwar geschickt und die Stoffe auserlesen, aber mit dieser Kleidung fühlte er sich einfach nicht wohl.
"Lassen Sie es herrichten."

***



Der Lehrer für Zaubertränke tauchte so unvermittelt in Hogwarts wieder auf wie er verschwunden war. Tobby meldete die Rückkehr seines Professors beim Schuldirektor, der gleich darauf in Snapes Kerker erschien. Er brachte dessen wieder aufgepäppelten Raben mit, der sich eilig auf die Schulter seines Professors setzte und ab und an mit dem Kopf an seinem Hals rieb, als galt es, sich zu vergewissern, dass Severus wirklich wieder da war. Dabei gab er murmelnde zufriedene Laute von sich, die scheinbar nur die beiden verstanden.
Severus und Albus sprachen lange miteinander. Eigentlich war es mehr Dumbledore, der sprach, während der Zaubertrankmeister nur einsilbig blieb und eher den Eindruck machte, lieber wieder allein sein zu wollen. Über das, was zwischen Voldemort und ihm vorgefallen war, musste er nicht berichten, der Direktor sah es ihm noch an. Wo er die zwei Wochen gesteckt hatte, darüber schwieg Snape hartnäckig. Und ja, es ging ihm gut. Er würde ab dem nächsten Tag wieder unterrichten. Ende der Fragestunde.

Am Mittagstisch verkündete der Schuldirektor offiziell Professor Snapes Genesung. Die Reaktion der Schüler konnte unterschiedlicher nicht sein. Während die einen lange Gesichter machten, jubelten die Slytherins begeistert. "Wahrscheinlich", so raunte Madam Sprout ihrem Nachbarn, Professor Flitwick, zu, "werden seine Kinder jetzt vor Severus' Büro Schlange stehen, um ihn zu begrüßen."
Flitwick kicherte vergnügt. "Oder sie organisieren ihm eine Willkommensparty mit Luftschlangen und Süßigkeiten, die er so sehr liebt!"
Fast gleichzeitig prusteten die beiden Professoren los und stellten sich Snapes begeistertes Gesicht diesbezüglich vor. Irgendwie waren sie so erleichtert, den alten Griesgram wieder zu haben, dass sie glatt selbst eine Party für ihn organisiert hätten. Doch sie wollten ihren Kollegen nicht schon nach dem ersten Tag wieder verärgern. Beide schauten zu dessen leerem Platz hinüber.
Professor McGonagall bemerkte den Blick ihrer Kollegen und zwinkerte ihnen zu. "Er hat sich im Kerker verschanzt und will keinen sehen. Er sagt, es ginge ihm prächtig und er amüsiere sich außerordentlich."
"Oh! So schlimm?" hakte Flitwick nach.
Minerva zuckte nur mit den Schultern. "Poppy war noch mal bei ihm unten, um zu sehen, ob es ihm gut geht. Er hat ihr irgendwelche hässlichen Wörter an den Kopf geworfen und einige seiner Bücher folgen lassen. Aber ich denke, er wird sich bis zum Abendessen beruhigt haben."
"Tja, in diesem Alter hatte ich auch noch so viel Temperament!" Flitwick ließ vergnügt die Beine baumeln und widmete sich dann seinem Nachtisch.



 Kapitel 10

 Kapitel 12

 

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