Sein und Schein

 

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Kapitel 16: Ende gut, Alles gut

 


Es war der letzte Schultag des Jahres, und die Schüler saßen in ihren Festumhängen erwartungsvoll in der Großen Halle. Heute gab es das Zeremoniell zur Übergabe des Hauspokals und wieder einmal hatten die Gryffindors ihre Konkurrenten weit hinter sich gelassen. Die Slytherins schauten deprimiert drein, und die Ravenclaws zuckten nur mit den Schultern. Seit Harry Potter in Hogwarts war, hatte das Haus Gryffindor in den letzten Jahren immer wieder die begehrte Trophäe an sich reißen können. Aber warum sich deswegen aufregen? Im nächsten Jahr gab es schließlich wieder eine Chance.
Lediglich die liebenswerten Hufflepuffs freuten sich aufrichtig mit dem Gewinnerhaus.

Die Große Halle war in den goldroten Farben mit dem Löwen geschmückt. Ron drehte sich zu dem Tisch mit Malfoy um und grinste den blonden Jungen hämisch an. Draco sah demonstrativ weg. Sein Blick fiel dabei auf seinen Hauslehrer, der mit dem üblichen verkniffenen Gesicht an der Tafel saß und nur ab und an einen Blick zu Minerva McGonagall warf.
Die Hauslehrerin der Gryffindors sah selten schlechter aus als in diesem Moment. Mit unruhigem Blick betrachtete sie ihre Schüler. Vor kurzem war sie noch einmal im Turm gewesen. Eine geradezu euphorische Scharr von Kindern trat ihr entgegen. Damit war der Hauspokal zum 5. Mal in Folge an Gryffindor gegangen. Was für ein Triumph und welche Niederlage für Slytherin.
"Sie vergessen", versuchte McGonagall die Stimmung der Kinder ein wenig zu dämpfen, "dass der Schuldirektor am Ende des Jahres noch Punkte vergibt", erinnerte die Hauslehrerin. "So manches Mal ist ein sicher geglaubter Sieg dann plötzlich in eine Niederlage verwandelt worden. Denken Sie an die Slytherins. Noch ist nichts entschieden."
Professor McGonagall begegnete Snapes kaltem Blick. Verdammte Schlange! fluchte sie innerlich. 162 Punkte trennten die beiden konkurrierenden Häuser voneinander.
Minerva wurde aus ihren trüben Gedanken gerissen. Der Schuldirektor neben ihr stand auf und nickte freundlich zu den erwartungsfrohen Schülern.
"Kommen wir nun zur Verleihung des Hauspokals."
Aufmerksame Stille.
"In diesem Jahr gab es wirklich einen spannenden Wettbewerb, den Gryffindor mit dem Gewinn des Quidditch-Pokals für sich entscheiden konnte."
Dumbledore wurde vom Jubel der Gryffindors unterbrochen. Mützen flogen in die Luft, und die Kinder klopften sich gegenseitig anerkennend auf die Schulter. Nur allmählich ließ der Jubel nach.
"Dennoch", führte Dumbledore weiter aus, "bleiben die letzten Punkte zu vergeben."
In den nächsten Minuten lobte und tadelte Dumbledore einige einzelne Schüler und Häuser. An dem Endergebnis freilich änderte es nichts.
"Zum Schluss noch eine letzte Korrektur."
Der Schuldirektor hatte die Hände vor dem Bauch gefaltet und sah zuerst Minerva McGonagall, Professor Flitwick und Madam Sprout an, bis er seinen Blick auf den Lehrer für Zaubertränke richtete. "In diesem Jahr haben alle vier Häuser gezeigt, was in ihnen steckt - sportlich wie künstlerisch. Die Theateraufführungen waren ein großer Erfolg und selbst im Ministerium wurde darüber gesprochen. Ich stellte den Hauslehrern frei, sich an diesem Theaterexperiment zu beteiligen....."
Draco und seine Freunde horchten auf. So was wie ein vager Hoffnungsschimmer glimmte auf. Rasch sahen sie zu Snape hinüber, der mit verschränkten Armen auf seinem Platz saß, lässig zurückgelehnt und äußerst entspannt. Der volle Gegensatz zu Professor Flitwick oder Professor Sprout - ganz zu schweigen von der alten McGonagall.
"... So ist es mir ein besonderes Vergnügen, auch solche Leistungen für das Schulhaus zu würdigen. Aus diesem Grund bekommt Slytherin noch weitere Punkte zugezählt, da ihr Hauslehrer bei diesem Projekt vollen Einsatz gezeigt und selbst aktiv an dem Stück teilgenommen hat. Das Haus Slytherin erhält daher noch 200 Punkte für seine Inszenierung und den Einsatz von Professor Severus Snape."
Drei Schulhäuser schwiegen völlig überrascht von der Wendung, die Dumbledores Ansprache genommen hatte. Entgeistert sahen sie zum Tisch der Slytherins hinüber, die sich wie toll gebärdeten. Die Schüler waren aufgesprungen und jubelten ihre ganze Anspannung und Freude heraus. Sie brauchten nicht mehr auf die Verkündung des Endergebnisses vom Schuldirektor warten, denn mit den 200 unverhofft erhaltenen Punkten wurden sie Sieger des Hauspokals. Nicht im Traum hatten sie damit gerechnet.
Glückliche Gesichter und strahlende Augen wandten sich ihrem Hauslehrer zu, dem sie diesen Sieg zu verdanken hatten. Snape nahm diese Gefühlsausbrüche mit stoischer Miene hin und genoss im Stillen diesen Triumph gegenüber den Gryffindors. Endlich!
Harry und seine Freunde nahmen ihre Mützen ab und stellten enttäuschte Gesichter zur Schau. Ihr hilfesuchender Blick ging zu McGonagall, die nicht weniger bedrückt dasaß, die Lippen fest aufeinander gepresst und die Augen gesenkt.
Albus Dumbledore gab das Endergebnis bekannt. "Und damit wäre eine Umdekorierung fällig." Er klatschte in die Hände und sofort wechselten die Farben des Saales von Gold-Rot auf Grün-Silber. "Ich gratuliere den Slytherins zu ihrem verdienten Sieg. - Lasst nun das abschließende Fest beginnen."
Der Schuldirektor setzte sich wieder. "Was ist, Minerva? Haben Sie irgendwelche Einwände wegen meiner Entscheidung?" fragte er freundlich seine Nachbarin.
"200 Punkte, für die paar Sätze!" beschwerte sie sich. "Das war nicht richtig, Albus."
"Ich glaube schon. Oder hätte ich es so formulieren sollen wie ursprünglich vereinbart? Jeweils 200 Punkte Abzug für jedes Haus, weil ihr Hauslehrer sich weigerte zu spielen? Wie hätte Ihnen das gefallen?"
"Es gab eine Vereinbarung!" versuchte sich die Lehrerin für Verwandlungen zu rechtfertigen.
"Ja, das ahnte ich schon. Aber offensichtlich hat wohl keiner von Ihnen damit gerechnet, dass Severus auch mal über seinen Schatten springen würde."
"Soweit brauchte der gar nicht springen, dieser Slytherin!" gab Minerva pikiert zurück. "Albus, es ist nicht fair!" meinte die Lehrerin bestimmt.
"Aha, und war es fair, Severus durch Bill einen Sprachverfälschungsfluch auf den Hals zu hetzen? Wenn ich mich recht erinnere, haben Sie es mir selbst gebeichtet, dass Sie die Anstifterin waren."
Die Lehrerin setzte zu einer Verteidigung an, doch Albus hob beschwichtigend die Hand. "Genug davon, Minerva. Ich habe entschieden." Damit nahm er sich eine der warmen Waffeln vom Teller und begann sie reichlich mit Honig zu beschmieren, bevor er sich die süße Leckerei zufrieden in den Mund steckte.

***



Im Lehrerzimmer von Hogwarts war ein aufgeregtes Getuschel zu hören. Es war der 30. Juni, und am Vormittag hatten sich alle Kinder im Schloss verabschiedet und waren mit dem Hogwarts-Express abgereist. Für die Sommermonate kehrte Ruhe im Schloss ein. Die abschließende Lehrerkonferenz führte alle Kollegen ein letztes Mal zusammen, um Bilanz zu ziehen.

Albus Dumbledore saß am Kopfende der langen Tafel. "Ich denke, wir haben damit alles besprochen und können nun ganz entspannt in die Sommerferien gehen. Zum Abschluss vielleicht einer Toast?" Der Direktor klatschte leise in die Hände und auf dem Tisch erschienen Tabletts mit Karaffen und Gläsern.
Es war eine Zeremonie geworden, dieser letzte Umtrunk, und es war eine Art Tradition, dass jetzt alle Lehrer mit erwartungsvollen Gesichtern zu einem bestimmten Platz an der Tafel sahen. Ein missmutig dreinschauender Lehrer für Zaubertränke drückte sich tiefer in seinen Sessel und musterte mit verkniffenem Gesicht die Kollegen. Wie er das hasste, wie er diesen Moment hasste.
"Severus, Sie haben doch bestimmt daran gedacht?" fragte Minerva McGonagall mit einem zauberhaften Lächeln.
Was würde eigentlich passieren, wenn er nein sagte? "Natürlich", rang sich Professor Snape eine Antwort ab, "wie hätte ich es vergessen können, wo mich meine ehrenwerten Kollegen die letzten Tage immer daran erinnert haben?"
Mit einer stoischen Gleichgültigkeit richtete sich der Zaubertrankmeister auf und griff unter den Tisch. Zum Vorschein brachte er eine einfache Schachtel, die er nun vor sich hinstellte.
Jeder der Lehrer kannte die inzwischen berühmte Kiste von Professor Snape.

Snape schob die Schachtel ein wenig weiter auf den Tisch. Madam Hooch, die ihm gegenüber saß, starrte ganz gebannt darauf. Die ansonsten so couragierte und resolute Dame streckte die Finger nach der Kiste aus, doch hielt sie mitten in der Bewegung inne, als sie Snapes boshaftes Grinsen bemerkte.
"Nicht so ungeduldig." Wenn er schon den Narren für das Kollegium spielen sollte, dann doch nach seinen Regeln. Auch das war Tradition geworden. Und wenn Severus es mal von der humorvollen Seite sah, konnte er diesem Ritual auch etwas ganz nützliches abgewinnen. Er mochte ja der unausstehlichste und am meisten gefürchtete - nein, gehasste - Lehrer in Hogwarts sein, aber das hieß noch lange nicht, dass es nicht doch noch Dinge gab, mit denen er seine Kollegen immer wieder verblüffen konnte.

Mit einer katzengleichen Bewegung stand er auf und ließ seinen schwarzen Umhang kurz aufwallen. Dann griff er nach dem Seitensaum des Stoffes und hüllte sich enger in seiner Robe ein. Severus verschränkte die Arme vor der Brust. "Wie Sie wissen", begann er mit ausdrucksloser Miene und leicht unterkühltem Ton, "gibt es zwei Klassenstufen, die mir jedes Jahr aufs Neue ein Graus sind." In der kurzen Pause, die er kunstvoll einlegte und dabei mit kalten Augen die anderen Lehrer musterte, wurde es so still, dass man durch die geschlossenen Türen und Fenster den Gesang der Vögel von draußen vernehmen konnte.
Den Lehrern, die den Zaubertrankmeister besser kannten, entging nicht der leicht belustigte Zug um seinen Mund und das Glitzern in den Augen. Was sie jetzt zu sehen bekamen, war der Professor Snape, den die Schüler aller Klassenstufen fürchteten.
"Die eine Gruppe sind unsere Erstklässler. Sie wissen noch nichts von der schweren Kunst der Zaubertrankbrauerei." Seine Stimme klang fast resignierend. "Sie bringen mir die Kräuter und Zutaten durcheinander, etikettieren die Flaschen falsch und lassen regelmäßig Kessel schmelzen oder explodieren. Ein besonderes Exemplar mit zwei linken Händen ist vor einigen Jahren zu uns gestoßen."
Fast alle im Raum lachten leise. Der junge Mister Longbottom war zur Zeit der einzige Schüler, der den Professor wirklich in den Wahnsinn zu treiben vermochte. Gut nur, dass der junge Mann davon nichts ahnte.
Snape ging nicht weiter darauf ein. "Die zweite Gruppe", fuhr er mit frostigem Unterton fort, "ist die Abschlussklasse. Die Schüler dort beherrschen nun wenigstens die Grundlagen der Zaubertrankbrauerei - wofür ich sehr dankbar bin, aber leider entdecken sie dann auch ganz andere Interessen. Was mich nun zu der besagten Schachtel auf dem Tisch dort zurückbringt."
Mit einer knappen Handbewegung deutet Snape auf seinen Platz.
"Wie Sie alle wissen, enthält sie Dinge, die ich im Laufe eines Schuljahres immer wieder fand, oder die ich unaufgefordert von Schülern bekam."
Letzteres brachte Snape mit bewundernswerter Ironie hervor.
Die Geduld seiner Zuhörer erschöpfte sich langsam. Selbst der Schuldirektor rückte unruhig auf seinem Platz hin und her.

Severus Snape war an der Fensterseite des Zimmers entlanggegangen und sah für einen Moment aus dem Fenster auf den Hof, dann drehte er sich wieder um. "Bevor ich die Schachtel öffne, erwarte ich von Ihnen Ihr Ehrenwort, dass nichts von dem, was ich Ihnen zeigen werde, diesen Raum verlässt."
Zustimmendes Gemurmel.
"Und ich ... "
"Ach, Severus", rief Minerva aufgeregt, "hören Sie schon auf zu schwatzen. Wie viele sind es dieses Mal?"
Professor Snape kehrte bewusst langsam an seinen Platz zurück und öffnete die Schachtel. Madam Hooch riskierte einen raschen Blick und griff sich mit einem erstaunten "Severus!" an die Brust. "Bei Merlin!"
Alle anderen reckten die Köpfe und Minerva konnte ein "Donnerwetter!" nicht unterdrücken.
"Es sind 13 Briefe!" Snape lehnte sich mit einem gewissen Gefühl des Triumphes zurück. Plötzlich stutzte er. "Nein, 14. Den hier habe ich vorhin noch auf meinem Pult gefunden." Er zog aus seiner Jackentasche ein gefaltetes Pergament mit Herzchen hervor und legte es mit in die Schachtel.

Es war jedes Jahr dasselbe. Einige Schülerinnen, vornehmlich der höheren Klassenstufen, warfen ihm verliebte Blicke zu oder betrachteten ihn mit romantisch verklärten Augen. Als er vor Jahren zum ersten Mal dieser Veränderung bei seinen Schülerinnen gewahr wurde, war es für ihn ein unerklärliches Phänomen. Offensichtlich reizte seine Unnahbarkeit die weibliche Schülerschaft dazu, mehr in sein Wesen hineinzuinterpretieren als da war. Seine schroffe Art weckte in ihnen Beschützerinstinkte und ließ sie hinter seiner kalten Fassade einen weichen Kern vermuten. Seine dunkle geheimnisvolle Aura provozierte die jungen Damen zu den abenteuerlichsten Aktionen, deren vorläufiger Höhepunkt ohne Zweifel eine Slytherin in seinem Bett war. Zum Glück hatte Tobby das Mädchen rechtzeitig dazu bewegt, es wieder zu verlassen, bevor er eintraf. Einen Wutanfall bekam er trotzdem.
Die 50 Punkte Abzug, die er seinem eigenem Haus gab, schmerzten ihn beinahe mehr als die Verletzung seiner Privatsphäre.
Die meisten Briefe in diesem Jahr stammten natürlich wieder aus seinem Schulhaus.
Aber es gab auch stille Verehrerinnen aus dem Hause Ravenclaw und Hufflepuff. In diesem Jahr erhielt er auch Post von zwei Damen aus dem Hause Gryffindor.
Minerva riss die Augen auf. "Nein, das kann nicht sein! Wer?" Sie griff in die geöffnete Kiste zwischen die Papiere. Doch Snape hielt sie zurück. "Nana, Minerva, keine Namen."
"14 Liebeserklärungen?" Dumbledore schüttelte den Kopf. "Und zwei Gryffindors dabei? Ich muß sagen, Severus, es ist immer wieder bemerkenswert."
Die Briefe gingen nun von Hand zu Hand. Doch Snape hatte mit einem Zauber dafür gesorgt, dass sie anonym blieben und auch die Handschriften keiner Schülerin zugeordnet werden konnten.
Er ließ die Kollegen gewähren und genoss das Schauspiel vor seinen Augen. Ja, er sonnte sich in diesem Moment in dem Erstaunen der anderen Professoren und dachte mit einem gewissen Prickeln an all die Gesichter der jungen Mädchen, denen er unwissentlich das Herz gebrochen hatte - zumindest für ein Schuljahr lang.
Er erhob das Glas. "Auf das Ende des Schuljahres, meine hoch geschätzten Kolleginnen und Kollegen."


 Kapitel 15

 

 

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